Balanceakt
Tote wieder zum Leben zu erwecken, ist wohl eine große Kunst, aber im digitalen Zeitalter gibt es wenigstens einige Ansätze, sich an dieses Projekt zu wagen – Ansätze, die weit über das hinaus gehen, was weiland dem guten Herrn Doktor Frankenstein möglich war. Keine groben Nähte mehr, keine intellektuellen oder emotionalen Fehlfunktionen, die daraus herrühren, dass da Leichtenteile unterschiedlicher Provenienz zusammengefügt wurden (und keiner weiß, in welchem Zustand die waren). Stattdessen eine glatte und schöne Oberfläche – wenigstens wenns gut gemacht ist (was unsereinem eben nie gelingen wird, aber zum Nerd muss man geboren sein).
Das Ganze hakt nur an der Stelle, an der das echte mit dem simulierten Leben in Deckung gebracht werden soll: So schön Bildschirmsimulationen auch ein mögen, sie haben – zumindest vorerst – kein Bewusstsein und leben nicht. Was, wenn wir der „Matrix“-Geschichte glauben wollen, auch ganz ok ist. Aber auch das können wir noch mit Ruhe abwarten.
Was hat das mit der beängstigenden Geschichte zu tun, die Roger Smith in „Stiller Tod“ erzählt?
Die vierjährige Tochter Sunny ertrinkt im Meer bei Kapstadt, während ihre Mutter Caroline sich von ihrem Liebhaber beschlafen lässt und ihr Vater Nick sich mit einem Kumpel die Birne zudröhnt. Schöner vierter Geburtstag kann man sagen.
Der Unfall – der es trotz allem noch ist – wird von einem Ex-Bullen namens Vernon beobachtet, der allerdings das Kind nicht rettet, sondern solange tatenlos zusieht, bis es tot ist, um dann auf Retter zu markieren. Damit schleicht er sich ins Leben der Exleys ein, das schon vor dem Unglück, man ahnt es, nicht mehr das ist, was es mal war. Das ist auch der Grund, weshalb sich die Familie ja nach Südafrika zurückgezogen hat. Caroline ist eine manisch-depressive (Ex-) Schriftstellerin, Nick ein Programmierjunkie, der sein Geld mit einem Verfahren gemacht hat, das man Motion Capture nennt.
Die eine Linie der folgenden Handlung beschäftigt sich nun damit, dass Nick den Tod der Tochter damit betrauert, dass er sie elektronisch wieder auferstehen lässt (brillant, aber ohne einen Funken Leben). In der nächsten Erzähllinie eskalieren die Konflikte des Ehepaares zum Tod der Frau, die von ihrem Mann im Streit erstochen wird. Die dritte Linie dreht sich darum, dass Vernon sich nicht nur als vermeintlicher Retter, sondern auch noch als derjenige präsentiert, der Nick vor dem unvermeidlichen Knast bewahrt: Denn die südafrikanische Polizei werde Nick mit Freuden in den Knast stecken. Endlich mal keine hausgemachte südafrikanische Gewalt, sondern Ausländer, die sich gegenseitig abstechen. Das ist gut für die Außendarstellung.
Mit dieser Hilfestellung durch Vernon beginnt nun eine immer weiter eskalierende Gewaltspirale – an deren Ende eigentlich nur das endgültige Fiasko stehen kann. Nick wird untergehen – wegen seiner Schuld am Tod seiner Tochter und wegen seiner Schuld am Tod seiner Frau. Es kommt sogar noch mehr hinzu, was der eigenen Lektüre vorbehalten sei. Aus so einem Schlamassel wieder herauszukommen, ist nicht ganz ohne, für den betroffenen Protagonisten und für den Verfasser, der sich eine einigermaßen plausible Lösung ausdenken muss, der dann auch seine Leserinnen und Leser folgen können. Smith gelingt das, was ihn aus außergewöhnlich findigen Kopf ausweist (dass er Anleihen bei Woody Allen nimmt, sei ihm verziehen, weils eben gut gemacht ist).
Nun ist damit noch nicht genug: Denn der fiese Vernon erhält gleichfalls eine eigene Geschichte, die von Missbrauch seit der Kindheit und dem Wunsch nach Macht und Kontrolle geprägt wird. Kann auch nicht gut enden, endet auch nicht gut, zumal der Mann seinen Vater (hats verdient) erschlagen hat und der Mutter dasselbe androht.
Nein, nein, damit ist Smith immer noch nicht zuende, hinzu kommt nämlich noch die Geschichte der Striptänzerin Dawn und ihrer Tochter Brittany, die der toten Sunny ziemlich ähnlich sieht. Vernon hat die beiden unter seine Kontrolle gebracht, anscheinend damit er jemanden hat, dem er kommandieren kann. Er macht sie nun auch noch mit Exley bekannt – und schon beginnt, was ja so kommen muss. Die Stripperin aus den Kapstadt-Slums beginnt ein Verhältnis mit dem trauernden Programmierfreak, das Vernon wiederum nicht passt.
Mit anderen Worten, alles ziemlich kompliziert und irgendwie hängt alles irgendwie zusammen. Mit der bereits gestellten Frage, wie das enden soll.
Und da sind wir wieder beim Thema, mit dem wir begonnen haben: Simulation. Sie spielt eine Rolle, als es darum geht, den Tod Vernons zu vertuschen. Und sie spielt eine Rolle bei dem, was man neudeutsch Trauerarbeit nennt. Nick muss von ihr lassen. Und er lässt es auch. Statt des Simulation am Ende doch wieder Leben (mit echte Kind), zwar voller Schuld, aber doch mit genügender Sühne, damit es weitergehen kann? Hört sich nach einem fairen Deal an.
Was am Ende ein moralisches Urteil wäre, nämlich das, ob Smith so etwas darf, was er da macht. Er darf es schon, weils sehr nervenzehrend gemacht ist – für Leute mit einigermaßen intakter Empathie keine einfache Lektüre. Wobei die kleineren Exkurse in die Kindheit Vernons oder die Ansätze, sein Verhalten zu psychologisieren, ein wenig stören.
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