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»Die Religionsfreiheit ist in Gefahr«

Provozieren diese »Panikmacher« eine Paranoia vor dem Islam oder bedienen sie sich einer vorhandenen Angst, wenn sie ihre islamophoben Thesen in die Welt setzen?

Man unterscheidet in der moralischen Psychologie gerne zwischen der Furcht, die sich auf eine definierte Gefahr konzentriert, und der diffusen Angst. Die eine möchte man für rational halten, die andere für irrational. In der Welt nach dem 11. September genügt diese Maxime nicht mehr. Die iranische Atomrüstung und die Anschlagsplanungen von Al Qaida müssen wir fürchten, und der politische Islam muss uns Angst machen. Mein Buch spielt entgegen den Behauptungen einiger Rezensenten diese Gefahren nicht herunter. Ganz im Gegenteil. Ich fürchte nur, dass die von der Islamkritik empfohlenen Gegenmittel wirkungslos und sogar gefährlich sind. Wenn der Historiker Hans-Ulrich Wehler den Islamismus die Pest des einundzwanzigsten Jahrhunderts nennt, ist das eine drastische Formulierung, die ihren Zweck als Alarmglocke tatsächlich erfüllen mag. Ich erlaube mir lediglich die Anmerkung, dass man die Pest nicht eindämmen wird, indem man alle Muslime in Deutschland unter Quarantäne stellt.

Die Islamkritik ist ein recht junges, aber erfolgreiches Phänomen, immer wieder stößt sie auf ein breites Echo in der Bevölkerung. Wie kommt das?

Für die historische Einordnung des Phänomens der Islamkritik ist wichtig, dass es ihre Thesen schon vor dem 11. September gab, als komplettes Paket, etwa im Programm christlicher Splitterparteien. Sie war aber ein Ladenhüter. Heute wirken ihre schlichten Erklärungen auf viele Leute überzeugend, aber dabei handelt es sich nur um eine vordergründige Plausibilität. Ein Grund der Anziehungskraft der Islamkritik ist die allgemeine Vertrauenskrise des politischen Systems. Sarrazin fand viel Zustimmung bei Zeitungslesern, die von Frau Merkel verlangten, sie hätte das Buch lesen müssen, bevor sie ein Urteil abgab. Viele dieser Sarrazin-Unterstützer legen Wert darauf, dass sie ihm in der Sache gar nicht zustimmen. Andererseits werden sie glauben, so ganz falsch liege Sarrazin in der Sache des Islam nun auch wieder nicht. Im klassischen Zeitalter des deutschen Bürgertums weckte der Islam die intellektuelle Neugier eines Publikums, dessen Leidenschaft die theologische Spekulation war. Diese Leidenschaft gibt es nicht mehr. Der Islam stört die säkulare Selbstzufriedenheit, ohne dass von ihm wie von früheren Herausforderungen des abgeklärten Konsenses – dem christlichen Sozialismus, der Dialektischen Theologie oder dem Zionismus – eine moralische und intellektuelle Faszination ausginge. Er wird einfach nur als Störung empfunden, als Irritation.

Wie Wissenschaftler der Humboldt-Universität in Berlin nachwiesen, war Thilo Sarrazins Pamphlet »Deutschland schafft sich ab« voller fehlerhafter Ableitungen. Dennoch ist es ein Kassenschlager und ein großer Teil seiner Leser stimmt ihm zu. Wie kommt es, dass bei der Islamdebatte statistische Evidenz und soziale Wahrnehmung so weit auseinander fallen?

Sarrazin behauptet, sein Buch biete gar keine Thesen, nur Tatsachen. Wissenschaftstheoretisch ist das Quatsch. Aber ein Buch, das gar keine Hypothesen formuliert, kann auch nicht durch Empirie falsifiziert werden. Bei jedem Gegenbeispiel werden die Sarrazin-Gläubigen darauf beharren, das Gesamtbild sei aber unzweifelhaft wahr. Daher die vielen Appelle an den gesunden Menschenverstand, auch in Necla Keleks Plädoyer für das Buch. Und doch ist die Simulation von Wissenschaftlichkeit, der von Sarrazin getriebene Aufwand, für den Erfolg sehr wichtig. Die Lektüre ist anstrengend. Viele Leser bleiben stecken, sind aber stolz darauf, wie weit sie gekommen sind. Und sind erst recht zornig auf die Kanzlerin, die sich die Mühe gespart hat.

Der These der Islamkritiker, der Islam sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, halten Sie entgegen, dass die Islamkritik als präventiver Akt dem Grundgesetz schade. Wie ist das zu verstehen?

Das Grundgesetz bedarf der praktischen Aneignung, der belebenden Interpretation durch die Staatsbürger. Der eine oder andere konservative Staatsrechtslehrer bedauert, dass der Katalog der Grundrechte nicht sogleich durch eine Aufzählung der Grundpflichten relativiert wird. Ich halte es dagegen für die liberale Pointe der Verfassungsarchitektur, dass das Grundgesetz Spielräume eröffnet: Seine Wirklichkeit hat es im Streit und als Experiment. Es wäre voreilig, der Tradition einer Weltreligion zu bescheinigen, sie habe zur Ausdeutung des Grundgesetzes gar nichts beizutragen.

In Ihrem Buch kritisieren Sie immer wieder die Einschränkung der Rechte der muslimischen Gläubigen, ihre Religion auszuüben. Bestes Beispiel sei das Kopftuchverbot, dass sie als »Akt der seelischen Gewalt« gegenüber muslimischen Frauen bezeichnen. Können Sie mir das erklären?

Ein Kopftuchverbotsgesetz trifft diejenigen Frauen, die das Gebot der Bedeckung des Haupthaars als unbedingt verpflichtend empfinden. Sie käme sich nackt vor, wenn sie ohne Kopftuch das Haus verließe, hat die Beschwerdeführerin im Karlsruher Verfahren zu Protokoll gegeben. Betrachtet man das Gesetz vor dem Horizont der Lehrerin, nötigt es sie, sich entweder zu entkleiden oder auf ihren Beruf zu verzichten.