Kritik

Diwan als Debüt

Hamburg

„Rose & Nachtigall“ - das ist ein gewagter, mutiger und äußerst selbstbewusster Titel für ein Debüt.  Denn er ziert auch die Diwane, also Gesamtwerke, diverser klassischer orientalischer Lyriker. Zuletzt erschien in Teheran 1999 die gut zwölf Lyrik-Jahrhunderte umfassende zweisprachige Anthologie „Gol o Bolbol – Rose und Nachtigall“ (Hrsg. Purandocht Pirayech), die sich an dem traditionsreichen Motiv arabisch-persisch-türkischer Liebeslyrik abarbeitet. Und nun kommt Safiye Can daher, aus Offenbach/Main, mit tscherkessisch-türkischen Eltern und großer Liebe für orientalische Lyrik, und nennt ihren ersten Gedichtband so, unlängst erschienen im Frankfurter Größenwahn Verlag.

Einen Moment lang fragt man sich, ob Titel und Verlagsname nicht in einem gewissen Zusammenhang stehen, doch sobald man liest und die Idee begreift, die dahinter steckt, macht sich Anerkennung breit für eine Autorin, die etwas versucht, das es so lange nicht mehr gegeben hat in der deutschen Lyrik. Sie holt ein Motiv, das vielen längst als kitschig gilt, weil es zu oft für Orient-Romantizismus missbraucht wurde, ins Jetzt. Knüpft an die Klassiker vor allem der osmanischen Lyrik an, indem sie die vielfältige Gefühlswelt, die vor allem von männlichen Dichtern zelebriert wurde, sich selbst aneignet. Bei Safiye Can wird Biografie zu Dichtung, und sie zeigt etwas der Dichtung Elementares: Dass die Gefühlswelten vor tausend Jahren kaum anders waren als heute, gewandelt hat sich nur Umgebung und Lebensrealität, aber Zweisamkeit und Einsamkeit haben, von gelockerten Moralvorstellungen einmal abgesehen, überdauert. Das mag eine banale Erkenntnis sein, zugleich ist sie aber eine Erklärung dafür, warum ein Hafis oder Rumi auch heute noch so aktuell sind (in ihrer politischen übrigens ebenso wie in ihrer Liebeslyrik).

Wenn auch Can sich nicht an der Formstrenge von Ghazel oder Kasside abarbeitet, so findet man doch hier und da Anspielungen, und während die klassisch-orientalische Lyrik aufgrund des islamischen Bilderverbots eine bis heute faszinierend vielfältige Bildersprache entwickelte, setzt Safiye Can in ihren oft nüchternen, zeitgemäßen Versbetrachtungen bildstarke Kontrapunkte, wie hier im Titelgedicht:

Unterwegs lese ich durchnässte Träume auf
und hänge sie an die Wäscheleine
in meinem Herzen das Herz einer Nachtigall

Die Nachtigall ist eine Art Minnesängerin, eine oft traurige oder hoffnungsfrohe Liebende, deren Geliebte, die Rose, ihr immer wieder besungenes Anbetungsobjekt ist. Und die folgende Frage im Gedicht („Wie viel anderes soll eine Dichterin noch sein / wenn sie Dichterin ist?“) beantwortet sich darin von selbst: Die Nachtigall, die Liebende, die zugleich selbst auch die Rose ist – dies übrigens ein Spiel, das bereits persische Dichterinnen spielten, die heute kaum noch bekannt sind, wenn sie die vorwiegend männliche Lyrikperspektive persiflierten. (Interessierte finden einen Überblick in Sheema Kalbasis Anthologie „Seven Valleys of Love“, Georgia 2008).

Explizit findet sich das Motiv Rose/Nachtigall nur im Titelgedicht, aber auch in den übrigen Gedichten des Buches schwingt es im Hintergrund mit: Es geht um Sehnsucht und Enttäuschung, um Nähe und Entfremdung und den Versuch, das Amouröse im Detail zu verorten. Das Motto des Buches gibt die Richtung vor: „Wann immer ich eine Rose sehe / In mir, die Nachtigall."

Safiye Can
Rose und Nachtigall
Mit einem Vorwort von Gerhardt Csejka, Literaturwissenschaftler
Größenwahn Verlag
2014 · 120 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-942223-64-5 eISBN: 978-3-942223-65-2

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