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Vatileaks oder: Die Kriege im Vatikan

Der Kontakt zu seinem Hauptinformanten mit dem Decknamen »Maria« sei nach seinem ersten Buch über die Finanz- und Politskandale der katholischen Kirche Vatikan AG entstanden. Darin hatte Nuzzi die undurchsichtigen Machenschaften des Vatikans in finanziellen Angelegenheiten beleuchtet und deren Tragweite deutlich gemacht. Dass die Vatikanbank IOR und ihr Einfluss auf zahlreiche Politskandale in den vergangenen Jahren ins Visier italienischer und europäischer Finanz- und Geldwäscheexperten geraten sind, ist nicht zuletzt auch Nuzzi zu verdanken.

Seine Heiligkeit ist eine Aufstellung der Probleme der katholischen Weltkirche: Von den moralischen Schwierigkeiten aufgrund der Skandale um die Legionäre Christi, die Annäherung an die Piusbruderschaft, die radikalen Positionen des Opus Dei oder die Missbrauchsfälle über die Finanzprobleme der Kirche mit schwarzen Kassen, Geldwäsche, Korruption und Entschädigungszahlungen bis hin zu den innerkirchlichen Streitigkeiten, Auseinandersetzungen und Diffamierungskampagnen. Vieles von dem, was man hier liest, verwundert nicht. Und doch schüttelt man immer wieder innerlich den Kopf, weil die Vorstellungskraft übersteigt, was man da an vatikanischer Logik und Argumentation liest.

Gianluigi Nuzzi geht in seinem neuerlichen Vatikan-Buch auch auf einige Fragen ein, die einen expliziten Deutschlandbezug aufweisen. So liest man, dass Papst Benedikt XVI. eine deutlichere Positionierung seines Nuntius in Berlin, Jean-Claude Périsset, erwartet hätte, als Angela Merkel die Aufhebung des Exkommunikation der Pius-Bischöfe anno 2009 aufgrund deren antisemitischer Positionen verurteilt hatte. »Die Reaktion des Nuntius auf die Äußerung von Frau Merkel (Anlage 1 zum Brief vom 4. Februar) ist zu schwach – nur eine Information. Nötig gewesen wären dagegen klare Worte des Protests gegen diese Einmischung in die Angelegenheiten der Kirche.«

Auch die Haltung von Kardinal Karl Lehmann, der in der WELT eine Entschuldigung des Heiligen Vaters bei den Kirchenmitgliedern und den Juden gefordert hatte, sowie die weitere Kritik aus der deutschen katholischen Kirche stieß im Vatikan auf deutliche Irritationen. Es sei notwendig, »die Reaktionen aller deutschen Bischöfe zu kennen«, schrieb der Papst vertraulich an seine Mitarbeiter, »um die Linie des Heiligen Stuhls zu verdeutlichen«, wenn der »mediale Tsunami« vorbei sei.

Auch in Sachen Weltbild-Verlag finden sich Informationen in Nuzzis Buch. Als im Oktober 2011 deutsche Medien enthüllen, dass Deutschlands zweitgrößter Buchhändler im Besitz einiger deutscher Bistümer sein Geld mit esoterischen und pornografischen Büchern verdient, ist die Aufregung groß. Erinnerungen an Italiens berühmtestem Sexclub der 1980er Jahre, dem Mailänder Teatrino, werden wach, der in einem Haus des Kapuzinerordens untergebracht war. Außen hui, innen pfui. Der Papst wollte die Causa Weltbild schnell geregelt sehen, sprach sich daher für eine schnelle Trennung von dem Unternehmen aus: »In Anbetracht des Problems und des Skandals glaube ich, dass man den deutschen Bischöfen ‚helfen‘ muss, sich sofort von diesem Verlag zu trennen.«

Inzwischen ist es kein Geheimnis, dass dies nicht geschehen ist. Da der Verlag in Zeiten fehlender Einnahmen eine sichere Finanzquelle darstellt, haben sich die deutschen Bischöfe geeinigt, den Verlag in eine gemeinnützige Stiftung umzuwandeln, deren Gesellschafteranteile karitativen Zwecken zukommen sollen. Ob man esoterische und pornografische Titel aus dem Sortiment nimmt, ist noch nicht entschieden. Während etwa der puritanische SM-Porno und Kassenschlager Shades of Grey mit Warnhinweis zu kaufen ist, ist das Aufklärungsbuch Make Love indiziert worden. Die Doppelmoral setzt sich fort.

Eines aber wird auf den speziell dem deutsch-vatikanischen Verhältnis gewidmeten Seiten deutlich. Das Verhältnis des Vatikans zu Deutschland, der deutschen katholischen Kirche und den deutschen Katholiken ist aus vatikanischer Perspektive deutlich kühler, als dies hierzulande manchmal scheint.

Das Erstaunlichste an Nuzzis Enthüllungen ist aber das persönliche Engagement des deutschen Papstes. Man ist erstaunt, festzustellen, dass Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. selbst an Formulierungen in Pressemitteilungen mitschreibt, kaum eine Notiz unkommentiert lässt und das Verhalten von katholischen Repräsentanten in aller Welt be- und auswertet, um die Kirche auf Linie zu bringen.

Dank Gianluigi Nuzzi kann man nun nachvollziehen, wie rücksichtslos und wenig empathisch Ratzinger und sein Kirchenstaat dabei vorgehen. Die ihm vorliegenden Dokumente befinden sich alle im Anhang des Buches, können im Original und in der deutschen Übersetzung eingesehen werden. Im Gegensatz zu seinem Untersuchungsgegenstand lässt der Italiener Transparenz walten, soweit es der Quellenschutz zulässt. Schließlich soll sich jeder selbst ein Bild von der Kirche und ihren inneren Zuständen machen. Was er liefert, ist nicht das Urteil, über das es zu berichten gilt, sondern das Anschauungsmaterial.

Seine HeiligkeitGianluigi Nuzzi: Seine Heiligkeit. Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI

Aus dem Italienischen von Enrico Heinemann, Walter Kögler, Christiane Landgrebe, Antje Peter und Rita Seuß

Piper Verlag 2012

415 Seiten. 22,99 Euro

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