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"Diese Texte ziehen durch Intensität und Eleganz in den Bann, doch sie betäuben nicht. Vielmehr führen sie hinaus in die Weite.(...) Eduardo Halfon ist einer der bemerkenswertesten lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart.“ Martina Läubli, Neue Zürcher Zeitung, 12./13.04.17
"Die Geschichte dieser Reise nach Polen (…) beschließt dieses Buch. (…) sie enthält wie in einer Nussschale alles, was diesen Weltreisenden aus Guatemala zu einem höchst bemerkenswerten Schriftsteller macht." Andreas Wirthensohn, WDR 3 Mosaik, 25.01.17
"Dieses brillante Buch (…) ist nur ein weiterer Baustein in diesem Großroman. Das Erzähler-Ich ist hier das Ich-Ich, also Eduardo Halfon, der durch seinen Blick auf die Welt alles zusammenhält, durch sein Staunen und durch seine Furcht, und der jedem Vorfall mit unnachahmlicher Gelassenheit begegnet, mit einer Prosa der scharfsinnigen Ruhe, falls es so etwas gibt.“ Ralph Hammerthaler, Süddeutsche Zeitung, 26.01.17
„Halfon schreibt unaufgeregt, trocken und mit einer feinen Beobachtungsgabe“ Jörn Birkholz, Junge Welt, 11.01.17
"Während der historische Reiseroman meistens mit der Rückkehr des Helden schließt, endet Halfon also wieder in Polen, bei seinem Großvater gewissermaßen. Dorthin kehrt er zurück. Seine Heimat ist das nicht, denn Heimat, so scheint es, ist immer woanders. Und das Ich ist immer ein anderer. Deswegen kann die Reise nicht aufhören. Und das Schreiben auch nicht. Im Falle von Eduardo Halfon ist das auch gut so. Zumindest für die Leser." Konstantin Ulmer, Zeit Online, 09.01.17
"So ist dieses Buch weniger ein Roman, wie der Verlag behauptet, als eine Art Kaleidoskop: Fragen nach Herkunft und Zugehörigkeit und disparate Reisen, die sich, durcheinander geschüttelt, zu verblüffenden Mustern formen." Katharina Döbler, Deutschlandradio Kultur, 30.12.16
"Er erweist sich – Roman hin oder her – als ein großartiger Erzähler (und Luis Ruby als adäquat kühler Übersetzer), weil das Buch die eben zitierte Technik des Memorierens weiterhin ernst nimmt und keine Deutungen des darin Erzählten vorgibt." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.16
"Ein wunderbar eleganter Ton und ein schöner Sinn fürs Groteske bestimmen das immer kolossal unterhaltsame Erzählen dieses 1971 geborenen Autors, der das Leben als Irrfahrt begreift, in der nur das selbstironische Denken einem noch schönere Abenteuer beschert als die stets ein bisschen lächerliche Begierde nach dem anderen Geschlecht." Wolfgang Höbel, Spiegel Online, 20.12.16
"Die Frage der Identität hat dieser Autor also in vielfacher Weise vermutlich schon mit der Muttermilch aufgesogen; seine Antwort-Versuche in Form von Geschichten sind elegant und auf eine sehr spezielle Weise komisch. Macht Spaß zu lesen, denn Halfon ist ein Könner, der Bescheid weiß, wie das Erzählen funktionieren kann, und der das auch noch umzusetzen vermag - erstklassig."
Ulrich Noller, WDR COSMO Magazin, 20.12.16
"Halfon gelingen ebenso witzige wie gefühlvolle Selbst- und Ortserkundungen jüdischer Identität, die ihn um den halben Erdball treiben.“ Moritz Holler, WDR 5 Bücher, 03.12.16
"Halfons Ich-Erkundungen [gehören] zum Besten […], was auf diesem Gebiet gerade zu lesen ist. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass bei ihm Witz und Melancholie, Komik und bitterster Ernst auf ganz eigene Weise miteinander verwoben sind." Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 26.11.16
"Es geht auch hier wieder um jüdische, guatemaltekische und generell um nonkonforme Identität, auch gegen Normen und Werte des Judentums; um Liebe, Fremdheit und misslungene Kommunikation; um das Festhalten und Erfinden von Momenten des Glücks in einer erbarmungslosen, grotesken Welt. […] Mir erging es beim Lesen wie dem Erzähler: Ich fühlte mich euphorisch und niedergeschlagen zugleich – für mich ein Zeichen großer Literatur.“ Mathias Schnitzler, Berliner Zeitung, 13.10.16
"Halfons glasklare Prosa ermöglicht den Blick in den düsteren Abgrund der europäischen Katastrophe, der der Großvater entkommen ist. Der Zivilisationsbruch der Shoah ist, wie etwa bei Nathan Englander, immer nur einen Gedankensprung entfernt; dank latenter Ironie sind diese Texte komisch und ernsthaft zugleich. Wann genau dabei die Fiktion die Realität über den Tisch zieht und wann umgekehrt, bleibt im Dunkeln." Thomas Hummitzsch, der Freitag, 06.10.16
5 Fragen an …
Eduardo Halfon
Wie der Erzähler in Signor Hoffman, Ihr Alter Ego, der nach Polen, Guatemala, Israel, Italien und in die Vereinigten Staaten reist, sind auch Sie viel unterwegs in der Welt. Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Nirgendwo. Niemals, in keiner Stadt, in der ich gelebt habe oder in die ich gereist bin, habe ich ein nostalgisches Gefühl der Zugehörigkeit, der Heimat verspürt. Früher habe ich gedacht, dass dieses Gefühl, ein Fremder zu sein, darauf zurückzuführen ist, dass meine Familie von Guatemala in die Vereinigten Staaten auswanderte, als ich zehn Jahre alt war. Dort wuchs ich auf und studierte und die englische Sprache wurde mir die vertrauteste. Aber dann verstand ich, dass ich dieses Gefühl der Fremdheit oder des Ausländerseins schon gehabt hatte, noch bevor wir weggingen aus Guatemala, wo ich als jüdisches Kind in einem zutiefst katholischen Land aufwuchs. Es war nicht nur so, dass alle meine Freunde in der Schule Katholiken waren, sondern auch jedes Fest und jeder Feiertag im Land hatte katholische Wurzeln, die nichts mit mir zu tun hatten. Ich verstand nicht, warum in unserem Haus nicht von Heiligen und Jungfrauen gesprochen wurde, warum es bei uns weder Taufen noch Erstkommunionen gab, warum wir nie einen Weihnachtsbaum hatten. Es war, als würde ich auf der Tribüne sitzen, als Zuschauer eines Spiels, bei dem es mir verboten war, mitzuspielen. Und irgendwie sitze ich da immer noch, auf der Tribüne, und schaue und schreibe dieses Spiel von außerhalb.
Jede der Reisen ist auch eine Suche – nach den eigenen Wurzeln, der eigenen Identität. Hilft das bei der Konstruktion von Identität oder löst sich diese nicht vielmehr immer weiter auf?
Ich glaube, dass meine Reisen im Grunde mehr mit einem tiefen Gefühl der Entwurzelung zusammenhängen. Ich reise viel, aber ich reise schlecht. In Flugzeugen wird mir übel, ich schlafe schlecht in Hotels, ich zähle die Tage, bis ich zurückkehre zu meiner Arbeit und der Bequemlichkeit meiner Routine. Doch mir ist bewusst geworden, dass ich bei meinen Reisen immer nach einer Stadt suche, in der ich bleiben kann, wo ich Wurzeln schlagen und eine Hängematte aufhängen kann. Als würde ich durch die Welt reisen und dabei mein eigenes Stück dieser Welt suchen, meine Stadt. Ich habe sie natürlich nie gefunden. Bisher zumindest nicht. Währenddessen laufe ich durch die Welt und lasse dabei vollgeschriebene Seiten hinter mir auf dem Weg zurück, als wären es Brotkrumen, vielleicht um mich nicht zu verirren.
„Ich bin kein Jude mehr, ich bin schon in Rente“, sagt der Erzähler in Signor Hoffman einmal. Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Judentum beschreiben?
Auch wenn es widersprüchlich erscheint, es ist zugleich Abwehr und Suche. Auch in meinem Werk spiegelt sich dieses Gefühl wider, das ich seit Kindheitstagen habe: Einerseits lehne ich das Judentum als aufgezwungene und verpflichtende Religion ab, andererseits ist da eine Notwendigkeit, meine Wurzeln und meine Herkunft zu verstehen. Seit ich denken kann, empfinde ich eine Art von Ablehnung gegenüber dem Judentum, auch wenn ich das als Kind natürlich nicht ausdrücken konnte. Und es war auch keine Ablehnung des Judentums an sich, sondern der Auferlegung eines Glaubens und einer Lebensweise. Du musst daran glauben, du musst dich so verhalten. Aber schon als Kind fühlte ich auch eine unermessliche Neugier, was die Geschichte meiner Großeltern betraf, die Verfolgungen, unter denen sie litten, ihren Exodus und ihr Nomadendasein, ihren Weg nach Guatemala. Dieser Widersprüchlichkeit dieses Risses wurde ich mir erst bewusst, als ich mit dem Schreiben anfing. Meine Figuren verstehen nicht, weil ich nicht verstehe. Ich füge mich nicht in eine aufgezwungene Religion, die seit meiner Geburt schwer auf meinen Schultern liegt, aber gleichzeitig weiß ich auch, dass das Gewicht da ist, dass ich es trage, nicht so sehr als Religion, sondern als Erbe, als Geschichte, als Tradition. Dieser Riss in mir ist eine Wunde. Und beim Schreiben müssen wir den Finger in die Wunde legen, immer, egal welche Folgen das hat.
Der Erzähler in Signor Hoffman heißt ebenfalls Eduardo Halfon. Wie viel sind Sie bereit mit Ihren Lesern zu teilen? Und wo fängt die Fiktion an?
Die naheliegendste Antwort, und die aufrichtigste, ist, dass ich es nicht weiß. Ich habe da nie eine bewusst durchdachte Entscheidung getroffen. Ich habe einfach angefangen, so zu schreiben, seit meiner ersten Kurzgeschichte, Saturn, ein Text über selbstmörderische Schriftsteller und die Beziehung eines jeden zu seinem Vater, geschrieben in der zweiten Person. Es ist ein Brief an einen Vater, der meinem sehr ähnelt, geschrieben von einem Kind, das mir sehr ähnelt, wenn auch ohne die beiden zu benennen. In der Geschichte über den polnischen Boxer trägt der Erzähler dann zum ersten Mal meinen Namen – allerdings hat er nicht meine Persönlichkeit und mein Temperament – und er fängt an, in der Vergangenheit seiner Familie herumzustochern, die auch die meine ist. Und so mache ich weiter, ich bin auf der Suche, um etwas über mich selbst zu verstehen oder zu finden, durch sie. Durch die Geschichten meiner Großeltern, meiner Eltern, meiner Geschwister. Aber obwohl das sonderbar klingt, ist es nicht autobiografisch. Oder zumindest ist das nicht das richtige Wort. Man könnte eher sagen, dass einzig der Ausgangspunkt jeder Geschichte und jedes Buches, das ich schreibe, autobiografisch ist; dass der Hintergrund meines ganzen Werkes, das, was sich hinter dem Vorhang abspielt, meine Autobiografie ist. Aber das Stück, das dann vor diesem Vorhang aufgeführt wird, ist Fiktion.
In Ihrem Werk geht es auch immer wieder um Ihren Großvater, der dank eines polnischen Boxers Auschwitz überlebte. Wie wichtig ist seine Geschichte für Ihr Schreiben?
Ich habe fast sechs Jahre gebraucht, um die Geschichte über den polnischen Boxer zu schreiben, eine Erzählung, die gerade mal zehn Seiten lang ist. Mein Großvater hat mir von seinen Erfahrungen das erste Mal 2001 erzählt. Er hat viel erzählt. Vielleicht vier oder fünf Stunden. Von der Tätowierung auf seinem Unterarm, von seiner Familie, davon, wie die Deutschen ihn im November 1939 gefangen genommen haben, von seinen Erfahrungen in den verschiedenen Konzentrationslagern. Und er hat mir auch, in ein paar Minuten, die Geschichte von einem polnischen Boxer erzählt. Ich wusste sofort, das war die Geschichte von meinem Großvater, das war die Geschichte, die er mir vererbte, und ich habe sie verwahrt. Jahrelang nahm ich sie überallhin mit, Teile von ihr flossen in andere Texte oder Erzählungen ein, doch ich habe mich nie getraut, sie ganz zu erzählen. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht aufgrund meiner Unbehaglichkeit gegenüber dem Judentum. Vielleicht aus Respekt vor meinem Großvater. Vielleicht aus Furcht vor einem so abgegriffenen und so gewaltigen Thema. Bis ich die Geschichte sieben Jahre später endlich aufschrieb. Und diese Erzählung ist zum neuralgischen Punkt nicht nur eines Buches, sondern meines ganzen literarischen Projekts geworden. Als wenn das Anfangsbild – die eintätowierte Nummer auf dem Unterarm meines Großvaters – den Mittelpunkt eines ganzen narrativen Universums darstellt, das sich mir immer weiter öffnet.