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Kritik

Der lange Schenkel des Verlangens

Zeitgenössische persische Liebesgedichte

Während die Lyrik in Deutschland über viele Epochen hinweg Zeit hatte, sich Schritt für Schritt zu entwickeln und die einzelnen Phasen sich mitunter kaum voneinander abgrenzen lassen, weil sie mehr oder weniger fließend ineinander übergingen, machte die iranische Lyrik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen beachtlichen Sprung. Jahrhundertelang war die Dichtung den klassischen Formen verschrieben, bis eine kleine Gruppe Dichter um Nima Yushidj zu Beginn der 20er Jahre begann, die Dichtung zu modernisieren. Eine beachtliche Auswahl an Liebesgedichten der wichtigsten Vertreter iranischer Lyrik im letzten Jahrhundert haben Gorji Marzban, Mehrzad Hamzelo und Rudolf Kraus in der Anthologie „Neun Gärten der Liebe. Zeitgenössische persische Liebesgedichte“ (Edition Roesner, Wien 2011) gesammelt

Es war ein langsamer und zäher Aufbruch, den Yushidj, der „Vater der modernen iranischen Lyrik“, und eine Handvoll weitere Dichter damals anstießen, und es dauerte noch einmal gute zwanzig Jahre, bis sie erste Erfolge verzeichnen konnten. Zwar tobte der Feuilletonkrieg zwischen Traditionalisten und Modernisierern weiter, aber die Modernisierer gewannen die Leser  zunehmend für sich. Sie lösten die Lyrik aus den starren traditionellen Formen, verzichteten zunehmend auf den Reim, führten erstmals die Alltagssprache in die Dichtung ein und erneuerten auch die Metaphernwelt, die bis dahin zumeist mittelalterlichen Motiven verpflichtet gewesen war. Allerdings hieß das nicht, die Wurzeln zu verleugnen. Die großen persischen Klassiker – Hafis, Rumi, Chayyam, Ferdousi, Nizami, Saadi – sind in der Lyrik bis heute präsent, indem auf sie angespielt wird, Formen und Motive von ihnen übernommen werden. Auch die alten Gedichtformen der Ghazelen und Rubayat finden sich bis heute.

„Neun Gärten der Liebe“ versammelt die wichtigsten Vertreter dieser Modernisierung. Nima Yushidj, Ahmad Shamlou, Sohrab Sepehri, Mehdi Akhawan-Sales, Siavash Kasrai, Nader Naderpour, Fereidoun Moshiri, als einzige Frau selbstverständlich Forough Farrokhsad und, vielleicht die einzige Überraschung in dieser Auswahl, Geyssar Aminpour, der leider heute noch viel zu selten in einem Atemzug mit den anderen Größen genannt wird, obwohl er ihnen ebenbürtig war.

Obwohl das Mengenverhältnis stellenweise verwundert (Forough ist mit dreizehn Gedichten vertreten, Moshiri und Nima jeweils nur mit einem), gibt die Anthologie doch einen interessanten Einblick in das Wirken dieser Dichter, und indem sie die deutsche der persischen Fassung gegenüberstellt, lassen sich auch die Grenzen der Nachdichtung nachvollziehen. Denn obwohl die Übersetzungen ambitioniert sind, sind sie doch letztlich nur eine Annäherung an die Originale. An einigen Stellen wurde zugunsten des Inhalts darauf verzichtet, Reimschema und Versmaß zu übernehmen, und der klangliche Fluss der persischen Sprache lässt sich im Deutschen unmöglich wiedergeben. Umsomehr tritt die Bildwelt der vorliegenden Dichter zutage, die natürlich eine sehr andere als die der gegenwärtigen Lyrik hierzulande ist.

In der klassischen persischen Lyrik dominieren vor allem Naturthemen, die Natur wurde aber auch schon bei Hafis zum symbolischen Vehikel für politische und gesellschaftliche Aussagen. So steht beispielsweise die Morgenröte (bamdad, ganz nebenbei auch Shamlous Pseudonym) für den (politischen) Neuanfang, der Gesang eines Vogels kann für ein Liebesmotiv stehen oder für die Sehnsucht nach Freiheit. Derartige Bilder finden sich reihenweise auch bei den Modernen, vieles ist aber auch sehr direkt. Forough war die erste Dichterin, die ohne Umwege die Sehnsüchte und Bedürfnisse einer Frau lyrisch zur Sprache brachte und auch unmissverständliche Erotik nicht scheute: „Die Last seiner Schatten spendenden Wimpern / Wie der Faden eines Seidenvorhangs / Floss aus der Tiefe der Dunkelheit / Entlang des langen Schenkels des Verlangens“.

Überhaupt mag den westlichen Leser die Menge an erotischen Sprachspielen in diesen Liebesgedichten überraschen angesichts der Tatsache, dass die Zensoren der Islamischen Republik alles Körperliche aus der Literatur  verbannt haben. Tatsächlich wurden vieler der hier präsentierten Texte nach 1979 verboten. Aber, wie Siba Shakib so treffend im Nachwort schreibt: „Der Stift, das Papier, der Computer werden unsere Waffe; unsere Worte werden zum Widerstand; wir, die Künstler, zu Verfolgten. Die LyrikerInnen, denen im vorliegenden Band Raum gegeben ist, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, ihr Wort zu kennen und es zu sprechen, es zu besitzen und zu verbreiten, ist Widerstand, ist Kampf. Kampf für Unabhängigkeit, für Freiheit, für Demokratie“.

Ohnehin scheint momentan eine gute Zeit für iranische Literatur zu sein. Immer mehr wird übersetzt, ins Englische, Französische, Deutsche, und dabei nimmt auch die Zahl der Lyrikveröffentlichungen, zu, wenn auch die Anzahl an Anthologien mit moderner iranischer Lyrik nach wie vor überschaubar ist. „Neun Gärten der Liebe“ ist jedenfalls ein guter und lohnenswerter Einstieg für interessierte Leser, die sich mit der iranischen Lyrik des 20. Jahrhunderts näher befassen möchten.

Mehrzad Hamzelo · Rudolf Kraus · Gorij Marzban (Hg.)
Neun Gärten der Liebe
EDITION ROESNER
2011 · 206 Seiten · 18,80 Euro
ISBN:
978-3-902300614

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