Film

Lauf um dein Leben!

Dieser Jeanne d’Arc gegenüber steht der katholische Priester Adam (Andrzej Chyra) in dem polnischen Wettbewerbsbeitrag Im Namen des…. In seiner Tätigkeit als Gemeindepriester verfällt er immer wieder der heimlichen Sehnsucht, jungen Männern näher kommen zu wollen, als er dürfte. Aus diesem Grund wird er von der polnischen Kurie immer wieder versetzt. Bevor es zum Skandal kommt, ist er schon weg.

Adam findet sich in Małgorzata Szumowksas (2011: Das bessere Leben, 2008: 33 Szenen aus dem Leben, 2004: Leben in mir) Film in der polnischen Provinz wieder, wo er als attraktiver junger Pfarrer nicht nur die örtliche Gemeinde führen, soll, sondern auch die Sehnsüchte der aus der Stadt verbannten attraktiven Ewa weckt. Mit dieser provinziellen »Adam und Eva«-Geschichte ist der Burleske aber auch Genüge getan, denn im Vordergrund des Films stehen die verdeckten, aber sehnsüchtigen Blicke Adams zu einem der ihm anvertrauten, jungen Männer sowie sein innerer Kampf gegen die nicht zu bändigende Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit.

Lange Zeit vollzieht sich das ganz normale Provinzdrama. Dorffest, Gemeindeaktivitäten, Ausflüge mit den Jugendlichen an den nahe gelegenen See. Priester Adam stellt in diesem alltäglichen Chaos des Lebens eine Art Ruhepol dar. Er ist die gute Seele des Dorfes. Seine verborgenen sexuellen Energien versucht er in den täglichen Ausdauerläufen zu erschöpfen, was ihm aber nur teilweise gelingt. Kein Wunder, wenn das Laufen ein Davonlaufen vor der eigenen Identität ist.

Eines Tages beichtet einer der Jugendlichen dem jungen Pfarrer, dass er vor wenigen Wochen mit einem anderen Jungen Oralverkehr gehabt habe. Er sucht nach einem Ausweg, hat Angst davor, dass die anderen Jugendlichen davon Wind bekommen könnten und bittet den Pfarrer um Rat, nicht wissend, dass dieser die gleichen Sehnsüchte hat, wie er. Adam rät zu täglichen Läufen, denn »jeder Lauf ist ein Gebet«. Aber wie er selbst weiß, hilft das Auspowern nicht, das innere Verlangen nach Zärtlichkeit zu stillen. Nur wenig später beobachtet Adam diesen jungen Mann beim Sex mit einem anderen Jugendlichen. Einige Tage darauf finden sie ihn tot im Wald. Die Angst und Scham, entdeckt zu werden, hat den Aufwachsenden offenbar in den Tod getrieben.

 

Malgoska Szumowksa »W iemi…«

Malgoska Szumowksa »W iemi…«

Adams zweites Mittel, sein Verlangen zeitweise zu beruhigen, ist der Alkohol. Er betrinkt sich immer wieder bis zur Sinnlosigkeit. Brüllend wankt er in den Nächten, in denen ihn seine Leidenschaften an seinem katholischen gewissen rühren, durch die Priesterwohnung. In einer dieser Nächte ruft er seine Schwester in Toronto an, gesteht ihr seine innere Qual, sein Hadern mit dem ständigen Versetzungen, dem endlosen Verheimlichen, dem permanenten Unterdrücken seiner Gefühle. Er sagt ihr, dass er das nicht mehr länger aushalten könne, dass er mal ankommen wolle bei sich.

In dieser Szene fällt der Schlüsselsatz des Filmes. Adams Schwester spricht ihm in seiner Verzweiflung – vielleicht auch, weil sie nicht wahrhaben will, dass ihr Bruder eine »Schwuchtel« ist (das Wort fällt oft, um die bedrückende Situation von Homosexuellen im christlich-konservativen Polen deutlich zu machen) – Mut zu: »Adam, Du bist ein guter Priester und ein guter Mensch.« Dieser Satz mag in westeuropäisch-aufgeklärten Köpfen eine Selbstverständlichkeit darstellen, im katholischen Milieu ist er das nicht. Adam ist schwul, ein guter Pfarrer und ein guter Mensch. Im polnischen Kino stellt eine solch simple Feststellung geradezu eine Revolution dar.

Genau das wagt Szumowksa mit Im Namen des…, eine innere Revolution, einen Aufbruch. Sie will ihr Land aufrütteln, es mit einer Wahrheit konfrontieren, die einer modernen Gesellschaft entspricht. Dass sich gleichgeschlechtliche Liebe, Menschsein und Würde keineswegs ausschließen, darin liegt die Hauptaussage dieses aufwühlenden, in sinnlichen Bildern erzählten Films. Adam läuft vor dieser Feststellung von Anfang an weg, doch am Ende holt sie ihn ein.

Malgoska Szumowksa »W iemi…«

Malgoska Szumowksa »W iemi…«

In den Ausläufern der Geschichte erzählt die polnische Regisseurin von der weltabgewandten Sexualmoral der katholischen Kirche, dem Vertuschungs- und Versetzungssystem bei Übergriffen und »Zwischenfällen« und von einer katholischen Kirche, die homosexuellen Männern auch die ideale Umgebung bietet, um ihre Liebe heimlich zu leben. Es ist diese Widersprüchlichkeit der kirchlichen Realität, die Szumowska in den Mittelpunkt ihres Films stellt. Kritiker der katholischen Kirche mit ausreichend Insiderwissen, wie etwa der geschasste Theologe David Berger, würden sich in »W iemi« in ihrer Sichtweise auf die Kirche vollends bestätigt sehen.

Guillaume Nicloux, der sich selbst als religiös unmusikalisch und staunend gegenüber der Welt beschreibt, hat Diderots unvollendeten Roman zu Ende gedacht und lässt seiner Suzanne am Ende zumindest einen Teilsieg. Nachdem sie mithilfe eines Anwalts alle Instanzen erfolglos durchlaufen hat, um sich aus dem eisernen Griff der katholischen Kirche zu befreien, gelingt es ihr zu fliehen. Am Ende des Films sieht man Suzanne nach ihrem langen Lauf ins Leben: allein, aber mit sich im Reinen. Priester Adam ist dies am Ende nicht. Er flieht einmal mehr und bleibt mit seiner Leidenschaft weiter im Dunkeln verborgen, gefangen in der Sexualmoral seiner Kirche.

Sowohl Suzanne als auch Adam laufen im »Paradies: Kirche« (angelehnt an die Ulrich-Seidl-Trilogie) um ihr Leben, jeder in seiner Zeit und jeder mit einem anderen Ausgang. Adam und Eva – aus der Zeit gefallen. Wenn beide voneinander wüssten, würden sie sich wohl gemeinsam darüber wundern, wie wenig sich die Kirche und die in ihr aktiven religiösen Fanatiker in den vergangenen 200 Jahren geändert haben.

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