Glanz@Elend |
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Volk ohne Traum XV |
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Der Nation fiel ein Stein vom Herzen, als wir die Familie Chrobog wieder auf dem deutschen Boden unserer Botschaft in Sanaa wussten, womöglich bei Heringssalat, Rotkäppchensekt und Knallbonbons, denn Sylvester stand bevor. Die Vorstellung, dass die Entführten noch wochenlang (weil im Jemen ab Mittag das gesamte öffentliche Leben ruht, da dann alle Respektspersonen, also 90% der erwachsenen Männer das berauschende Kat kauen und vor dem Frühstück kein Schwein ans Diensttelefon geht) unser Fernsehprogramm obstruieren könnten, war ebenso bedrückend wie die Aussicht, es könnte immer so weitergehen, wobei ja bei jedem bewaffneten Verlauf über der TV- Gemeinde das Krummschwert der Bedrohung schwebt, die Unterhaltungsprogramme inklusive Fußball könnten als pietätlos zusammengestrichen werden und unsere geliebten Showmaster und Comedians zur Truppenbetreuung in die muselmanischen deutschen Schutzgebiete abrücken. In Vertiefung meiner Lageanalyse fiel mir freilich auf, dass wir uns selbst die längste Zeit schon quasi im Jemen befinden, im Irak oder auf Indonesien in terroristischen Entführerhänden, denn Vorraussetzung für unsere Gefährdung und möglichen Verluste an Geld, Gesundheit oder Leben ist unsre Wahl des Aufenthaltsortes, z.B. ein bequemer Fernsehsessel daheim. Eigentlich will man sich nur etwas informieren und gut unterhalten sein, doch im Nu begeben wir uns per Knopfdruck in die Krallen einer Kidnappergang, dem öffentlich- rechtlichen Fernsehen, Anstalten, welche uns unerbittlich in die Treuehaft ihrer Programmpolitik nehmen, unterworfen dem Prinzip der Wiederholung bis zur Vergreisung. Natürlich merken wir schon seit Jahren, dass immer hemmungsloser wiederholt wird, wobei wir es nicht zu tun haben mit Sonntagsbraten, Fischfreitag und dem Montagseintopf einer unbezahlbaren Mutti am Herd, die mit sich reden lässt, sondern mit den Schaufenstern einer Mediendiktatur, deren Chefdekorateure nicht Inhalte unterbringen, sondern Leergut garnieren. Wie es ausschaut, sind ZDF und ARD entschlossen, sich mit den „besten Filmen der Welt“ (o.s.ä.) rund um die Uhr als kaltherzige Kaffee-Automaten zu verewigen und ansonsten das gute Übliche (Kochen, Basteln, Raten, Reisen, Tiere lieben) und das ungute Übliche (Sex & Crime) auszustrahlen, wovon Entführungen im Ausland beinahe alle Ressorts beschäftigen, ausser Sport, Musik und Kinderkack, und natürlich wissen die Fernsehmacher, wieviel mehr Zuschauer sie hätten, wenn der Ethikrat die Empfehlung ausspräche, die Enthauptungen auf den Bekennerfilmchen nicht kurz vor dem Schwertstreich zu stoppen, sondern die Exekutionen ungeschnitten wiederzugeben, doch ich fürchte, darauf käme es garnicht an, denn die schonende Version bindet vermutlich mehr Glotzer , als eine versprochene Vollstreckung, der viele Zuschauer anstandshalber fernblieben, hingegen verheißt die gewohnte blutarme Berichterstattung, es könnte vielleicht doch einmal passieren, dass uns das Überraschungs-Ei vor die Filzpantoffeln rollt… Allerdings: Sobald die Entführungen überhandnehmen, wird die diesbezügliche Sonderberichterstattung abnehmen, aber unsere Entführung und Festsetzung fortdauern, und niemand entblöde sich, auf den Abschalter oder Vorschlaghammer hinzuweisen, um unsere Befreiung zu bewirken. Wir sehen gern fern und wollen es weiterhin tun, aber wir wollen nicht die Opfer einer permanenten politischen Erpressung sein: Willste gucken, musste schlucken! Dabei geht es gar nicht um die eine oder andere widerliche Zwangszufuhr, der wir durch Drehen des Kopfes oder Schließen der Augen ausweichen, sondern um die gestohlene Zeit, denn wir können weder der Werbung in eigner Sache des Senders vertrauen, noch den Programmzeitschriften, noch dem Timing. Und wenn wiedermal entführt wird – etwa der Damenkegelclub des Bundestages unterwegs in Nordzypern – erfahren wir weder, wie lang die Extrareportage dauert, noch, wohin die dadurch ausgefallene, von uns erwartete Sendung verschoben wird, womöglich auf Sankt Nimmerlein, und wenn in einen aktuellen Entführungsfall Johannes Heesters Ableben platzt, dann müssen wir zu den News aus der Hijackerszene wochenlang alte UFA-Revuen uns reinwürgen. Oder zu den Privaten umsteigen. Falls diese und andere Zumutungen der progressiven TV-Taktik uns gänzlich unberührt lassen, weil wir eh längst abgeschaltet haben, sollte uns bewusst sein, dass damit Deutschland nicht gedient ist. Im Gegensatz zu Mitbürgern, die sich nie ein Gerät angeschafft haben, ärgern sich die Gernseher und Europatrioten aus tiefster Seele die Krätze an den Hals. Letzteres ist nicht beabsichtigt, wird von den Verantwortlichen aber hingenommen, um höherer Interessen willen; wer von ihnen pensionsreif und bitter geworden ist, klagt über den Niedergang des idealen Massenmediums, über den Abstieg vom Aufklärungsinstrument zum „Bügelfernsehen“ (Jürgen Bertram, MATTSCHEIBE, Das Ende der Fernsehkultur, Fischertaschenbuch). Worum geht es dann, wenn nicht nur ums Geld, ein legitimes und begrüßenswertes Motiv, solange es primär zum Nutzen der Gebührenzahler befolgt wird?! Wir wissen es nicht, ahnen es aber. Man muss kein notorischer Ehebrecher und Einsteigdieb sein, um heikle Verstecke unter belegten Liegemöbeln kennengelernt und die Erfahrung gemacht zu haben, dass die wenigsten Leute unter ihr Bett schauen, wenn sie sich fürchten. Wir sollten genauer und öfter hinter die Glotze gucken, sozusagen, um vorerst festzustellen: Die vom Fernsehen (Lübbe, 1973) sind machtlose Erfüllungsgehilfen, die Berlusconis sind Großkaufleute im alten Wortsinne und die Sabans sammeln Weltrechte im weitesten Wortsinne. Der Feind unterm Bett ist unser staatsbürgerliches Hasenherz, es klopft wie ein geheimes Pausenzeichen pochpochpoch poooch… |
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