Glanz@Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik
© by Herbert Debes & Kurt Otterbacher

 
 

Volk ohne Traum XXIII

 


Ein Statement von Uve Schmidt







Gott ist Atheist.

Seit Anfang Oktober boten die Supermärkte bereits Christstollen an, welche weder aus China importiert, noch von illegalen Indochinesen in Sachsen gefälscht worden sind und gleich gar nicht in einer am Kirchenkalender orientierten Klosterbäckerei entstanden, sondern an profanen Fließbändern zwischen Lübeck und Lindau hergestellt wurden, womöglich von Muslimen und Atheisten, und so meldete der ostasiatische Trendscout seiner Handelskammer: In Deutschland weihnachtet es immer früher – tüchtige Tiger, haltet euch ran! Ähnlich motiviert scheinen mir jene Mitglieder des Menschenzoos – darunter diverse Adler -, welche just zur selben Zeit ihre Wünsche vortrugen in Form von Rechtsansprüchen auf deutsche Hoheitsgewässer (Polen), deutsche Kunstwerke (USA, GB u.a.), deutsche Staatsbürger südjütländischer Zunge (Dänemark), deutsches Bargeld (Serbien u.a.), deutsche Soldaten (Kanada), deutsche Firmen (alle Welt), welchletztere zwar bezahlt werden, unser Volksvermögen aber mitnichten mehren, im Gegenteil. Glaubte die polnische Admiralität, unsere Marine kreuzt komplett und unabkömmlich in den Tropen? Denken die Dänen, die Flensburger Feuerwehr würde nicht mit der Kopenhagener Schlosswache fertig? Haben anglo-amerikanische Restitutionsanwälte entdeckt, daß der Kölner Dom auf einem jüdischen Gebeinfeld errichtet wurde??

Seit Olim hockten die Bewohner der nördlichen und gemäßigten Breiten mit Beginn der kalten Jahreszeit ums Feuer und grübelten über ihr geopolitisches Schicksal, bis mit den Schneeglöckchen der Furor der sozialen Empörung aufbrach. Marx (oder Engels) nannte diese Phasen die vorrevolutionäre Saison, denn wer die miesen Monate überstanden hatte ohne Wild- und Holzdieberei, stand im Frühjahr ohne Saatgut da oder war verschuldet, ein dem Landfrieden unzuträglicher Teufelskreis, welcher nicht einfach durch Gründung eines Dorfsowjet überwunden werden konnte, dannzumal, wenn Mißernten und andere Heimsuchungen das Elend des Volkes perpetuierten. So wurde die Idee einer Religion der Liebe und Brotsuppen gern angenommen. Es versteht sich, daß die christliche Lehre erst jenseits von Israel reüssieren konnte, vor allem als Staatsreligion des modernsten Imperiums der Erde, eines Kaiserreichs, dem nicht das Seelenheil seiner Bürger und die Wohlfahrt der Unterschicht am Herzen lagen, sondern die Sicherheit des Reiches und die Erhaltung der Besitzstände; die Botschaft der Bergpredigt war eine Sättigungsbeilage zur Armenspeisung und spielte erst gegen Ende des 20.Jahrhunderts eine Gastrolle als Ideologie-Ersatz der SPD…

Seit dem 8.11.06 hat Jesus Christus seine erste wirkliche Wahlniederlage im Weltmaßstab hinnehmen müssen, denn die USA sind die führende Weltmacht und Bush jun. ihr erster theokratisch inspirierter Präsident, dem trotz seiner irdischen Heerscharen bibelgläubiger Votanten die Entmachtung droht wegen Erfolglosigkeit im Kampf gegen offenkundig gottgefälligere Gegner. Doch wie steht’s in Europa, in der historischen Heimat aller evangelikalen Klüngel und Kirchen? Während in Lateinamerika die linken Populisten (mit dezenter Fürbitte des Vatikans) triumphieren, kommen in Deutschland auf jede verwaiste Pfarrstelle tausend pseudoreligiöse Dienstleiter und auf jedes leere Gotteshaus christlicher Konfession neue Gebetsstätten nichtchristlicher Bekenntnisse. Kein Wunder, daß DER SPIEGEL (Nr. 43) mit echter Erleichterung und nicht geringer Schadenfreude titelte (S.188): Glücklicher ohne Gott. Und weiter in den Sublines: „Evolutionsbiologen wehren sich. Ihre These: Religionen sind das eigentliche Übel unserer Zeit.“ Diese Erkenntnis ist nicht neu, sie ist wahrscheinlich ebenso urchristlich wie mosaisch und altägyptisch. Allerdings haben sich die meisten Religionskritiker nicht als radikale Rationalisten ausgetobt, sondern als Reformatoren oder Gründer neuer Glaubensgebilde, und weil jeder der Schurkerei beschuldigte Schamane sofort durch einen neuen Schweinepriester ersetzt wurde, mußten erst die Jakobiner die Vernunft anbeten lassen und schließlich die Bolschewiki die Religionen in allen Erscheinungsformen zum arbeiterundbauernstaatsfeindlichen Aberglauben erklären und entsprechend bekämpfen, was zwar einen atheistischen Alltag etablierte, aber nicht zur Vernichtung aller organischen und anorganischen Glaubensträger führte, so daß die Rückkehr der Geistlichkeit und der offenen Volksfrömmigkeit im Grossen Krieg (1941-45) sowie mit der Perestroika die Renaissance der Orthodoxie beinahe bruchlos in allen Ämtern und Ehren sich vollenden konnte. Daß der Russisch-Orthodoxe Synod wie eh und je sich als Säule eines autoritären Systems erweist, während unsere vereinigungsgeilen Synodalen das lutherische Kultur- und Geisteswerk („die feste Burg“) nach Kräften ruinieren (nicht den Katholiken zuliebe, sondern den Linken und Liberalen zu Gefallen!), verdüstert jede luminöse Aussicht. Strahlender als das Papsttum könnte selbst Hollywood nicht die Wiedereinführung der Monarchie in Israel (Haus David) inszenieren und selbstredend müßte der Messias aus einem Ufo klettern und nicht im Gazastreifen erschossen werden.
Auf mehr können wir nicht hoffen, ausser, wir hülfen uns selbst, u.a. zu der tröstlichen bis mißlichen Erkenntnis, daß man Religionen nicht ausrotten kann, schon gar nicht, wenn ihre Glaubenspraxis die den Märtyrerkult kennt und feiert. Ansonsten fördern Religionen den interkulturellen Diskurs und die Spendenfreudigkeit, die Hausbäckerei und die Friedhofsfloristik. Wer keine religiöse Erziehung erfährt, lebt deswegen nicht in spiritueller Ahnungslosigkeit und absoluter Gottferne; ich bin sogar sicher: Gott ist Atheist. Zwangsläufig und exklusiv, denn wie könnte ER sich gemein machen mit manifesten Gottesleugnern á la Reich-Ranicki, welche lediglich als Egozentriker keine anderen Götter dulden über sich. Natürlich kann man das religiöse Leben ignorieren, bis man über einen Gebetsteppich stolpert oder auf der heiligen Kuhkacke ausrutscht, indes muß niemand fürchten, in Deutschland wegen Marienkränkung oder Schändung einer alten Matze gelyncht zu werden. Hingegen muß man sich nicht in frommen Texten versenken, um herauszufinden, daß lange vor den Göttern das Gold unter die Menschen kam, und genau das dürfte auch weiterhin die kapitalste Wurzel allen Übels bleiben, AMEN.

P.S. Und nun werfen Sie bitte nicht Ihr schönes Geld aus dem Fenster – Frohe Festtage!
 


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