5 Fragen an …
Leander Steinkopf
Mögen Sie Berlin eigentlich oder wollten Sie mit der Stadt abrechnen?
Ich stehe Städten mittlerweile gleichgültig gegenüber, ob nun Stuttgart, Frankfurt, Berlin oder sonst was. Ich sehe Vorteile und Nachteile, aber schwinge mich in Bezug auf die Unterschiede dieser schönen Orte nicht mehr zu großen Gefühlen auf. Was Berlin angeht, kann ich aber schon auf ein großes Gefühlsreservoir zurückgreifen, was jedoch vor allem der Lebensphase zuzuschreiben ist, die ich dort verbrachte.
Liebe zu einer Stadt ist stumpfsinnig. Hass auf eine Stadt ist unproduktiv. Ambivalenz, Hassliebe, Zerrissenheit, das ist die richtige Einstellung, um einer Stadt die Ehre zu erweisen und ihre Wahrheit einzufangen. Und natürlich muss ein Buch, das in Berlin spielt und in dem die Stadt selbst keine unwichtige Rolle spielt, die Selbstzufriedenheit genauso zeigen wie die Selbstzweifel, das Sommerabendbier genauso wie die Scherben, die liegen bleiben. Ich mag Berlin als Stadt, in der man schon auf Grund der Architektur an vielen Orten freier atmen, schauen und denken kann als anderswo. Aber gleichzeitig ist Berlin natürlich eine heruntergekommene Metropole ohne große Aussichten, eine Gedankenblase, aus der sich Diskurse nähren, ein Neurosengarten, der dornig wuchert. Dies alles zu benennen, macht Stadt der Feen und Wünsche nicht zu einer Abrechnung, sondern hoffentlich zu einem eindrücklichen Stück Wahrheit der Gegenwart.
Sie leben in München. Hätte Stadt der Feen und Wünsche auch dort spielen können? Was wäre anders?
Ich wollte eine Stimmung einfangen, wie ich sie in bestimmten Momenten in Berlin empfunden habe. Diese Stimmung soll in dem Buch vorherrschen und beim Zuklappen des Buches nachklingen. Das war mein oberstes Ziel. Sie ist für mich mit bestimmten Momenten verbunden und in vielen Fällen auch mit der Stadt Berlin. Ich denke aber, dass sie sich nicht so sehr von dem unterscheidet, was andere Menschen empfinden, wenn sie solche Momente in München, Köln oder Hamburg erlebt haben. Mir berichten Leute, die in Leverkusen oder auf dem platten Land leben, dass sie sich in dem Buch wiedererkennen. Berlin ist also unwichtig.
Trotzdem ist es so, dass viele der Beobachtungen, die das Buch reichhaltig machen, in München nicht möglich gewesen wären, etwa weil die Stadtreinigung hier strenger vorgeht. Außerdem würde ein Protagonist ohne Verpflichtungen dem arbeitsamen München nicht gerecht. Und dann ist Berlin natürlich die Hauptstadt, die meinungsbildende Metropole – was man dort beobachtet und denkt hat eine größere Tragweite für das Verständnis des ganzen Landes und dessen Missverständnisse, ist womöglich diagnostischer für den Zustand Europas und der Welt. Der Gegensatz zum Rest Deutschlands, zu München etwa, ist dabei natürlich wichtig, weshalb in Stadt der Feen und Wünsche ja auch ein Berlinbesucher aus Süddeutschland eine große Rolle spielt.
Der Titel Ihres Buches Stadt der Feen und Wünsche bezieht sich auf ein Zitat von Walter Benjamin. Warum haben Sie diesen Titel gewählt?
Der Titel bezieht sich nicht nur auf das Zitat, das ja auch dem Buch vorangestellt ist, sondern auf eine ganze Geschichte aus der Berliner Kindheit um Neunzehnhundert. Darin behauptet Benjamin zunächst, dass es für jeden Menschen eine Fee gibt, bei der man einen Wunsch frei hat. Allerdings vergisst man den Wunsch im Laufe des Lebens, sodass man gar nicht merkt, wenn er sich erfüllt. Benjamin erzählt dann von seiner Kindheit, in der er einfach nicht aus dem Bett wollte, in der er sich in die Schule quälte und dort auf der Schulbank gleich einschlief. Anschließend blickt er auf seine Gegenwart und auf das, was er als sein größtes Scheitern empfindet: nicht Professor geworden zu sein, nicht Redakteur, einfach keinen festen Job finden zu können. Aber plötzlich erkennt er darin seinen großen Kindheitswunsch wieder: ausschlafen zu können. Dieser Gedanke, nämlich in seinem größten Scheitern die Erfüllung des sehnlichsten Wunsches zu entdecken, ist für mich so stark, dass er meinem Schreiben an dem Buch einen entscheidenden Stups ins Positive gegeben hat. Der Protagonist von Stadt der Feen und Wünsche ist doch eigentlich sehr glücklich damit, dass er nichts erreicht und niemanden zu fassen kriegt, weil er damit eben die Sehnsucht aufrechterhält, die vielleicht sein größter Wunsch ist.
Auf seinem Weg durch die Stadt begegnet Ihr Protagonist den unterschiedlichsten Menschen: dem Marktschreier, der auf dem Türkenmarkt die Gurken anpreist, den Biertrinkern in der U-Bahn am Morgen, den Touristen im Café Einstein, die beschämt aus ihren Reiseführen aufschauen oder den jungen, schönen Menschen in Neukölln, die bewusst alte und hässliche Klamotten tragen. Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Figuren?
Manche Personen basieren auf tatsächlichen Beobachtungen, die ich genauso gemacht habe, die aber erst in der schriftlich verdichteten Form ihre Wirkung entfalten. Andere Personen sind überzeichnete Versionen der Wirklichkeit, die eine tiefere Wahrheit zu Tage treten lassen sollen, die ich aber nicht genau benennen kann. Wieder andere Personen sind frei erfunden, sie sind sträfliche Auslassungen der realen Stadt, die in der Fiktion dringend ergänzt werden müssen. In der Arbeit am Buch wurde die menschliche Besatzung der Stadt der Feen und Wünsche zwingend, nicht die Inspiration für das Einzelne war entscheidend, sondern die Vollständigkeit des Gesamtbildes. Eine unkomplettierte Gesamtbesetzung wäre hier wohl so schmerzhaft, als fehlte einer hochklassigen Fußballmannschaft der Mittelstürmer.
Würden Sie sich selbst als Flaneur bezeichnen?
Es gibt Zuschreibungen, die müssen von außen kommen, damit sie irgendetwas aussagen. Würde man nicht sofort abwinken, wenn sich eine Unbekannte als Intellektuelle vorstellt? Würde jener, der nach äußerem Anschein ein Hipster ist, nicht sofort in unseren Augen aufhören, ein Hipster zu sein, wenn er sich selbst als solchen bezeichnet? Ob ich ein Flaneur bin? Fragt jemand anders!
Und was das Buch und dessen Protagonisten angeht, findet man die Bezeichnung Flaneur zwar in Rezensionen, Ankündigungen und Klappentexten, das Wort Flaneur taucht aber im Buch kein einziges Mal auf. Der Protagonist würde sich gegen eine solche Kategorisierung wehren – genauso wie gegen jede andere, die seine prekäre Individualität irgendwie auf einen Begriff reduzieren will. Nun muss ein literarischer Text aber manchmal auf einen Begriff gebracht werden und so wird Stadt der Feen und Wünsche eben zur Flaneurerzählung, auch wenn der Begriff schon einigen Staub an den Sohlen gesammelt hat. Es wird viel gegangen und viel gesehen in Stadt der Feen und Wünsche, damit passt der Begriff Flaneur, aber viel wichtiger als der Begriff ist das Bild und das Verständnis der Gegenwart, das man aus dem Buch gewinnt.