Crumb-Comix zeichnen sich durch die schonungslose Selbstenthüllung aus. Die eigene Person ist Ausgangspunkt jeder Erzählung. »Warum muss ich immer beichten?«, fragt sein Alter Ego den Leser in Mein Ärger mit den Frauen. Der Leser kann sich die Antwort denken. Es ist der Neurotiker in ihm, der ihn antreibt, sein Innerstes ohne Schonung auf die eigene Identität nach außen zu wenden. »Crumb gelingt es auf einzigartige Weise, seine Leser durch seine Augen blicken und sie fühlen zu lassen, was es heißt, Robert Crumb zu sein«, schreibt Françoise Mouly. Das gab es in der Form zuvor nicht. Zwar konnten sich die Leser von George Herrimans Krazy Kat den Autoren hinter der Figur vorstellen, aber Autor und Figur waren nicht identisch. Crumb hat diese Unterscheidung aufgehoben. Er ist ebenso Mr. Natural wie Mr. Snoid, ist Fritz the Cat und Prufrock Piggy in einem.
Und natürlich ist er Bob, Bobby und Robert Crumb in seinen zahlreichen Außenseiter-Rollen, mit denen er immer wieder seine seelischen Abgründe erkundet hat. Diese direkten Anspielungen drängen in den 1970er Jahren die »funny-animal«-Charaktere zunehmend an den Rand. Zeichnend verortet er als Ich-Erzähler seine Schuldgefühle und Selbstzweifel, Ängste und Neurosen sowie Obsessionen und Gelüste auf seiner inneren Landkarte und kartografiert so die eigenen Gemütszustände (Sketchbooks 1982-2011). Episoden wie »The Confessions of Robert Crumb« oder »The Many Faces of R. Crumb« stehen exemplarisch für diesen permanenten Seelenstriptease, der Crumbs Comics ausmacht. Zugleich gewinnen seine Episoden an Umfang, betragen jedoch selten mehr als 30 Seiten. Die Fachwelt spricht vom »Comic-Essay«, passend wäre auch die Bezeichnung »Graphic Short Story« als Vorform zur »Graphic Novel«. Mit seiner autobiografischen Herangehensweise hat Crumb die Neunte Kunst revolutioniert und Comiczeichnern wie Art Spiegelman, Chris Ware und Guy Delisle den Weg zu ihren »Comic-Romanen« geebnet.
Er hat sich und sein Werk wie kein anderer ausgeliefert – sowohl seinen Fans als auch seinen erbitterten Gegnern. Von denen gab es genug. Mehr als einmal wurde seinen Comics, in denen er vor allem seine Lust an der Befriedigung voluminöser, »mesomorpher« Frauen exerzierte, als chauvinistisch, frauenfeindlich und pornographisch verurteilt. Andere Comics aus seiner Hand wurden als rassistisch und antisemitisch verrissen. Man kann es den Crumb-Kritikern nicht verdenken, denn seine Zeichnungen sind alles andere als politisch korrekt. Es ging Crumb aber nie um die Beschreibung einer Haltung, sondern um die Beschreibung von Ist-Zuständen. Indem er seine eigenen Abgründe schonungslos offenlegte, bot er auch maximale Angriffsfläche.
Seine erbitterten Gegner reduzierten ihn oft auf die wenigen Zeichnungen, die sie an den Pranger stellten. Dabei vergaßen sie, dass es zugleich Crumb war, der die sensibelsten Porträts von schwarzen Musikern und jüdischen Persönlichkeiten anfertigte und der den Patientinnen aus der Irrenanstalt von Surrey County eine ganze Serie widmete, wie der Nausea-Band zeigt. Wer Crumbs Universum in seiner Fülle betrachtet, stößt auf den inneren Widerspruch in seinem Werk, der seine Form des Ausdrucks der Diskrepanz der Welt ist. »All dieser Quatsch ist doch tief in unserer Kultur und unserem Kollektivgedächtnis verwurzelt, und nun muss man damit umgehen. Er ist in mir. Er ist in jedem von uns«, schrieb er seinen Kritikern in den 1970ern.
Die größten Anfeindungen brachte ihm die feministische Bewegung entgegen, die Sturm lief gegen seine vulgären Zeichnungen fleischiger, devoter Matronen, die stets auf Objekte seiner mehr oder minder perversen Begierden reduziert wurden. 1971 widmete Crumb den »feministischen Frauen« daher einen Cartoon. Während in den ersten Bildern ein braver Robert Crumb den Feministen dieser Welt entgegen säuselt, dass er doch gern ihr Freund wäre, endet die Bilderfolge in einem Wutausbruch: »Well, listen, you dumb-assed broads, I’m gonna draw what I fucking-well please to draw and if you don’t like it FUCK YOU!« Heute würde Crumb mit solchen Aussagen wohl in einem Shitstorm à la #Aufschrei gnadenlos untergehen. Andererseits wären die sexuell konnotierten Werke von Chester Brown oder Joe Matt ohne Crumbs bahnbrechende Selbstentäußerung nicht denkbar.
Was wie ein grimmiges Plädoyer für die Kunst- und Meinungsfreiheit klingt, könnte auch Ausdruck einer inneren Verzweiflung sein. Denn während Crumb bis zu seinem Durchbruch mit ZAP-Comix so gut wie keine seiner Phantasien mit Frauen umsetzen konnte, lagen ihm danach zahlreiche Frauen ergeben zu Füßen. Dieser Wandel der eigenen Wirkung erschien ihm »widersinnig«: »Meine Frauenverachtung wuchs nur noch durch das bittere Wissen, dass diese früheren Cheerleaders und Strandhäschen vom gleichen Stamme waren wie jene, die mich in der Schule hatten abfahren lassen.«
[…] sind Minnies Zeichnungen an die Underground-Comix von Aline Kominsky-Crumb angelehnt, die innere Rebellion bekommt also eine passende äußere Kunstform (die, nebenbei […]
[…] in ihren humorigen Zügen an Ralf Königs Prototyp erinnert und in ihren ernsthaften Passagen an Robert Crumbs Genesis denken lässt. Die Geschichte der Menschheit präsentiert Saramago seinen Lesern als eine ihrer […]
[…] Tatsächlich laufen die Argumente des Festivals mit einer Ausnahme ins Leere. Richtig ist, dass die Comickunst lange Zeit eine No-Go-Area für Künstlerinnen war. Die Claims hatten die Pioniere der Neunten Kunst abgesteckt. Erst nach und nach erhielten auch Frauen Zutritt in die heiligen Hallen der Comicbranche. Inzwischen sind sie nicht mehr wegzudenken. Und das ist gut so! Diese Floskel greift nicht, weil sie gut klingt, sondern weil vor allem der kreativste Bereich der Neunten Kunst – der der Mini- und Do-it-Yourself-Comics – von Frauen dominiert wird. Kommen wir aber zurück zum Argument, dass man die Comicgeschichte nicht ändern könne. Das ist so richtig wie unnötig, schließlich gehören nominierte Künstler wie Charles Burnes, Daniel Clowes, Joann Sfar, Riad Sattouf oder Christophe Blain nicht zu den Altvorderen der Neunten Kunst. Folgt man Bondoux‘ Argument der Auszeichnung für ein Lebenswerk, das in der Comicgeschichte relevant sei, konsequent, dann dürften auch ihre Namen nicht auf der Liste stehen. Oder anders herum gesagt: ihre Namen gehören da mit der gleichen Berechtigung hin, wie die von Julie Doucet, Alison Bechdel oder Aline Kominsky-Crumb. […]
[…] Bibel und die Neunte Kunst, das ist doch ein alter Hut. Schließlich ist da ja Robert Crumbs Genesis und… ja, was eigentlich? Wie eindrucksvoll dessen künstlerische Verarbeitung des Alten […]
[…] Swarte ist Hollands erfolgreichster Comiczeichner. Art Spiegelman und Robert Crumb zählt er zu seinen engen Freunden, Chris Ware fühlt sich von Swartes Stil inspiriert. In den […]
[…] und überaus expliziter Blick auf Nacktbars und das Leben der dort tätigen Tänzerinnen im Crumb’schen Underground-Comix-Stil. Die Französin Pénélopé Bagieu präsentiert nach ihren Porträts außergewöhnlicher Frauen nun […]