Ungeheuer und Gartenroboter liebkosen einander
Martina Hefter schiebt ihrem Band "Ungeheuer" eine Art Nachwort hinterher. Dort kommentiert sie in knappen Exzerpten die Programmatik der vier Texte, die das Buch umfasst, und beschreibt das Unterfangen, dem es sich insgesamt verdankt:
Wenn es eine Schwelle gibt zwischen Umsetzung und keiner Umsetzung, zwischen Sprache auf Papier und Sprache und Aktion im Raum, dann befinden sich alle Texte dieses Buches genau auf dieser Schwelle.
Es hätte die Rückversicherung nicht gebraucht; auch ist es ein wenig verwirrend, dass diesem Nachwort im Gegensatz zu den vier "echten" Texten von "Ungeheuer" keine eigene Zwischentitelseite vorangestellt ist. Wie ein Fortsatz des letzten – Gedichts? Dramoletts? – "In Yetiherden" hängt die erläuternde Doppelseite da, und so lesen wir sie zunächst fälschlich als Teil des literarisch uns Gebotenen; als Coda, das nochmal alle Themen von Hefters Ungeheuer-Buch aufnimmt. Als sozusagen "Abspann" geht das wohl durch, aber wie gesagt: Als Rückversicherung und/oder Leseanweisung ist es unnötig. Denn: Woran und wo wir hier sind, ist völlig klar und kaum erläuterungsbedürftig. Die Texte sprechen deutlich genug für sich – auch wenn ich sie persönlich nicht so sehr an der Schwelle zwischen
Sprache auf Papier und (...) Aktion im Raum
lese, sondern eher an der Schwelle zwischen Sprache auf Papier und gut gemachtem Science-Fiction-Zeichentrickfilm. Das hat wohl damit zu tun, dass eine der Herschreibungslinien jener Cartoonästhetik, die mir bei solchem Lesen vorschwebt, zurück zu dem vielgeschmähten, ausstattungsintensiven Bühnengenre der Oper führt, auf dessen Traditionen zumindest der erste und bei Weitem umfangreichste Text in "Ungeheur" explizit verweist.
Dieser Text heisst "Musical mit Ungeheuer", und automatisch stelle ich mir beim Lesen das Ablaufen seiner Szenen, Regieanweisungen, "getanzten Soli" usw. so vor, als wären sie von den Machern von "Samurai Jack" oder "Powerpuff Girls" animiert. Das heisst nicht, man hielte mit Hefters Band eine Art besseres Drehbuch in Händen, eine Sammlung von Durchführungsbestimmungen in etwas ausgefeilterer Sprache. Im Gegenteil: Natürlich ist "Ungeheuer" der Austragungsort eines groß angelegten Spiels mit Un-/Übersetzbarkeit zwischen Sprache und Bühne/Bildschirm; natürlich geht die Verfasserin durchgehend mit Haufenweise "bloß tangentiellem" Bildmaterial um, das unter den Erfordernissen einer tatsächlichen Bühnen- oder Film-Inszenierung sofort als ablenkend, irreführend, überkomplex gestrichen würde. Der Knackpunkt dabei – das Alleinstellungsmerkmal von "Ungeheuer" – ist, wieviel Lyrikhaftes der Text verträgt, ohne seine dramatische Grundstruktur (bestimmte Protagonisten, bestimmte Konflikte zwischen ihnen, eine Handlung, die sich aus diesen beiden wesentlich speist) zu verlieren. Nämlich: Sehr viel. Und das ist hocherfreulich.
Möglich wird das, weil Hefter weder ihr Material noch ihr Programm über Gebühr ernst nimmt, sondern erkennbar "spielt", wobei dieser Begriff an dieser Stelle auch den Unterhaltungswert des Gebildes mitsignalisieren soll. Man spürt, dass Hefter sich wohl vor allen Dingen selbst keine Sekunde langweilen wollte. Dieser entspannte Grundgestus ermöglicht der Autorin zweierlei: Erstens Reime – und damit Materialverkettungen – herzustellen, die in ihrer rhythmischen Schludrigkeit und zur Schau getragenen Schlichtheit in anderen Kontexten höchstens peinlich wirken würden, hier aber ohne weiteres "gehen"; zweitens jederzeit die Ausflüge ins (vom dramatischen Ablauf her gesehen) Jenseitige der poetischen Sprache zu unterbrechen und mit einer neuen Szenenüberschrift das "eigentliche" Spiel weiterzutreiben. In diesem geht es übrigens um einen Komponisten, ein Ungeheuer, eine "Kioskmum", eine verhungerte Katze und mehrere Gartenroboter. Beispiel gefällig? –
Ungeheuer und Gartenroboter liebkosen einander
eine Minute und vergessen darüber ihre Natur
Pas de Deux, ohne WorteUnten, oben, Puls Puls Puls Puls,
Nichts ist falsch, was ich
an dir tastevon dir dachte.Fühlt sich an, als hantiere man am ganzen
Herz. Nicht real. Bisschen kahl.Bisschen tuscheln,
lass mich wuscheln, am Ohr, da wächst Flor,
und die Verhärtungen, dolle Knubbel,
bilden sich wieder zurück, heißts.Los, noch ein Beinchen lupfen.
Kingsize-Bienchen auf Bauch, Schultern tupfenMaterial, so zusammengeballt,
dass der Druck einen Ton macht.Langsam tropft von mir
Gewicht für Gewicht.Alles, was wir tun können, ist, zu ruhn
auf Rumpf. Oben lodert Kopf.Ich form mit meinen Händen – ja, es sind Hände –
für diesen Darling einen blitzenden Topf.
Was an diesem Kopfkino auffällt, ist, dass es sich zwar bis in Details seiner Form den Gepflogenheiten zeitgenössischer lyrischer Rede verdankt, man aber an keiner Stelle die Cyberpunk-Operettenhaftigkeit des ganzen aus den Augen verliert. Will sagen: Story und Subtext tun nicht "profund" mit uns, sondern gehen ins unterhaltsam Eingemachte und breiten ihr Thema weit, weit aus. Ihr Thema? – Deuten wir es an (...denn sooo einfach ist das auch wieder nicht: Was ist das "Thema" von "Bladerunner"? Von "Dune"?), folgendermaßen: Roboter, Ungeheuer, Musiker, Kioskmum machen ihr Musicalding, aber stehen auch als verschiedene Typen, Repräsentanten verschiedener Indiviuduationsideale, im Kopfbühnenraum rum; und da begegnen sie sich, konfrontieren einander mit dem ganz, ganz Anderen. (Ach ja, das Monster hat auch noch eine Backstory. Nicht so wichtig.)
Bisher war von den anderen drei Texten des Bandes, "Chor der Lästerer", "Arbeit" und "In Yetiherden", noch nicht die Rede. Das liegt daran, dass sie, verglichen mit der Wucht und dem Umfang des "Musicals", eher den Charakter von – ästhetisch eh ebenbürtigen – Bonustracks haben. Von den dreien wird mir "Chor der Lästerer" im Gedächtnis hängen bleiben, und zwar der Zeile wegen:
Primus des Dienlichen, dein Name sei Kamillentee
Fazit: "Ungeheuer" ist ungeheuer lesenswert; das hat auch damit zu tun, dass es sich vom eigenen immens bunten Blinken nicht hypnotisieren lässt.
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