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Kritik

Nein-wann-wann

Teresa Präauers Antiheld irrlichtert zwischen Dada und Transzendenz
Hamburg

„Im Dschungel der Großstadt“ wächst Schimmi (getauft Jimmy) auf, „der Hotteste unter den Hotten, der Fresheste unter den Freshen, der Obermakake, der affengeile“. In seinen ungelenken Rhymes (wie auch im goldenen Grinsen des Affen auf dem Umschlag) schwingt bereits mit, wie dicht „cool“ und „affig“ beieinanderliegen – eine der Prämissen, um die herum Teresa Präauers neuer Roman „Oh Schimmi“ variiert.

Das Affenhaus ist ein Apartment im siebzehnten Stock eines Hochhauses, der Burggraben drum herum ein Gewirr aus vier achtspurigen Autobahnen, die an L.A. oder andere düstere Zukunftsvisionen erinnern. Dort wohnt Schimmi zusammen mit seiner Mutter, zu der er eine merkwürdig inzestuöse Hassliebe pflegt. Obwohl er ein „ausgewachsener Mann“ ist, wie er immer wieder betont, spricht sie mit ihm wie zu einem kleinen Kind („Geh schlafen, iss die Banane, du brauchst die Fitamine!“), während der so unterbelichtete wie übersexualisierte Sohn seine Mutter seinerseits gewaltig tyrannisiert. Wer hier eigentlich wen dominiert und missbraucht, lässt die Autorin lange offen.

Ebenso rätselhaft ist Schimmis Geisteszustand. Von Satz zu Satz schwankt seine Rede zwischen vorpubertären Allmachtsfantasien, luzide-poetischen Einschüben über Geltungswahn in der digitalen Welt („Wie gut ich aussehe, hab ich kurzfristig beinah vergessen gehabt ohne meinen Selfiestick.“), die Zeichenverwirrung der Postmoderne („Wie der Eingang plötzlich zum Ausgang wird, Semantics is Magic“) und kruden Verschwörungstheorien („Mit Fructosis will sie mich vergiften, die eigene Mutter!“). Begriffe wie „rechtskonform“ oder „prekär“ fließen ganz selbstverständlich in seine rhythmisch durchgetakteten Monologe, die „Siffilisation“ hingegen bereitet ihm ordentliche Probleme – so ganz steigt man da nicht durch.

Im Hintergrund ahnt man ein Familiendrama, ein frühes Trauma, doch bleibt auch dies diffus. Schimmi hält sich für den unehelichen  Sohn eines waschechten Cowboys, der seine Mutter – auch sie eine ehemalige „Miss Teen Rodeo“ – sitzenließ, wonach die Mutter im Schockzustand mit dem Kopf auf den Küchenfußboden knallte, während der kleine Schimmi panisch „nein-wann-wann“ schrie („Das hab ich aus dem Fernsehen gekannt“). Und überhaupt: die Medien! Während seine Umwelt Schimmi als „besonders pflegebedürftig“, als „schwieriger, herausfordernder, manchmal unerträglich“ einstuft, behauptet Schimmi: „Dabei leide ich bloß an ganz gefährlicher Ü-ü-überbegabung, inklusive Fernsehsucht.“ Im Internet wie im TV schaut Schimmi sich am liebsten „Tiere und Mädchen“ an – obwohl zumindest ersteres auch ziemlich verstören kann: Die hübschen schillernden Käfer frisst der Kolibri, die Wespen ertrinken im Fruchtfleisch der Mango. Und über allem schwebt die Frage:  Wieso tut die Mutter nichts gegen all diese Grausamkeit?

Was die Frauen in Schimmis Leben angeht, so gibt es außer seiner Übermutter noch Guadalupe, die mexikanische Haushälterin, sowie Maguro, die mit Springseilen gefesselt unter Schimmis Bett liegt und sich dort von Marshmallows und Fiffi Cola ernährt (ob er dort tatsächlich ein Mädchen gefangen hält oder sich dies nur in Schimmis kindlich-perversen Fantasien abspielt, bleibt ebenfalls unklar). Lieben kann er jedenfalls nur solche, die zwei „i“ im Namen tragen wie er selbst. Seine langjährige Gefährtin ist Zindi, die ihn auf Kanal 69 Abend für Abend sehnsüchtig drängt: „Ruf-mich-an.“ Der großen Liebe jedoch begegnet er eines Tages in der analogen Welt, nämlich in Yu-Mei Chows Nagelstudio: Ninni, die blonde Extensions und „Schtickers“ auf ihren goldenen Nägeln trägt, überdies die „Tropical Edition“, sprich: „Kokosnüsse, Äffchen und Palmen.“ Das passt natürlich wie die Faust aufs Auge!

Wer schon jetzt genug hat von der Tour de Force der Albernheiten, kann das Buch an dieser Stelle getrost zur Seite legen – ruhiger, reflektierter oder irgendwie logischer wird es nämlich nicht. Im Gegenteil. Präauer dreht von Kapitel zu Kapitel mehr auf, schmeißt fröhlich um sich mit Verballhornungen und Neologismen, von Mutters „Gitschi“-Tasche bis hin zum „Schtring“ von „Viktoria’s Sigrid“, entstellten Fremdwörtern, „Kissalität“ und „Kirrelationen“ – Schimmi liebt das „i“ gar so sehr. Mal ganz abgesehen davon, dass die Handlung von einem überzuckerten Zwölfjährigen mit ADHS erdacht zu sein scheint, der sich ohne Sinn und Verstand durch sämtliche Kanäle, beziehungsweise von Youtube-Video zu Youtube-Video zappt. Und wieder von vorn. Das ist genial insofern, als dass es ziemlich akkurat unsere reizüberflutete Welt widerspiegelt, in der alles Attitüde, alles Performance ist. Aber auch frustrierend, da „Oh Schimmi“ zwar immer wieder zum Rundumschlag gegen Neoliberalismus, Kapitalismus, Neokolonialismus und Sexismus ausholt, die Kritik jedoch in der exzessiven Fragmentierung von Handlung und Sprache steckenbleibt. Letztendlich erreicht uns die Erkenntnis nur mehr in gut durchgekauten, wieder ausgespienen Bröckchen. Die allerdings haben es in sich: Wie Schimmi jedwede weibliche Zurückweisung als Bestätigung des eigenen Egos umwertet, ist auf den ersten Blick einfach nur lustig oder traurig (je nach Perspektive), transportiert auf den zweiten jedoch ein Gedankengut, das auch in westlichen Zivilisationen noch längst nicht ausgestorben ist („Je mehr Nein, desto eher meint sie: Ich verzehr mich nach dir“). Dabei dient Schimmi als Projektionsfläche sowohl für unsere animalischen Gelüste in Sachen Aggression und Libido als auch für all die rassistischen und sexistischen Diskurse, die zwar kaum noch einer derart unreflektiert preisgeben würde, die jedoch (in abgeschwächter Form) allerorts und ungebrochen durch Medien und Köpfe geistern. „Unsere Augen haben wir durch Eingriffe vergrößern lassen, um im Verdrängungskampf bestechen zu können“, triumphiert zum Beispiel Yu-Mei Chow, die Nagelstudio-Besitzerin, die sich in ihrer Freizeit (oder zumindest in Schimmis Fantasie) auch gerne mal als Rotkäppchen verkleidet. Und spielt damit gleichermaßen auf weibliche Schönheitsideale, Angst vor „Überfremdung“, neoliberalen Konkurrenzkampf und vermutlich noch Diverses mehr an – selbst eine Prise Posthumanismus gibt es gratis dazu. Wenn Schimmi den coolen Rapper mimt, nimmt er dabei (unwissentlich?) immer wieder auch die neoliberalen Maxime unserer Tage aufs Korn: „Siebzehntausend Messages / auf meinem schönen Gadget, yes! Wischtige Mentschen woll’n was von mir, sie woll’n was von mir. Das ist sexy!“

Ein bisschen entlarvend und auf makabre Weise komisch ist das schon. Für eine wirkliche Parodie reicht es jedoch nicht – dafür sind weder Kritik noch Dada konsequent genug durchgezogen. Spätestens auf der Hälfte ermüdet Schimmis Schwadronieren, zumal es nicht mal eine Story gibt, an der man sich entlang hangeln könnte. „Rede, rede dich um Kopf und Kragen, rede dich um den Verstand“, ist Schimmis Mantra. Ein Kurztext oder eine Kolumne hätte dieses Sprachexperiment gelungen auf den Punkt gebracht. Einem ganzen Roman tut so viel irres Monologisieren letztendlich aber doch nicht gut.

 

 

Teresa Präauer
Oh Schimmi
Wallstein
2016 · 204 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-8353-1873-1

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