![]() |
Gran, SaraDas Ende der LügenOriginaltitel: The Infinite Blacktop
Verfügbarkeit: Portofrei 16.00 € Unsere Meinung:Die erste Druckerei war die falsche. Sie wurde von einem kleinen, fröhlichen orthodoxen Juden namens Ray geführt. Ray war nett, bat mich in sein unordentliches Büro und bestand darauf, dass ich mich setzte und ein wenig mit ihm plauderte, von Mensch zu Mensch. Auf nichts hatte ich weniger Lust, aber ich wusste, dass ich einen Gang runterschalten und meine innere Anspannung lösen musste. Ich preschte viel zu schnell voran und würde wichtige Zeichen übersehen, aber ich konnte nicht anders. Ich hatte Angst.
(S. 173) --- Auch der dritte Krimi mit der „besten Detektivin der Welt“ (Eigeneinschätzung) Claire DeWitt war wieder eine herz- und hirnerfrischende Lektüre, ein Leseerlebnis, das an die Seele geht, darin herumbohrt und sie aber auch erhebt. Diese Detektivin ist verrückt, genial, unverwüstlich, ein Energiebündel voller Unbedingtheit, und man möchte ihr im wirklichen Leben vielleicht nicht unbedingt wirklich begegnen, geschweige denn von ihr ausgefragt werden, oder Schlimmeres. „Das Ende der Lügen“ spielt auf drei Zeitebenen. Las Vegas, 2011: „Der Fall des Unendlichen Asphalts“ (so auch der Originaltitel des Romans: „The Infinite Blacktop“). New York, 1985/1986: „Spur zum Beinhaus“. Und Los Angeles, 1999: „Das Rätsel des KBSE“. Und als Bonus gibt‘s gegen Ende des einen Handlungsstrangs noch eine Binnenstory, nämlich die letzte und gar nicht mehr lustige Detektivstory um Claires fiktive Jugendheldin, die „beste Teenagerdetektivin der Welt“ (so der unbekannte Erzähler und Verfasser, übrigens stilistisch herrlich schlecht) Cynthia Silverton, deren ominösen Kleinstauflagen-Abenteuerbänden Claire unter anderem auch die ganze Zeit hinterherjagt. --- Ich zeigte Ray den ausgedruckten Scan des Comics. Ich mochte sein Büro. Um uns herum türmten sich Stapel aus Briefpapier, Visitenkarten und Broschüren auf. Ich fühlte mich wie in einem Kokon aus Pappe, wie durch eine Hecke von der Außenwelt getrennt. „Das waren wir nicht“, sagte er, nachdem er sich ein paar Seiten angesehen hatte. „Sehr einfallsreiche Gestaltung. Hübsch. Und Sie sind sicher, dass das in Las Vegas hergestellt wurde?“ „Eigentlich nicht“, sagte ich. „Es ist nur eine Vermutung.“ „Gebunden?“, fragte er. „Geheftet“, sagte ich. „Auflage?“ Das wusste ich nicht. (S. 173) --- Das ist mitreißend und schwungvoll erzählt; es geht gleich mit einem knapp überlebten Autounfall der Heldin los, der sich als Mordversuch herausstellt; genau wie die Heldin auf allen drei Zeitebenen kommt man eigentlich kaum zum Verschnaufen. Und doch. Irgendwann muss man das Buch ja mal aus der Hand legen. Vielleicht zwischen zwei Kapiteln, wenn wieder die Zeitebenen wechseln. Und wundert sich dann. Der Plot schnurrt bei aller Rasanz oft nach dem ganz klassischen Schema eines Detektivromans à la Ross Macdonald ab: Die Heldin sucht Leute auf und quetscht sie aus, fühlt sich ein, fühlt ihnen auf den Zahn. Und wie bei Ross Macdonald hat das immer wieder was vom psychoanalytischen Bohren in den persönlichen Vergangenheiten, in den unaufgeräumten und absichtlich vergessenen Rumpelkammern der Seelen. Andererseits kommt man sich beim Lesen auch manchmal plötzlich vor, als wäre man in eine Geschichte von Franz Kafka reingerutscht. Vor allem Claires Kampf mit dem KBSE, dem Kalifornischen Büro für Sicherheit und Ermittlungsdienstleistungen: für sie selbst kafkaesk, absurd, für uns beim Lesen aber auch sehr witzig. --- Er untersuchte den Scan ein drittes Mal, schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder und sagte: „Versuchen Sie es mal bei DeLuxe, drüben in Henderson. Streng genommen gehört das gar nicht zu Las Vegas, aber in Henderson behaupten natürlich alle das Gegenteil, wegen des Prestiges. Alle wollen sagen, sie wären in Las Vegas, aber keiner will wirklich in Las Vegas sein.“ Ich fand, dass das eine gute Zusammenfassung von so ziemlich allem war. Ich bedankte mich und ging. (S. 173/174) --- Was ich ganz besonders an ihr (Sara Gran / Claire DeWitt – Erstere schreibt sich mit Letzterer wahrscheinlich die eigene Verrücktheit von der Seele, oder die großen Fragen, die großen Rätsel, an denen man irre werden kann) liebe, das sind diese absoluten, unbedingten Sätze immer wieder zwischenrein, die zu toll und zu groß sind, um ganz wahr zu sein, die daherkommen wie philosophische Weisheiten – nanu, sind wir jetzt plötzlich kurz von Kafka mal zu Wittgenstein oder gar zum jungen Nietzsche rübergerutscht? Sie haut einem jedenfalls immer wieder solche Megasätze um die Ohren, die dazu bringen, dazu zwingen, über sich und das eigene kurze, vertane Leben nachzudenken, und über die Möglichkeiten, einfach ein ganz neues Leben anzufangen, und über das eine große Rätsel: Erkenne dich selbst. Ja, dies alles kann in einem witzigen flotten Detektivkrimi stecken. Wow! P.S.: Sehr gut übersetzt von Eva Bonné! P.P.S.: Vor diesem dritten zumindest den ersten Roman der Serie lesen, „Die Stadt der Toten“! P.P.P.S.: Und genau das werde ich jetzt tun – die ersten beiden Romane noch mal lesen! [RS/03.04.2019] ![]() |