Sie kritisieren, dass an den Islam und die Muslime andere Maßstäbe angelegt werden als beispielsweise an das Christentum und gläubige Christen. Woran machen Sie das fest?
Das Bundesverfassungsgericht hat bestimmt, dass ein Verbot religiöser Zeichen alle Religionen gleichermaßen treffen muss. Dennoch haben mehrere Bundesländer für christliche Symbole eine Ausnahme ins Gesetz geschrieben – getarnt als Prämie für den Kulturwert des Christentums, der mit dem christlichen Beitrag zur Aufklärung identifiziert wird. In der Praxis des Religionsverfassungsrechts schlägt es dem Islam immer noch zum Nachteil aus, dass er sich nicht wie die Kirchen als Anstalt organisiert – obwohl die freie Assoziation als Prinzip der Moscheegemeinden dem liberalen Gesellschaftsideal doch viel besser entspricht als die hierarchische Korporation. Gemäß Artikel 7 des Grundgesetzes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Meiner Meinung nach sind hier auch die organisationsrechtlichen Grundsätze zu berücksichtigen: Die Länder dürfen die Anforderungen an muslimische Veranstalter von Religionsunterricht nicht unerreichbar hoch schrauben.
Besonders stark kritisieren Sie in Ihrem Buch Necla Kelek. So ganz weiß man am Ende nicht, wofür? Für ihre dramatisierende Islamkritik? Für die Pathologisierung der eigenen Biografie in der Islamdebatte? Oder für ihre säkulare Haltung?
Ihre säkulare Haltung fordert als kämpferische politische Position zur Stellungnahme heraus. Im Buch ging es mir insoweit nur darum, diese Haltung ideengeschichtlich zu konturieren. Nicht allen ihren Fans dürften ihre kemalistischen Hintergrundannahmen deutlich sein, die in der Konsequenz das Christentum ebenso aus der politischen Wirklichkeit hinausdrängen müssten wie den Islam. Necla Kelek hat die Wirkungen einer islamischen Sozialisation am Beispiel ihres eigenen Lebens demonstriert. Liest man, von ihr angeleitet, ihre Biographie, mag man sich fragen, wie repräsentativ dieses Beispiel ist, und wie gut sich die Lektionen, die sie ja nicht nur für sich, sondern für alle Muslime daraus gezogen hat, wirklich verallgemeinern lassen. Die Dramatisierungen in Frau Keleks Beschreibung des heutigen Islams in Deutschland sind in der Tat kritikwürdig. Hartnäckig ignoriert sie Tatsachen und verbreitet Legenden – mit ihrem Selbstverständnis als Aufklärerin ist solcher Antipositivismus schlecht in Übereinstimmung zu bringen.
Der säkulare Staat und die »säkularen Religionsverächter« kommen in Ihrem Buch nicht gut weg. Ist die Säkularisierung der Welt schuld an der Islamkritik?
Islamkritik als gesetzgeberisches Programm ist halbierte, autoritäre Säkularisierung, Unterdrückung der Religion durch eine neue Staatsreligion. Islamkritiker berufen sich immer wieder auf die christlich-jüdischen Traditionen Deutschlands oder Europas. Scheinen die Probleme nicht eher im religiösen Bereich zu liegen? Die christlich-jüdische Tradition ist ein Kampfbegriff, der ursprünglich der ökumenischen Sammlung im Kalten Krieg gedient haben mag und heute den Zweck der Ausgrenzung des Islams hat. Inwieweit dieser erfundenen Tradition eine »authentische« religiöse Dimension zugewachsen ist, inwieweit man also von einem christlich-jüdischen Synkretismus sprechen kann, ist schwer zu beurteilen.
Sie behaupten, dass das Bekenntnis zum »säkularen Gesetz« noch keinen Rechtsstaat mache. Braucht ein Rechtsstaat religiöse Rechtsnormen?
Die Behauptung, das Bekenntnis zum säkularen Gesetz mache noch keinen Rechtsstaat, werden Sie in meinem Buch nicht finden. Oder welche Stelle haben Sie im Auge? Ich kann mir sehr wohl einen Staat von Atheisten denken. Mein Rechtsstaatsverständnis ist durch den liberalen Positivismus Hans Kelsens geprägt. Das weltliche Recht ist etwas Gemachtes, Änderbares, auf Zeit Gültiges. Es beruht auf Vereinbarung. Das Bewusstsein dafür, dass Rechtsetzung und Rechtsfindung praktische Aufgaben sind, dass es um belastbare Kompromisse geht, nicht um Deduktionen aus ewigen Wahrheiten, wird gestärkt, wenn man sich vor Augen führt, dass die Bürger moralische Überzeugungen in den Staat mitbringen und nicht so einfach loswerden.
Religiöse Rechtsnormen wurden in letzter Zeit eher im Zusammenhang mit Missbrauch diskutiert. Ihre Anwendung führte keineswegs zur Festigung des Rechtsstaats, sondern vielmehr zu dessen permanenter Unterwanderung.
Diese Deutung der Missbrauchsskandale greift zu kurz. Sexuelle Gewalt unter Berufung auf religiöse Rechtstitel dürfte nur in extremen Ausnahmefällen vorgekommen sein. Das kirchliche Recht hat die gesamte abendländische Strafrechtspflege geprägt. Ob die kirchliche Strafgerichtsbarkeit zur Bestrafung von Sexualdelikten benötigt wird, ist die Frage. Die Parallelstrukturen begegnen in der Tat rechtsstaatlichen Bedenken – entscheidendes Stichwort: Verbot der Doppelbestrafung. Bedenken Sie aber, dass das kirchliche Disziplinarrecht wie jedes Dienstrecht Sanktionen in Fällen ermöglichen kann, in denen nach weltlichem Strafrecht Verjährung eingetreten ist oder die Beweisschwelle zu hoch liegt.
Brauchen wir eine deutsche Leitkultur?
Im Begriff der Kultur liegt das zwanglos Vorbildliche. Das Wort »Leitkultur« ist hoffnungslos verkrampft. Es zementiert den Glauben an selbstverständliche Verhaltensregeln, den es verkündigen soll.
Gehört der islamische Glaube zu Deutschland?
Welche Weltreligion gehört zu einem bestimmten Land? Frankreich als erste und treueste Tochter der Kirche – das ist die Vorstellungswelt der Konfessionskriege. Eine Nation, die sich die Islamkritik auf ihre Fahnen schriebe, wäre allerdings ebenfalls ein Anachronismus.
Sind in einer globalisierten Welt Leitkulturdebatten nicht zum Scheitern verurteilt?
Durch die monotone Beschwörung der deutschen Leitkultur haben sich einige christdemokratische Politiker den Blick dafür versperrt, was das abendländische Erbe Deutschlands tatsächlich ausmacht: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, das den mittelalterlichen Universalismus in die moderne Welt herübertrug, hat sich der rechtlichen Organisation des religiösen Pluralismus gewidmet. Friede durch Recht: das hieß, dass Leute, die einander wechselseitig das ewige Leben in der Hölle prophezeiten, es miteinander aushalten konnten.
Ist die Islamkritik selbstreferenziell und damit sinnentleert?
Zu den parareligiösen Zügen der Islamkritik gehört, dass sie auf empirische Bestätigung nicht angewiesen und durch empirische Widerlegung nicht zu erschüttern ist. Sie produziert sozialen Sinn für Gläubige.
Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift
C. H. Beck 2011
320 Seiten. 19,95 Euro
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