Lesart
Elfriede Kehrer* 1948

dorn

die pracht des dorns

Üppige Schärfe

Elfriede Kehrer, die beim Bewerb um den 1. Feldkircher Lyrikpreis 2003 den 1. Preis zugesprochen erhielt, hat ihre Lyrik innerhalb der Jahre mehr und mehr verdichtet, auf das Wesentlichste – auf die Essenz sozusagen. Der Titel ihres heuer bei skarabaeus erschienenen Buches „Schärfe die Schatten“ ist programmatisch, bedeutet Aufforderung einerseits, Beschreibung andererseits.
Die auf jeder Seite vorhandenen Gedichte sind in ihrem Fokus, in ihrer Aufmerksamkeit derart konzentriert, beobachterseits dermaßen geschärft, scharf reduziert, dass es nur mehr weniger Worte bedarf:  Noch reduzierter, noch dichter als die japanischen Haiku sind diese Einzeiler der Dichterin. In ein bis höchstens zwei Zeilen hat die Autorin das ausgedrückt, was es zum jeweiligen Bild/Gedanken/Thema zu sagen gibt. Ein Satzfragment Elfriede Kehrers und es entstehen Geschichten. „die pracht des dorns“ zum Beispiel eröffnet einen Bogen aus Bildern, der Dorn, meist mit Schmerz verbunden, wird herausgelöst aus dem Kontext der Verletzung und Ablehnung, im Lichte der Betrachtung erstrahlt eine üppige Geschwungenheit des Dorns, die Farbe, die unsagbar spitze Spitze, die, wie wir alle wissen, die Schärfe eines Rasiermessers in sich tragen kann.

Überraschend neue Stimmungen und Bilder legt uns die Autorin vor, „wenn bäume täuschen“ oder die „verweigerung eines ausblühens“ oder „im füreinander der farne“, unwillkürlich entsteht beim Lesen ein neues Sehen, entstehen zu diesen dichten Miniaturgedichten Miniaturgeschichten. Nehmen Sie das Buch in Augenschein und wundern Sie sich nicht, wenn Sie am Schluss manches andersherum sehen. Die Perspektiven ändern sich - auch das gehört zur neuen Leseerfahrung: Da wird nichts in den Rahmen des Fensters gemessen. Ungewöhnliche Wortkombinationen rücken die Dinge aus dem selbstverständlich Gewussten in ein völlig neues Licht.

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