Schwimmen in einem verwertbaren Traum
Verum quia factum. Als wahr erkennbar ist nur das, was wir selbst gemacht haben, sagt Giambattista Vico (1668-1744). Er sieht es so, daß wir nur als wahr erkennen, was wir uns selbst als Wahrheit erzeugen. Während seine Zeitgenossen großräumige Gärten in strenge Musterfindungen zwängten und glaubten die Welt nach der „geometrischen Methode“ selbst neu anlegen zu können, vermisste Vico schon damals den Gegenspieler dazu: die poetische Inspiration, die einen anderen Teil des Menschseins ausmacht und weder rechnet noch mißt, sondern wirken lässt. „Die Reduzierung menschlicher Erkenntnis auf die geometrische Methode ist ein Selbstbetrug, der darauf beruht, dass der Mensch sich zum Maß aller Dinge macht.“ faßt Wikipedia Vicos These so zusammen, daß sie auch dreihundert Jahre nach ihrer Formulierung aktuell sind. Und zu den Kerngedanken der Landschaft gehören, in der sich der Chemiker und Lyriker Maximilian Zander bewegt.
Grob vereinfachend gesagt klingt es platt: für uns ist nur das wahr, was für uns wahr ist - weil wir es als wahr erzeugen. Und wenn wir nur geometrische Wahrheiten dulden, dann wird unsere Welt immer eine Welt sein, der die mögliche andere Hälfte der Wahrheit, die unberechenbare und verspielte, die organische, stoffwechselnde fehlt. Wir haben uns ein Instrument in die Welt geholt, das alles zum Kalkül macht und mit dem wir pausenlos werten und entwerten: Geld – das ist unsere eigene Show und unsere eigene Wahrheit und wenn dem einen der Geldsack überquillt, während ein anderer verhungert, dann ist das die geometrische Wahrheit.
„Ist Wissenschaft nichts anderes als die Kunst / die Dinge in schöne Beziehung zueinander zu bringen? / Ist es das, was Du sagen wolltest, Giambattista?“ fragt Maximilian Zander in einem Aphorimus. Gefragt ist Giambattista Vico und gefragt sind immer wieder Physiker, Wissenschaftler, Dichter und Denker. Zander hat ein großes Arsenal offener Fragen, die sich, weil sie sich im Rahmen der Poesie stellen lassen, auch poetisch beantworten. Mit diesem Flackern des Ungenauen, dem Flimmern, das da, aber nicht greifbar ist. Die Wissenschaft wischt das weg und betrachtet die Härte des Rands und stößt sich daran wund. „Laß gut sein. Geh’ schwimmen.“ sagt Zander zu sich, am Ende eines Gedichtes über Kosmologie – weil er diesen Zustand nicht verlernt hat: im Wasser unterwegs zu sein, der uns kosmologisch gesehen immer noch am besten spiegelt.
„Über mehrkernige aromatische Kohlenwasserstoffe und Heterocyclen zu lyrischen Stoffen, die in keinem Periodensystem vorkommen. Maximilian Zander, der als Chemie-Professor über viele Reaktionen Bescheid weiß, hat in seiner ‚späten Jugend’, jetzt mit 81 Jahren, seinen vierten Gedichtband veröffentlicht. Brief von Carl ... Nun ist nichts Außergewöhnliches dran, dass ein sich zur Ruhe setzender Mensch Gedichte schreibt. Es sei denn, einer seiner Bände wird für den Peter-Huchel-Preis nominiert, wie dies beim 2008 erschienen Lyrikband Anthropisch der Fall war. Falkners Hölderlin Reparatur hatte dann doch die Nase vorne, aber für den gebürtigen Berliner Zander war es mehr als ein Überraschungserfolg, überhaupt nominiert worden zu sein. Die Öffentlichkeit hatte das Besondere an seinen Texten wahrgenommen.“ berichtete die Lyrikzeitung direkt nach Erscheinen des Bandes.
Der Brief an Carl macht weiter, wo Anthropisch aufgehört hatte. Ein wundervoller Alterston, der beim Lesen das in manchen Lyrikbänden gegenwärtige Gewürge um Originalität und Gestrample um das noch nicht Geschriebene einfach wegpfeift. Pfeif drauf. So wie er schreibt, kann er’s und macht er es richtig gut. Zander hat eine Gestik, die reif und offen bis zur bitteren Selbstironie das Ja versucht, obwohl alles verwischt. Grenzen lösen sich auf, auf einmal sind wir Mitinsassen und doch nicht Wärter, sind – was wir immer schon waren – a part of the game. Dabei hatten wir Monogastrier uns in den Kopf gesetzt the masters of the universe zu sein, doch der Comic zerfällt und die Zellulose bleibt unverdaut liegen.
Und steht übrigens auch dann noch als Vielfachzucker in tausendfacher schöner Beziehung. Zanders Frage an Giambattista Vico läßt sich beantworten: die Dinge sind längst in schöner Beziehung zueinander. Weil wir das erkennen könne, wird es für uns wahr und weil es unser Wissen ist, gehört es zu uns. Auf diese Weise gehört die ganze Welt zu uns, selbst der Mond und die Milchstraße. Aber eben nur das Gewußte daran. So sind die Regeln. Die Welt gehört nicht uns, nur das, was uns antreibt zu wissen. „Nimm an, Du hast das Gift schon genommen - / Da kommt der Postmann. Wirst Du öffnen? Du wirst.“
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