Fr
17
Mär
2017
München ; Knaur ; 2017 ; 496 Seiten ; ISBN 978-3-426-51574-7
Weihnachten mitten im Sommer, einmal noch Riesenrad fahren im längst stillgelegten Vergnügungspark oder Maria Callas live singen hören - Mathilda Nielsen und ihre Chefin Ingeborg Wehser vom
Institut der letzten Wünsche machen alles möglich.
Schließlich geht es um die Herzenswünsche ihrer todkranken Klienten. Wenn es sein muss, fährt zu diesem Zweck auch mal ein Pony mit der S-Bahn. Die etwas schrullige Mathilda ist einem von Anfang
an sympathisch. Allein die Tatsache, dass sie Teile ihrer Kinderbettwäsche mit so tollen Motiven wie spatenschwingenden Maulwürfen auf ihre Pullover näht und diese so zu absoluten Hinguckern und
Einzelstücken macht, bringt einen immer wieder zum Schmunzeln. Auch ihr Umgang mit dem Hund Eddie, der manchmal wie ein Ersatz-Lebensgefährte agiert, verstärkt dieses Sympathie-Gefühl.
Als der neue Klient Birger Raavenstein im Institut auftaucht, ist sofort klar, dass sich sein Wunsch schwieriger realisieren lässt als alle anderen. Er sucht nach seiner großen Liebe Doreen
Taubenfänger und dem gemeinsamen Kind, denn als Doreen vor über zehn Jahren plötzlich verschwand, erwartete sie ein Kind von ihm.
Mathilda tut alles in ihrer Macht stehende, um Birgers letzten Wunsch zu erfüllen. Doch innerlich sträubt sie sich zunehmend gegen den Gedanken, das Paar wieder vereint zu sehen. Sie hat sich
doch wohl nicht in den Mann mit den stets zerzausten Haaren verliebt? Und warum gerät das Institut plötzlich in Verdacht, illegale Sterbehilfe zu leisten?
Antonia Michaelis ist mit "Das Institut der letzten Wünsche" ein Buch gelungen, das es schafft, das eigentlich ernste Thema "Tod" auf wunderbar
leichte Art zu erzählen. Jeder möchte später einmal vor allem eins: in Frieden sterben. Das kann allerdings manchmal nur gelingen, wenn der eine letzte Herzenswunsch in Erfüllung geht.
Und noch eine Sache klingt immer wieder an: manchmal ist es für die Betroffenen besser, sie endlich gehen zu lassen, anstatt sie mit allen Mitteln am Leben halten zu wollen.
Der Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben ist letztlich auch der Auslöser, warum in der Geschichte alles ins Wanken gerät.
Fazit: Ein eigentlich ernstes Thema ganz wunderbar verpackt und erzählt. Absolut empfehlenswerte und unterhaltsame Lektüre.
Sonja Kraus
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Antonia Michaelis bei amazon.de
© 2017 Sonja Kraus, Harald Kloth
Do
16
Mär
2017
München ; Knaur Verlag ; 2017 ; 419 Seiten ; ISBN: 978-3-426-51970-7
Fred Abel, Rechtsmediziner beim BKA in Berlin
ist nach einer längeren Auszeit wieder im Dienst. Vor mehr als einem Jahr wurde er Opfer eines brutalen Überfalls. Seit dieser Zeit wird er von massiven Albträumen heimgesucht. In Berlin läuft
die Fahndung nach dem „Darkroom-Killer“, doch die Polizei hat keine konkreten Hinweise, wer der Täter sein könnte. Fred obduziert ein weiteres Opfer und findet das entscheidende Puzzleteil.
Im schwülheißen Berlin vergnügen sich derweil die beiden Kinder von Fred Abel, die ihren Vater besuchen. Noah und Manon wohnen ansonsten bei ihrer Mutter Claire auf Guadeloupe. Beide werden von
einem angeblichen Assistenten Freds in einem Cafe abgeholt. Schnell stellt sich aber heraus, dass weder der Assistent in Wirklichkeit existiert noch der Auftrag, die Kinder abzuholen. Ein
Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn allen ist nun klar, dass die Kinder entführt wurden.
Gott sei Dank hat Fred noch Kontakt zu seinem alten Freund Lars, den er noch aus Bundeswehrzeiten kennt, und der heute private Ermittlungen durchführt. Zusammen mit ihm, dem Profiler Timo und der
IT Spezialistin Sara beginnt für Fred Abel eine nervenaufreibende Jagd.
Zu allem Überfluss will sich auch noch der „Darkroom-Killer“ an dem Rechtsmediziner rächen. Seine eigene Vergangenheit hat massiven Einfluss auf die Ereignisse der Gegenwart, was Fred Abel mehr
und mehr bewusst wird. Zerbrochen ist der dritte Teil der Trilogie um den Rechtsmediziner Fred Abel.
Nach "Zerschunden" und "Zersetzt" laufen im dritten Teil die Fäden zusammen. Der
Plot ist spannend aufgebaut und die Bezüge zu den beiden vorherigen Teilen sind sehr gut gelungen. Beim Lesen von "Zerbrochen" setzt sehr schnell das Erinnerungsvermögen an die beiden früheren
Bände ein. Fraglich ist, ob der Leser, der die ersten beiden Teile nicht gelesen hat, beim Lesen die gleiche Freude erlebt. Michael Tsokos bleibt seiner Linie treu, man kann nur hoffen, dass es
nicht bei der Trilogie bleibt (beim Lesen des Nachworts kommt diesbezüglich Hoffnung auf).
Fazit: Ein Thriller, der einen immer wieder erschauern lässt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass er auf wahren Fällen basiert.
Matthias Wagner
So
12
Mär
2017
München ; dtv ; 2016 ; 171 Seiten ; ISBN 978-3-423-14256-4
Dieses mittlerweile in der sechsten Auflage erscheinende und von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop herausgegebene Büchlein ist wirklich empfehlenswert.
Mascha Kaléko, die Lyrikerin mit galizischen Wurzeln zählt zu den bedeutendsten Dichterinnen des 20.
Jahrhunderts. In diesem Band sind Gedankensplitter, Briefauszüge, Tagebucheinträge und Gedichte der Autorin versammelt, die sich mit allen Facetten des menschlichen Daseins befassen.
Mal nachdenklich, mal mit einem Augenzwinkern - stets aber sehr klug formuliert geht es um Freundschaft, Liebe, Geld, Krankheit und Tod.
Die Lebensklugheit, die aus den Texten spricht, macht das Buch insbesondere in einer Zeit der allgemeinen Orientierungslosigkeit so wertvoll.
Man sollte dieses kleine aber feine Büchlein von Zeit zu Zeit immer mal wieder in die Hand nehmen und darin schmökern. Wenn es wirklich eine "lyrische Hausapotheke" geben sollte, dann hat dieses
Buch auf alle Fälle ein fester Bestandteil davon zu sein.
Fazit: dieses Buch sollte in keinem Haushalt fehlen!
Sonja Kraus
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© 2017 Sonja Kraus, Harald Kloth
Sa
11
Mär
2017
Bochum ; tacheles!/ROOF Music ; 2017 ; 1 CD ; ISBN: 978-3-86484-426-3
Seethaler muss man mögen - oder man tut es nicht. Langatmig die Geschichte "Die weiteren Aussichten", die Sprache dialektgefärbt und primitiv mit permanenten Wortwiederholungen. Die versuchte
Poesie, die Weltsicht des Protagonisten Herbert Szevko wirkt komplett naiv. Knappe und inhaltsleere Dialoge zwischen den Figuren und die Lesung des Autors langsam, gedehnt und mit zum Einschlafen
langweiliger Stimmführung. Hinzu kommen die zahllosen Klischees, mit denen ausgestattet der Autor seine grenzdebilen Figuren in die dörfliche Landschaft entlässt: Herbert als epileptisches
Muttersöhnchen einer Tankstellenbesitzerin, der zu dumm ist, auf die Idee zu kommen, das Fenster zu öffnen, wenn die Luft im Raum heiß und stickig ist, dafür ausgestattet mit Zierfisch Georg als
Haustier. Dann die dickliche Hilde, Reinigungskraft im örtlichen Hallenbad, die ständig als "prall" und "ohne Frisur" beschrieben wird. Schließlich die Mutter, über den Sohn wachend, die Hilde
zunächst als Feindin ansieht und Volksmusiksendungen liebt.
Das erste Date zwischen Herbert und Hilde führt die beiden auf das Große Sauschlachtfest im Dorf und lässt sie, zu David Hasselhoff tanzend, einander näher kommen. Nicht fehlen darf der ständig
stockbesoffene Rivale, dessen Ausschaltung zumindest eine gewisse Wendung ins Unerwartete ermöglicht.
Die Geschichte zieht sich jedoch dennoch zäh wie Kaugummi, die Naivheit der Figuren bleibt unerträglich und das Wort "Scheiße" ist das einzige, das aus dem Duktus heraussticht (dieses verwendet
der Autor dafür exzessiv). Der Leser bzw. Hörer hofft, es möge irgendein Lichtblick am Horizont erscheinen, jedoch vergeblich.
Wie gesagt: das muss man mögen oder mit einigem guten Willen "liebevoll" nennen, um es aushalten zu können. Ansonsten: reine Zeitverschwendung!
Christa Roßmann
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© 2017 Christa Roßmann, Harald Kloth
So
05
Mär
2017
4 MP3-CDs, 24 Stunden 25 Minuten
Bochum ; Tacheles!/Roof Music ; 2016 ; 4 MP3-CDs ; ISBN 9783864844010
Dem vorliegenden Hörbuch “Der König auf Camelot”, welches die König Artus-Sage erzählt, liegt die recht modern und witzig erzählte
vierbändige Buchausgabe des britischen Schriftstellers T. H. White zugrunde. Nun wurde das Werk von dem Kabarettisten Jochen Malmsheimer eingelesen, wohlgemerkt alle vier Teile in ungekürzter
Form, was insgesamt über 24 Hörstunden auf 4 MP3-CDs ergibt. Das eigentlich Fantastische dabei ist, dass Malmsheimer es schafft, ein Ein-Mann-Hörspiel daraus zu machen, da er für sämtliche
Personen, die im Stück auftreten, eine überzeugende eigene Stimme parat hat und er somit alle Rollen einmalig treffend „besetzt“ und selbst liest. Diese Leistung ist überragend und trägt
entscheidend zum grandiosen Hörgenuss bei. Man freut sich z.B. immer wieder auf die zittrige Stimme von König Pellinor oder erkennt jede andere Figur sofort am ersten, stimmtypisch gesprochenen
Wort, so etwa Zauberer Merlin an dem immer etwas philosophischen Timbre in der Stimme oder den steinalten Saint Toddelwaut an seinem Gehuste und Gekrächze. Überdies versteht Malmsheimer es sogar,
die Stimmen im Laufe der Zeit altern zu lassen, etwa aus der Stimme des jungen Knaben Artus die eines greisen Königs werden zu lassen.
Die Artus-Sage nach T. H. White ist aus vielen Elementen zusammengesetzt: der Schauplatz ist das mittelalterliche Britannien, die Geschichte ist mit ein wenig Tolkienscher Fantasy gewürzt und bis hin zu nahezu moderner Satire mit vielen witzigen und auch aktuellen Einsprengseln ausgeformt.
Die vier Teile des Werkes:
„Das Schwert im Stein“ erzählt von den Jugendjahren des damals noch Wart genannten Jungen und seines Bruders Kay, die unbeschwert aufwachsen, Zauberer Merlin als Hauslehrer bekommen (köstlich das Auftreten Merlins, der die Zeitreise beherrscht und rückwärts lebt, also die Zukunft schon durchlebt hat und Artus diesbezüglich entscheidende Tipps geben kann) bis hin zu Excalibur, dem Schwert im Stein, das Artus zum König auf Camelot macht.
Im zweiten Band, der „Königin von Licht und Dunkelheit“ muss König Artus, angeregt durch Merlins Hass auf alles Kriegerische, über Recht und Macht nachdenken und kommt zu dem Schluss, dass Recht
vor Macht geht – was zu der Gründung der legendären „Ritter der Tafelrunde“ führt. Morgause, jene „Königin von Licht und Dunkelheit“, ist Arthurs Halbschwester und hat vier Söhne, Gawain,
Agravaine, Gareth und Gaheris, die vergebens um die Liebe ihrer Mutter buhlen und einen weniger umsichtigen Lebensweg einschlagen. Morgause selbst zettelt eine Liaison mit ihrem Halbbruder an und
bekommt schließlich einen Sohn von ihm, Mordred.
In "Der missratene Ritter" taucht sodann Lancelot auf, der Artus schon als Knabe auffällt, da er bei Spielen immer gewinnt. Aus ihm wird schließlich der beste Ritter der Welt, womit er seine
äußerliche Hässlichkeit mehr als wett macht. Zum Ritter geschlagen und in die Tafelrunde aufgenommen, verliebt er sich sodann in Artus Frau, Königin Ginevra, diese sich ebenso in ihn, woraus eine
lebenslange, äußerst heftige und von Schicksalsschlägen gebeutelte Liebschaft zwischen den beiden resultiert. Ginevra allerdings bleibt kinderlos. Den Rittern der Tafelrunde überdies wird
langweilig, da sie nicht mehr kämpfen dürfen wie früher - so dass Artus sie spontan auf die Suche nach dem Heiligen Gral schickt, der auch tatsächlich von Lancelot und seinem Sohn gefunden
wird.
In "Die Kerze im Wind" kehren Streit, Gewalt, Mord und Totschlag zurück. Vor allem Mordred, der Sohn Arthurs, verbreitet Angst und Schrecken und zettelt reichlich Intrigen an, was dazu führt,
dass die Tafelrunde zerbricht, Königin Ginevra beinahe auf dem Scheiterhaufen landet, Lancelot verbannt wird und Artus gegen ihn, seinen besten Freund, kämpfen muss. Artus sieht seine Idee, das
Recht vor Macht und Krieg zu stellen, in Grund und Boden gestampft, die kleine Kerze, die er tapfer lange Zeit vor dem Wind geschützt vor sich her getragen hat, erloschen. Einzig als Idee trägt
er sie weiter im Herzen, in der Hoffnung, dass ihr Licht die dunkle Zeit doch noch irgendwann erhellen wird.
Fazit: Ein beeindruckender und unvergesslicher Hörgenuss für Jung und Alt!
Christa Roßmann
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© 2017 Christa Roßmann, Harald Kloth
Sa
04
Mär
2017
Es ist wie in jeder Krise, die in einem blutigen Krieg endet: Bevor zig Millionen von Soldaten und schweres Kriegsgerät mit der Folge von Abertausenden, im Falle des „Zweiten Weltkriegs“ sogar Millionen von toten Soldaten und Zivilisten einen Krieg in die eine oder andere Richtung entscheiden, schlägt die Stunde der Diplomatie. Wie schon der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz (1780 bis 1831) in seinem berühmten Werk „Vom Kriege“ richtig anmerkte: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“. Ein exzellentes Beispiel dafür sind die Erkenntnisse aus den erst kürzlich publizierten „Maiski-Tagebücher“. Eine unabdingbare Lektüre für diejenigen, welche die Zusammenhänge gerade in den Zeiten 1937 bis zum Kriegsausbruch 1939 besser verstehen möchten.
Maiski, von 1932 bis 1943 russicher Botschafter in London, hat akribisch Buch geführt über seine Gedanken, Gespräche und Berichte zu außen-, sicherheits- aber auch gesellschaftspolitischen Ereignissen seiner Zeit. Schwerpunkt sind natürlich die Ereignisse in Großbritannnien und in seinem eigenen Land. Insgesamt erlebte und überlebte er in dieser Zeit fünf Premierminister und drei Könige. Seine Aufzeichnungen, die 1934 auf einem Tiefpunkt der Beziehungen zu Großbritannien begannen, sind mehr als bemerkenswert in einer Zeit, in der russische Diplomaten ständig fürchten mussten, der Säuberungswelle Stalins zum Opfer zu fallen. Vor Jahren nun entdeckte der israelische Historiker Gabriel Gorodetzky Maiski’s Tagebücher und publizierte eine englisch- und russischsprachige Auflage in drei Bänden. Dazu hat er nun für ein breiteres Publikum eine auch in deutscher Fassung verfügbare Kurzfassung herausgegeben, die in etwa ein Viertel des Gesamtumfangs ausmacht und mit Bildern, Kommentaren des Autors sowie Ausschnitten aus den Memoiren Maiskis unterlegt ist.
Maiski‘s Berichte geben einen tiefen Einblick in die russische, aber auch britische Gedankenwelt, dem aufstrebendem Deutschen Reich mit seinem Diktator Adolf Hitler zu begegnen. Gerade der Kampf und Versuch Maiskis, Russland, zusammen mit Frankreich und England zum Schutz vor dem nationalsozialistischem Deutschland in ein System kollektiver Sicherheit einzubetten zeugt von den Existenzängsten des durch innenpolitischen Kämpfen zerrütteten Staats. Wie virulent diese Existenzangst war zeigen dann 1941 deutsche Panzer wenige Kilometer vor Moskau. Aber es war auch ein Existenzkampf von Maiski gegen seinen eigenen Staat, musste er doch ständig fürchten, von dem der NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) unterstellten Geheimpolizei GPU verhaftet zu werden. Dies war bei weitem nicht paranoid, in der Zeit des sogenannten “Großen Terrors” wurden alleine von Juli 1937 bis Mitte November 1938 etwa 1,5 Millionen Menschen verhaftet, von denen etwa die Hälfte erschossen, die anderen bis auf wenige Ausnahmen inhaftiert wurden. 1953 wurde er dann auch noch als angeblich britischer Spion verhaftet, allerdings rettete ihm der Tod Stalins kurze Zeit später das Leben. Trotzdem werden seine Aufzeichnungen konfisziert, bleiben auch nach seiner Rehabilitierung 1955 unter Verschluss und werden Maiski nur kurz für das Schreiben seiner Memoiren zur Verfügung gestellt. Maiski starb erst 1975 im respektablen Alter von 91 Jahren.
Maiski’s Aufzeichnungen sind natürlich subjektiv, oftmals auch abhängig von Stimmungen und Stimmung. Aber sie sind authentisch und offenherzig und bieten einen bis dato noch nicht gegebenen Einblick vor allem in die britische Appeasement Politik. Maiski sieht früh die verfehlte britische Politik, Hitler immer mehr und mehr Zugeständnisse zu machen, aus britischer Sicht des Gesamtfriedens willens, und mit der Weisheit des Rückblicks hatte er Recht. Beharrlich verfolgte er die Wiederbelegung des Konzepts der kollektiven Sicherheit und versuchte, allerdings vergeblich, Schlüsselfiguren und Lobbyisten der britischen Außenpoliitk von seiner Sichtweise zu überzeugen, um so Einfluss auf Chamberlain zu nehmen. Aber entweder standen Sie loyal zu ihrem Premierminister oder Chamberlain ignorierte alle Ratschläge und Indikatoren und ging stur seinen eigenen Weg. Selbst der britische Kriegsminister Leslie Hore-Belisha berichtete ihm, dass der Premierminister nach dem Münchner Abkommen am 30. September 1938 davon überzeugt ist, dass er, wenn er nur Hitler und Mussolini mit Samthandschuhen anfasst, Europa den Frieden sichern wird. Maiski ging schließlich sogar so weit, britischen Oppositionellen Argumente und Gründe für den Sturz des Premierministers zu liefern. Insgesamt unterstellte er der britischen Administration komplettes Versagen, die Psychologie Hitlers zu verstehen. Einzig Churchill, zu dem er enge Beziehungen pflegte, ja, den er bewunderte, war für ihn der Rettungsanker. Als dieser in größter Not am 10. Mai 1940 Premierminister wurde (das Deutsche Reich war just in Frankreich einmarschiert) spürte Maiski eine große Erleichterung. Aber Maiski ist letztendlich so engstirnig denkend und verblendet nach einer sowjetisch – britisch – französischen Allianz, dass er selbst jegliche Kurskorrektur in seinem eigenem Land negiert und nicht sieht. So wurde er ziemlich überrascht vom Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt, bekannt als Hitler-Stalin-Pakt, der am 24. August 1939 (mit Datum vom 23. August 1939) in Moskau vom Reichaußenminister Joachim von Ribbentrop und dem sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow in Anwesenheit Stalins unterzeichnet und publiziert wurde. Der Pakt garantierte dem Deutschen Reich die sowjetische Neutralität bei einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Polen und den Westmächten. Gorodetzky räumt in einen seiner exzellenten Schlussfolgerungen und Kommentaren mit Mythen den „Hitler-Stalin-Pakt“ betreffend auf. Die von Chamberlain am 31. März 1939 erklärte Garantie für die Unabhängigkeit Polens sollte Hitler von seinem Expansionsdrang abschrecken und an den Verhandlungstisch zurück bringen. Da Hitler allerdings zu diesem Zeitpunkt einen Zweifrontenkrieg vermeiden musste, trieb diese Garantieerklärung Hitler in die Arme der Sowjeunuon und damit in den berühmten Pakt von August 1939.
Auch zwei Jahre später verkannte Maiski die Situaiton, als er bis zuletzt jegliche Angriffswarnungen Nazi-Deutschlands vom Tisch wischte. Aber gerade dies macht Maiski auch menschlich und vergleichbare Lehren kann man auch für Heute ziehen: Trotz jahrzehntelang auf dem außenpolitischen Parkett agierenden und damit “mit allen Wassern gewaschenen” Politikern, unzähligen Instituten, die sich mit Tausenden von Analysten auf Prognosen und Frühwarnsystemen spezialisiert haben, wird man trotzdem immer wieder von Ereignissen überrascht, mit denen “niemand gerechnet hat.” Und das ist auch gut so: Wenn man die Zukunft nicht vorhersehen kann, kann man sie auch nicht manipulieren!
Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs prägen dann die Spannungen zwischen Stalin und Churchill das Tagebuch, bis er dann, wie auch Litwinow, nach der Aufdeckung des Massakers von Katyn im März 1943 und dem darauf folgenden Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur polnischen Exilregierung im August 1943 von seinem Botschafterposten abberufen und auf dem einflusslosen Posten eines „stellvertretenden Außenministers“ abgestellt wurde.
Auch wenn Maiski manchmal dazu neigt, in persönliche Sentimentalitäten abzuschweifen, ist das Tagebuch eine vortreffliche Beschreibung der Hin- und Hergerissenheit zwischen Krieg und Frieden, zwischen Loyalität zu seinem Land und aktiv betriebener Politik aus Eigeninteresse. Mit Leidenschaft und Hingabe, die man in jedem Satz spürt, versucht er seine Sichtweise von „Balance of Power“ zu verbreiten, hervorragend vermittelt er Einblicke in den Geist und die Athmosphäre der damaligen Zeit und gibt uns eine umfassende Charakterbeschreibung aller Protagonisten. Geradezu humorvoll wird es, wenn er aus Sitzungen des englischen Unter- und Oberhauses berichtet (bei schlecht besuchten Sitzungen beschreibt er, dass die wenigen anwesenden Lords in dem riesigen Saal aussahen wie „Fliegen in der Milch) und dabei Redner u.a. beschreibt: „Mit seinem weißen Umhang, der von Weitem zerknittert und ungepflegt aussah, wirkte der Erzbischof wie ein großer Vogel mit gekrümmtem Schnabel“. Aber es sind eben nicht nur die Beschreibungen, sondern auch Gefühle, die vermittelt werden und die man spürt. Z.B. am 22. Juni 1941, unter dem Tagebucheintrag „Krieg!“, als Masiski erfährt, dass Hitlers Stalin den Krieg erklärt und die Wehrmacht die Grenze zur Sowjetunion überschritten hat. Zu allen Eintragungen stellen die eingefügten Kommentare von Gorodetzky sinnvolle Zusammenhänge her, berichtigen, wo angebracht und machen es weniger sattelfesten Lesern in Geschichte leichter, die Beschreibungen und Erzählungen einzuordnen.
Fazit: Insgesamt sind die Beschreibungen der inneren Stimmunge der beiden für Europa so wichtigen „Flügelmächte“ historisch interessant und spannend zugleich. Es zeigt sich erneut, niemand kann Geschichte so gut erzählen wie Zeitzeugen. Die Aufzeichnungen sind authentisch, sich mit den Gedanken- und Gefühlswelten von Maiski zu beschäftigen absolut empfehlenswert.
Andreas Pickel
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© 2017 Andreas Pickel, Harald Kloth
Fr
03
Mär
2017
Planegg ; Bookspot ; 2016 ; 192 Seiten ; ISBN 978-3-95669-047-1
„Multiversum – Die Rückkehr“ ist die Fortsetzung des Buches „Multiversum – der Aufbruch“ der deutschen Autorin Petra Mattfeldt.
Die Handlung dreht sich erneut um den inzwischen erwachsenen Tom, der in seinem ersten Abenteuer auf der Suche nach seinen tot geglaubten Eltern in ein Paralleluniversum geraten ist. Jetzt, fünf
Jahre später, hat er gerade seine Ausbildung bei einem Geheimdienst abgeschlossen und wird für seinen ersten Auftrag wieder in das fremde Universum geschickt, wo er Verhandlungen des Königs mit
einigen Adeligen beeinflussen soll, um ein Dokument zu verändern, das auch in Toms Universum von Bedeutung wäre und das er dorthin mitbringen soll. Außerdem findet die Gruppe, die mit Tom in das
Paralleluniversum gereist ist, dort eine unliebsame Überraschung vor: die gesamte Ausrüstung der Forscher, die für eine Rückreise nötig wäre, ist verschwunden. Trotzdem beschließen sie, ihren
Auftrag auszuführen, merken aber schon bald, als die Gruppe in einen Hinterhalt gerät, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Da während des Kampfes einer der Männer tödlich und ein anderer
sehr schwer verletzt wird, muss Tom alleine weiterreisen und sich mit bösartigen Doppelgängern und Intrigen herumschlagen.
Das Buch ist in einem jugendlichen Stil verfasst, der sich leicht lesen lässt. Die Autorin Petra Mattfeldt benutzt viele Metaphern um die Texte interessanter wirken zu lassen. Es gelingt ihr sehr
gut, die mittelalterliche Welt des Paralleluniversums anschaulich zu beschreiben.
Fazit: Dieser Roman steht seinem Vorgänger in puncto Spannung in packendem Schreibstil in nichts nach.
Clara Roßmann
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Petra Mattfeldt bei amazon.de
© 2017 Clara Roßmann, Harald Kloth
So
26
Feb
2017
Reinbek; Rowohlt Polaris ; 2017 ; 576 Seiten ; ISBN 978-3-499-26735-2
Sarah und ihr Großvater sind ein gutes Team. Für seine große Liebe hat Henri Lachapelle damals Frankreich hinter sich gelassen und sich in England ein neues Leben aufgebaut. Seit dem Tod seiner
geliebten Frau ist er mit seiner Enkelin allein. Henri war einst Elitereiter im berühmten Cadre Noir und das Reiten hat ihn nie losgelassen. Nun trainiert er täglich mit seiner Enkelin und dem
begabten Pferd Boo die Übungen, die er früher selbst tagtäglich vollführte. Sein Traum ist es, dass Sarah irgendwann einmal in seine Fußstapfen tritt und ebenfalls in den Cadre Noir aufgenommen
wird.
Der Stall von Cowboy John befindet sich mitten in London hinter einem unscheinbaren Tor am Ende einer Gasse und ist für die beiden ein zweites Zuhause geworden. Als Henri eines Tages auf offener
Straße zusammenbricht und mit der Diagnose Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert wird, gerät die heile Welt für Sarah komplett aus den Fugen.
Die erfolgreiche Anwältin Natasha möchte eigentlich mit ihrem Noch-Ehemann Mac nichts mehr zu tun haben. Allerdings ist da noch das gemeinsame Haus und bis dafür ein Käufer gefunden ist, zieht
Mac wieder zuhause ein. Obwohl sich beide bereits in neuen Partnerschaften befinden, haben sie noch Gefühle füreinander. Als Paar haben sie eine Menge durchgemacht und dies lässt sich eben nicht
so einfach wegwischen.
Als Sarah in das Leben der beiden tritt, ändert sich alles schlagartig. Sie nehmen das verschlossene Mädchen vorübergehend bei sich auf. Was Natasha und Mac allerdings zuerst nicht wissen, ist
die Sache mit dem Pferd. Selbst als diese aufgrund von Sarahs Fehlzeiten in der Schule ans Licht kommt, ahnen die beiden nicht, dass es längst auch finanzielle Probleme mit dem neuen
Stallbesitzer Sal gibt, der Sarah ziemlich unter Druck setzt und ihr am Ende sogar Boo wegnehmen will.
Plötzlich ist Sarah verschwunden. Auch von Boo fehlt jede Spur. Als dann auch noch feststeht, dass Natashas Kreditkarte weg ist, machen sich Natasha und Mac auf die Suche nach dem Mädchen und dem
Pferd.
Und diese Suche führt die beiden bis nach Frankreich.
In ihrem neuesten Buch erzählt Jojo Moyes wieder eine packende und gut konstruierte
Geschichte. Zu Beginn jedes Kapitels stehen thematisch passende Zitate aus Xenophons Werk 'Über die Reitkunst'. Obwohl die Geschichte im Reitermilieu mit entsprechendem Fachjargon angesiedelt
ist, kann man auch als Pferdeunkundiger alles gut nachvollziehen.
Fazit: Ein fesselnder Roman, den nicht nur Pferdefreunde nicht mehr aus der Hand legen werden.
Sonja Kraus
Sa
25
Feb
2017
München ; dtv ; 2016 ; 272 Seiten ; ISBN 978-3-423-21635-7
Es läuft nicht gut für Franz Eberhofer. Nach der geplatzten Hochzeit mit seiner Dauerfreundin Susi sind die Oma und der Papa nicht gut auf ihn zu sprechen. Und auch, wenn er mehrmals mitten in
der Nacht reumütig versucht, die Susi am Telefon zu besänftigen - was ja an sich schon eine recht blöde Idee ist - endet alles in einer Funkstille.
Derweil spaltet sich das beschauliche Niederkaltenkirchen in zwei tief verfeindete Lager. Ein Hotel soll nämlich gebaut werden und natürlich sind diejenigen, die davon profitieren würden, sprich
der Simmerl Metzger, der Gas-Wasser-Heizungspfuscher Flötzinger und natürlich allen voran der Bürgermeister für das Hotel. Alle anderen möchten aber gerne, dass in Niederkaltenkirchen alles so
bleibt, wie es ist. Wie in der Großstadt gibt es sogar Demos und Boykottaktionen und alles in allem ist eine Menge los in dem sonst relativ ruhigen Ort im tiefsten Niederbayern.
Zu allem Überfluss hat der Eberhofer auch in München seinen Stress. Der Rudi findet auf seinem Balkon einen Frauenfinger und natürlich wäre der Birkenberger nicht der Birkenberger, wenn er nicht
auch noch die dazugehörige Leiche finden würde. Eine übel zugerichtete übrigens. Kurz darauf werden in einem Neubaugebiet vor den Toren Münchens noch zwei weitere übel zugerichtete Frauenleichen
gefunden. Alle im Dirndl und das ausgerechnet zur Wiesnzeit - da müssen Franz Eberhofer und seine Kollegin Steffi natürlich unter Hochdruck an der Lösung des Falles arbeiten. Die Spur führt dann
letztlich ins Rotlichtmilieu, wo der Rudi sich aufgrund seiner diversen Privatermittlungen bestens auskennt und wieder eine große Hilfe ist. Als wäre das alles noch nicht genug, erfährt Franz
dann auch noch, dass die Susi - seine Susi - schwanger ist.
Da kann er doch nicht der Vater sein. Oder etwa doch?
Im mittlerweile sechsten Fall für den Kommissar
Eberhofer lässt Rita Falk so einiges geschehen. So viel, dass der eigentliche Fall ganz oft ein wenig ins Hintertreffen gerät. Aber das kennt man ja schon aus den früheren Fällen. Es geht im
Grunde immer viel mehr um die Personen, die einem schon ein wenig ans Herz gewachsen sind und weniger um den eigentlichen Kriminalfall. Dafür gibt es aber in diesem Regionalkrimi wieder so einiges zum
Schmunzeln.
Fazit: Ein empfehlenswertes und unterhaltsames Buch, enthält allerdings für eingefleischte Krimifans wohl zu wenig Spannung.
Sonja Kraus
So
19
Feb
2017
München ; dtv ; 2016 ; 80 Seiten ; ISBN 978-3-423-28082-2
Dieses wunderschön (von Eva Schöffmann-Davidov neu) illustrierte Gedichtbüchlein enthält Verse der Lyrikerin Mascha Kaléko. Diese gehört zu den bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts zählt und wurde vor allem durch ihre Großstadtlyrik bekannt.
Im Werk Kalékos geht es immer auch um die Menschen und das Zwischenmenschliche – es verwundert also nicht, dass auch so manches beschriebene „Feine Pflänzchen“ äußerst menschliche Züge zeigt. An einigen Stellen ist das spitzbübische Augenzwinkern der Dichterin beim Verfassen der Verse regelrecht zu spüren.
Besonders schön sind Eva Schöffmann-Davidovs fantasievolle und natürlich jeweils thematisch passende, das im Gedicht beschriebene Pflänzchen darstellende Illustrationen.
Fazit: Ein kleines, feines Büchlein für Mascha-Kaléko-Fans sowie Gedicht- und Pflanzenliebhaber im Allgemeinen.
Sonja Kraus
So
12
Feb
2017
Reinbek ; Rowohlt ; 2017 ; 204 Seiten ; ISBN 978-3-499-63137-5
Wer kennt es nicht: der Stapel mit den Zeitungen oder Zeitungsausschnitten, die man irgendwann noch lesen will, wächst ins Unermessliche und bald wird aus einem Stapel auch ein zweiter. Zwar ist von dieser Unordnung hin zum Messietum noch ein weiter Weg, doch dennoch sollte man sich mit der Thematik befassen, wenn man solche Tendenzen an sich selbst feststellt.
Wie Sabina Hirtz in ihrem Buch „Der Messie in uns“ eindringlich schildert, liegt das Problem bei Messies meistens viel tiefer. Es hat nichts mit einem
„Nicht-Aufräumen-Wollen“ zu tun. Oft sind es Erlebnisse der frühen Kindheit und Jugend, die das spätere Messieverhalten bedingen. Erst die behutsame Aufarbeitung dieser Geschehnisse, also die
Entrümpelung der Seele, kann dann im nächsten Schritt zur Entrümpelung der Wohnung führen.
Als Heilpraktikerin für Psychotherapie hat sich Sabina Hirtz auf das Thema Messie spezialisiert und unter anderem auch das TV-Format „Das Messie-Team“ moderiert. Anhand von einigen sehr anschaulichen Fallstudien gelingt es ihr, dem Leser die Thematik näher zu bringen.
Ihre Erklärungen sind leicht verständlich und helfen auch, das eigene Verhalten bezogen auf die Unordnung besser einzuschätzen. Außerdem werden einige Strategien zur Hilfe und Selbsthilfe bei Betroffenen aufgezeigt.
In einem ausführlichen Glossar am Ende des Sachbuches werden zudem Fachbegriffe und Methoden näher erklärt.
Fazit: Ein äußerst lesenswertes Buch für alle, die sich für die Thematik Messie-Syndrom interessieren.
Sonja Kraus
So
05
Feb
2017
Reinbek ; Rowohlt-Verlag ; 2017 ; 444 Seiten ; ISBN 978-3-499-27265-3
Die Arzthelferin Louisa flirtet in einer Bar. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass der Flirt ihr neuer Chef David ist. Zu allem Überfluss ist er auch noch verheiratet mit der bildhübschen Adele. Das Ehepaar ist erst vor kurzem in die Stadt gezogen. Adele kennt noch niemanden und freundet sich mit Louisa an. Diese hat in den Sommerferien jede Menge Zeit, da sich ihr sechsjähriger Sohn Adam mit dem Vater und dessen neuer Lebensgefährtin im Sommerurlaub in Frankreich befindet.
Louisa ist von schlimmen Träumen geplagt und Adele verhilft ihr zu erholsamem Schlaf. Sie gibt ihr ein kleines Notizbuch.
Darin kann sie lesen, wie sie im Schlaf durch die „1.Tür“ schreiten kann. Sie muss sich nur darauf konzentrieren. Bei dieser Gelegenheit erfährt Louisa einiges aus der Vergangenheit von David und Adele. Doch die Geschichten weichen voneinander ab, je nachdem, ob sie von David oder Adele erzählt werden. In ihrer Loyalität ist Louisa hin und hergerissen.
Soll sie Adele glauben, in der sie eine gute Freundin gefunden zu haben scheint oder David, mit dem sie nicht nur in der Arbeit Kontakt hat?
Mittlerweile hat Louisa im Notizbuch weitergelesen und herausgefunden, was es mit der „2. Tür“ auf sich hat. Zunächst schafft sie es nicht, die 2. Tür zu durchschreiten aber nach etwas Zeit schafft sie es, was sie dann erlebt ist zunächst so unglaublich, dass sie es nicht fassen kann, aber es scheint doch Realität zu sein.
Sarah Pinborough legt mit „Sie weiß von dir“ ihr Thriller-Debüt vor. Aus verschiedenen Blickwinkeln entfaltet sie das Szenario zwischen Adele und Louisa. Zwischendurch gibt es Rückblenden in die Vergangenheit. Am Ende laufen die Fäden zusammen und die letzten Seiten stellen noch einmal alles auf den Kopf.
Fazit: Ein solider Thriller mit transzendenten Einflüssen.
Matthias Wagner
Sa
04
Feb
2017
Planegg ; Bookspot Verlag; 2016 ; 155 Seiten ; ISBN 978-3-95669-076-1
Der Thriller „30 Sekunden zu spät“ von Kaja Bergmann ist eine Art Fortsetzung zu ihrem Buch „Der Mephisto Deal“ und
handelt von Nepomuk und seiner Freundin Miranda, die spontan beschließen, einen Campingurlaub zu machen, bei dem einiges schief läuft. Der geplante Urlaub endet in Missverständnissen, Eifersucht
und Gewalt.
Das Buch hat 164 Seiten, ist in einem jugendlichen Stil geschrieben und wie eine Art Tagebuch gestaltet, da die Texte aus Nepomuks Notizbuch stammen. Die Geschichte wird zweimal erzählt, einmal
aus Nemos und einmal aus Mirandas Sicht, wobei die Handlung am Ende stark variiert, so dass der Leser im Unklaren darüber gelassen wird, wie die Geschichte tatsächlich endet.
Fazit: Der Text lässt sich angenehm lesen und ist sehr fesselnd. Das Buch ist alles in allem wirklich gut gelungen und geeignet für Jugendliche und Erwachsene.
Clara Roßmann
Fr
27
Jan
2017
München ; Knaur ; 2016 ; 617 Seiten ; ISBN 978-3-426-66382-0
Der neue Roman vom Autorenduo Iny Lorentz entführt den Leser ins Hochmittelalter. In Apulien lernen wir die junge Grafentochter Pandolfina kennen. Nach dem Verlust ihres Vaters verliert sie Burg
und Güter an den verfeindeten Nachbarn und muss an den Hof Kaiser Friedrich II. fliehen. Dort verbringt sie mehrere Jahre und nimmt Anteil am bewegten Leben des Kaisers. Schließlich studiert sie
mit der Erlaubnis Friedrichs sogar an der berühmten Heilerschule in Salerno.
Im Deutschen Reich, nahe Nürnberg, muss währenddessen der junge Leonard von Löwenstein unfreiwillig die Ausbildung zum Ritter absolvieren. Leonard ist im Kloster aufgewachsen. Doch als letzter
verbliebener Erbe seines Vaters, soll er die Besitztümer der Familie retten und sein Erbe antreten.
Dem Leser wird schnell klar, dass sich beider Wege kreuzen werden. Die Protagonistin wird als selbstbewusste junge Frau dargestellt, die dem Leser durch ihr Engagement und ihre Courage schnell
ans Herz wächst. Leonard steht dem in nichts nach. Beide müssen mit historischen Gegebenheiten umgehen und sich mit vielen Widrigkeiten auseinandersetzen. Bis zum Happy End legen Ihnen die
Autoren allerdings noch einige dicke Brocken in den Weg.
Dieser Historische Roman liest sich durch seine schnörkellose Bildsprache flüssig. Die Handlung konzentriert sich auf die
Hauptfiguren und schreitet geradlinig voran. Dennoch ist die Geschichte sehr vorhersehbar und die Autoren schaffen es nur selten Spannung aufkommen zu lassen. Der für diese Zeit prägende
Kaiser-Papst Konflikt wird geschickt eingebettet, jedoch ohne den Leser mit zu vielen historischen Fakten zu langweilen. Überdies treten nur wenige historisch belegte Persönlichkeiten in
Erscheinung. Wir erfahren viel über den diplomatischen Drahtseilakt, mit dem sich der berühmte Staufer-Kaiser auseinandersetzen musste und der das Schicksal Pandolfinas bestimmt.
Fazit: Mit ihrem Werk gelingt es Iny Lorenz leider nicht, sich aus der breiten Masse historischer Romane hervorzuheben. Dazu ist die Geschichte zu einfach gestrickt. Dennoch ist das Buch
schön zu lesen und sorgt für kurzweilige Unterhaltung.
Cornelia Krellner
Das Mädchen aus Apulien bei amazon.de
Iny Lorentz bei amazon.de
© 2017 Cornelia Krellner, Harald Kloth
Fr
06
Jan
2017
München ; dtv ; 2016 ; 304 Seiten ; ISBN 978-3-423-26127-2
Die Wellness-Branche boomt und so ist es nicht verwunderlich, dass es nun auch im beschaulichen Niederkaltenkirchen bei Landshut eines dieser luxoriösen Wellnesshotels gibt. Doch kurz vor der
Eröffnung wird Kommissar Eberhofer von der Hotelleitung des Heimatwinkels um Hilfe gebeten. In einer der vom Gas-Wasser-Heizungspfuscher Flötzinger installierten Badewannen liegt eine
aufgedunsene männliche Leiche.
Der Mann muss wohl während des Probebetriebs, bei dem alle am Bau des Hotels Beteiligten ein kostenloses Wochenende im Hotel verbringen durften, gestorben sein. So kurz vor der Eröffnung will die
Hotelleitung natürlich um jeden Preis negative Schlagzeilen vermeiden. So wird die Leiche mit Hilfe des Richters Moratschek ganz diskret in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in die Pathologie
gebracht. Doch in Niederkaltenkirchen spricht sich so ein Todesfall natürlich schneller herum als dem Eberhofer lieb ist.
Der Tote war ein rechtschaffener Bürger und hinterlässt Frau und Kinder. Franz Eberhofer tappt komplett im Dunkeln und wie immer kommt ihm sein Freund, der Privatermittler Rudi Birkenberger zur
Hilfe. Getarnt als Teilnehmer der Esoterik-Tagung, die im Heimatwinkel stattfindet, ermittelt der Rudi undercover und wie immer nimmt er seinen Job dabei sehr ernst - bis hin zum Yoga-Outfit, was
beim Rudi natürlich deppert aussieht. Findet zumindest der Franz.
Doch nicht nur die Leiche beschäftigt Franz Eberhofer - auch privat ist er rundum beschäftigt. Mit der Susi und dem gemeinsamen Sohn Paulchen läuft es momentan ganz gut. Wäre da nicht die fixe
Idee von der Oma, dass sich Franz und sein Bruder gemeinsam ein Doppelhaus bauen sollen. Der Schleimer stürzt sich voll in die Planungen, was dem Franz natürlich gar nicht passt.
Nachdem der Franz Eberhofer im letzten Fall
Leberkäsjunkie gesundheitlich sehr angeschlagen war, ist er in seinem nunmehr achten Fall wieder ganz der Alte. Witzig ist dieses Mal
der Rudi, der sich inspiriert durch seinen Undercover-Einsatz auf dem Esoterik-Trip befindet. Der Mordfall wirkt aber doch sehr an den Haaren herbeigezogen. Das Zwischenmenschliche und die
Seilschaften innerhalb Niederkaltenkirchens stehen ja ohnehin immer mehr im Mittelpunkt als der eigentliche Fall, aber dieses Mal hat man das Gefühl, den Todesfall musste es einfach geben, da
sonst das Label "Provinzkrimi" nicht mehr zutreffen würde. Bleibt nur zu hoffen, dass sich Rita Falk für den nächsten Fall mehr Zeit lässt.
Das täte der Story sicher gut.
Fazit: Eine im Großen und Ganzen ganz unterhaltsame Geschichte, die aber verglichen mit den früheren Fällen doch einige Defizite aufweist.
Sonja Kraus
Do
05
Jan
2017
Reinbek ; Rowohlt-Verlag ; 2016 ; 347 Seiten; ISBN: 978-3-499-29049-7
In einem SM-Nachtclub stirbt ein Gast auf dem Jahresball. Als Detective Inspector Helen Grace zum Tatort kommt weiß sie sofort, wer der Tote ist. Das Opfer war als freiberuflicher Dominator tätig
und Helen kannte ihn. Sie kann zunächst keinem etwas erzählen, da sie dann sofort vom Fall abgezogen werden würde. Helen setzt alles daran, den Mörder bzw. die Mörderin zu schnappen. Es ist nicht
leicht in diesem Milieu an Informationen zu gelangen und ein Undercovereinsatz von DS Sanderson scheitert.
Zu allem Überfluss bleibt es nicht bei dem einen Opfer. Max Paine wird in seiner Wohnung tot aufgefunden und die Umstände der Tat zeigen erhebliche Parallelen zum ersten Todesfall. Auch Max war
für Helen kein Unbekannter. Die Kriminalreporterin Emilia Garanita recherchiert bzw. schnüffelt, immer auf der Suche nach einer auflagensteigernden Geschichte. Ein Verdächtiger wird festgenommen
und die Presse stürzt sich auf die Story, ohne zu überlegen, was die Berichterstattung anrichtet.
Helen wird immer klarer, dass alles mit ihr zu tun hat. Als sie dann auch noch ein Telefon findet, das sie eigentlich entsorgt hatte, spitzt sich die Lage zu und Helen steht plötzlich selbst auf
der Fahndungsliste.
Letzter Schmerz ist der fünfte Band um die Ermittlerin Helen Grace (Band 1: Einer lebt, einer stirbt, Band 2:
Schwarzes Herz, Band 3: Kalter Ort, Band 4: In Flammen).
Die Geschichte wird geschickt weiterentwickelt und das Privatleben von Helen Grace, das bisher fast keiner kannte, steht im Fokus dieses Bandes. Loyalitätskonflikte im Ermittlerteam und ein
„liebestoller“ Chef steigern die Spannung noch weiter.
Fazit: Ein super Plot, der aufbaut auf dem, was bisher geschah. Absolut empfehlenswerter Thriller.
Matthias Wagner
So
01
Jan
2017
DVD, 87 Minuten
Zombies - Die Untoten haben sich in Film und Fernsehen, Roman- und Comic-Literatur zu einem weltweiten, popkulturellen Phänomen entwickelt. Doch woher stammt dieser Horror-Mythos der wiederauferstandenen Toten?
Regie-Debütant David V. Nicholson versucht in seiner Dokumentation für den Fernsehsender "History" die Legenden und Ursprünge dieses Subgenres des Horrorfilms zu ergründen. Dafür nutzt er Spielszenen, Filmausschnitte, Interviews mit Buchautoren (wie Max Brooks) und Experten.
Deutlich wird: Zombies beschäftigen sich mit den vielleicht größten Ängsten des Menschen: Dem Tod und dem Verlust der Seele. Dies macht vielleicht die anhaltende Popularität der wandelnden Leichname aus.
Interessant ist, dass alle menschlichen Kulturen Variationen des Zombie-Themas entwickelten. Die erste Erwähnung von Untoten kann man im berühmten Gilgamesch-Epos des Babylonischen Reiches nachlesen. In China kennt man Jiang Shi, einen hungrigen Geist. Im arabischen Volksglauben ist der Ghul beheimatet. Der Draugr ist ein Menschenfresser, der in der skandinavischen und nordischen Mythologie entstand. Und in Westeuropä kennt man den sogenannten Wiedergänger.
Aber erst der Filmemacher George A. Romero hat mit seinem bahnbrechenden Horrorfilm "Die Nacht der lebenden Toten" 1968 einen Kultfilm geschaffen und gilt seither als Vater des modernen Zombiefilms. Regisseur Nicholson versucht die Grätsche von den kulturgeschichtlichen Ursprüngen hin zu modernen Ängsten unserer Gesellschaft. Er benennt dabei Pandemien wie die Pest oder Spanische Grippe (da sich die Zombieseuche virusartig verbreitet und ganze Zivilisationen vernichten kann) und bringt Zombies mit Kannibalismus in Verbindung (ein Tabuthema). Generell erklärt er den Erfolg von Zombies auch mit Ängsten unserer modernen Gesellschaft wie der Globalen Erwärmung, den Finanz- und Weltwirtschaftskrisen oder dem weltweiten Terror.
Eingestreute kurze Szenen zeigen mit welchen Waffen man Zombies am besten Töten kann.
Fazit: Die Dokumentation bietet wenig Infos zu bekannten Zombiefilmen, aber viel geschichtliches und kulturelles Hintergrundwissen. Sehr interessant auch für Horror-Fans.
Harald Kloth
Di
27
Dez
2016
Reinbek ; Rowohlt ; 2016 ; 432 Seiten ; ISBN 978-3-499-27153-3
In Southampton brennt es gleich an drei verschiedenen Orten und die Feuerwehr hat damit zu kämpfen, die Kontrolle wieder zu erlangen.
In zwei Fällen geht es nur um einen hohen Sachschaden, aber im Haus der Familie Simms ist nach dem Brand alles anders: Mutter und Tochter sind ums Leben gekommen.
Und bereits in der nächsten Nacht geht das Inferno weiter. Wer steckt hinter der Brandserie, die wieder Todesopfer fordert?
Die Ermittlerin Helen Grace und ihr Team stehen unter Druck, denn der Feuerteufel kann jederzeit wieder zuschlagen.
Plötzlich gibt es eine vielversprechende Zeugin und ein Feuerwehrmann gerät unter Verdacht. Die Ermittlungen werden von der Presse ausgeschlachtet und die Kriminalreporterin versucht aus allem
Profit zu schlagen. Helen hat derweil auch noch mit privaten Vorkommnissen zu kämpfen, die das Zeug hätten, ihre Karriere zu beenden. Nach und nach findet sich ein Puzzleteil zum andern und eine
junge Frau steht im dringenden Tatverdacht, aber kann sie das alles alleine geplant haben?
"In Flammen" ist der vierte Teil der Reihe um die Ermittlerin D. I. Helen Grace und nach dem dritten Band "Kalter Ort" ebenfalls wieder
sehr gelungen. Der gewohnte Aufbau des Plot in kurze Kapitel macht den Thriller wieder sehr spannend. Das Annähern durch verschiedene Sichtweisen ist perfekt gelungen und nach nunmehr fast
1600 Seiten sind einem das Ermittlerteam und vor allem Helen Grace schon ans Herz gewachsen.
Fazit: Ein sehr spannender und geschickt aufgebauter Thriller. Der ideale Lesestoff für einen kalten Winterabend.
Matthias Wagner
Sa
24
Dez
2016
München ; C.H. Beck ; 2016 ; 331 Seiten; ISBN 978-3-406-69227-7
„Permanent Uppehällstillständ“, was schwedisch ist und so viel heißt wie „unbefristete Aufenthaltserlaubnis“, steht als eine Art „Happy End“ am Ende des Buches von Patrick Kingsley “Die neue
Odyssee“. Aber welchen Parforceritt man in den 300 Seiten vorher von Zentralafrika und Syrien über Libyen und Ägypten, Griechenland und Italien bis schließlich nach Schweden vollzieht ist alles
andere als „happy“, sondern die Beschreibung einer hochgradig menschenunwürdigen Flucht unter den Augen von uns Europäern, die gerade immer wieder die Menschrechte hochhalten. Wenn man dann das
Buch beiseite legt, ist in den Gedanken erst einmal Schweigen, zutiefst beschämendes Schweigen.
Patrick Kingsely ist erst 27 Jahre alt, aber was und wie er berichtet ist im negativen Sinne bedrückend. Nach seinem Studium wurde er mit nur 23 Jahren der Ägypten-Korrespondent der britischen
Zeitung „The Guardian“, bevor er dann letztes Jahr zum weltweit ersten Migrationskorrespondent dieser Zeitung wurde. Kingsley verlässt sich nicht auf Gespräche mit Asybewerbern hier in Europa,
schreibt auf Grundlage von Berichten in den Medien, nein, er ist im wahrsten Sinne des Wortes „embedded“, reist mit den Migranten mit, vom Ort des Aufbruchs, den Quellen der Massenflucht, über
Libyen bis nach Europa, spricht unmittelbar mit Schleusern, was nicht ganz ungefährlich ist, mit Vertretern von Hilfsorganisationen als auch mit Beamten, die versuchen die EU- oder Landesgrenzen
zu sichern oder mit von der Fluchtwelle betroffenen ganz normalen Bürgern. Insgesamt 17 Länder auf 3 Kontinenten hat der Autor für sein Buch bereist. Aus diesen unterschiedlichen Perspektiven und
Erlebnissen hat er einen wahrlich beeeindruckenden zusammenhängenden Flickenteppich geknüpft. Klammer zwischen all diesen Berichten ist die Beschreibung, die Gedanken und Emotionen der
beschwerliche Reise des Syrers Haschem al-Souki, dem eigentlichen Protagonisten des Buches.
Patrick Kingsley berichtet und bewertet nicht die große Politik, beteiligt sich nicht an dem teils polemischen „Geschwätz“ in allen möglichen Talkshows, nein, beim ihm stehen die Menschen im
Mittelpunkt, Menschen die auf beiden Seiten der Medaille stehen, Schleuser und vor allem die Flüchtlinge und Migranten. Es geht ihm nicht um das „warum“ der sinnlosen Besprechungen auf
europäischer Ebene zur Verteilung der Flüchlinge, um die teils stark divergierenden Standpunkte der Mitgliedsstaaten, um das zunächst administrative (Aufnahme-)Chaos zum Beispiel in Deutschland,
nein, es geht primär um die, die all die Leiden auf sich nehmen, um über den Land- oder Seeweg nach Europa kommen oder kommen wollen. Warum verlassen Menschen ihre Heimat, machen sich auf einen
tausende Kilometer langen beschwerlichen Weg, bezahlen im wahrsten Sinne des Wortes mit ihrem letzten Hemd für diese Reise und nehmen zuletzt in absolut seeuntüchtigen Schiffen den Weg über das
Mittelmeer auf sich, der in vielen Fällen auch zum Tode führen kann? Weil es um ihr Leben geht! Alleine dieser eine Satz sollte jedem einleuchten, dass man diese Menschen nicht mit der Drohung
„Abschiebung“ abschrecken kann. Die schrecklichen Erlebnisse in der Heimat, die Fluchtursachen sind offensichtlich so gravierend, dass diese Menschen es in ihrer Verzweiflung immer wieder
versuchen werden. Die Ursachen sind vielfältig, zwischen- und innerstaatliche Kriege, Militärdiktaturen, Unterdrückung religiöser und politischer Minderheiten, wirtschaftliche Not,
Klimakatastrophen. Diese Menschen lassen sich nicht von irgendwelchen Grenzschutzmassnahmen aufhalten, die Not ist größer. Es geht also in Europa nicht um das „ob“ oder „wie aufhalten“, sondern
um das „wie integrieren“. Das ist auch die Kernbotschaft von Kingsley. In Agadez trifft Kingsley einen Mann, der ihm deutlich macht, dass die Migranten lediglich die Reise wiederholten, die einst
auch von jenen unternommen wurden, die Afrika kolonisierten. Der weiße Mann hatte auch kein Visum, als er nach Afrika kam und man hätte vom weißen Mann gelernt!
Aber bei Kingsley kommt auch die andere Seite nicht zu kurz, der Handel mit Menschen ist mittlerweile ein immenser Wirtschaftszweig geworden (Smuggling Business Model), an dem viele
einschließlich Sicherheitsbehörden mitverdienen. Dazu werben die Schleuer ganz offen auf Facebook für ihre Zwecke. Das Geschäft ist mittlerweile so gut verwurzelt, dass etwaige Gegenmaßnahmen von
EU Politikern ins Leere greifen – meist sind die auch nur dazu da, potentielle Wähler im eigenen Land zu beruhigen. Gerade die Lage in Libyen ist lebensbedrohlich für die Migranten. Einst fand
man hier Arbeit, genügend Arbeit um auch die Familie Zuhause zu ernähren. Heute aber fehlt jeglicher Schutz, so dass die Migranten sich lieber auf dem Weg über das Mittelmeer machen. Die Menschen
werden von Schleusern teils schlimmer wie Tiere in Zwischenlagern gehalten, die Vergewaltigung von Frauen ist an der Tagesordnung. Aussagen wie: „Man verabscheut sich selbst. Man hasst sich
dafür, dass man ein Mensch ist“ sollten eigentlich aufschrecken. Aber auch wenn die Menschen in Europa angekommen sind, werden sie in einigen Ländern in den Auffanglagern wie bei
Massentierhaltung behandelt. „Man hat uns wie Vieh behandelt, überall, wo wir hingekommen sind“ so ein Flüchling. Dies gilt für Italien gleichermaßen wie für Griechenland oder auch Ungarn. Jeder
sieht das Elend, aber so schlimm das ist, noch schlimmer ist, dass niemand Verantwortung übernehmen will.
Auch mit einem derzeit sehr aktuellen Thema rechnet er ab, der Rückführung der Flüchtlinge entweder in ihre vermeintlich so sicheren Herkunftländer, z. B. Afghanistan oder in vermeinlich sichere
Drittstaaten. Die meisten fliehen, weil sie um ihr Leben fürchten müssen, sei es wegen einer anderen Religion oder z. B. nicht für die Taliban kämpfen möchten und wir bringen Sie dahin zurück? Zu
dieser schrecklichen Einschätzung kommt Kingsley 2015 und sie gilt unverändert heute noch.... trotzdem wird abgeschoben. Aber welche Werte wollen wir dann eigenlich noch vor Mirgranten schützen,
wenn wir uns so verhalten? Laut dem Autor muss Europa das Unvermeidliche akzeptieren und die Migranten in einer besser organisierten Art und Weise einreisen lassen, anstelle diesen chaotischen
Prozess so weiterlaufen zu lassen. So hat man vor allem keinen Überblick, wer wo wann einreist, man hat die Situation besser im Griff. Die Diskussionen dazu laufen nicht nur in Deutschland.
Glaubt man den Recherchen von Patrick Kingsley wird die Anzahl der Flüchtlinge nicht weniger werden, Abschottung hin oder her. Dabei widerlegt er auch die These, dass militärische Operationen im
Mittlemeer wie z. B. Mare Nostrum einen ungewollten „Pull-Faktor“ darstellen. Militärische Aktionen werden das Problem der Migration der verzweifelten Menschen nicht lösen. Die Flüchlingskrise
wurde zur größten Bedrohung des Zusammenhalts der Europäischen Union seit ihrer Gründung. Gerade die Politker igonierten die Realität, entwickelten in purem Aktionismus immer neue sinnlose Pläne
zur Bewältigung der Flüchtlingsströme, aber die Menschen kommen weiter. Auch wenn die Konflikte in Syrien und Afghanistan, also aus dem Nahen und Mittleren Osten oder auch der Bürgerkrieg in
Libyen – wider Erwarten – schnell gelöst werden sollten, der Strom an Verfolgten und Kriegsgeschädigten aus Ostafrika, z. B. Eritrea oder aus dem Niger-Gebiet wird nicht abreißen. Für den Autor
ist gerade Eritrea „zu einer Hölle auf Erden geworden, zu einer Hölle für seine Bewohner“. Jedem sollte bewusst sein, dass auch nach dem Zweiten Weltkrieg die große Füchtlingswelle erst dann
einsetzte, als alle Kampfhandlungen zu Ende waren. Dann steht uns noch so einiges bevor. Die Gründe, sich auf eine jahrelange beschwerliche und menschenunwürdige Reise, die mit dem Tod enden
kann, einzulassen, sind so gravierend, dass offensichtlich nichts und niemand den Strom reduzieren können. Anstelle also weiter über Möglichkeiten der Eindämmung zu diskutieren, sollte man
stattdessen besser den Realitäten ins Auge sehen und sich damit vielmehr der Verbesserung der Möglichkeiten von Integration widmen. Zu diesem klaren Schluss kommen auch die
Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler und ihr Mann, der bekannte Politikwissenschaftler Herfried Münkler in deren Buch „Die neuen
Deutschen“.
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sagte in einem Intervierw am 6. November so treffend: „3800 Menschen - eine ganze Kleinstadt voller Menschen. Auf ihrer Flucht qualvoll ertrunken. In
dem Meer, wo viele von uns gerade ihren Urlaub verbracht haben. Sollen wir das Mittelmeer nicht konsequenterweise zukünftig “Totes Meer” nennen?" ... "Es wird dunkel in unserem
christlichen Abendland, wenn wir all den Ertrunkenen nur noch hilflos die Augen zudrücken.” Eine gesamteuropäische Lösung stelle er sich anders vor, als die Kriegsflüchtlinge, Schutz- und
Asylsuchenden Tag für Tag weiter ertrinken zu lassen. „Warum gelingt es uns nicht, endlich sichere Fluchtwege einzurichten, warum nicht legale Einreisemöglichkeiten?” Dem ist nichts
hinzuzufügen, genauso wie dem Buch von Kingsley, das absolut zu empfehlen ist.
Fazit: Beeindruckender Parforceritt über 300 Seiten von Zentralafrika und Syrien über Libyen und Ägypten, Griechenland und Italien bis schließlich nach Schweden und gleichzeitig Beschreibung einer hochgradig menschenunwürdigen Flucht.
Andreas Pickel
So
18
Dez
2016
Köln ; Bastei Lübbe ; 2016 ; 480 Seiten ; ISBN 978-3-7857-2566-5
Das Warten auf den sechsten Band um die Profilerin Smoky Barrett hat endlich ein Ende: Nachdem sich der Erscheinungstermin für Cody McFadyens neuen Thriller mehrmals verschoben hatte, wurde das Buch im Herbst 2016 endlich veröffentlicht. Groß war meine Vorfreude und ich war gespannt, wie es mit Smoky weitergeht.
Smoky und ihr Team werden im ersten Teil des Buchs zu einem brutalen Mord an drei Familien in derselben Straße in Denver gerufen. Doch das Unheil ist weit größer als es zunächst scheint. „Komm und lerne“, lautet die Botschaft des Täters an Smoky. Die sympathische Profilerin und auch ihr Team gelangen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.
Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt. Die ersten 150 Seiten des Buches sind wie gewohnt sehr spannend, die Ereignisse überschlagen sich und es herrscht völliges Chaos. Wie auch die vergangenen Bände ist dieser Thriller nichts für zartbesaitete Gemüter, da Gewaltszenen und Abartigkeiten von Psychopathen sehr detailliert beschrieben werden.
Allerdings lässt sich das Buch zur Mitte hin schwer lesen und hat sehr viele Längen. Smoky kämpft mit ihren Problemen und ihrer Vergangenheit, aber dies wird zu ausführlich und über viele Kapitel hinweg dargestellt. Auch die Jagd nach dem, was hinter den schauerlichen Morden und Anschlägen steckt, wirkt sehr undurchsichtig und es gibt keinen wirklichen roten Faden, was das Buch sehr wirr erscheinen lässt.
Die Auflösung ist zwar wieder interessant, aber kann die verworrene Handlung auf den meisten der insgesamt fast 500 Seiten nicht mehr retten.
Leider kann dieser Thriller deshalb nicht an seine grandiosen Vorgänger anknüpfen. Vermutlich musste Cody McFadyen den Schreibprozess mehrmals für längere Zeit unterbrechen und wieder neu
beginnen, was sich stark auf den Lesefluss auswirkt.
Fazit: Leider ist dieser Band um Smoky eine Enttäuschung! Für Thriller-Fans, die noch nichts über Smoky Barrett gelesen haben, ist es empfehlenswert zu einem der anderen Bände zu greifen. Es bleibt die Hoffnung, dass Cody McFadyen im nächsten Band wieder zu seinem Stil aus den ersten fünf Bänden zurückfindet.
Katrin Hildenbrand
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© 2016 Katrin Hildenbrand, Harald Kloth
Sa
17
Dez
2016
Reinbek ; Rowohlt ; 2016 ; 400 Seiten ; ISBN: 978-3-499-27152-6
Ruby Sprackling erwacht und ahnt sofort, dass sie nicht bei ihr zu Hause ist. Aber wo ist sie? Wie kam sie an den Ort und was soll das alles? Fast zur gleichen Zeit wird am Strand eine weibliche Leiche gefunden. Helen Grace und ihr Team übernehmen die Ermittlungen.
Schnell stellt sich heraus, dass möglicherweise noch weitere Leichen am Strand begraben sind. Helen wird von ihrer direkten Vorgesetzten zurückgepfiffen und ermittelt weiter im Verborgenen. Sie ahnt nicht, was ihre Chefin im Schilde führt. Mehr und mehr spitzt sich die Lage im Verlies bei Ruby zu und Helen weiss, dass die Zeit gegen sie läuft.
Nach Band 1 „Einer lebt und einer stirbt“ und Band 2 „Schwarzes Herz“ wird die Reihe um die Ermittlerin D.I. Helen Grace geschickt weiterentwickelt. Matthew J. Arlidge lässt den Leser teilhaben am Teamleben der Southampton Central Police. Der häufige Perspektivenwechsel (manche Kapitel sind nur zwei Seiten lang) verleiht dem Erzählbogen die nötige Spannung.
Fazit: Auch der dritte Teil der Krimireihe zieht den Leser in seinen Bann.
Matthias Wagner
Fr
16
Dez
2016
Planegg ; Edition 211, 2016 ; 257 Seiten; ISBN 978-3-95669-069-3
Gleich zu Beginn dieses Krimis wird Anna Benz, die Stuttgarter Ermittlerin, mit einem sehr persönlichen Fall konfrontiert. Am Ende des zweiten Bandes hat sie ihren leiblichen Vater kennengelernt, der nun bei ihr anruft, weil seine Assistentin tot in seinem Atelier liegt. Anna vergisst fast alle Professionalität und eilt zum Tatort. Sie ist befangen, denn sehr schnell gerät ihr Vater in den Mittelpunkt der Ermittlungen. Sie verschweigt das Verwandtschaftsverhältnis, denn sie weiß, dass sie ansonsten vom Fall abgezogen wird. Dies passiert dann aber doch, denn Geschwister können manchmal sehr gemein sein.
Vom Chef in den Urlaub geschickt kann Anna aber nicht die Beine hochlegen, sondern startet einen Alleingang, der immer gefährlicher wird, denn sie ahnt nicht, was für die andere Seite alles auf
dem Spiel steht.
Nach "Tödliche Jagd" (Band 1) und "Die Fliege" (Band 2) entwickelt Silvia Stolzenburg den Plot um die
Ermittlerin Anna Benz im dritten Band der Krimireihe geschickt weiter. So erlebt der Leser einerseits einen sich raffiniert entwickelnden Krimi mit Ausflügen ins Rotlichtmilieu und in den
Knastalltag, andererseits werden die Charaktere der Hauptprotagonisten für den Leser immer klarer.
Fazit: Anna Benz und ihr Umfeld wachsen einem mehr und mehr ans Herz. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
Matthias Wagner
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© 2016 Matthias Wagner, Harald Kloth
So
11
Dez
2016
Berlin ; Rowohlt ; September 2016 ; 333 Seiten ; ISBN 978-3-87134-167-0
Obwohl die Indikatoren deutlich waren, waren zumindest die Regierungen in allen europäischen Regierungen überrascht, oder taten zumindest so, von der Flüchtlingsflut die letztes Jahr über Europa und vor allem mit über 1 Millionen Flüchtlinge über Deutschland hereinbrach. Manche sprachen gar von einem Flüchtlings-Tsunami! Während gerade die osteuropäischen Nationen mit Ungarn an der Spitze ihre Grenzen dicht machten, hat Angela Merkel mit ihrem am 31. August 2015 in der Bundespressekonferenz geäußerten mittlerweile zur Berühmtheit gewordene Satz „wir schaffen das“ zunächst den mehr oder weniger freien Zugang nach Deutschland gewährt. Anfängliches „Zustromregulierungs- und Registrierungschaos“ hat sich mittlerweile mit Etablierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gebessert. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat dafür gesorgt, dass sich die Anzahl der Flüchtlinge über die Ostmittelmeerroute verminderte, wohingegen sich der Strom aus dem zentralen Mittelmeerraum, aus Libyen und Ägypten, signifikant erhöhte. Glaubt man den Recherchen von Patrick Kingsley in seinem empfehlenswerten Buch „Die neue Flüchtlingswelle“ wird die Anzahl der Flüchtlinge nicht weniger werden, Abschottung hin oder her.
Auch wenn die Konflikte in Syrien und Afghanistan, also aus dem Nahen und Mittleren Osten, wider Erwarten schnell gelöst werden sollten, der Strom an Verfolgten und Kriegsgeschädigten aus Ostafrika, z.B. Eritrea oder aus dem Niger-Gebiet wird nicht abreißen. Die Gründe, sich auf eine jahrelange beschwerliche und menschenunwürdige Reise, die mit dem Tod enden kann, einzulassen, sind so gravierend, dass offensichtlich nichts und niemand den Strom an Friedens- und Wohlstandssuchenden reduzieren können. Anstelle also weiter über Möglichkeiten der Eindämmung und Abschottung an den EU-Außengrenzen zu diskutieren, sollte man stattdessen besser den Realitäten ins Auge sehen und sich damit vielmehr der Verbesserung der Möglichkeiten für die Integration widmen. Da kommt gerade das Buch „Die neuen Deutschen“ der Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler und ihrem Mann, dem aus Büchern wie „Die neuen Kriege“ oder Imperien“ bekannten Politikwissenschaftler Herfried Münkler gerade Recht.
Auch die Münklers gehen davon aus, dass sich in den kommenden Jahren die Flüchtlingssituation nicht dramatisch verbessern wird. Vorab zur
Begriffsklärung: ganz einfach gesprochen, Menschen, die zur Flucht gezwungen sind, werden als "Flüchtlinge" bezeichnet, Menschen, die aus eigenem Antrieb ihr Land verlassen, gelten als
"Migranten", Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben, über den noch nicht entschieden wurde, werden als "Asylbewerber" bezeichnet. Da sich also die Zahlen gleich welcher Kategorie nicht
signifikant nach unten bewegen werden, müssen so gesehen dringend und schnellstmöglich Verfahren gefunden werden, die ganzen offenen Baustellen im Umgang mit den Flüchtlingen und Migranten zu
schließen. Und anstelle in den diversen Talkshows allem und jedem der selbsterklärten Experten ein Forum zu geben, ist hier natürlich in erster Linie die Regierung in der Pflicht. Während die
sich aber oft aus parteipolitischem Kalkül nicht auf eine einheitliche Linie im Sinne der darunter leidenden Menschen einigen kann, ja nicht einmal eine sachliche Debatte geführt wird, zeichnen
ihnen die beiden Autoren einen Weg vor und stellen elf Imperative auf, darunter fünf „Merkmale des Deutschseins“, mit denen die Integration gelingen kann. Gelingen von beiden Seiten, d.h. aus
Sicht der
Flüchtlinge, in dem sie sich bestmöglich in unsere Gesellschaft integrieren und aus Sicht von uns Deutschen, dass wir die Integration fördern und aktiv
unterstützen. Die beiden Autoren bauen ihre Imperative mit einem Blick in die Geschichte auf und unterstützen so nachhaltig ihre Argumentation.
Zunächst entmythologisieren sie die aktuelle Flüchtlingssituation, in dem sie darlegen, dass Flüchtlingsbewegungen und –ströme schon immer Teil unserer Geschichte und Gesellschaft waren und somit
auch heute keine besondere Situation oder gar einen Ausnahmezustand darstellen. Menschenbewegungen in größerem Maße zwischen Land und Stadt oder auch über Grenzen und Meeren hinweg gab es schon
immer. Die
Autoren kommen mit dem Griff in die Geschichtskiste auch zu dem Schluss, dass, wie das negative Beispiel Frankreich zeigt, nicht die Staatsbürgerschaft das entscheidende Kriterium für Integration
darstellt oder auch das Gestalten eines Rahmens für eine multikulturelle Gesellschaft, sondern schlichtweg der Arbeitsplatz. Die Migranten und Flüchtlinge müssen die Möglichkeit haben, Deutsche
zu werden, in dem sie Zugang zu Arbeit haben und wer dann für sich und seine Familie für den Lebensunterhalt aufkommen kann, bemüht sich auch umso mehr um Integration, so die Argumentationskette
von Marina und Herfried Münkler. Ansonsten kommt es wirklich zu den ungewollten „Parallelgesellschaften“, in dem
dann die Flüchtinge und Migranten in ihrer eigenen Welt, Religion und Kultur leben. Auch räumen die Autoren mit Mythen oder auch Parolen der Rechten auf, in dem sie in ihren Untersuchungen zu dem
Schluss kommen, dass die Migranten überwiegend eben nicht nach Deutschland kommen, um schmarotzerhaft die großzügigen deutschen Sozialsysteme auszunutzen, sondern sich eben wirklich redlich durch
Arbeit den Zugang zum Sozialsystem verdienen wollen. Dazu muss man ihnen aber Handlungsfähigkeit zugestehen und Sie nicht in Aufnahmelager zum Nichtstun verdammen. Auch widerlegen sie die
Auswirkungen der sogenannten „Pull-Effekten“ wie z.B. das „wir schaffen das“ von Angela Merkel. Viel
stärkeren Einfluss auf die Migrantenzahlen habe die „Push-Faktoren“, also die Ursachen dafür, die angestammte Heimat zu verlassen.
Das deutsche Verständnis von Nation beruht auf einer gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kultur und darauf müssen sich die „Neuankömmlinge“ auch einlassen, wollen sie Teil dieser Gesellschaft
werden. Wir wiederum müssen unseren auch gewerkschaftlich arg regulierten Arbeitsmarkt für diese Menschen öffnen. Trotz zunehmender Automatisierung und Digitalisierung ist schon allein aus
demografischen Gründen Zuwanderung gewollt und gewünscht (bis zu einer Million jährlich, so die Autoren), dies kann und muss auch für Flüchtlinge und Migranten gelten. Das müssen auch die
arbeitsmarktprotektionistisch denkenden Linken und Gewerkschaften endlich akzeptieren. Durch Zugang zum Arbeitsmarkt und dem Willen zu Integration können also humanitäre Gesichtspunkte
berücksichtigt und unser Durst nach Facharbeitern gestillt werden sowie eine vernünftige
Balance zwischen kultureller Identität beim Aufeinandertreffen unterschiedlicher Religionen gewahrt bleiben. „Die neuen Deutschen“ sind aber nicht nur die Flüchtlinge und Migranten, sondern auch
die Deutschen, die den Flüchtlingen hilfsbereit entgegenkommen, kompromissbereit sind, sich den neuen Herausforderungen dahingehend stellen, dass sie sich selbst und ihr sozio-kulturelles Umfeld
positiv in Richtung der neuen Situation bewegen,
einfach weltoffen sind. Im Moment aber sind wir Deutschen, so die Autoren, gespalten, politisch gespalten, gespalten nach Regionen, gespalten in Ost und West. Dabei spalten uns nicht die
Flüchlinge an sich, sondern die gegen die Flüchtlinge gerichteten Aktionen, die wiederum Gegenreaktionen hervorrufen. Wie auch immer, die aktuelle Situation erfordert einen langen Atem und eine
gewisse Frustrationstoleranz auf beiden Seiten, aber wenn der Staat, Wirtschaft und wir, die Zivilgesellschaft, an einem Strang ziehen wird es funktionieren. Der italienische Schriftsteller
Tomasi di Lampedusas sagte einst: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, muss sich alles andere verändern“. Und auch der in diesem Sinne engstirnigst Denkende muss einsehen, dass dies
nicht möglich ist. Deutschland wird oder ist bereits ein Einwanderungsland und ist hin auf dem Wechsel zu einer offenen Gesellschaft.
Die Menschen, die sich auf dem harten Weg nach Europa machen, haben derartig gravierende Gründe, dass sie sich in ihrem Drang nach Frieden oder
lebensnotwendigen Dingen nicht durch Grenzzäune und einer möglichen Rückführung abschrecken lassen. Man muss die Flucht, die Migration und die Aufnahme also humanisieren. Ansonsten kommt es
traurigerweise dazu, wie es die Münklers so treffend bezeichnen, zu noch mehr Grabstätten der Namenlosen, zum Grab des unbekannten Flüchtlings in Anlehnung an das Grab des unbekannten Soldaten
nach dem 2. Weltkrieg – und trotz Vorfälle in Bautzen und Dresden sind wir in Deutschland ein Vorbild an Gastfreundlichkeit, stehen damit aber in Europa leider weitestgehend alleine da.
Fazit: Das Buch von Marina und Herfried Münkler liefert Antworten und Konzepte, die wir schon lange von der Politik erwarten, vor allem erwarten können. Schweigen im Verständnis auch von Konzeptlosigkeit erzeugt nur Verunsicherung, schürt Ängste und spielt den Rechten in die Hände. Integration ist eine politische Angelegenheit und nicht eine pure administrative Maßnahme. Polemik frei wird durch das Ehepaar Münkler basierend auf historischen Grundlagen und definierten kulturellen Rahmenbedingungen ein relativ einfach umzusetzendes Maßnahmenpaket geliefert. Das ist auch die Stärke des Buches, es verzichtet auf eine attraktive und medienwirksame aber dafür unrealistische und vor allem langdauernde Problemlösung. Es ist heutzutage nicht mehr die Frage nach dem „ob“ der Integration, sondern nach dem „wie“. Und dafür liefern die Autoren einfache Rezepte. Nun liegt es an der Politik, die Vorschläge oder zumindest die dahinter steckende Grundidee aufzugreifen und unter „Mitnahme“ der Bevölkerung und der Flüchtlinge umzusetzen. Aber angesichts der anstehenden Bundestagswahl kann man da erst einmal skeptisch sein.
Andreas Pickel
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© 2016 Andreas Pickel, Harald Kloth
So
04
Dez
2016
München ; dtv ; 2016 ; 380 Seiten ; ISBN 978-3-423-26123-4
Im Debütroman von Ruth Ware „Im dunklen, dunklen Wald“ wird die 26-jährige Nora zu ihrer Überraschung zum Jungesellinnenabschied ihrer ehemaligen Schulfreundin Clare, zu der sie seit Schulzeiten
keinen Kontakt mehr hatte, eingeladen. Nach langer Überlegung sagt sie doch zu und verbringt ein Wochenende mit fünf anderen in einem Haus in den einsamen Wäldern Nordenglands. Sehr schnell
bereut Nora ihre Entscheidung und wird von den Geistern ihrer Vergangenheit eingeholt.
Dieser Thriller ist in der Ich-Perspektive von Nora geschrieben und beschreibt damit die Gefühlswelt und das Innenleben der einsamen jungen Frau. Sie erwacht mit schweren Verletzungen in einem
Krankenhaus und hat Erinnerungslücken an die letzten Stunden vor dem Unfall. Die Handlung wechselt vom gegenwärtigen Geschehen im Krankenhaus zu den Ereignissen des Jungesellinnenabschieds und
der Erinnerung Noras daran. Was ist passiert? Was hat Nora getan?
Vor zehn Jahren ist etwas Schreckliches geschehen, so dass sie damals die Schule und ihren bisherigen Freundeskreis verlassen hat. Das Rätsel um dieses Geheimnis und die Spannung was an diesem Wochenende „im dunklen, dunklen Wald“ passiert ist, machen neugierig. Der gut aufgebaute Spannungsbogen vor allem im ersten und letzten Teil führt dazu, dass man dieses Buch kaum mehr aus der Hand legen möchte.
Die Autorin schafft es eine düstere Stimmung zu erzeugen und die Charaktere sind sehr durchdacht skizziert. Die Hauptfigur Nora wächst einem mit jedem Kapitel mehr ans Herz und hat sehr sympathische Züge trotz ihrer Naivität. Die Auflösung wirkt etwas unrealistisch, aber ansonsten ist dieses Buch ein solider und sehr spannender Thriller.
Fazit: Ein beklemmender und fesselnder Thriller mit vielen überraschenden Wendungen.
Katrin Hildenbrand
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© 2016 Katrin Hildenbrand, Harald Kloth