Happy Aging ernst genommen
„Happy Aging“. Der Titel führt in die Irre und macht zunächst skeptisch: Erwarten einen lustige Stories um hormonelles Chaos, Gewichtszuname und Hitzewallungen? Wechseljahr-Comedy? Keine Bange: All dies steht nicht an, wenn Ulrike Draesner ihre Wechseljahre erzählt. Die Lyrikerin und Schriftstellerin macht keine Comedy, sondern erzählt authentisch und offen von ihren persönlichen Erfahrungen rund um das Älterwerden.
All dies geschieht unaufdringlich, humorvoll, ohne Peinlichkeit und vor allem ohne plumpe Vertraulichkeit. Draesner startet mit ihren Reflektionen um das Älterwerden mit einem Rückblick auf die eigene Kindheit; einer Lebensphase, in der Älterwerden ausschließlich positiv konnotiert ist: Man wartet ungeduldig darauf, dass die Beine endlich bis zum Boden reichen, wenn man auf einem Stuhl sitzt; man fiebert dem nächsten Geburtstag entgegen. In der Kindheit wird Älterwerden vor allem als eines gesehen: Als Zugewinn und vor allem als Gewinn an Selbständigkeit.
Wenn Draesner ihre kindlichen Reflexionen zum Älterwerden und zur Sterblichkeit erinnert, haben diese bei aller kindlichen Naivität eine große Logik. Sie blickt zurück auf eine kindliche Vorstellung eigener Unsterblichkeit und auf den Glauben an die Unsterblichkeit der Eltern. Fürs Sterben sind - aus Kindersicht - die Großeltern zuständig. Diese logische Vorstellung tritt auch an späterer Stelle des Lebens wieder auf: Mit der Erfahrung der Geburt des eigenen Kindes rückt man einen Platz weiter. Und somit dichter heran an das Sterben. Die Mutter, so Draesner, übernimmt nun selbst die Funktion des Schutzschildes zwischen Kind und Tod.
Ulrike Draesner erzählt mit großer Natürlichkeit. Immer wieder unterbricht sie sich mit einem erfrischenden Lachen. Sie bewegt sich kurzweilige zweieinhalb Stunden lang an einem Konzept entlang, entwickelt dabei ihre Gedanken beim Sprechen. Sie überlegt, denkt nach, erinnert, verwirft, bestätigt Gedanken und gießt sie in schöne Formulierungen. Die allzeit drohende Alltagsweisheit, dass jedem einst das „Alter blüht“, deutet sie positiv um: Als Verheißung auf ein „blühendes Alter“. Die Wechseljahre mit ihren spezifischen Beschwerden sind, wenn man sie aus dieser Perspektive betrachtet, nur eine Älterwerdens-Erfahrung von vielen.
Draesner denkt über wechselnde Altenbilder nach, ruft wieder das zahnlose Gesicht der Großmutter auf, wenn sie zur Nacht ihr Gebiss herausnahm. Erinnert an das Grimmsche Märchen vom Alten Großvater und dem Enkel, einer Geschichte über die Solidarität zwischen Kind und Großeltern, die sich aus einer gemeinsamen „Position der Machtlosigkeit“ nährt.
(Ein hohes) Alter ist so gesehen auch eine Chance, sich zu verändern und neu zu erfinden. Draesner formuliert, man brauche die ganze Lebenszeit, um alle Aspekte wirklich zu entfalten, um ein „blühendes Alter“ erleben zu können. In diesem Kontext räumt sie mit den althergebrachten Bildern von Jugend, Blüte und Verfall auf. Sieht man Alter nicht als Verfall, öffnet sich der Blick auf das Alter als Gnade und Geschenk. Alter als „Vollendung“ des Lebens ergibt auch einen verheißungsvollen Blick auf die Freiheit des Alters. Ist diese Verheißung angesichts der Unbillen des Alters vielleicht zu optimistisch gedacht? Auch hier deutet die Autorin konventionelle Blickweisen um: Sie erlebt die Demenz der eigenen Oma auch als ein – spätes – Ausleben deren Renitenz, für das die Großmutter zeitlebens keinen Raum hatte.
Die mittleren Jahre sind so betrachtet keine „Best years“, von denen an die Zeichen unaufhörlich auf „abwärts“ zeigen.
Natürlich kommt auch Draesners Wechseljahrerzählung nicht ohne Krähenfüße und sonstige offensichtlich Zeichen des Alters aus. Sie erlebt Altern angesichts von Falten und grauen Haaren vor allem als Auseinanderklaffen von Innenbild und Außenbild. Wie sich der eigene Körper verändern wird, macht sie neugierig: „Wer mendelt sich da heraus?“ Das sichere Wissen, dass der Körperzustand nie stabil ist, sondern immer im Werden, nimmt den Wechseljahren viel an Drastik und Tragik.
Wenn Draesner über das Altwerden redet, beginnt sie sich hörbar auf das Abenteuer Alter zu freuen. Wechseljahre wie Pubertät lösen massive Prozesse aus, die plötzlich auf einen zukommen, die man nicht steuern kann. „Mein Körper macht etwas, was mich überrollt“. Diese Neugierde auf das, was kommen wird, ist jedoch keineswegs Plädoyer dafür „im vorauseilenden Gehorsam“ vorzeitig zu altern. Alles zu seiner Zeit.
Erste Aufklärung im Mädchenschlafsaal des Landschulheims, erster Bikini und erste männliche Reaktionen („Einrücken in Sichtbarkeit“), erste Menstruation: Draesner (Jahrgang 1962) spricht authentisch und ungekünstelt von ihrer Pubertät in den frühen 70er Jahren. Das, worum es in diesem Hörbuch geht, hat sie nach eigener Aussage auch nicht mit der sogenannten „Besten Freundin“ besprochen. Trotz aller gegenwärtig (vermeintlich) sexuellen Freizügigkeit, sind viele Vorgänge im weiblichen Körper tabuisiert. Draesner hat vieles, was sie dem Hörer, der Hörerin erzählt, noch nie so ausgesprochen. Noch nie so „ausbuchstabiert.“ Tatsächlich besitzt die Aufnahme etwas eigentümlich Dialogisches. Ulrike Draesner erzählt dem anonymen Zuhörer mit einer Vertrautheit, die sich vielleicht nur in beidseitiger Anonymität entwickeln kann. Ohne peinlich, schwatzhaft und aufdringlich zu werden.
Wie kommt es bei dieser tiefgründigen und ernsthaften Aufnahme zu dem etwas deplatziert erscheinenden Titel? Nun, Ulrike Draesner, für die Altern auch bedeutet, dass man bei Douglas „eine Produktstufe weiter ist“, macht den Namen ihrer Hautcreme (Happy Aging) zum Titel ihres Hörbuches. Dies ist durchaus programmatisch gemeint: Happy-Aging ist die liebenswürdige Antwort auf unsere Anti-Aging-Gesellschaft. Und damit führt der Titel gerade nicht in die Irre sondern mitten hinein ins Thema.
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