Comic

Robert Crumb: Vom Underground in die Kunsthalle

Zahlreiche von Robert Crumbs Arbeiten handeln von Sex, Drugs und Musik, dabei bestand sein Anliegen stets darin, die Tragödie des Individuums abzubilden. Ein Blick auf Leben und Werk des US-amerikanischen Comickünstlers anlässlich seines 70. Geburtstages.

Der Amerikaner Robert Crumb war in Deutschland lange Zeit in die Wühltische der Comicbörsen verbannt. Schuld daran waren nicht zuletzt auch Indizierungen einzelner seiner Comics durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, aber auch die allgemeine Kritik. Seine anarchischen und sexuell hoch aufgeladenen Zeichnungen fleischiger Frauen und verwahrloster Nerds galten als chauvinistisch und pornografisch. Aufgrund normativer Rollenzuschreibungen wurde ihm Rassismus und Antisemitismus vorgeworfen. Wie Ahnenstaub lagen diese Anschuldigungen über dem selbstironischen Werk des amerikanischen Comic-Hippies. Seine »Comix« galten als schmutzig und schmuddelig. Dabei revolutionierte Crumb die Comicszene mit eben diesen expressionistischen und augenzwinkernden Selbstreflektionen. Sein großes Thema war die Tragödie des Individuums – in epischer Breite und psychoanalytischer Tiefe hat er es an sich selbst exerziert. Kein anderer Zeichner hat das neurotische Ich zuvor in einer solch schonungslosen Intensität entblättert, wie dies Crumb getan hat.

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Es ist kein Glück, sondern eine überfällige Notwendigkeit, dass das gigantische Oeuvre des akribischen Menschenlesers nun auch in Deutschland wieder publiziert wird. Rechtzeitig vor seinem Besuch des Comicfestivals in München Ende Mai, bei dem ihm eine Ausstellung gewidmet war (A Tribute to Robert Crumb), sind einige seiner lange Zeit vergriffenen Comics neu aufgelegt worden.

In München wurde Crumb, der im August seinen 70. Geburtstag feiert, der rote Teppich ausgerollt. Im Amerikahaus wurde ihm eine Ausstellung gewidmet, bei der über 80 Künstler – von Charles Burns über Joe Matt bis hin zu Volker Reiche – mit teils kongenialen Zeichnungen den Meister der Comix ehrten (Katalog: A Tribute to Robert Crumb). Parallel dazu wurde im Valentin-Karlstadt-Musäum eine Underground-Comix-Schau gezeigt. Dort sprach Crumb auch mit seinem Zeichnerkollegen Gerhard Seyfried über sein jahrzehntelanges Schaffen. Gilbert Shelton, neben Robert Crumb der wichtigste Vertreter der amerikanischen Underground-Comix-Szene, sprach im Jüdischen Museum mit Crumb und seiner Frau Aline Kominsky-Crumb über ihre gemeinsamen Werke.

Wer sich mit Robert Crumb beschäftigt, kommt um Harvey Kurtzman, die Legende der gezeichneten Ironie, nicht herum. Zum einen war der langjährige MAD-Zeichner Crumbs Idol, Entdecker und erster Förderer. 1964 publizierte er in seinem Humormagazin Help! eine frühe Version von Fritz the Cat. Zum anderen gab er mit einem MAD-Cover aus dem Jahr 1954 unbewusst Crumbs Programm vor. Es zeigt Kurtzman beim Verteilen seiner Comichefte an Kinder. Daneben der Schriftzug »Comics Go Underground« sowie die Erklärung, dass Kurtzman wie viele andere Zeichner seine Hefte auf der Straße unter der Hand verkaufen müsse. Mit diesem Cover griff Kurtzman in dem damals populärsten Comicmagazin der USA den unsäglichen »comics code« der amerikanischen Comicverlage zur »Bereinigung« der Comics von gewaltverherrlichenden und anzüglichen Elementen ironisch auf. Sein Motto »Comics Go Underground« sollte dreizehn Jahre später mit Crumbs erster ZAP-Ausgabe Wirklichkeit werden.

Immer Ärger mit den FrauenAber der Reihe nach: In der beklemmenden Atmosphäre der amerikanischen Comic-Selbstzensur wuchs Crumb als drittes von fünf Kindern in Philadelphia auf; der Begriff Sandwich-Kind könnte nicht passender sein. Vor allem mit seinem ein Jahr älteren Bruder Charles, der für Crumbs Comiclaufbahn die Grundlagen gelegt hat, verstand sich Crumb blendend. Gemeinsam begannen sie, ihren Alltag in Comics festzuhalten, so dass Crumb schon mit sieben Jahren sein erstes Comicbuch angefertigt haben soll. Vor allem die permanent streitenden Eltern, der rigide familiäre Katholizismus, die Erfahrungen auf der katholischen Privatschule sowie die eigene neurotisch-obsessive Getriebenheit sollten Crumb immer wieder Anlass bieten, seine Kindheit und Jugend zeichnend zu verarbeiten. Tiefenpsychologische Erinnerungen an sich prügelnde Paare, strenge Ordensschwestern, lüsterne Mitschülerinnen und geifernde Alter Egos ziehen sich durch sein gesamtes Werk. Einen Eindruck bietet der kürzlich erschienene Band Mein Ärger mit den Frauen.

In den 1960er Jahren entwickelte sich eine Comicsubkultur, in der die Protesthaltung der Hippie-Bewegung anklang und die ihre Heimat in San Francisco fand. Robert Crumb fand aus dem ländlichen Philadelphia nur über Umwege nach San Francisco. Zunächst zog er 1962 nach Cleveland, um dort als Illustrator für das Postkartenunternehmen American Greetings zu arbeiten. Beruflich war die stupide Nine-to-Five-Arbeit für Crumb deprimierend, persönlich sollte ihn Cleveland über Jahre hinaus prägen. Hier lernte er den Comicautoren Harvey Pekar kennen, mit dem er die Leidenschaft des Schallplattensammelns teilte und für den er später seine ellenlangen Monologe in American Splendor illustrieren sollte. In Cleveland begegnete er seiner ersten Ehefrau Dana Morgan, die er 1964 heiratete und von der er sich 1978 scheiden ließ. Außerdem saugte er in der Stadt die wilde Beatnik-Kultur auf, die seinen späteren Zeichenstil prägen sollte.

6 Kommentare

  1. […] Tatsächlich laufen die Argumente des Festivals mit einer Ausnahme ins Leere. Richtig ist, dass die Comickunst lange Zeit eine No-Go-Area für Künstlerinnen war. Die Claims hatten die Pioniere der Neunten Kunst abgesteckt. Erst nach und nach erhielten auch Frauen Zutritt in die heiligen Hallen der Comicbranche. Inzwischen sind sie nicht mehr wegzudenken. Und das ist gut so! Diese Floskel greift nicht, weil sie gut klingt, sondern weil vor allem der kreativste Bereich der Neunten Kunst – der der Mini- und Do-it-Yourself-Comics – von Frauen dominiert wird. Kommen wir aber zurück zum Argument, dass man die Comicgeschichte nicht ändern könne. Das ist so richtig wie unnötig, schließlich gehören nominierte Künstler wie Charles Burnes, Daniel Clowes, Joann Sfar, Riad Sattouf oder Christophe Blain nicht zu den Altvorderen der Neunten Kunst. Folgt man Bondoux‘ Argument der Auszeichnung für ein Lebenswerk, das in der Comicgeschichte relevant sei, konsequent, dann dürften auch ihre Namen nicht auf der Liste stehen. Oder anders herum gesagt: ihre Namen gehören da mit der gleichen Berechtigung hin, wie die von Julie Doucet, Alison Bechdel oder Aline Kominsky-Crumb. […]

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