„diese musik will nichts, nur begleiten.“
Dass Martina Weber weiß wovon sie redet, wenn sie über Lyrik spricht, beweist sie seit über zehn Jahren. Und dass sie die Ratschläge, die sie erteilt, selbst beherzigt, auch. Man solle sich Zeit lassen mit dem ersten Lyrikband, die Gedichte (und sich selbst) reifen lassen, empfiehlt sie in ihrem, inzwischen in der dritten Auflage vorliegenden Handbuch „Lyrik schreiben und veröffentlichen“. Sie selbst hat sich viel Zeit gelassen. Erst jetzt liegt ihr Debüt als Lyrikerin vor, und es trägt den assoziationsreichen Titel „erinnerungen an einen rohstoff“.
Welcher Rohstoff ist da gemeint? Es kann die Sprache sein, die erst in Form gebracht, Gedanken lenkt, es kann aber auch das Selbst gemeint sein, ein Kern in jedem von uns, der noch unberührt ist von Erfahrungen, Enttäuschungen und Kompromissen. Vermutlich ist beides gemeint, und darüber hinaus die Beziehung zwischen Sprache und Wesen, Rohstoff und Erinnerung. Die Verbindungen und Beeinflussungen zwischen Maschine, Grammatik, Mensch und der Form, die alles lenkt.
Paul Èluard sagt über das Gedicht: „Es desensibilisiert das Universum zum alleinigen Nutzen der menschlichen Fähigkeiten, es erlaubt dem Menschen, anders zu sehen, andere Dinge.“
Die Form bestimmt die Perspektive, legt den Rohstoff frei und führt die Erinnerungen (nicht nur die eigenen) zurück zu diesem Punkt.
In fünf Schritten handeln Webers Gedichte von dem, was wir (in Fußnoten oder Fehlaufnahmen) zu behalten glauben, während wir nie wissen, was sich entzieht, wie aus einer rot getrichelten Linie im Meer ein offenes Meer wird und am Ende nur die Stille in den hübschen kleinen Ohren bleibt.
„eben war alles noch da, ohne grammatik,“
ohne die standards der disziplinierung, kältepunkte
breiten sich aus, geschwärzte stellen, dann treibgut.
Die verben im aktiv verloren gegangen, hier, im zerriebenen licht.“
Bereits das erste Gedicht beschreibt nicht nur den Verlust der ursprünglichen Ressource, des Einsseins mit sich, sondern auch die Art und Weise des Verlustes, die plötzlich geschieht, unbemerkt, sowie die Formen, die das Ursprüngliche, Heile, verändert haben.
Erinnerung selbst wird in einem Gedicht definiert als:
„ein versuch
einer sinnkonstruktion, eine art schadensbegrenzung.“
Es sind diese scheinbar ganz normalen, nüchternen Sätze, Sätze, die man leicht übersehen kann, die Martina Webers Lyrik auszeichnen. Sätze wie dieser:
„doch mit der körperspannung ändert sich die haltung.“
Das mag unterkühlt klingen, unpoetisch, mich beeindruckt die ungeheure Sprengkraft in dieser nüchternen, unscheinbaren Form.
Ebenso wie die Schritte, die Kapitelüberschriften gehen auch die Gedichte ineinander über, alles folgt einem langsamen aber stetigen Fluss. Während es im ersten Teil um das Wissen ging:
„dass tatsachen künstlich sind, eine vereinbarung,
ähnlich der uhrzeit.
Steht im zweiten Teil die Frage im Mittelpunkt, was genau sich da eigentlich entzieht. Etwas wie Lachen, wie die Dämmerung, das Flüchtige, das sich in seiner Flüchtigkeit festsetzt. Was bleibt sind die Täuschungen. Erkennen kann man nur, was nicht ist und vielleicht noch in welchem Zusammenhang das Fehlen zueinander steht.
„kein himmel also auch kein mond.“
Sobald man die Dinge festhalten, beleuchten will, sind sie weg. Was bleibt ist ein Schatten, die Erinnerung an einen Rohstoff.
Es erscheint natürlich, folgerichtig, dass alles hinführt zu einem Element, das tief ist und klar, in dem alles versinkt, eine rot gestrichelte Linie im Meer, die Grenzen behauptet, die sich wenig später auflösen werden.
„schon wasserlöslich wie wir.“
Schließlich mündet alles im offenen Meer. Einem Ort, an dem man „wir“ sagt, bevor es still wird und einsame Einzelne auf der Suche nach Wärme gezeigt werden. Da fließt nichts mehr, löst sich nichts auf. Da ist nur Stille. Unüberbrückbare Zwischenräume:
„gesprächsflüchter sind wir geworden,
die stimme im kopf
verstummt.“
Von der großen Begabung Martina Webers spricht Kurt Drawert im Nachwort, weil sie „so unendlich viel mehr sagt, als sie es weiß“. Ich möchte ergänzen, weil sie den Zweifel zulässt, die Unsicherheit jenseits der Form, die es erst ermöglicht, Dinge zu sagen, die man nicht wissen kann.
„erinnerungen an einen rohstoff“ ist ein kluges Buch geworden. Ein stilles Buch, unauffällig und tief. Das Warten hat sich gelohnt, hier ist alles reif und tief und notwendig.
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