Marc Adrian

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aus: Die Wunschpumpe, 1991

II
DE COMMUNICATIONE

I
(kommunikation, sprachlich)

ausschnitte aus der diskussion der 6. karlsruher tage. in österreich gibt es schon 158 parteien. die diskussions-teilnehmer einigten sich auf einen strukturierungsvorschlag für die diskussion. dieser vorschlag wird nachstehend abgedruckt.

a) DER VENUSBERG
b) DER JUPITERBERG
c) DER SATURNBERG
d) DER SONNEN(APOLLO)BERG
e) DER MERKURBERG
f) DER MARSBERG
g) DER MONDBERG

politdschungel: – das haben Sie bis heute ganz bestimmt nicht gewußt! die ROTE erscheint schwankend auf nadelabsätzen und klagt verärgert: „hast scho so an trottl gsehn? jetzta hob i an GAST, dea wos mi ausführt auf a spezialgulasch zum hauswirt und stellt ma acht vierterl hii und wia i angfüüt woa bis auffe, sogda i muaß eam an blasn und zahrt an ausse, an prüagl, i soddas, und dann heada nedda auf zun schbrizzn, i bin gaunz seekraunk!“ taumelt zum papierkorb an der laterne und speit manierlich gulasch, spirituosen und sperma im gesamtwert von dreihundertzwanzig schilling hinein. „jö, sowas!“ sagt die andere hur.

kindt: auch mir ist nicht klar, worin die neue ebene der kommunikation

nr. 20.: café jägerzeile

1) nationaldemokratische partei (NDP)

2) österreichische volkspartei (ÖVP)

3) sozialistische partei österreichs (SPÖ)

4) aktion neue rechte (ANR)

5) neue mitte

groeben: herr WIENER hat uns kurz geschildert, dass er kunst als forschungsprozeß, der nicht definiert worden ist

(brief von ulrike meinhof aus dem toten trakt:) DAS GEFÜHL, ES EXPLODIERT EINEM DER KOPF (DAS GEFÜHL, DIE SCHÄDELDECKE MÜSSTE EIGENTLICH ZERREISSEN, ABPLATZEN).

der hengst ist der alleinige beherrscher der gesellschaft. er sorgt für deren sicherheit, duldet aber auch keine unregelmäßigkeiten unter seinen schutzbefohlenen.

was ist der frau erlaubt? die kunst, sich beim anderen geschlecht beliebt zu machen. erprobte mittel weltgewandter menschen.

am nächsten tag kriegt der KALTE, für den die ROTE jetzt rennt, g’steckt, dass sie mit der GRIECHIN fingerln gegangen ist, noch dazu am frühen abend, wo zahlende kunden vorhanden gewesen wären. der KALTE findet das ‚berwärs, aussa im häfn‘ und außerdem schlecht fürs geschäft. kummervoll betrachtet er seine riesigen hände und sagt mit beleidigter stimme zu seinem hawerer:

adrion: wenn ich herrn GROEBEN kurz antworten darf – das für mich in dieser hinsicht interessanteste buch ist das von feyerabend über anarchistische erkenntnistheorie

6) kommunistische partei österreichs (KPÖ)

7) volkssozialistische partei österreichs (VSP)

8) gesamteuropäische partei österreichs (GEP)

9) freiheitliche partei österreichs (FPÖ)

10) kommunistischer bund österreichs (KB)

franke: diese geschlossenen systeme, in denen man sich mit praktischen fragen beschäftigt. eine solche frage wäre z.b.: ist kunst in unserer gesellschaft überhaupt noch sinnvoll? eine zweite beim rezipienten, und verschiedene

DAS GEFÜHL, ES WÜRDE EINEM DAS RÜCKENMARK INS GEHIRN GEPRESST.

nr. 25/25a fürstenhof
(exlbühne, 1943 geschlossen wegen illegaler aufführung des stückes BARBARA BLOMBERG von carl zuckmayer)

„siachsdas, des tuans aan on, de waiba, so sans. allawäu tuans da wos on, dasd as watschn muaßt!“ „geh, kränk de nedda“, sagt da der hawarer, „acht blaue bringdst da do eh a jede wochn. da kaunndst es scho watschn a dafua!“

wiener: bei der durchsicht dieser papiere bekommt man den eindruck, dass während der zeit, wo normalwissenschaft betrieben wird, einseitigkeiten vorkommen. die tatsache, dass intersubjektivität immer in den zeichen und in den konventionen zum gebrauch der zeichen bleibt, zeigt

11) christlich soziale arbeitsgemeinschaft (CSA)

12) vorarlberger kulturunion (VKU)

13) gruppe revolutionärer marxisten (GRM)

14) patriotische partei österreich (PPÖ)

nr. 27 restaurant café jägerzeile

15) volkssozialistische arbeiterpartei österreichs

oldemeyer: wenn ich dem bisherigen sprachgebrauch aus methodischen

DAS GEFÜHL, DAS GEHIRN SCHRUMPLE EINEM ALLMÄHLICH ZUSAMMEN, WIE BACKOBST Z.B.

vorm tosca steht der SCHENZ und singt: „adolf, adolf ahhhadolf rooot! schärflein auf der wahahaide!“ das lied hat der SCHENZ gedichtet nach goethe. es gilt dem herrn BUNDESPRÄSIDENTEN SCHÄRF DER REPUBLIK ÖSTERREICH.

wiener: darf ich meinen vorwurf noch einmal konkretisieren: wenn man kunst unter dem kommunikationsaspekt betrachtet, bleibt

16) ergokratische partei österreichs

17) initiative österreichischer atomkraftgegner (IÖAG)

18) arbeitsgemeinschaft für demokratische politik (APP)

19) westösterreichische ortsbild- und landschaftsgestaltungspartei (WOP)

20) österreichische mittelstandspartei (ÖMP)

nr. 35 spirituosenausschank rutschka

DAS GEFÜHL, MAN STÜNDE UNUNTERBROCHEN, UNMERKLICH, UNTER STROM, MAN WÜRDE FERNGESTEUERT.

der herr BUNDESPRÄSIDENT DR. ADOLF SCHÄRF ist sozialist, funktionär und alkoholiker. der SCHENZ ist parteilos, deppert und alkoholiker. der kommissar HAWRANEK kommt nach dienstschluß vorbei, hört sich den text kurz an und geht kopfschüttelnd heim. „der hat ein glück, dass er schizo ist!“

adrian: gegen herrn GROEBEN möchte ich sagen, dass die ambivalenz und vieldeutigkeit ein notwendiges charakteristikum von kunstwerken ist. je niedriger der vieldeutigkeitsgrad ist, umso leichter kann es erklärt, kann es redundiert werden

21) nichtwählerpartei österreichs (NPÖ)

22) partei des fortschritts (PDF)

nr. 36 café heiff

23) sozialdemokratische partei österreichs

24) verband der umweltschützer – V.D.U. (aktion grünes leben)

25) partei der nichtwähler (PDN)

wiener: um das noch einmal klarzustellen: ich habe mich nicht generell gegen den einsatz von kommunikationstheorien gewandt, sondern nur bezweifelt, ob damit auch der produktionsbereich angemessen behandelt werden kann, vor allem, wenn man die produktion – wie hier geäußert – als

DAS GEFÜHL, ALS WÜRDEN EINEM DIE ASSOZIATIONEN WEGGEHACKT –

HANS FRIEDER MAYER

an den herzog august wilhelm zu braunschweig.

Paris, den 5. december 1716:

ich weiß nicht, wo mitt ich dießen brieff ahnfangen soll.

die ROTE hat gut verdient und sagt liebenswürdig zum SCHENZ, der seit einer stunde starr wie ein laternenpfahl an der ecke steht: „magst mi abvögln füa an siebzger?“ der SCHENZ blickt starr durch ihr gesicht hindurch.

nr. 43. artistenkaffee (ehem. tosca)

oldemeyer: wenn man den kommunikationsbegriff breiter faßt, als

26) internationale kommunistische liga (IKL)

27) konservativ-liberale partei österreichs

28) partei für jugend und volk (J+V) (neue jugendbewegung – sozialpolitische volkspartei)

29) U.I.F. union zur förderung heimatlicher interessen

30) partei zur revitalisierung österreichischer kulturgüter

groeben: lassen sie mich einige bemerkungen zum bisherigen ablauf der diskussion machen: zur behauptung von herrn FRANKE

DAS GEFÜHL, MAN PISSTE SICH DIE SEELE AUS DEM LEIB, ALS WENN MAN DAS WASSER NICHT HALTEN KANN.

nach einigen augenblicken probiert sie es wieder. „i blas dan a! fia an hunderter. mit schluggn!“ der SCHENZ schweigt. die ROTE schwenkt weg. später, lockend: „na kumm scho! brauchst ka zimma zoin!“

wie ißt man austern?
faßt dieser herr das glas richtig?
so ißt man spargel.

nr. 47 kaffee stibor (alhambra)

adrian: ich halte den rezipienten für eine relativ sekundäre instanz vom standpunkt des produzenten aus. in einer ontogenese der kunst ist er sicher derjenige, welcher

31) wahlgemeinschaft für bürgerinitiativen und umweltschutz (WBU) – grüne liste

32) GRÜNE PARTEI ÖSTERREICHS

33) soziale gerechtigkeitspartei österreichs (SGÖ)

34) amerikanische partei (APÖ)

35) partei der nichtwähler (PDN) – 2. nennung {s. 25}

franke: bei forschungen im kunstbereich müssen wir davon ausgehen, was vorliegt, also kunstwerke in literatur, musik, bildender kunst etc. es geht dann darum, dass wir uns aus methodischen gründen auf bestimmte einigen, für

DAS GEFÜHL, MAN WACHT AUF, MACHT DIE AUGEN AUF: DIE ZELLE FÄHRT; NACHMITTAGS, WENN DIE SONNE SCHEINT, BLEIBT SIE PLÖTZLICH STEHEN. MAN KANN DAS GEFÜHL DES FAHRENS NICHT ABSETZEN.

nr. 48 kaffee karlovitz

der SCHENZ erwacht aus seiner individualhypnose und sagt abwesend: „i hob ka göit!“ die ROTE, mitleidig: „hast scho was gessn, heit?“ „naa.“ die ROTE kramt in ihrer handtasche und steckt dem SCHENZ einen fünfziger zu. „kaufstd da a gulasch, ja!“

kindt: wenn herr WIENER sagt, dass empirische forschungen im produktionsbereich unmöglich wären, so vertrete ich die ansicht, dass sie durchaus möglich sind. in einem gewissen sinne ist der produktionsbereich sogar viel eher erforscht worden als die empirie der dimensionen

36) demokratische arbeitsgemeinschaft (DAG)

37) progressive partei

38) bewegung 5 november

39) DIE GRÜNE FRONT – wählerpartei der umweltschützer und unabhängigen – W.d.U. –

nr. 45 kaffee apollo

40) AUTONOME GRUPPE KOMMUNISTISCHER POLITIK (KOMPOL)

adrian: denn ich kann mir durchaus vorstellen, dass verschieden

MAN KANN NICHT ERKLÄREN, OB MAN VOR FIEBER ODER VOR KÄLTE ZITTERT, MAN KANN NICHT ERKLÄREN, WARUM MAN ZITTERT – MAN FRIERT.

der KALTE hat durchs caféfenster zugesehen. die spielkarten bleiben liegen: „i kum glei, FRAUNZ!“ er schlendert locker auf die beiden zu, reckt sich ein bißchen, holt mit dem arm weit aus (sterne pflücken!).

franke: nun zum assoziationsraum: selbstverständlich gibt es methoden, assoziationsräume zu erfahren. wenn Sie es

41) kommunistischer bund salzburg

42) soziale arbeiterpartei österreichs (SAÖ)

43) DAS GRÜNE FORUM – WAHLGEMEINSCHAFT ÖSTERREICHISCHER GRÜNER

44) partei für recht und ordnung – (PRO)

45) österreichische humanistische partei (ÖHP)

nr. 62 hauswirth

hartmann: zweite ebene der diskussion: wenn herr WIENER von der produktion annimmt, dass sie im gewissen sinne arational (ich will nicht sagen irrational) ist

UM IN NORMALER LAUTSTÄRKE ZU SPRECHEN, ANSTRENGUNGEN, WIE FÜR LAUTES SPRECHEN, FAST BRÜLLEN –

HANS FRIEDER MAYER

an den comte de beausobre.

à paris, 29. février 1715.

monsieur de beausobre, je suis bien persuade que votre bon coeur vous a fait prendre part a ma douleur.

eine sekunde später sitzt die ROTE neben ihrer handtasche laut plärrend im rinnstein, linksseitig im gesicht dick verschwollen. der KALTE bemerkt sachlich: „waundst noamoi wos herschenkst, zatridd i di!“ er leert den inhalt der handtasche auf den gehsteig.

oldemeyer: es wird das kunstwerk ja weggeworfen. es wird nur auf einer anderen ebene als dem produktionsprozeß aus ökonomischen gründen zu einem vermarktbaren

nr. 65 café schreyvogel

objekt. natürlich würde ich wissenschaftler, welche im o.e. sinn

46) die grünen

47) freie humanistische partei österreichs

48) partei ‚neues österreich‘ (PNÖ)

49) neusoziale demokratische partei (NSDP)

50) VOLKSUNION / wahlpartei der unabhängigen grünen plattform

groeben: daneben darf nicht vergessen werden, dass angesichts des tatsächlich ablaufenden kunstbetriebes daneben noch eine reihe anderer faktoren berücksichtigt werden muß, nämlich das ganze ensemble sozialer faktoren, die mit den aspekten dieses bereiches erschöpft

DAS GEFÜHL, MAN VERSTUMMT.

aus dem gewirr von puderdosen, schminkstiften, präservativpackungen und taschentüchern – mit spitzenbesatz (echt!) – fischt er mit spitzen fingern einige hunderter und stopft sie dem SCHENZ in die rocktasche.

nr. 66 café orient (ehem. dogenhof)

dann klopft er ihm aufmunternd auf die schulter und sagt:

wiener: unbestritten ist, dass während der zeit, wo die normalwissenschaft

51) grüne union österreichs

52) partei für umweltschutz und menschlichkeit (PUM)

53) VOLKSSOZIALISTISCHE FREIHEITSBEWEGUNG (VFB)

54) ARBEITSGEMEINSCHAFT BESSER LEBEN, partei zur verbreitung von humanökologischem wissen

55) GRÜNE MITTE ÖSTERREICHS

oldemeyer: da wir nur hermeneutische psychoanalyse, vor allem, wenn man in der produktion – wie hier geäußert –

MAN KANN DIE BEDEUTUNG VON WORTEN NICHT MEHR IDENTIFIZIEREN, NUR NOCH RATEN –

„glaubst, i waas ned, doß i a hua bin?“ sagt der ROSI zum WEISSEN. „na und?! bevua i mi in de budn schtöll auf a hackn um fuffzehn viazig, hoit i do liawa en oasch hi um zwa hundata!“ („des pudels kern auf den kopf!!“)

ERSTER AUSGANGSPUNKT FÜR EIN NEUES LEBEWESEN = KEIM

… auf wölfe gehen sie wiehernd los. „mei göit vaschenk i söiba, gö ja! oba daun, waun i wüü! seavas!“ (duldet aber auch keine unregelmäßigkeiten unter seinen schutzbefohlenen.)

adrian: offenbar sind die autoren dieser papiere der ansicht, dass kunst in erster linie ein kommunikationsversuch ist. eine solche neukonstruktion von Wahrheit wird aber

nr. 67 emminger (gaststätte am praterstern)

56) stadtklub

57) ALTERNATIVE LISTE GRAZ für demokratie und umweltschutz

58) partei für volk und jugend (V+J) – volkspartei und jugendbewegung

60) unabhängige volkspartei (UVP) – erste österreichische partei für alle

groeben: da wir nun nicht alle prozesse auf einmal übersehen können, müssen wir uns aus methodischen gründen auf einige bestimmte einigen, für die wir uns interessieren. das in dieser hinsicht für mich interessanteste

DER GEBRAUCH VON ZISCHLAUTEN – s, ß, tz, sch – IST ABSOLUT UNERTRÄGLICH –

er schlendert lässig ins café zurück. dort sagt der FRANZ mißbilligend:

nr. 72 hotel nordbahn

„i sog das, du loßt dera zuvü freiheit. des tuat ka guat ned.“ darauf der KALTE: „geh, i schicks eh boit in kriag!“

franke: aber betrachten wir die kunst als ein mittel, vorhandene kommunikationsmittel zu verbessern oder gezielter einzusetzen: wenn Sie es qualitativ haben wollen, gehen Sie in die ähnlichkeitsrelationen von DEES. selbstverständlich gibt es methoden, assoziationsräume zu

61) DIE GRÜNE BEWEGUNG (B)

62) ALTERNATIVE LISTE – WIEN

63) ÖSTERREICHISCHE ALLGEMEINE PARTEI

64) sozial-konservative monarchistische partei österreichs (S.K:M:P:Ö:)

65) österreichische protestpartei

wiener: für den produzenten natürlich, für den rezipienten hat

FLASHS –

nr. 78 emminger a., gastwirt

HANS FRIEDER MAYER

an karoline von wales.

saint-cloud, den 3ten sept. 1719.

man muß die wahrheit sagen, law ist ein admirabler mann für die finanzen, man hört überall nichts mehr als von millionen.

die diskussionsteilnehmer einigten sich auf einen strukturierungsvorschlag der schon 158 Parteien.

66) -arbeit-umwelt-sauberkeit- (AUS)

67) DIE GRÜNEN ÖSTERREICHS

68) GRÜNE ÖSTERREICHS (GRÜNE)

69) DIE GRÜNEN ÖSTERREICHS – vereinte grüne parteien – grüne

70) ALTERNATIVE LISTE NÖ – FÜR DEMOKRATIE UND UMWELTSCHUTZ (AL-NÖ)

kindt: diese tatsache zeigt sich am deutlichsten am semantischen differential, in dem dann von leuten, die etwas mehr

SATZBAU, GRAMMATIK, SYNTAX – NICHT MEHR ZU KONTROLLIEREN. BEIM SCHREIBEN: ZWEI ZEILEN – MAN KANN AM ENDE

vor nr. 22 kiosk tabaktrafik helene pollauf

DER ZWEITEN ZEILE DEN ANFANG DER ERSTEN NICHT BEHALTEN – WÄRTER, BESUCH, HOF ERSCHEINT EINEM WIE AUS ZELLULOID – KOPFSCHMERZEN.

am nächsten tag kriegt der KALTE, für den die ROTE vorhanden gewesen wäre, gefingerlt, dass sie mit der GRIECHIN zahlen gegangen ist, noch dazu am frühen kunden, wenn genug gesteckt wäre. handvoll betrachtet er seine riesige stimme und kummert mit hawarer zu seiner beleidigung:

groeben: wie rezeption läuft, machen wir alles anders, ist denn kreativität nur determination minus eins? natürlich liefern wir Ihnen diese methoden zum speziellen aspekt

71) VEREINTE GRÜNE ÖSTERREICHS (VGÖ)

72) grün-alternative liste österreichs (GALÖ)

73) grün-alternative partei österreichs

74) alternative liste österreichs (ALÖ)

75) ALTERNATIVE LISTE STEIERMARK

adrian: ich würde also empirische untersuchungen im kunstbereich durchaus bejahen, mir aber völlig

nr. 26 blumenhandlung m. schadetz

vorbehalten, was ich mit den ergebnissen anfange.

DAS GEFÜHL, MAN STÜNDE UNUNTERBROCHEN, UNMERKLICH, UNTER STROM, MAN WÜRDE FERNGESTEUERT.

„siachst, des waiberns an on, de tuara. so sans. allawäu tuans da wos an, dasd as watschn muaßt!“

franke: was man natürlich empirisch durchaus machen kann. dementsprechend als die kunstwerke, mit denen Sie sich auseinander strukturieren selber – hier machen sich z.b. viele empirische autoren selber, damit das leichter und

76) ALTERNATIVE LISTE ÖSTERREICHS – DIE GRÜNEN ALTERNATIVEN

77) ALTERNATIVE BEWEGUNG ÖSTERREICHS (ABÖ)

78) VEREINTE ALTERNATIVE UND GRÜNE ÖSTERREICHS (VAGÖ)

79) VEREINTE GRÜNE UND ALTERNATIVE ÖSTERREICHS (VGAÖ)

nr. 31 ehem. carltheater (bombenruine)

Alexander Widner

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aus: ganganbuch 5, 1988

Jeu Alphabetique

Das kleine Buchstabeinmaleins

Abfall bereiselnd, aus dem Strich der Buchstaben, x-taub, vermessen und SAUKOMISCH, Mätressen und Stiefelputzer, den Bauch lobend wie ein Ei das andere (aus Aufsatz A), heilig und hurig, ausladend und zieglernd, eingeschleust/ein; und aus, aus der Materie gerutscht, und geseift, gesudelt und gesprungen, aus der Materie gerutscht (aus Aufsatz A)

Wenn Edward Sunshine Georg Friedrich Händel dirigiert, ist das nicht zum Anhören. Aber riechen kann man (aus Aufsatz C) ein ganzes Feuerwerk, Edward Sunshine steht dann da, die Zeigefinger an die Nasenflügel gelegt, und holt tief Luft (aus Aufsatz C)

Hirten, die Professoren werden, den Hirtenstab am Katheder, an der leibhaftigen Weisheit, schauen (aus Aufsatz D) auf den Hirtenstab /ob er gestohlen wird / gestohlen im Namen der Weisheit und im Namen der Gelehrsamkeit und im Namen der Metaphysik und im Namen der Erhebung / Eshebung. cruxmythisch und einshalber / den Hirtenstab am Pult (aus Aufsatz D)

Im Emsland, bei den spröden Wäldern, wo Bäume brechen ohne Grund, ohne Absicht ja, und Jägern und Spaziergängern und Paarenden die Köpfe brechen ohne Grund, ohn Absicht ja, DORT (aus Aufsatz F) DORT (aus Aufsatz F)

Am (aus Aufsatz G) eignen Rand, bei denen, wo es greift, vernagelt und übermütig, mit Zähnen an der Hand, den Mund gespreizt zum tonlosen a, tonblind, berauscht und dämmrig, lachend stumm, aus Freude am Ton, der hellt und lautlos hallt, in musicis nur / aufgewacht und besamt. Der Regen lümmelt herum (aus Aufsatz G)

Einen Grenzen-Roman zu leben (aus Aufsatz K) (leben als Aufsatz tot) besagt eigentlich alles Camus tot.
Im Aufsatz wird programmyatisch (aus Aufsatz K) die Programmatik des Aufsatzes K entspricht (aus Aufsatz L) dann beriesele ich mit L, das dann durchdringe ich mit L (laut Aufsatz) beleibt, aber nicht so, dass man über, schon gar nicht keinen Aufputz geben könnte. Und der Kindertod sei uns erlassen. Es verrecken die Greise! 9e sollten den Tod gewohnt sein. Und sind. ’edees Kind würde sie opfern für sich und ihr zahnloses Maul und die Lückenlosigkeit ihres Schlafs (aus L, aus Aufsatz L)

Hätten sy einen Aufsatz zu Moyart? – Nein, onein, zu M fällt mix nichts ein, außer vielleicht (bielrich) zu Friederik Mayröcker, aber da ist ja schon gnug ddada
fuchjuju!
(aus Aufsatz M)

Pking.-Ente (aus Aufsatz P) ist nicht zu fressen, Gaumensal für den Blödes(n)ten:
Gaumen nicht, aber tut myn es (aus Aufsatz P) belämmert … Belämmert und benommen wäre, muß liegen, bis selbes Breitwerk leg auf die Telle – und kein Mensch weh würde was anfangen mit duesem Wesen.

PS zu P: Wir haben genug Oekonen en. Nur wird keine so blod wie meine. DAS HAT MAN NUN EBEN.

Reibend wie die Ware / wie Warwe da / überall bestellt, aus Hunsrück grfuzzt, aufgefahren ins Uferlose / aus Jufern geraten / dümmlich ins Uferbare / dümmlich (aus Aufsatz R)

 

Einig angewandte Buchstäbe

Nachtrag U
Das Umdrehen im Grab: als ob das helfen würde (aus Aufsatz U). Schön und langsam schön. Und schön. Und schön gleitend in Halbschlafenes. Und Gott ergeht sich in unsinnigen Kraftakten. (Aus Aufsatz U)

Nachtrag V
La pomeranza di Udinese (aus Aufsatz V) mit dem kriminellen Glanz anläßlich des erfreulichen Ablebens ihres Gatten: und schaut mit vereisten Augen in den Ausguß der Erde – die Füße groß vor sich abklagen (aus Aufsatz V)

Nachtrag W
Entscheidende Dinge: ——— Nein, doch nicht, entscheidend war nur ich / drum trinke ich und tue noch und nimmer. Es wird bleiben / fürchte ich. Fürchte ich / fürchte ich / ich, wie ich fürchte, dass meine fiktinelle Familie sich fürchtet / alle / fürchte ich und sollen mich fürchten lehren
Es / wird / dies / Finstern / nicht / allauf / o dümmliche Furchtlose Finsterlose / es
mir ein Zerwachen gab – Das Trinken das Vibrato des Lebens (aus Aufsatz W)

Nachtrag X
Xandl schreibt steifes Zeug an eine Bordellmauer, nach einer Unsumme von plausiblen Nacherzählern, subjektiv und ehrlich (Xandl – aus Aufsatz X), Xandl ist subjektiv und ehrlich; streng, aber ungerecht. Er steht an der Mauer, und schreibt und frißt Halbschlafenes.

Die Herren vermauern ihre Kräfte, sagte Franz Holzfeind zu dem sitzenden Claude Peguy. Doch der verstand nicht. Er erwartete Menschen seiner Sprache. Denn: was immer man Gutes sagt über Buchstäbe: es trifft nicht zu.

Hier ist ein Sitzender, rundum Beschäftigter. Liebe, langsame Menschen. Liebe, langsame Menschen. Liebe, langsame Menschen zertreten gemächlich die Buchstäbe rundum, die Buchstäbe.

(Man soll nichts Abenteuerliches mehr beginnen, wenn man gerade die erste Lesebrille bekommen hat. Regula one.)

Punktum
Joseph Francois Montgolfier litt unter Saufen, Völlerei, Huren. Da entwarf und erbauete sein sittsamer Bruder Claude Christophe Montgolfier einen Ballon, setzte seinen verkommenen, jüngeren Bruder darein, und stieg mit ihm gen Himmel. Dort pfarzte Joseph Francois den Teufel aus dem seinigen Leib, und kehrte als Heiliger zurück auf Erden.
Die Buchstäbe hatten ihn wieder hienieden.

Peter Waterhouse

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aus: ganganbuch 3, 1986

Zwischenspiel im sachlich-ungeheuren Ton

1
ER ENTMYSTIFIZIERTE SICH

Da nahm er das einfachste Wort in den Mund (hatte es nicht gefunden);
da zog er eine sehr gewöhnliche Hose an;
ein explosives Grüßen teilte ihn ein;
die Worte: Zunächst, zuerst, immer;
das Glas Wasser in der Hand hat im schönen Sinn den gleichen Wert;
da ließ er sich von Löwen zerreißen.
da zog er vor dem Riß der Läwen heute wie morgen die Schuhe mit den schlechten
Sohlen an;
Schlüssel und alte Tücher in der Hosentasche;
da sagte er zu der zarten Haut: Zarte Haut;
der Abgrund und die Worte: Hier werde ich also ruhig sein;
da sagte er: Ich bin das Proletariat in meiner eigenen Nacht, wo es schäumt –
ich bin Abschaum, ich geh mir zu Herzen, wie ich für die Herrn arbeite;
kein Stehen vor Altären, sondern ein Winken;
man sah sein Gesicht scharf geschnitten;
im Regen rannte Wasser über den Hut wie über alle Hüte, der Schal war ein Schal,
im hinausgeschickten Fuß begann das Gehen, das sich ohne Götter im anderen
Fuß fortsetzte;
er hatte einen Hals und eine Strömung darin;
da griff er nach Liebe, und die Liebe griff nach ihm;
er dachte gelegentlich: Wie lange soll ich mich ausschütten, er sagte das in
einer Weise, die jeden erinnerte

 


 

2
ER LIESS DIE DÄMONEN LOS

Er öffnete das Auge und sagte: Los jetzt, Dämonen (eine Brille, eine Nase,
Ameise, Schukosteckdose).
Er sagte: Es scheint, wir haben einen teilweise gemeinsamen Weg.
Die Dinge hatten Namen, wurden belegt mit Bedeutung, taten einen positiven
Schrei. Das alles traf auf ihn nicht zu.
Der unermeßliche Schrei, ja.
Er hörte nie seinen unermeßlichen Schrei.
Er sagte: Ich stehe im Licht. Ich leite nichts ab. Von mir werdet ihr nichts
hören.
Erste Sekunde der Welt: Darauf war er verzeihlicherweise unvorbereitet.
Gehen nannte er: Das Ungeheure anregen, einholen, undsofort. Auch das war
ungültig.
Los jetzt. Er drehte die dämonische Sekunde um und ließ sie rückwärts laufen.
Das Weitere verlangte das Auge. Auch das war metaphorisch und ein Irrtum.
Es war verlangt: Etwas wie Himmel, hingelegt auf das tiefere Maß, und jetzt
laß los, womit ein Würgen verbunden war.
Er brach damals in sich ein. Er sagte: Ich stehle meinen Besitz und verteile mich.
Eine beträchtliche Erhöhung der Zwischenräume war die Folge undsofort.

 


 

3

Er sagte: Du einzige Tür. Er sagte vor der einzigen Tür: Ja, das heißt nein.
Mein Tun ist ein Herunterholen des Himmels, ein Zusammenfallen mit der Nacht,
ein beeindruckendes Flehen, eine Selbstverwandlung in Licht, ein Spaziergang,
wenn die Verheißung gering ist.
Ja, und es ist gemeint nein.
Er sprach von sich zugleich.
Torbogen, Vogelflug, Händedruck. Er sagte: Ich bin Teil einer sogenannten Sonne.
Er hieß damals: Herr Selbstblendung.
Bitte lösche Licht, bitte stelle Uhr, Verzicht auf Farbe, Linie, Wort: Ein
nüchterner Selbstrest trägt Krawatte, Knopf durch Loch geschoben, Jacke gesperrt,
Kopf sitzt gerade, Sonntag, deutlicher Schritt auf die einzige Tür zu.
Allerdings sah man ihn vor allem ausweichen.
O, er weicht wieder aus.
Es war gemeint ja, indem es gemeint war nein.
Kein Grund zur Sorge.

Unvermutet kamen seine Zähne zusammen mit den Zähnen der Geliebten. Kurzum: Man
nahm sich also zugleich in den Mund. Er sagte: Das ist jedem bekannt. Zunge
gelangt leicht hin, wo ich nicht hingelange. Zusammenfassung: Man konnte im Mund
der Geliebten gut tanzen.
Weiter? Weiter nichts. Weiter? Weiteres Glück.
Manchmal ein einziger Gedanke. Manchmal wieder ein einziger Gedanke. Keiner
zugleich, keiner zugleich. Er wurde viele Male gefragt: Was sollen wir von dem,
das zugleich ist, halten?
Ja, dann lebte er mit dieser Frage. Er war eine Frage mit seinen Leben. Er sagte:
So will ich aber nicht genannt sein. Weiter? Weiter nichts. Weiter? So wollte
er weiter nicht genannt sein.
An ihn gedacht hieß der Gedanke: Ja, und war nein gemeint.
Er wurde verschoben. Das Schieben war gemeint als Verwandlung.
Wir sagten: Eins, indem das andere.
Man kann sagen: Wir hattet etwas zuviel Macht über ihn.

 


 

4
DIE WELT

Oft sah man ihn gehen mit einem Regenschirm. Gut.
Oft sah man ihn eine Kartoffel essen.
Weit draußen. Gut.
Vom Sessel abgestützt.
Mit Buch.
Mit Brille.
Mit weinrotem Schuhband.
Buch, Brille, Schuhband. Ja.
Oft sah man ihn nah vor dem Auge der Geliebten.
Ja, gut.
Er hielt sich auf in der Hand der Geliebten.
In einem Zeitpunkt hieß er: Eine Klarheit, die wir anerkennen müssen.
Man kann jetzt sagen: Diesen Zeitpunkt gab es nicht.

Oft sah man ihn gehen unter einem Regenschirm. Gut.
Das Essen der Kartoffel.
Man kann schon jetzt sagen: Das alles gab es nicht.

Wir fragten ihn damals: Warum verrätseln Sie sich so lange?
Keine Antwort.

 


 

5
GEDICHT ÜBER DAS GERÄUSCH DES UMFALLENS AN DIESER STELLE

Flap.

Liesl Ujvary

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aus: ganganbuch 3, 1986

Zwei Arten Leben

Traumprosa (II)

Das Uneindeutige, Flüchtige des Augenblicks, in dem ich mich zumeist befinde, wird deutlich. Der sinnlichen Begegnung ausgeliefert, bin ich ständig auf der Suche nach der schützenden, erklärenden Sprache. Allein in diesem Zustand bin ich mir nahe, gelingt es mir, ein rätselhaftes Eigenleben zu führen. Zwischen Trägheit und Gespanntsein, Unentschlossenheit und schlauer abwägender Intelligenz, Gewalt und Passivität lasse ich mich treiben, bäume ich mich auf, suche Schutz vor diesem Sog in einer Sprache, deren Genauigkeit und Eindringlichkeit das Spiel dieser Widersprüche beherrscht und erklärt. Eine manische Produktion aus Sehnsucht nach Lust und Erlösung, versehen mit dem Makel des Schuldhaften, des Skandals, des Unmöglichen, Gesetzlosen.

Bin in der Naschmarkt-Flohmarkt-Gegend unterwegs. Es ist Nacht, vor mir riesige leere Flächen, der Wind pfeift. Es ist sehr dunkel, die Strassenbeleuchtung ist ausgefallen. In der Ferne höre ich die Stimmen einiger mir bekannter Autorinnen, sie lachen hämisch, machen anzügliche Bemerkungen über mich. Bald sind sie verschwunden, es wird noch dunkler. Die Plätze verengen sich zu einer Gasse, ich gerate in ein Lokal, dort wird der lange Refrain eines typischen Wienerliedes gesungen, „das ist der alte Wein, das ist der junge Wein…“, immer gleich. Hände greifen nach mir, vor allem in die Geschlechtsgegend, es wird immer bedrohlicher, ich soll zu einem öffentlichen Orgasmus gezwungen werden.

In diesem Sinn weiterträumen, denke ich mir, wiege mich in einer trügerischen Gewissheit. Was meinem Auge weiss erscheint, halte ich für schwarz. Diese Fähigkeit zur Erkenntnis wird mir von mir nahestehenden Personen vorgeworfen, man beschuldigt mich, destruktiv zu sein, zersetzend. Welche Beweggründe sollte ich haben, meine Zuneigung zu einer Person zu unterminieren? Unsinn. Man vergisst den Schatten, das unauflösbare Substrat, welches die Kehrseite jeder Ehrfurcht und Zärtlichkeit bildet, bilden muss. Ich möchte leben, ich spüre, wie ich leben will, mit welcher wahnwitzigen Kraft meine Finger sich an den letzten Halt klammern. Nein, Meine Beweggründe wird niemand verstehen. Für euch steht einfach viel zu viel auf dem Spiel. Wie kann der geheime Verkehr zwischen den Menschen befördert werden? Es geht darum, die Chemie der zwischenmenschlichen Beziehungen den ungeheuerlichen Maschinerien dieses Zwangsstaates, für den wir wenig mehr als eine Bakterienkultur darstellen, eine von vielen übrigens, zu entziehen und zwar ganz und gar zu entziehen. Denn: nicht einmal die brutalste Vergewaltigung könnte schrecklicher sein als das, was sich zwischen uns, und damit meine ich mich und die paar mir nahestehenden Personen, abspielt. Immer wieder werde ich eingeladen, fremdes Territorium zu betreten – wehe, ich verhalte mich wie ein lebendes Wesen und nicht wie ein vorprogrammierter Automat. Eine Beurteilungs- und Verurteilungsprozedur wird in Gang gesetzt, die rasch und sauber schlussendlich zur vollständigen Liquidierung meiner selbst führt. Man bedenke, dass es sich dabei nicht um eine Metapher, um ein literarisches Kunstmittel handelt. Nein, denn wenn mein Spiegelbild in anderen Personen mutwillig und absichtsvoll zerstört wird, werde ich ganz real unsichtbar, höre auf zu existieren. Archaische Todesängste bedrohen mich, ich flüchte, breche aus, verkrieche mich. Ich passe mich an. Natürlich kann ich so sprechen, so gestikulieren, wie es verlangt wird, man erteilt mir das Wort, lächelt mir geschäftsmässig zu, ich darf so etwas wie eine Position einnehmen, eine ganz ephemere natürlich. Ich leide nicht mehr – mein Leiden äussert sich hier in der Unfähigkeit zu leiden. So gesehen, besitze ich die Stärke eines Roboters, aber es ist eine trügerische Stärke und ich bezahle dafür mit meinem psychischen Tod.

Ich bin in Kitzbühel mit meiner Mutter in der Gegend der Griesgasse Nähe Sägewerk, wir treffen eine Frau Mühlbacher, Kitzbühlerin mittleren Alters. Sie hat sich am Hals operieren lassen, wahrscheinlich Kehlkopfkrebs, sie hat dort eine riesige schwarzrötliche Wunde. Es kommt zu einem Wortwechsel mit meiner Mutter, ich sage, auf keinen Fall soll man sich so operieren lassen. Sie beginnt sehr aufgeregt zu schreien, sagt, so also würdest du mit uns umgehen, und wirft die Tür zu. Anscheinend bin ich gleichzeitig im Freien und in einem Zimmer. Durch den Knall gerate ich in ein schönes Halbbewusstsein: eine Frau formt einen grossen Kuchen Hippies betteln mit Musik. Meine Mutter ruft aus dem Klausnerfeld, ich erwache in der Griesgasse und suche meinen Block, um den Traum zu notieren. Im Nebenbett, das unbenützt ist, finde ich verschiedene Schreibsachen, auch einen alten Kalender von mir, in dem ich Bodos Namen lese. Ich notiere den Traum und gehe langsam ins Klausnerfeld. Dann erwache ich.

Die Herren, und das sind die anderen, Frauen und Männer gleichermassen, denn sie vollziehen an mir das Gesetz, träumen von unterworfenen Körpern, den Tiermaschinen und den Automaten, aber ich kehre ihnen den Rücken. Bewegung, ich laufe davon. Die Frage ist nur, lebe ich? Ist diese seltsame Existenzweise, dieses Selbstdeklassement, das quer durch meinen Körper verläuft, ist dieses Verlöschen von Genickschuss zu Genickschuss, etwas, für das sich zu leben lohnt? Wirklich, ich bin keine Zynikerin, ich beobachte und kommentiere lediglich. Ich weiss natürlich auch, dass ich solche Sachen, solche Äusserungen, die wie Selbstentblössungen klingen, die den Anschein wecken, als sagte ich etwas wie die Wahrheit über mich, dass ich das alles nicht sagen dürfte, da es so oder so auf mich abfärbt. Operationen, die mich real betreffen, können auf Grund dieser Äusserungen an mir bzw. gegen mich durchgeführt werden, wobei es ganz egal ist, welche Sätze mehr oder weniger wahr sind, denn in jedem Fall haben alle diese Sätze mit mir zu tun, sie stellen Angriffspunkte dar und das ist das Ausschlaggebende. Und so einen Vielfrontenkrieg zu führen bin ich auf keinen Fall imstande, es geht ja so schon kaum mehr. Habe nur deshalb bis auf den heutigen Tag überlebt, weil ich meine wahren Ziele vor der Öffentlichkeit verberge. Ketzereien dieser Art, ausgesprochen in einer Welt ausgedehnter und lebensfeindlicher Wüsten, ziehen die Blicke in eine ganz bestimmte Richtung, nämlich auf dieses unscheinbare, verkommene, armselige Versteck, in dem ich mein Leben zubringe. Hier vegetiere ich, gebe mich allerlei Träumereien hin, versuche, meiner Lebensführung manchmal den Anstrich von Arbeit, manchmal den Anstrich von geniesserischer Lebensfreude zu verleihen, aber daran glaube ich nicht einmal selber. Trotzdem strebe ich nach etwas und das kann mir niemand nehmen. Ich habe mir geistige und körperliche Vollkommenheit und Reinerhaltung sowie Kontrolle meines Bewusstseins zum Ziel gesetzt. Aber Eingeweihte bin ich keine, soviel ist mir auch klar.

Jemand, der dem Maler Hans Jöchl ähnelt, hat grosse Reformen eingeleitet, Messungen für eine Kläranlage vorgenommen, eine neue Schule geplant, Ackerbau ohne Gifte u. ä. Ich folge ihm auf einen Neubau, er trägt einen grünen Rucksack, dreht sich zu mir um und lächelt. Von einer Fabrik hängen grosse schwere Schmutzwolken über der Stadt. Auf dem riesigen Parkplatz des Flughafens finden jede Nacht fürchterliche Morde statt. Viele Menschen werden in ihren Autos abgeschlachtet. Ich gehe in der Dunkelheit an einem Bahndamm entlang, Männer in gelber Regenkleidung arbeiten da, es herrscht Katastrophenstimmung. Ich bin aus einer Schule geflüchtet, bin über einen hohen Drahtzaun geklettert. Da sind auch Burschen im Gefängnis, Robert ist blutbesudelt nach Hause gekommen. Es sind schon wieder Fotos von Ermordeten in der Zeitung.

Ich habe ein Recht auf meine tiefe Traurigkeit. Dies nämlich ist ein umfassender Überblick über die menschliche Müllhalde in mir. Ein unvorstellbarer Haufen menschlichen Abfalls, das bin ich. Und das sind meine Visionen – es sind Visionen von der dunklen Seite des Menschen, düster und unheilverkündend. Es ist nicht nur das Unbekannte, sondern das Was-niemand-wissen-will. Das Betrachten und Examinieren dieser Gegenden muss erst noch gelernt werden. Männer können das nicht. Männern eignet Nüchternheit und Zielstrebigkeit, aber sehr wenig Talent, Frauen? Frauen zeichnen sich durch ungeheure Intensität und beispiellose Wildheit aus. Der rätselhafte Augenblick! Ich bin in einem Zustand äusserster Wachheit. Alles, was mir angetan worden ist in den Kellern meiner Kindheit, alles, was ich unter ständiger Lebensgefahr „gelernt“ habe, im düsteren Schnee, am hellen Bach, der Schrecken aus heiterem Himmel, liess mich mit wachsender Verzweiflung um Hilfe betteln. Beliebige Menschen habe ich angebettelt, ohne sagen zu können worum. Ich kann es bis heute nicht sagen. Der Leerraum des Unvermögens, den diese Sprachlosigkeit einschliesst, das ist es, was ich hier vorrangig erforsche. Zwar werden wir von denen, die uns in der Kindheit belehren, zum Selbstgespräch gezwungen, Zwar hatte ich, wie jedes Kind, Hunderte von Lehrern, die mir genau sagten, dass und wie ich mit mir selbst sprechen sollte. Damals fühlte ich mich stark, wagemutig. Ich hörte jedes Geräusch. Ich gewahrte jede Veränderung des Lichts oder der Schatten um mich her. Heute habe ich nicht mehr die Macht, mich vor meinen eigenen Befehlen zu schützen. Heute führe ich mein Selbstgespräch so, wie ichs gelernt habe, so wie die anderen, so ähnlich wie die Menschen, die ähnlich denken und fühlen wie ich – nein, ich drehe mich im Kreis, Könnte ich so ähnlich denken und fühlen wie die anderen, wäre ja alles gut. Wie ich! Das Sicherheitsnetz. Warum halte ich die Luft an?

Hanna macht mir vor, wie sie fliegt: man braucht nur die Hände, die Finger richtig zu bewegen, nicht die Arme. Aber alle Muskeln anspannen!

Das ist es, fällt mir ein! Dieses Sicherheitsnetz existiert, ich halte mich daran fest mit jedem Wort, mit jedem Satz, den ich spreche, ja mit allen meinen Handlungen, denn auch Handlungen sind nichts als Sätze, kurz, mit allem, was ich tue. Jedes Wort – ein Fallstrick. Gedankensprünge, spontane Regungen, ob Zuneigung ob Abscheu, blitzen auf, manchmal glaube ich sogar selber an mich. 24 Stunden Wachsamkeit am Tag, bei allem was ich tue! Dort muss ich mich packen, bei diesem stabilen Misstrauen, bei diesem diffusen Unbehagen, diesen Pannen, die mich verdrossen und borniert machen. Ich kann mein Glück nicht in der Welt der Namen finden.

Der erste Teil dieser längeren, entstehenden Arbeit ist in manuskripte 89/90 veröffentlicht.

Christian Steinbacher

Best of Gangan [in Print]
aus: ganganbuch 5, 1988

Arbeiten mit Präfix

 

aus: a tempo

senza/
(und) auf (und) ab (und) zu
(und auf
und mit und hin und dort und ab dort
HIN (und dort dort mit dort zu dort gegen vor dort
HER (verquer?
(und) auf (und) ab (und) zu
(und AU!          , die SPRACHE
INNERT

 

 

senza/
(und) auf (und) ab (und) zu
(und auf
und mit und hin und dort und ab dort
HIN (und dort dort mit dort zu dort gegen vor dort
HER (verquer?
(und) auf (und) ab (und) zu
(und auf
uns aUF!,      der hut!     , ja das komma möcht wandern, auch
ich bin hier wo (bin hier, wo
(er nicht ausgeht geht ein?)
(er nicht eingeht geht aus?)
mit solch er gang art um um zu (um zu um
– setz ein gehen dran und so geht es
sich aus (und auf
AUF diese art hier: auf schichten schichten, sodann schichten
aufschichten (was dies UMschichten hier?
auch AUS dieser art hier: aus formen formen. sodann formen aus-
formen (und die form hier durchausen, verbeit gar dies an
(und an und für an)
(und) auf (und) ab (und) zu
(und AU!     , die SPRACHE
INNERT

 

 

ALSO AUF ALSO LOS
– wenn ein anbieten aufbieten war und
es war nicht, verenden beendet ja auch keineswegs (dass)
und erfahren verfährt sich, noch immer ab, geblich auf, da (oder
geblich PER AN? geht es      d a n n      etwa      a u f? oder l o s? oder ver-
fügt es nun nur oder nicht und worüber
– aber verführen verfängt sich ja auch hin und wieder, auch ver-
fügen wirkt oft bald verfahren. aber wer greift ein vergreifen
noch an hier und heutzu (oder tage? oder e r      folgend?
oder      v e r      folgend?
oder auch? oder und? oder
: oder (dero) : sam : folg : fassen VER : ER :
NEIN auch verfassen erfasst nicht (nicht genug? nicht hier? nicht
als finger-teig als knäcke-zeig als
als auch zweig nun zum bei spiel ver zweig kein ver halten das
dich nicht ver hält also hut – also hüte dich vor dem ver hüten
und treibe es nun lieber      a u f , setz ihn auf so und weiter
so und beispiel zum beispiel
als auch      s o      wird ver hört ehe man dich er hört nein er hören be
ruht doch auf einem ver kennen an tennen veranflennen hennen zu
huhn hund und      h a n d      (ach ja, die liebe hand also wieder, ich
wusste es doch (und solange es hinlangt, es langt sowieso bald,
verlangen langt alleweil noch und zum anlangen sicher

Magdalena Sadlon

Best of Gangan [in Print]
aus: gedichte (7), 1988

Man sucht ein Leben lang

Anagramme

Es geht mir duester – bin endlich allein

Mir diese stillen Naechte, Hungerbild
dein Lichtstrahl eisiger Blumen. Eden
mein blindes Geheul, Schattenlied. Irr,
die Einsamen in derber Hellsicht. Glut
mit den Augen der List. Bin Schelle hier
selbst meiner Hand, liederlich, gut, ein
duesterer Mensch. Heilig. Nie blind. Alt.

 


 

Man sucht ein Leben lang

Eisblumennacht, Langen
nach Lebensmut. Angel in
bleiche Angst nun malen,
ins Bangen. Achtel Lumen.
Nicht Lebenslaunen mag
mein Schlagen, Bluten. An
bunten Naegeln mich als
Beulen langsam nichten.
Sinn, Luegen belacht man.
Man sucht lang ein Leben.

 


 

Schaem dich deiner leblosen Augen (t,t)

Ich solle Gnade ueben. Der Schatten im
Gesichte sind alte muede Narben. Loch
in Melancholie getreten. Das Buch des
Seelenlebens, grau, matt. Die dich noch
lieben reden nicht, aus Scham. Oed, gelt?

 


 

Schaem dich deiner leblosen Augen (t)

Schon mal gelebt? Dein Schauder, eine
laue Angst. Mich, blinde, schoene Erde,
buche ins Echo der Stille. Da man enge
Bilder aus Seelen macht, neigen doch
Laien sich ueber den Tod. Manch Segel
liegt schon im See. Du aber lache, denn
Nachtigallen be- suchen die Rose; dem
entsage nie. Red! Lach doch ums Lieben!
Lebe es, du! Sieg am naechtlichen Dorn.

 


 

Der Spiegel des Wunderbaren

Es wird das Pendel gern ueber
das Spiel reden – Wunderberge
des Lebens. An dir prueder Weg
sind Spuren der Waelder. Gebe
aber der Wind den Puls; es rege
der Liebe Sprung an. Werde des
weisen Barden Geduld! Sperre,
Sender, der Spiegel Wunder ab.
Blauer Erdweg der Spinne, des
Weibes edler Pranger und des
Berges und der Spirale Wende.

 


 

Die verlorende Gunst der Wachsamkeit

(So endet der alte Wunsch im Krieg, Vera)
Vor der Macht knie gelassen weiter, du,
vor der Naturgewalt. Es scheiden Keim
sich von Seele karg in der Demut. Warte
der Kindheits Traeume. Versage, Clown,
der Traene nicht, wie der Muse. Sag, Volk,
Echo der Angst, was Kinder Tuerme, viel
Kruste, in Asche verwandelt, Orgie dem
Moralisten verschenkt! Da die Urwege
verwuchert sind mit Ekel Adern, o’sage,
Knecht, das Wort im Dasein: Reue. Verleg
die Gunst der Wachsamkeit, Verlorene!

 


 

Warum ein erotisches Gedicht lieben

Noch ist der Tag, wie eine Blume, sicher,
obgleich der Traum sich eines weiten
Raums bedient. Wie leicht es noch Gier
mit Wuerde sich begleicht! So er nie an
die Moewen glaubte, reicht er sich. Ins
ungemachte Lieben, Orte, wird sie sich
bett’n. Sieg im Hauch der Clownerie. Sie
selbst, war mein Gedicht. O’ ich reue nie!

 


 

Eifersucht bleibt

Eifersucht bleibt
bricht Lust bei Fee
bleibet freut sich
besucht liebt reif
liebt frisch Beute
Trieb uebt Fleisch
Uferlicht bete bis
ei! bitte Felsbruch
bei Flucht bestreit
Sucht bleibet frei
Sucht befreit Leib
Blutfieberstiche
Triebe Fluchtsieb
Blutbereich steif
ich sterbe bei Flut

 


 

Ein trueber Spaziergang im Mai Wolken

Knospen im Zauber, einmalig wirre Tage.
Im Sinn Trauer Gezweige. Lob Pein Karma
Poesien ranziger Klagen Traumweib im
Park Blumenoase. Gereizt eiwarm innig
war mein Atem. Kinospiel. Zigeuner Grab.

 


 

Und meine Asche liegt

Ich einsame Glut ende.
Die Leute sangen mich –
gut, mein Lachen diese
Stunde, neig, mach Eile
Sicht und Elegie Amen.
Und meine Asche liegt.

 


 

Tongesichter muss ich machen

Gut so, mein Scheitern! Schmach,
Schoss meiner guten Macht. Ich,
ich Schneerose stumm an Gicht.
Immer sachte, sich gut schonen
(Mime sucht noch Angstschreie)
Name „Schuechtern“ sog mit sich
mein Getto Schrei. Schmach uns,
ich muss echt schmoren – ein Tag
um acht morsche Sinne. Gesicht!
Ich muss Tongesichter machen.

 


 

Die Blutgraefin Elisabeth Bathory (c)

O grauenhaft liebt Cythere! Bald Ibis
gleich in rot. Fabel-Bad-Hysterie. Taub
auch der Gastfreiheit. (Liebt Babylon.)
Schoene Hydra! Beliebig litt Frau, bat
bigott fuer ihre Lieb. Da lynchte Baas!
Hygiene-Blutbad-Folter. Tierisch. Aba,
Seide fuer Bathory. Bleich in Tat. Balg.
Idylle ihrer Fantasie bebt gut. Ach, ob
Liliths Erbe, hyaenig Cabaret, ob Duft,
Achat der Greuel, ob Yin – Haft blieb, ist
egal. In Bad trieb teuflische Bathory
die boese „Facharbeit“. Glut. Labyrinth.

 


 

stark und selig in der liebe leben

kleiner riss bleibet geduldet an
reiner glut des liebens bald kein
sinnbild er ist blanke luege rede
klar bereit nun in des leides gelb
beklag den irrsinn liedes bluete

 


 

Wer aller so zufrieden ist

Rastloser Zweifel. Nur die
Frau will zerstoeren dies
finstere Ziel. Wo „duerr“ als
ein Zufallswort der Reise
wurzelt. Da er sein Los reif
fordert, Willensreize aus
Raetseln, wird zu eiferlos
das Urteil leis zerworfen.
Als Riesenfolter zuwider
zwoelf alter Suender Iris
der Wolf zerreisst in laue
zufriedene Starre. So will
ein stolzer Ruf was leider
lose, frei zu Wirrsal endet.

 


 

Morgen wird alles ein Ende haben
(Dostojewskij)

Roher Wind! Da, mein Leben, nagle es
harmlos an dein Weinen, edler Beg.
Niemand solle hier darben wegen
der Sonne Harem. Wie lange blinde
Bilder Mondlage ersehnen, wie an
Sorgen nah, Name: Elend. Liebe wird
ein Ende haben. Morgen wird alles
dem Wahnsinn erliegen. Adler, Boe.
Morgen wird alles ein Ende haben.

 


 

L ebenszeichen derTorheit
E s reicht! Hetze in Lobreden!
B leich zitternder See ohne
E inzelner Derbheit! So echt!
N och, Herbst-Leere-Zeit, dein,
S choenheit Lebender reizt.
Z orn ist leicht, ebene Herde.
E in Leichenherz berste! Tod
I rdischer Lenze betet ohne
C hinin. Trotze der Ehe, leb es
H ier! Roete den Schnee! Blitz
E iner Endzeit, och! lebt sehr
N ebels Zeichen der Torheit.

Andreas Reiter

Best of Gangan [in Print]
aus: ganganbuch 4, 1987

2 Texte

Allegretto

Die Liebe pflegt den aufrechten Gang, gerade in einer Stadt wie Prag. Sie ist durchsichtig und zerbrechlich. Sie sieht mich morgens lange an und sagt, während ich mir die Zähne putze, ich will, dass Prag für dich Wirklichkeit wird.

Die Prager Badezimmer sind gutbürgerlich, zu zwei Dritteln verfliest, und verstehen zu schweigen. Das Wasser wird von einem gasbetriebenen Boiler erwärmt. Das Rauschen der Klospülung verheißt auch hier das Ende der Liebe. In den Abwässern der Stadt treffen alle Lieben aufeinander.

Während sie mir ihren Arm um die Schulter legt, wird mir bewußt, dass ich Ausländer bin. Die Grenze ist dünn und klapprig, aber dahinter liegt zweimal Ohnmacht. Ein Kuß wäre in diesem Augenblick ein unzumutbarer Grenzgänger. Meine Unsicherheit löst sich erst auf, als ich mich beim Rasieren schneide.

Auf dem Weg in die Stadt reden wir wenig, und wenn, dann in der fremden Sprache. Vor dem Eingangsportal zum Café Slavia ist uns beiden klar, dass wir uns beim Kaffeetrinken gegenübersitzen werden. Wir stellen die Tassen mit einer für diesen Ort zu nachlässigen Handbewegung auf den Tisch. Die Anwesenheit anderer bringt uns bisweilen zum angemessenen Lachen. Das sind immer die gefährlichsten Augenblicke, denn sie lenken von uns ab. Vor dem Verlassen des Lokals legen wir dem Ober wohlwollend einige Kronen in die ausgestreckte Hand.

Während meine Zunge in ihrem Mund Wurzeln schlägt, hält der Parteivorsitzende seine Schlußrede auf dem siebzehnten Parteitag. Besonderes Augenmerk werde wiederum auf die Agrarreform gelegt, die allen Bürgern der CSSR eine noch ausgewogenere, gesündere und besser auf die Arbeitskraft abgestimmte Ernährung garantieren soll. Die Haut der Prager ist genauso hell und dünn wie die der übrigen Mitteleuropäer. Der Taxifahrer, der uns vom Café nach Hause fährt, glänzt mit dieser Antwort im Rückspiegel.

Zuhause wartet die Freundin ihres Bruders und erzählt von ihrer Heimat. In ihrem Dorf, und das ist kein böhmisches, müssen die Frauen das Wasser aus dem Brunnen schöpfen. Das härtet ab, sagt ihr Bruder, der auch noch vorbeigekommen ist, um nicht allein zu sein. Im Sozialismus haben es die Menschen eilig, einander zu begegnen.

Als wir wieder allein sind, legen wir uns prüfend nebeneinander. Das Zimmer gleicht einer Toilettentasche: zu viele Utensilien, die man doch nicht missen möchte. In Prag ist die Liebe nicht leichter handzuhaben als die Distanz. Die Haut der Prager ist hell, die Höflichkeit geht ihnen stets voraus. Hier kommt die Liebe immer von unten, auch wenn sie über einem liegt. Manchmal gelingt es zwei Liebenden doch noch, einen Frühling aus sich zu machen.

Prag verdankt seine Existenz der guten Laune eines Kartographen. Prag liegt mitten in meinem Kopf. Jeder Mensch legt Wert auf seine Erdkugel. Prag trägt mich ebensogut wie ich es trage. Im Spiegel sehe ich, wie sie ihren Kopf an meine Schulter legt. Ihre Tränen sind nicht die Hollywoods. Es fällt mir schwer, dies wahrzuhaben. Die Wirklichkeit löst keine Kinokarte ein.

Im Traum bin ich wieder allein und im Westen. Der Westen allein macht auch noch nicht unglücklich, sagt der Taxifahrer und streckt die Hand nach dem Trinkgeld aus. Im Traum bin ich stets einer, der nie aufhört zu schlafen. Das gerade macht ihn so lebensnah und so verdächtig.

Viele Prager leben in der Neuen Welt. Dieser Umstand allein begünstigt noch keine Symphonie. Sie denken wehmütig an zu Hause, wo noch jeder jeden des Glücks verdächtigen kann. Die Kleinstädter Gassen sind der Umschlagplatz für Botschaften aller Art. Die meisten Kommuniqués unterscheiden sich nur durch Unterschrift und Stempel. Die Phantasie ist von Amts wegen ein geschwollener Lymphknoten.

Ich rate jedem, der von Natur aus abergläubisch ist, nach Prag zu fahren. Vielleicht, weil es Prag gar nicht gibt und nur in meinem Kopf liegt. So fällt die Orientierung leichter, und die Umgebung wird durchschaubarer. Der Schatten an den Häuserwänden regelt das übrige. In Prag hat somit jeder Fußgänger die reelle Chance, unbehelligt über den nächsten Fünf-Jahresplan zu kommen.

Der Schweiß in ihren Achselhöhlen hat nichts mit dem Arbeiter- und Bauernstatus zu tun. Gerade hier transpiriert man noch vor Erregung. Die Zimmerwände sind historisch gewachsen und mit Schweigen verputzt. Selbst langjährige Nachbarn erkennen einander nicht am Hüsteln.

Ich eigne mich schlecht für Katastrophen, das habe ich mit Prag gemein. Wir kommen uns so weit entgegen, dass einer von uns beiden gar nicht anwesend zu sein braucht. Eine geheime Absprache, die beiden gleichermaßen zugute kommt. Im übrigen denkt sich ein luzider Mensch wie ich nicht ohne Stolz an das Objekt heran. Das ehrt auch das Objekt.

In Prag wird die Liebe durch den Zwangsumtausch geregelt, dreißig DM pro Tag. Endlich eine Stadt, die sich Gefühle noch was kosten läßt, sage ich. Meine Verstopfungen weisen mich auch hier als einen aus, dem das Loslassen schwerfällt. Im Osten wie im Westen ist der Körper der Feind.

Ich kenne wenige Tische in Prag, die nicht umgeworfen, wenige Seiten, die nicht umgeschrieben werden. Die Anpassung an das Schicksal ist eine Frage der Kinderstube. Die Angst dient als Korrektiv, mit dem überflüssige und abwegige Papierstreifen in den Kanal gekehrt werden. In Prag ist der Straßenkehrer, meist eine Frau, Dirigent des Systems. Ich verstehe allmählich, dass Prag für viele eine Symphonie ist.

In Prag gehen die meisten Menschen barfuß, auch sonntags. Das erfordert Standfestigkeit und verleiht den Sohlen den richtigen Schliff. Meine Geliebte ist eine Ausnahme (sie ist erst vor kurzem aus der Slowakei zugezogen): selbst beim Lieben behält sie die Schuhe an. Ihr Paß führt als besonderes Kennzeichen Bodenständigkeit an. Das müßte es im Westen geben, denke ich.

Erst wenn du wieder außer Landes bist, werde ich zu mir kommen, sagt sie und blickt mir unbestimmt über die Schulter. Diese ist wie der Grenzstreifen und verbirgt die Gefahr, die von mir ausgehen kann. Ich bin froh, dass ich breit gewachsen bin. Auch ein gutes Herz muß abgefedert sein.

In Prag promenieren die Menschen noch um ihr Glück. Ich bin oft versucht, mich ihnen anzuschließen. Aber ihre Gangart macht es mir nicht leicht. Von Prag aus führt eine kaum befahrene Straße in den Westen, der im Falle Münchens fünf Autostunden entfernt liegt. Das fordert eine Grenze nahezu heraus.

Heute morgen bringt sie das Frühstück ans Bett. Das ist kein gutes Zeichen. Ich mißtraue von Anfang an der Farbe des Tages. Alle Abschiede sind transparent. Das haben sie mit der Liebe gemein. Die Angst zieht eine Linie durch mich, sodass ich selbst das zu zwei Dritteln verflieste Badezimmer für eine gelungene Fälschung halte. Morgen kommt mein Sohn aus den Ferien zurück, sagt sie und wartet auf meine Reaktion.

Im Flur wird die Konspiration noch einmal zur Transpiration. Ihre Achselhöhlen werden mir fehlen. Geborgenheit ist letztlich auch eine Frage der Zumutbarkeit. In Prag haben die Treppenhäuser etwas von einem Opferstock an sich: man verdient sich seinen Abgang. Als ich die Briefkästen nach Namensschildern absuche, finde ich keine. Das ist wohltuend. Prag ist ein Saatgut Babylons. Babylon ist nicht mehr auf meiner Erdkugel.

Ich bin froh, dass ihre Achselhöhlen nicht parfumiert sind. Das könnte mir den Abschied verderben. Der Geruch weist den Menschen aus, und ein Paß ist längst noch kein Parfum: Ein vorsichtiger Staatsbürger hat beides. In den wenigsten Fällen läuft die Liebe in den Fingerspitzen zusammen.

Der Prager Regen wird mir fehlen. Nirgends schaukeln die Kaffeetassen im Gewitterregen so wild wie auf einer Prager Kaffeehausterrasse. Angst darf man hier ohnehin keine haben. Sie machte sich breit und ließe einem die Tasse aus der Hand fallen. Darin gleicht Prag wiederum anderen Städten. Das wäre etwas, worüber ich ihr schreiben könnte, wenn ich wieder zu Hause bin. Briefe sollte man übrigens immer mit der Hand schreiben. Nur so kann der Empfänger das Zittern des Verfassers erkennen und dem eigenen vorbeugen.

Als Abschiedsgeschenk hinterlege ich meinen Geruch. Alles andere ist nicht zu begleichen, sage ich ihr. Während sie mir meine Reisetasche ins Auto reicht, fällt mir unweigerlich das Allegro con fuoco in Dvoráks Neunter ein. Vergeblich versuche ich, darin einen Platz für sie zu finden. Entweder ich interpretiere das Stück falsch oder ich liebe sie.

Prag ist eine Träne, die nicht hierbleiben und auch nicht mitgenommen werden darf. Prag ist eine Liebe, die den aufrechten Gang pflegt. Sie ist verschwiegen und schon nicht mehr heimlich. Prag ist eine Liebe, die meiner Traurigkeit mit einem „Wenn du wiederkommst, werde ich den Spiegel im Badezimmer abgehängt haben!“ zuvorkommt.

Die Neue Welt ist eine Lüge, sagt sie zum Abschied und hebt stolz ihren Kopf. Sie ist doch eine Pragerin, denke ich mir, als ich sie im Rückspiegel barfuß am Randstein sehe.

 

 

Ohio ist ein Irrtum

Manche behaupten, Josua wasche seine Hände in Blut. Sie sehen den Teufel in ihm, der ihre Dächer einbrechen, ihre Wagen in den Graben schleudern und ihre Töchter davonlaufen macht. Nicht so einer wie Josua, halte ich ihnen entgegen, nicht mit so einem Namen.
Was macht schon sein Name, gerade sein Name! höhnen sie, und, klagend: er geht einfach zu weit!
Er geht weiter als ihr, rufe ich ihnen noch einmal zu und biege um die Ecke.

Josua: ich vermute ihn nachts, wenn der Nebel die Stadt durchkämmt und die Ängste ihr Spiel beginnen. Es heißt, dort, wo die Menschen ängstlich und aufatmend zugleich in den Hauseingang springen, ist Josua zu finden.
Wer ihn jedoch dort sucht, sucht vergeblich, ich möchte beinahe sagen, der sucht um Vergebung oder auf eigene Gefahr. Letzthin stand einer aus Ohio mitten in der Gasse, um ihn herum nur das engmaschige Geflecht des Nebels, er stand da auf einem Bein und klatschte dreimal in die Hände. Es rührte sich nichts und schon gar nicht Josua, den er hinter irgendeinem Mauervorsprung hervorzutreten erhoffte. Worauf der Mann aus Ohio (im übrigen ein Reserveleutnant der 7. US-Divison Süd, der es gewohnt war, in die Hände zu klatschen, und extra wegen Josua die Reise über den großen Teich auf sich genommen hatte), ein zweites Mal in die Hände klatschte, nun immerhin lauter und fordernder.
Und siehe da – es löste sich wahrhaftig eine Gestalt aus dem Nebel und kam im schalen Licht der Laterne auf ihn zu. Keiner weiß genauer, was dann passierte, selbst die Zeitungen mutmaßten am nächsten Tag nur: Der Mann aus Ohio sei dermaßen durch Josuas Anblick erschreckt worden, dass er Hals über Kopf die Flucht ergriffen und noch in derselben Nacht überstürzt und ohne ein Trinkgeld zu hinterlassen zuerst das Palace Hotel und dann die Stadt verlassen habe. Kein Wunder, dass dieses für einen Mann von Welt, zumal der Neuen, äußerst unübliche Verhalten beträchtliches Aufsehen erregte. Daß er bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Cleveland an der linken Hand nur noch drei Finger zählte, tat ein übriges. Über den Verbleib der beiden restlichen konnte oder wollte er den verblüfften Reportern keine Auskunft geben. Die Zeitungen ergingen sich in Spekulationen und überboten einander im Schlimmsten. Einig waren sie sich nur darin, dass der Mann einen leicht verstörten Eindruck auf sie gemacht habe, was aber weiter nicht verwunderlich sei, da nun seine Tage als Reserveoffizier gezählt seien. Denn auch die 7. US-Division Süd kann auf einen Offizier mit acht Fingern verzichten.
Die Bewohner unserer Stadt schreiben die zwei Finger natürlich Josua zu und schrecken selbst davor nicht zurück, ihm die seitdem rückläufigen Übernachtungszahlen amerikanischer Touristen in unserer Fremdenverkehrsmetropole anzulasten. Das macht böses Blut, das versteht ein jeder.
Man klatscht nicht in die Hände, wenn man einen Menschen sprechen will, sage ich bei jeder Gelegenheit, es könnte als Applaus gewertet werden oder als Affront, und das müßte sogar ein Reserveoffizier aus Ohio in Betracht ziehen.
Obwohl ich selbst nie beim Militär gewesen war und dies einfach so vor mich hingesagt hatte, war ich erstaunt, meine Worte vom zustimmenden Nicken alter Kriegsveteranen begleitet zu sehen. (Ich zweifle jedoch an ihrem Verständnis und sehe in ihrer Haltung vielmehr die alte Schule.)
Wie erwähnt, es nützt nichts, nach Josua zu suchen, und es scheint nicht ohne Risiko, bei Nebel in die Hände zu klatschen. Da ihn noch keiner gesehen hat, sind die rührendsten Vermutungen im Spiel: Einige – und das sind nicht die Schlechtesten, nämlich die, die aus der Geschichte gelernt haben – beharren darauf, dass Josua vor vielen Jahrhunderten Leibwächter des Königs Javlos gewesen und bis in unsere Zeit herauf dazu verurteilt sei, eine schreckliche Tat abzubüßen. Er sei in jungen Jahren bei Nacht und Nebel mit der Gemahlin seines Herrn auf- und davongeritten, habe mit ihr, stets auf der Flucht vor den Soldaten des ergrimmten Königs, in drei Jahren drei mal zwei Kinder gezeugt, von denen bis auf eins alle den eiskalten Nächten im Wald zum Opfer gefallen seien. Darüber sei Josua in größte Verzweiflung geraten, habe den Tod der Kleinen als Strafe des Himmels angesehen und sich mitsamt seiner Frau und dem einzig überlebenden Kind in einen reißenden Fluß gestürzt.
Seither geistere, bei Nacht und Nebel, dieser Josua durch die Gassen der Stadt und suche nach den erfrorenen Leibern seiner Kinder, um sie wieder zum Leben zu erwecken.
Ich kann dazu nichts sagen, außer: ich traue Josua alles zu. Aber ich traue ihm auch und schiebe ihm nicht jedes Unglück, das mir oder anderen widerfährt, in die Schuhe.
Ich weiß wohl, es gibt ihn, ich weiß oder vielmehr, ich spür es. Wenn es um Josua geht, überlasse ich nichts dem Zufall, dann schon eher den Kindern.
Ja, ich glaube den Kindern, die abends vorm Feuer mit brennenden Augen berichten, wie sie plötzlich starr vor Angst hinter dem Drahtverhau gestanden und dem Rascheln des Laubs gelauscht hatten, so überrascht, dass sie nicht einmal den Mund aufsperren konnten (gerade die Kinder!), als eine Riesengestalt aus dem Buschwerk trat, ein Hüne mit gewaltigem Kopf und schaufelgroßen Händen und einem Lächeln wie der Erzengel Michael; als er sie auf seine Schultern hob, zwei auf jeder Seite, hatten sie sich ganz stark gefühlt, und bis nach Patagonien wären sie gern mit ihm, doch er hätte sie mit einem kurzen Ermahnen zur Einsicht gebracht und sie sicher durch den Nebel getragen, bis vor die Haustür, und sie dort abgesetzt.
Da komme mir noch einer und behaupte, Josuas Lager wäre unser aller Untergang, oder sage lauthals, Josua schliefe nachts auf dem Stroh, mit dem er anderntags unsere Häuser anzünde, da komme mir noch einer!
Wo Nebel ist, ist der Mensch nicht weit, pflegte meine Großmutter, eine Gastwirtin, zu sagen, und die mußte es ja wissen!
Nicht zuletzt deswegen wundere ich mich, dass ausgerechnet jene, die Nacht und Nebel scheuen, am besten über Josua Bescheid wissen. Sobald sich der Vorhang im Fensterkreuz hebt und Schritte über den Hof hallen, löschen sie schnell das Licht, drücken sich eng aneinander oder an die Wand, sie stülpen die Augen nach innen und die Fäuste nach außen.
Doch: wo des Bürgers Kleinmut, ist auch sein Unmut.
Und so durchstreifen tagsüber, bei günstigem Licht, Such- und Spähtrupps die Stadt und sichern Spuren, zumal die sichtbaren. Sind die einen erbost, aber noch geduldig (obwohl bisher von einem Anstieg der Übernachtungszahlen amerikanischer Touristen keine Rede sein kann), reagieren die anderen – die Historiker – beinahe überschwenglich. Tauchen die einen – die Politiker – immer mehr ins Dunkel ihrer Amtszimmer und verriegeln dort Türen und Fenster, so strömen die anderen aus allen Universitäten und Instituten zusammen und wittern ihre große Chance: endlich mit einer fundierten These über Josuas Herkunft akademische Karriere zu machen, sich im internationalen Feld der Wissenschaftler zu profilieren.
Noch haben sie sich nicht geeinigt, stelle ich schadenfroh fest, noch bleibt alles beim alten.
Gilt er den einen schlichtweg als Teufel, so den anderen als historische Person, als Leibwächter des Königs Javlos, als einer, der sich in seiner Diaspora durch die Jahrhunderte streckt.
Wenigstens hat er seine Bleibe, denk ich mir, wenn Nacht und Nebel aufkommen. Laßt ihn im Nebel, sage ich stets, da liegt er gut in der Zeit.
Aber da immer wieder ein Haus abbrennt (oder einer eins anzündet), dessen Besitzer im Knistern des Feuers ein hohles Lachen zu hören behauptet, und da immer wieder eine Frau ihr Neugeborenes an den Randstein legt, bleiben die Fenster auch künftig geschlossen, die Blicke hinter dem Fensterkreuz und die Menschen zu Hause, die einen gar in Ohio.
Keiner glaubt den Erzählungen der Kinder, die von Josua über den Fluß (und beinahe bis Patagonien) wie auch durch die Jahre getragen werden, keiner glaubt ihnen, dass Josua eigentlich ein Niemand, eine Vorstellungskraft bzw. -schwäche sei, und schon gar nicht glaubt es der Reserveleutnant aus Ohio, 7. US-Division Süd, wenn er mit den drei Fingern seiner linken Hand über die beleuchtete Erdkugel auf seinem Schreibtisch fährt, sie zum Kreisen bringt und haßerfüllt nach unserer Stadt Ausschau hält.

Peter Pessl

Best of Gangan [in Print]
aus: gedichte (1), 1984

Splitter und Sporen

 

Im Boudoir

Im grünen saum überm kleiderstuhl
Dein apfelmesser, mutters ring
Im damengläschen pflaumenschnaps,
Die grauen haufen katzenkot
Auf kühlen brettern rund ums bett,
Dem webstuhl unsrer kinderfinger.

 


 

Zur linken Hand

Im hinteren garten stäuben katzen
Mit schütteln, klirren die wiesenglasur,
Vögel spreizen ihren gang hin zu mir.
Ich zerdrücke eine amsel als sitz,
Trinke nach der verstimmten frau und
Halte die morgenblätter vergraben
Lachend geschosse zischen zu hören,
Sorge für nichts solang ich getraut bin
Zu deiner linken hand nur, wie immer.

 


 

Zweieinigkeit

Ich kenne eine seltene zweieinigkeit, ein leben
Bei stumpfer zunge am rand eines weit offenen
Salzglases, wie die endung eines wortes, das an die
Zwiebeltürme der stadt und die untersten häute
Der nacht stösst, und beide, so die zunge, das wort,
Verletzen sich stets.
Sie ist die frau, die ihr gesicht hell färbt, den mund,
Und dies ganz für sich, ein weisses, um die brust
Loses kleid, das an den boden reicht gegen abend hin
Ausführt, für mich, dann aus einem gewebten säckchen
Ganz kleine, meist rote bücher holt und mir zeigt,
In einer hand den bauch eines glases, in der zweiten
Aber zart den meinen.
Ihre gewalt, wie auch meine, eine stumpfe zunge vom wein,
Die die fluchworte, gegen wen auch, geduldig trägt,
Die doch nichts spürt als die ränder von gläsern
Und tagen, die worte hochspült an die bäuche
Der dunklen segel der nacht.

 


 

Splitter und Sporen

Spring mit grossvaters schneereifen
Die hände am rücken übers feld,
Drähte brummen, baumeln mittag
Und ich schneide ihr gesichter
Leider völlig unfruchtbar
Bei zuckerwatte und kaffee,
Dieser frau auf der ofenbank,
Der ich mit splittern und sporen
So gar nichts mehr zerbrechen kann.

 


 

Meiner Frau

Mager wirst du vor angst unschätzbar
Zu sein, unter verschluss wie dein sitzen,
Faltest uns neu und rund in den korb
Der nach zwei, drei bäuchen riecht.
Schliesst mich weg über strassen
Von diesem brand in den stadtplan geblasen,
Den cafés, die dem knurrenden viertel
Einen rauschenden abtritt proben.
Und ich zeigte dir erst berühmte
Unser stottern im salut überbrüllen.

Andreas Okopenko

Best of Gangan [in Print]
aus: ROTWEISSBUCH, 1988

Der Meister

 

(Heurigenlokal. Eine Sirene klingt aus.)

ALTER: Na, das is des dritte Mal. Also a Autounfall. – Geh, bring ma no a Viertel!

WIRTIN (im Bringen): Neigierig, wo s gscheppert hat. Wahrscheinlich wieder auf der Lüssn drobn.

ALTER: Aber geh, druntn auf der Kreuzung! Wißts eh, Samstag do, der junge Bursch – servas, der hat ausgschaut!

FAHRER: A Moperl?

ALTER: Aber naa, a Peugeot, a so a Mordstrumm.

MEISTER (tritt ein): Heil!

ALTER und RUNDE (Durcheinander der Stimmen und erhobenen Hände): Heil! Heil, Meister! …

MEISTER: Heil, alle miteinand!

WIRTIN (kommt hinter der Schank hervor): Wann du einikummst, da gibts immer a Unglück! (Hilft ihm aus dem Mantel.)

MEISTER (nimmt ihr den Mantel flott ab): Danke! A Viertel und was zu essen!

WIRTIN: An Alten und a Schmalzbrot –?

MEISTER (Befehlston): Speck! (Setzt sich an den Altentisch, wo man ihm sofort bereitwillig Platz gemacht hat.)

WIRTIN: Is recht, Herr Meister. (Geht wieder hinter die Schank.)

MEISTER (den Unfall kommentierend): Des san die jungen Leut, die heut alle ihr Auto haben müssen! Net nur die Buam, aa de Madln! A Frau ghört zum Herd und net ans Steuer.

ALTER: Jeder wüü schee lebn, aber nix arbeitn. Und wann ma eahna was sagt, sans frech als wia.

FAHRER: Mir ham ja aa nix ghabt. Mir? Ham in Schädl hinghaltn!

MEISTER: Drum werns ja aa alle Bankreiber! I sag immer wieder, es gschicht vü zu wenig. S ghörert aaner nachn andern aufghängt!

(Feuerwehrhorn wird in der Ferne hörbar.)

WIRTIN: Also diesmal auf der andern Seiten.

ALTER (schaut auf seine Uhr): Hat immerhin zwaa Minuten dauert.

FAHRER: Im Kriag hamma des alle Tag ghabt – aber net nur aamal.

MEISTER: Was reden denn Sie vom Kriag? Sie warn ja gar net im Kriag, hörn S!

FAHRER: I – und net im Kriag! I war Kraftfahrer an der vordersten Front. I könnt Ihna was dazön, Herr!

(Nun werden in einiger Entfernung die Folgetonhörner von Polizei und Rettung hörbar. Alles lauscht.)

WIRTIN: O je, da gibts Bluat! Neuli, am Feiertag – drei Tote auf aamal.

FAHRER: Na, und in Brunn – Der Mann hat zuagschaut, wia sei Frau ausbrennt is. Die war einzwickt – da kann ma net helfen!

ALTER: Ja … Wia damals in Baranje, im erschtn Wötkriag! Wir warn da die erschtn, die was a Auto ghabt ham – da hats mein bestn Kamerad, den Hanuschfranzl, im Auto dawischt. Der war aa eizwickt und mit der Hand hat er no gwachelt und hint hat er scho brennt.

FAHRER: I red gar net, was i alles gsehn hab. Beinah war i noch nach Stalingrad kumma. Des habts es im erschtn Wötkriag wirkli net mitgmacht!

MEISTER (empört aufschnellend): Was?? – I war nur Gfreiter – aber i hab a harte Schule mitgmacht im Kriag! Mir ham was gsehn von der Wöt! So die Wöt erleben kann ma nur im Kriag!

FAHRER (zuckt die Achseln, nimmt einen Schluck Wein): Is scho guat, is scho guat …

MEISTER: I war in Frankreich – hab dort heit no an ledigen Sohn.

FAHRER: A, da schau her! Der is da leiwand! Du hast ja gsagt, es is da so schlecht gangen? Na, hast wenigstens Alimente brandelt?

MEISTER: I? I bin do net narrisch! Aber i waaß, dass er vo mir is. – Des war a Mariandl, mit solche Tutteln …

FAHRER: I war Spieß bei de Kraftfahrer. Immer ganz vorn dran, wo s am brenzlichsten war. Beim Gegenangriff im Mittelabschnitt. Da is aner explodiert, dem sei Schädl hat no in der Luft um Hüüfe gschrian!

MEISTER: Aber Giftgas habts im Zweiten net ghabt!

FAHRER: Aber scho, in Polen!

MEISTER: Des is net wahr!

FAHRER: Na klar is wahr!

ALTER: Naa, niemals. Ka Giftgas.

(Runde sekundiert mit Gemurmel und Gesten.)

MEISTER (mit herrischer Bewegung): Wann i sag, des is net wahr, dann is net wahr!

ALTER: Mir san alte Männer, uns kannst nix dazön!

FAHRER (protestiert)

ALTER: Hast das Gas erlebt??

FAHRER: Na ja … söba dalebt net …

MEISTER: Mir hats fast a Aug gkost! Wochenlang rasende Schmerzen in so an komischen Lazarett in Po … Pa … i waaß nimmer. Können S Ihna vorstön, was des haaßt, Tag und Nacht Schmerzn habn? Im Aug! Net wissn, ob ma blind wird!

ALTER: Ja, mir warn halt no Soldaten, mir schon!

FAHRER (zornig): Ja, und mir warn Germknödln?!

MEISTER (ebenso): Geh, halt die Luft an! Junger Tutter …

(Er steht auf, um Richtung Toiletten hinauszugehen.)

FAHRER (streitmüde): Laß mi in Kraut, hörst!

MEISTER (an der Tür, huldvoll): So. Nix für ungut. Sei net angrührt! Soldaten unter uns. (Salutiert.)

FAHRER (will instinktiv salutieren, wirft dann aber die angefangene Geste angefressen weg.)

 

(Pissoir des Heurigenlokals. Der BUB des Fahrers pinkelt. MEISTER tritt ein, stößt auf dem engen Raum fast zusammen.)

MEISTER: Haltaus.

BUB (dem sofort im Schreck der Strahl versagt, will retirieren)

MEISTER: Herstellt! Weitermachen!

BUB (setzt folgsam fort)

MEISTER: Wär noch schöner! Zwei deutsche Männer haben Platz genug. (Beginnt.)

BUB: I bin a Wiener.

MEISTER (herrisch): Redst deutsch oder jidisch?

BUB: Deitsch.

MEISTER: Na, also! Heit is ja wieder alles voll von de Wanzn.

BUB (sucht): Wanzen??

MEISTER: Die Juden maan i.

BUB: I hab no kaane gsehn – (schnell:) Aber mein Vater schimpft immer auf die Tschuschn!

MEISTER: Alles dasselbe!

BUB (ist fertig, verstaut ordentlich)

MEISTER: Brav! (tut ähnliches)

BUB (will hinaus – MEISTER meldet mit Macht-Räuspern sein Vortrittsrecht an – BUB macht gehörig Platz)

 

(Im angrenzenden Waschraum.)

MEISTER: Händewaschen! (Er deutet auf das Becken, geht selbst sofort hin und wäscht sich während des folgenden Dialogs säuberlichst die Hände.) Wie alt bist denn?

BUB: Fünfzehn.

MEISTER: Fünfzehn! Was willst werden?

BUB (zuckt die Achseln)

MEISTER: Ha, wi i so jung war wie du! Weißt, was i hab werdn wolln?

BUB (schüttelt den Kopf)

MEISTER: Baumeister! Architekt!

BUB: Häuser und so?

MEISTER: Häuser?! – Alles! Brücken, Bahnhöfe, Großraumplanungen – Städte miteinander verbinden, unterirdisch! Und Opernhäuser!

BUB: Da muß ma wohl vü lernen?

MEISTER: Merk dir, Junge: Bildung is ein Dreck! Auf die ererbte Intelligenz kommts an! Die Bildung kann sich jeder anlernen, aber die Hirnsubstanz, die habn nur wir! Net die Judn, die Böhm und die Zigeuner. Nur wir!

BUB: Sie ham vü glesn?!

MEISTER: Tag und Nacht! Nix geraucht, nix getrunken! Das Fleisch verachtet – Hast was von Schopenhauer ghört?

BUB (schüttelt den Kopf)

MEISTER: Nietzsche?

BUB (schüttelt den Kopf)

MEISTER: Brav! Bist wenigstens ehrlich. (Ist nun mit dem Waschen fertig, trocknet die Hände.) Jetzt darfst du! (Fährt mit einem Finger über den Kalkanstrich:) Net amal weißeln könnens! (Ab; darein Blende.)

 

(Heurigenlokal, Türnähe. Die Tür wird aufgestoßen – allem zuvor fällt ein Stock herein. SÄUFERIN stolpert nach. Der zugleich eintretende JÄGER in voller Wichs fängt sie gerade noch auf. Er hat sein Gewehr umgehängt und einen Fasan am Galgen.)

WIRTIN: Haltaus! (Springt herbei und hebt den Stock auf)

SÄUFERIN (humpelt zur Schank, lehnt sich an und grüßt zum Altentisch): Seid mir gegrüßt, ihr edlen Ritter …

JÄGER (sein Gewehr an die türnahe Garderobe hängend, den Fasan auf einen leeren Tisch werfend): … und fahrts min Orsch durchs Fenstergitter!

ALTER und RUNDE (grüßen durcheinander, wieder mit mehr oder weniger deutlichen Arm-Erhebungen): Heil! …

JÄGER: Heil, allerseits! (Hebt die Hand, winkt aber dann)

ALTER (zur Säuferin): Na, hast heut aa scho dei Runde gmacht?

SÄUFERIN: Dir wer i des sagn!

JÄGER (zur Wirtin): Mm, da riachts aber guat! Laßt lei an Speck aus?

WIRTIN: Ja, fünfzehn Kilo. Es geht scho was weg, so alle Tag.

SÄUFERIN (zur Wirtin): I sag dirs: die Büdaausstellung im Ort – na, des muaßt gsehn habn! Na wirkli – was de heit zsammaln – des kann jeder Aff mim Schwaf. (RUNDE lacht genüßlich.) Da sieht ma wieder amol, was mit unsere Steiergöda gschicht.

JÄGER (am Fahrertisch): Derf i mi dahersetzn?

FAHRER: Aber ja, kommen S nur, Herr Nachbar.

JÄGER (setzt sich): Danke.

SÄUFERIN (bleibt beim Thema): Was des bedeuten soll, des waaß ka Mensch!

ALTER: Des wü i erst garnet verstehn! Kummt alles vo de Juden und vo de Nega. (RUNDE stimmt zu.) Hamma des braucht? Schauts eich a Büdl von Waldmüller an – oder aa a Büdl von Meister. Da sixt jede Faltn im Gwand. Da schaun de Häuser no aus wia Häuser. Alles klar und deutlich – aber die Heitigen??

(RUNDE stimmt zu.)

FAHRER: Wann mei Bua so anfangert zum maln, so Teppenbüda, i glaub, i haurat eahm de Pratzn o! (Lacht und trinkt sein Viertel aus.) (Tuschelnd:) Sagns amal, Herr Nachbar, der Meister (deutet Richtung Toilette) hat gmaln?

ALTER: Ja! Und schee sogar!

FAHRER: Geh!

ALTER: Für Farben und Formen kann er sich ereifern. Wollt ja Maler werden, wiar a jung war. Oder Baumaster oder Architekt oder …

FAHRER: Na ja, na, Maler is er do eh wordn –

SÄUFERIN: Ja – aber Zimmermaler und Tapetenpicker!

FAHRER: Frau Wirtin, bittschen zahln, ja?

(Am Toilettenausgang: MEISTER mit BUB, dem er anscheinend gerade eine Rede gehalten hat.)

MEISTER: … Also von höchster Wichtigkeit ist die Ausbildung der Willens- und Entschlußkraft – sowie die Pflege der Verantwortungsfreudigkeit.

BUB (wieder starr zuhörend)

FAHRER (tritt dazu. Zum Buben): Was hast denn du da z suchen?! Hab i da net gsagt, du sollst im Wagen bleibn?

BUB: I war ja nur …

MEISTER: Is a aufrechter Bua!

FAHRER: Bei mir gibts kane Würschtln! Mei Bua, der soll amal a anständiger, pflichtbewußter Mensch wern, gö? Also!

MEISTER: Brav! (autokratisch die Wange des Buben tätschelnd) Sixt, sowas gfallt ma!

FAHRER (zum Buben): Also kumm, gemma! Jetzt marschier, geh, geh! (Zum Meister:) Wiederschaun! (Packt den Buben unsanft, ab durch den Gartenausgang.)

MEISTER (schaut ihnen nach): Aber is leider nix dahinter. Falln um, im Ernstfall, wia die Kegeln. Is ja ka Führung heut – ka Führung –

(gekürzt)

Friederike Mayröcker

Best of Gangan [in Print]
aus: ganganbuch 3, 1986

Ein Gedicht

wie weit musz man gehen um ein flammendes Lamm zu finden

hab ich (abgetrotzt) diese
Zeile des Hochspannungs-
feuerwerks funkelnd über der sumpfigen
Wiese, im Tal die Glocken im Buschwerk rührt
sich ein Vogelpaar, über der Senke glitzern
die silbernen Drähte, diamantenen
Porzellanhütchen der Masten, ein Erdrutsch und
schwebende Falter dort wo die Lupinen
stehen, schlohgelbe Sturzflut … Knoten
der Bäuerin, Haarknoten am Hinterkopf, was
bedeutet dieser riesige Haarknoten, prall und
festgezurrt, nach hinten gestrafft, jedes Haar ist
zu spüren und wie es beigibt, pariert (so brünett), pfeil-
blaue Luft, Schwalben als Giebel, im
Dämmer zwei Fledermäuse zwischen den Wipfeln
der Fichten, betäubender Duft
der rosa Bauernrosen am Tor, die das Feuchte lieben, nach
den Gewittern, Weberknechte und Spinnen, ziehen
bedächtig über das naszgeregnete Tischtuch des Garten-
tisches, ausgehirnt
pfeilen die Stare, hanghoch und Nessel-
hemd der korpulente Schatten (der Ruhm) wirft sich vor
der Sonne ins Knie