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Nava Ebrahimi
Nava Ebrahimi „Das Pradies meines Nachbarn“: Zweimal Ali, einmal die ganze Welt
- vonNorbert Mappes-Niediekschließen
Mit „Das Paradies meines Nachbarn“ dreht Nava Ebrahimi mit Erfolg ein ganz großes Rad.
Ein Studio für Produktdesign im hippen München, schön, cool, Farben perfekt aufeinander abgestimmt. Alterslose Gestalten kaschieren ihre Spießigkeit mit Originalität, vertreiben ihre Langeweile mit Events. In ihrem Atelier, wo die Welt der Dinge gestaltet wird, surfen die Designer auf jeder Modewelle, und immer auf dem Gipfel. Jede feine Schwingung, jede Stimmung wird hier aufgenommen und in Form umgesetzt. Was kann außerhalb dieser Welt schon noch passieren, das hier nicht längst erspürt, verstanden, vorhergesehen wäre?
Wirklichkeit muss sehr krass sein, wenn sie in dieser Umgebung wahrgenommen werden soll. Sie kommt in Gestalt des neuen Chefs: Mitte vierzig, herausfordernd, arrogant, herrisch, dabei aber auch so gut, so klug, so einfühlsam, dass niemand es schafft, sich dem Terror seiner Distanzlosigkeit zu entziehen. Ali-Najjar, so heißt der Mann, ist eine bekannte Figur, der Liebling aller Hochglanzmagazine. Dazu gemacht hat den Stardesigner mit dem persischen Namen seine persönliche Geschichte. Er war Kindersoldat im ersten Golfkrieg der Achtzigerjahre, hat sich mit vierzehn allein nach Deutschland durchgeschlagen – ein hartes Stück Wirklichkeit, das auf die blutleere Hipster- und TV-Szene wirkt wie eine Adrenalinspritze ins Herz. Zumal Ali-Najjar auf erschütternde Weise davon zu erzählen weiß.
Die zwei Welten sind das große Thema der Autorin, die im Iran geboren und in Köln aufgewachsen ist: die deutsche und die iranische, die westliche und die östliche, die glückliche und die unglückliche, die abgeleitete und die wirkliche. In „Sechzehn Wörter“, ihrem preisgekrönten Erstling, hat sie ihr Thema aufgerissen, und in ihrem neuen Roman macht sie es auf elegante Weise produktiv – in zurückhaltender, treffsicherer Sprache, mit schlüssiger, spannender Handlung, geschickt aufgebaut und vor tiefem Gedankenhintergrund.
Ali-Najjar provoziert gern, und es wird ihm leicht gemacht. In einer Talkshowrunde, die sich an seiner gruseligen Jugend ergötzen möchte, redet er plötzlich von den deutschen Pestizidfabriken, die Saddam Hussein seine Giftgasangriffe ermöglicht haben. Betroffenes Nicken erlöst nicht von dem Vorwurf, auch keine pflichtschuldigen Verwünschungen gegen Saddam oder die Mullahs. Ali-Najjar setzt gleich nach: Sind nicht die Schurken eigentlich die Guten in der Weltgeschichte? Ihnen geht es, wenn sie um Macht streiten, wenigstens um eine Sache. Die Guten im Westen wollen keine Macht, weil sie die Verantwortung scheuen.
Erzählt ist die Geschichte aus der Perspektive von Sina Khoshbin, einem Mitarbeiter des Designerstudios. Das einzig Iranische an ihm scheint der Name zu sein, den er, Sohn einer alleinerziehenden Deutschen, von seinem abwesenden Vater bekommen hat. Sina, nicht sehr glücklich verheiratet und zudem in der Midlife-Crisis, flüchtet sich vor dem neuen Chef in ein Sabbatical. Vergeblich: Als Ali-Najjar ihn zufällig trifft, lädt er den frustrierten Sina überraschend ein, ihn auf eine Reise nach Dubai zu begleiten. Sina willigt ein. In der bizarren Metropole am Persischen Golf treffen die beiden Männer mit Ali-Najjars Kindheitswelt zusammen. Es wird ein furioses Finale: Ein Rätsel löst sich auf. Zurück bleiben die Trümmer zweier Lebensgeschichten; Ali-Najjars und die eines anderen Ali.
Ganz von Beginn des Romans hat sich wie ein Schatten ein zweiter Erzählstrang in die Münchner Handlung gestohlen: die erschütternden Erlebnisse eines Vierzehnjährigen aus dem Krieg. Fanatiker haben ihn und andere Jungen in ein Minenfeld gehetzt. Auf dem Weg tritt er, schwer verletzt, auf die noch warmen, weichen Leichen seiner Freunde. Nichts Falsches, Kitschiges hat die schreckliche Szene. In einem meisterlichen, zwei Seiten langen inneren Monolog über das Design von Kaffeekannen hat die Autorin die Münchner Kunstwelt klischeefrei umrissen. Der grausamen Wirklichkeit des Krieges ist sie ebenso gewachsen.
Das Buch
Nava Ebrahimi: Das Paradies meines Nachbarn. Roman. Btb Verlag, München 2020. 221 S., 20 Euro.
Nach und nach entfaltet sich die Geschichte des Kindersoldaten, drängt sich immer stärker in den Hauptstrang. Ali-Reza, so heißt der Protagonist der Schattenerzählung, ist nicht identisch mit dem erfolgreichen Ali-Najjar, wie der Leser anfangs vielleicht glaubt. Der eine lebt in München, der andere in Teheran. Verbunden sind die beiden fast gleichaltrigen Männer durch Ali-Najjars Mutter; ihr Tod ist es auch, der sie in Dubai zusammenführen soll. Der eine ist gegangen, der andere ist geblieben. Ihre Lebenswege verbinden sich zum Schicksal einer Nation. Einer vertritt den anderen: Ali-Reza, schwer invalide, lebt das Leben, das eigentlich dem erfolgreichen Ali-Najjar beschieden war.
Schicksal, Nation, das sind Begriffe, die in der maximal entfalteten Individualität von Münchner Produktdesignern eigentlich längst erloschen sind. Sina, den in München geborenen Sohn einer Deutschen und eines nur schemenhaften Iraners, gehen sie scheinbar nichts an. Nur im Erlebnis behalten sie einen Sinn. Nur ganz leise und selten hat Sina in seinem ganz und gar deutschen Leben Fremdheit erlebt: komische Anspielungen, Fragen nach seinem Namen. Vom Iran weiß er nur, was in der Zeitung steht. Aber immer wieder regt sich in ihm Unbehagen gegen die scheinbar selbstverständliche Inklusion, die seine Umgebung ihm gewährt. „Er musste genetisch sein, dieser – war es das? – Hass, er musste ihm eingepflanzt und mit ihm gewachsen sein, und nur ganz wenig Nahrung von außen benötigt haben.“ Mit seinem Gran Fremdheit wird Sina am Ende zur Schlüsselfigur des Romans; er ist es zum Schluss, der die beiden Alis verbindet.
Werke wie die von Nava Ebrahimi werden immer noch gern in die Schublade der „Migrantenliteratur“ gesteckt, ganz so, als könnte es im 21. Jahrhundert noch so etwas wie Nationalliteratur geben. Besser beschrieben ist es Weltliteratur in einem neuen Sinne. Manchmal passt der Begriff, wie in diesem Falle, auch in des Wortes alter Bedeutung.