Der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi hat mit seinem Buch »Sua Santità« die Vatileaks-Affäre ausgelöst. Kurz nach dem Erscheinen des Buches in Italien im Frühjahr 2012 wurde der päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele festgenommen. Er soll dem Journalisten zahlreiche geheime Dokumente aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI. zugespielt haben und wird sich nun wohl vor Gericht verantworten müssen. Nun erscheint die deutsche Ausgabe von Nuzzis Enthüllungsbuch, das neben Abbildungen der Dokumente auch pikante Details zum Verhältnis des deutschen Papstes zu seiner Kirche in der Heimat enthält. »Seine Heiligkeit« ist für alle Beteiligten eine peinliche Angelegenheit.
Nachdenklich wirkt Gianluigi Nuzzi, als er sein Buch über Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI vorstellt, welches seit gestern im deutschen Buchhandel ist. Immer wieder hält er inne und wägt seine Worte ab, mit denen er das Buch Seine Heiligkeit präsentieren will. Bereits das italienischsprachige Original Sua Santità hatte bei seinem Erscheinen im Mai für Furore gesorgt, weil kurz nach der Publikation der päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele in vatikanische Haft genommen worden war. Das Buch gilt daher als Auslöser für die Vatileaks-Affäre und wird als solches in die Geschichte eingehen. Dabei deckt der italienische Journalist hier kaum neue Skandale auf, aber er ordnet sie erstmals eindeutig zu. Verantwortlichkeiten und Quellen werden erstmals genannt, so dass die anonymen Skandale nun erstmals auch Gesichter und Geschichten bekommen.
Nuzzi rühmt sich nicht im Licht des Erfolges. Er ist ein stiller, fast schweigsamer Journalist, der weiß, dass das Aufdecken wesentlicher Teil seiner Arbeit ist. Das Buch ist daher nichts weiter als Resultat seines täglichen Tuns. Insofern haben ihn auch die Reaktionen aus dem Vatikan überrascht, der zum einen versucht hat, Nuzzi zu verklagen und zum anderen rigide gegen dessen möglichen Hauptinformanten, den Kammerdiener des Papstes Paolo Gabriele, vorgegangen ist.
Die Nachdenklichkeit des italienischen Journalisten ist zum einen darauf zurückzuführen, dass er einen grundsätzlichen Irrtum richtigstellen muss. Viele Journalisten hofften, Nuzzi würde ein Werk vorlegen, was ähnlich ins Kontor der Kirchenmoral schlägt, wie der weltweite Missbrauchsskandal. Betrachtet man die Vatileaks-Affäre, ist das tatsächlich geschehen. Es war aber nie die Absicht des Investigativ-Journalisten. Vielmehr wundert ihn die panische Reaktion aus dem Vatikan. Er wollte nie hämisch die Kirche mit dem Bad ausschütten. Vielmehr versteht er sein Buch Seine Heiligkeit in erster Linie als eine Sammlung und Auswertung ihm übergebener Dokumente, die er zwar offen- und auslegt, aber weder moralisch noch abschließend bewertet.
Nuzzis Bedachtsamkeit ist zum anderen aber auch auf seinen eigenen Katholizismus zurückzuführen. Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass ihm der Zustand der Kirche, deren Abgründe er offenlegt, auch wehtut. Bei der Vorstellung der deutschen Auflage seines Buches gesteht Gianluigi Nuzzi, dass er als Katholik gelitten und ein starkes Unbehagen aufgrund der innervatikanischen Machtkämpfe verspürt habe. Dies scheint ihn auch wütend zu machen. Kurz verlässt er bei der Pressekonferenz zum Erscheinen des Buches seine bedachte Haltung und schimpft, dass die Heftigkeit dieser Machtkämpfe erkennen lasse, »wie sehr manche Teile dort von der eigentlichen Kirche entfernt sind.« Anschließend zieht er sich sofort wieder zurück und betont in aller Behutsamkeit, dass Glaube und Kirche zu trennen sind. Wer sein Werk aufmerksam liest, wird kein Wort gegen Gläubige finden.
Gianluigi Nuzzi macht in Seine Heiligkeit geheime vatikanische Dokumente erstmals der Öffentlichkeit zugängig. Die Protokolle, Briefe, Urkunden, Pressemitteilungen, Notizen und andere Schriftstücke, die allesamt über den Schreibtisch des Papstes gegangen, von diesem gelesen, kommentiert oder selbst geschrieben worden sind, zeigen den Vatikan als korrupten, machtgetriebenen, zerrütteten und zerstrittenen Kleinstaat und erlauben einen Blick in die innervatikanischen Abläufe in Krisenzeiten. Sie zeigen den Vatikan als territorialen Zwergenstaat mit exterritorialem Weltmachtanspruch, der bei seiner Beziehungspflege zu anderen Staaten immer wieder über das Ziel hinausschießt.
Die Dokumente bilden aber auch ein umfassendes Panorama der weltweiten Schwierigkeiten ab, vor denen die katholische Kirche steht. Sein Buch erzähle »von Kriegen, die im Vatikan stattfinden«, fasst Nuzzi diese Ansammlung an Informationen zusammen. Entsprechend geht es in dem Buch thematisch durcheinander. Mal stehen die Pius-Brüder im Mittelpunkt einiger Ausführungen, dann geht es wieder um den Missbrauchsskandal. Seitenlang nimmt Nuzzi das innerkirchliche Regiment von Kardinal Tarcisio Bertone (der in dem Buch mit zahlreichen Affären in Verbindung gebracht wird) auseinander, dann wieder in einzelnen Abschnitten die fehlende Durchsetzungskraft der Kirche gegenüber erzkatholischen Splittergruppen. Eine klare Linie zieht sich nicht durch das Buch, aber wohl auch, weil es der katholischen Kirche und dem Vatikan an klarer Linie fehlt.
Der inhaftierte päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele gilt allgemein als Kronzeuge des italienischen Journalisten. Nuzzi will dies weder bestätigen noch kommentieren, betont aber, dass er seine Informationen von mehreren Personen erhalten habe. Paolo Gabriele gehört zweifelsohne dazu. Bei seinem letzten Treffen mit ihm sei dieser »sehr klar und mit sich im Reinen« gewesen, da er sich auf seinen Glauben stützen konnte, berichtet er. Darüber hinaus erfährt man nur so viel: Nuzzi hat seine Informationen von mehreren Personen. Diese hat er auf der ganzen Welt getroffen. Seine Gesprächspartner kennen den Vatikan von innen und von außen.