Mit »Die Nonne« des französischen Regisseurs Guillaume Nicloux und »Im Namen des…« der polnischen Filmemacherin Małgorzata Szumowksa zeigen zwei Filme aus dem Wettbewerb der diesjährigen Berlinale die fanatische Seite des Religiösen. Sowohl Nicloux’ Adaption von Denis Diderots gleichnamigen Romanfragment als auch Szumowskas Geschichte eines homosexuellen Priesters in Polen machen deutlich, wie der Mensch im Mahlwerk der religiösen Dogmen kaputtgemacht wird.
Weil sie nicht mehr als ein Körper ohne Seele sei, muss sich die ungehorsame Suzanne (Pauline Etienne) auf die Stufen des Präfektoriums legen, dass ihr Mitschwestern auf sie drauftreten mögen. Diese Szene aus Guillaume Nicloux’ Film La Religieuse (dt. Die Nonne) ist prototypisch ist für das Bild des Religiösen, das auf der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb gezeichnet wird. Es ist das Bild einer autoritären, dogmatischen und fanatischen Selbstbezogenheit, die den Blick auf den Menschen und seine Bedürfnisse verloren hat.
Während im Vorjahr mit Metéora oder Gnade Filme um die Bären konkurrierten, in denen Religiosität und Erlösungshoffnungen als zwar entrückte, aber faszinierende Entitäten vorgeführt wurden, sind beim diesjährigen 63. Internationalen Filmfestival in Berlin mit dem Film W iemi… (dt. Im Namen des…) der polnischen Regisseurin Małgorzata Szumowksa und Guillaume Nicloux’ Adaption der gleichnamigen Vorlage von Denis Diderot Beiträge zu sehen, in denen die unmenschliche, inhumane Seite des Systems Kirche hervorgekehrt wird.
Die beiden Filme könnten unterschiedlicher kaum sein. In Nicloux’ Film, der im Frankreich des 18. Jahrhunderts spielt, steht die junge Suzanna im Mittelpunkt, die von ihren Eltern aufgrund finanzieller Schwierigkeiten vorübergehend in ein Kloster geschickt wird. Als sich die Situation der Eltern verschlimmert, soll Suzanne in den Ordne eintreten. Die junge Frau hat jedoch keinerlei Zugang zum religiösen Leben, erträgt die kirchliche Autorität und die Entbehrungen des Lebens, die mit dem Ordensleben einhergehen, kaum. Sie verweigert sich der Aufnahme und wird nach Hause geschickt.
Dort wird sie von ihrer Mutter (Martina Gedeck) unter Druck gesetzt, die ihrer Tochter gesteht, dass sie »die Frucht« einer Affäre ist und keine Wahl hat, wenn sie nicht verstoßen werden will. Die Mutter, selbst in eine arrangierte Ehe gezwungen, gibt der Tochter eine ähnliche Unfreiheit weiter, wie die, der sie selbst ausgeliefert ist. Suzanne kehrt verzweifelt in den Orden zurück und gerät dort in das Mahlwerk des religiösen Zwangssystems – ein System, in dem die junge, freiheitsliebende und dem Leben zugewandte Frau keinen Platz finden kann. Ihr Aufbegehren gegen den Zwang zu glauben, den Zwang zu gehorchen, den Zwang, Vernunft und Persönlichkeit abzulegen, führt dazu, dass das System mit all seiner Gewalt und Brutalität antwortet. Suzanne wird von der Schwesternschaft ausgeschlossen, ihr wird das Essen und die Möglichkeit der Körperpflege entzogen, sie wird in Isolationshaft gesteckt. Dem System geht es darum, die Person in Suzanne zu vernichten, bis nur noch der Körper bleibt, den man treten und bis zur Nicht-Existenz schinden kann.
Guillaume Nicloux erzählt in bedrückenden und erschreckenden Bildern von der religiösen Oppression und dem Ausgeliefertsein des Individuums in einem fanatischen System. Zugleich ist sein Film eine Hommage an den Menschen, indem er das Aufbegehren des Individuums gegen die unterschiedlichen Instrumentalisierungen zeigt, die Suzanne unter verschiedenen Oberinnen erfährt – sei es, die des unschuldigen Familienopfers bei ihrer ersten Ordensmutter (Françoise Lebrun), die des Hassobjekts bei der zweiten (Louise Bourgoin) oder die der begehrten Frau im Falle der dritten Oberin (Isabelle Huppert). In allen Fällen geht es nicht um die junge Suzanne, sondern es geht darum, ob sie sich dem System, mit dem sie konfrontiert ist, bis zur Negation ihrer Selbst ausliefert und unterordnet.
Nicloux’ Herangehensweise an die unterschiedlichen Zwangssysteme des 18. Jahrhunderts ist ebenso sensibel wie offen. Er zeigt nicht nur die Repressionen der Religion, sondern auch das gesellschaftliche Zwangssystem des Patriarchats. Der Auslieferung Suzannes an den katholischen Orden steht die Alterative der Selbstaufgabe in einer Zwangsehe gegenüber – ein Leben, das nicht deutlich mehr Freiheiten offenbart, wie an der Rolle ihrer Mutter gezeigt wird. Die Nonne ist daher auch ein Film gegen die Unterdrückung der Frau, die auch heute noch Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist. Guillaume Nicloux selbst bestätigte dies in Berlin. Er erzählte, wie seine 15-jährige Tochter nach der Lektüre von Diderots Roman auf seine Frage, ob sie eine solche Unterdrückung der Frau heute noch für möglich halte, sagte, dass sich doch nicht viel geändert habe. Nur die Mittel seien andere geworden.
Wenn wir genau hinschauen, dann sieht man die Wirklichkeit, mit der Frauen im 18. Jahrhundert konfrontiert waren, auch in der Gegenwart. In vielen nicht-westlichen Gesellschaften herrschen weiterhin patriarchale Strukturen, unter denen Frauen tagtäglich zu leiden haben. Ob in Indien, Mali, Ägypten, im Iran oder in Syrien – stets sind Frauen und Kinder die am stärksten in Mitleidenschaft gezogenen Wesen in diesen Gesellschaften und ihren Konflikten. Den Anspruch, dass Männer über das Leben von Frauen entscheiden, spüren wir aber auch immer noch in Europa, etwa wenn die reaktionären religiösen Kräfte über Abtreibung, Verhütungsmittel und Sexualmoral entscheiden wollen.
Aus diesem Grund ist Guillaume Nicloux’ Adaption von Denis Diderots historischem Roman »Die Nonne« ein höchst aktueller Kinofilm. Die belgische Hauptdarstellerin Pauline Etienne brilliert in ihrer Rolle als unfreiwillig Leidende und freiwillig Rebellierende. Sie hat sich dieser Zuschreibung völlig ausgeliefert, ohne dabei die Kontrolle über sie zu verlieren. Sie erscheint uns als die neue Jeanne d’Arc im Kampf des Individuums gegen das System Kirche.
[…] Geschichte aber hat technisch nichts mit Seidls dokumentarischer Ruhe zu tun, die man aus seiner PARADIES-Trilogie oder zuletzt aus seiner Erkundung der österreichischen Kellerexistenzen kennt. Erzählerisch […]
[…] Außerdem werden die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska (Teddy-Award 2012 für Im Namen des…, Silberner Bär für die Beste Regie 2015 für Body), die italienische Schauspielerin Alba […]
[…] polnische Regisseurin verbindet in Twarz die Themen ihrer beiden vorangegangenen Berlinale-Filme. 2013 war sie mit ihrem religionskritischen Drama W imie… (In the Name of…) im Wettbewerb vertret…, 2015 gewann sie mit ihrem Drama Body, das sich um die magersüchtige Olga und die Ursachen ihrer […]