Comic

Robert Crumb: Vom Underground in die Kunsthalle

1999 wird Robert Crumb schließlich bei Europas wichtigstem Comicfestival in Angoulême für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der französische Comicverlag Cornélius startet daraufhin eine mehrbändige Werkausgabe, die die Grundlage der im vergangenen Herbst gestarteten Neuausgabe des Crumb-Oeuvres in der Übersetzung von Harry Rowohlt bei Reprodukt bildet. In Deutschland widmen ihm 2002 das Karikaturmuseum Krems sowie 2004 das Museum Ludwig in Köln jeweils große Retrospektiven. Die größte Crumb-Ausstellung wurde im vergangenen Jahr im Pariser Museum für Moderne Kunst gezeigt. Die Besucher erwartete in »Crumb – Vom Untergrund bis zur Schöpfung« mit über 700 Originalzeichnungen der ganze Crumb-Kosmos. In zahlreichen Skizzenbüchern und über 200 Underground-Magazinen sowie in Terry Zwigoffs filmischem Crumb-Portrait konnten sie Crumb und seinem Gesamtwerk nachspüren. Kritiker lobten die Schau als »Augenweide« für Crumb-Fans und »Krönung seines Werks«, dass man sich kaum vielstimmiger und abwechslungsreicher vorstellen kann.

crumb-GenesisBei der Eröffnung erklärte Crumb, dass er eine so vielköpfige Familie an Crumb-Figuren geschaffen habe, weil er nicht sein ganzes Leben lang nur eine oder zwei Figuren habe zeichnen können. Dass er eines Tages im Museum landen würde, habe er sich nicht vorstellen können. »ich habe immer für die Printmedien gearbeitet. Das Buch war das wichtigste für mich. Das gedruckte Objekt, das war es, wofür ich gearbeitet habe.« Umso bitterer muss es für ihn gewesen sein, als der New Yorker 2009 ein Magazincover von ihm ablehnte. Unter der Schlagzeile »Marriage License« zeichnete er ein Paar, bei dem er die herkömmlichen prototypischen geschlechtlichen Kennzeichen teils umdrehte, teils völlig auflöste. Er griff damit die Debatte um die gleichgeschlechtliche Ehe und die konservativen Kommentare ironisch auf. Der Chefredakteur des New Yorker, David Remnick, lehnte das Titelblatt ohne Erklärung ab, was Crumb veranlasste, mit dem Satz »Zum Teufel mit ihm!« seine Zusammenarbeit mit dem Magazin zu beenden.

Im selben Jahr erschien mit seiner Bibel-Adaption Genesis sein bislang letztes großes und ebenfalls vieldiskutiertes Werk. Auf mehr als 200 Seiten hatte er die ersten 50 Kapitel des Alten Testaments eindrucksvoll als Comic gestaltet. Er legt dabei nicht nur die inhärente Gewalt und Grausamkeit der biblischen Geschichte frei, sondern auch die Redundanz von Text und Handlung – wofür er mit einem weiteren Harvey-Award ausgezeichnet wurde. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass ihn das Projekt vier Jahre Arbeit kosten würde. Dem amerikanischen The Comics Journal gestand er in einem Interview nach getaner Arbeit, dass es eine dumme Entscheidung gewesen sei, das Projekt anzunehmen und dass jeder andere Künstler etwas Ähnliches hätte machen können. Er sagte außerdem, dass er den Bibeltext gehasst und sich streckenweise durch die menschlichen Abgründe, die er beschreibe, durchgekämpft habe. Dieses »primitive Dokument« beweise, »wie verrückt und irrsinnig die Menschheit bis zum heutigen Tag sei, wenn sie sich auf einen solchen Text als Quelle moralischer Orientierung« stütze.

crumb_1969_foto_san_franciscoCrumbs Genesis rief viel Kritik, insbesondere von christlichen Lesern, hervor, die seine schonungslose Übertragung verurteilten. Seinen Kritikern entgegnete Crumb in einem kurzen Vorwort in der deutschen Ausgabe etwas weniger harsch: »Falls meine gänzlich wortgetreue grafische Umsetzung des Ersten Buchs Mose den einen oder anderen Leser schockieren oder in seinen Gefühlen verletzen sollte, was angesichts der Verehrung, die dem Werk allenthalben entgegengebracht wird, wohl unvermeidlich ist, kann ich zu meiner Verteidigung nur sagen, dass ich meine Aufgabe lediglich darin gesehen habe, den Text zu illustrieren, ohne ihn in irgendeiner Weise ins Lächerliche zu ziehen oder für visuelle Kalauer zu missbrauchen – aber man kann es ja ohnehin nicht jedem recht machen.«

Das Markenzeichen von Crumbs Comickunst besteht in der widersprüchlichen Komposition von Text und Bild. Den oftmals naiven Figuren sind Handlungen und Dialoge zugeschrieben, die der Ikonografie der Bildsprache widersprechen. Die harmlosesten Bilder sind mit den derbsten Dialogen und die schockierendsten Szenen mit einer flötenden Sprache versehen. Exemplarisch steht hier seine Inzest-Geschichte erwähnt, die er 1969 in ZAP #4 unter dem Titel »Joe Blow« veröffentlichte. Darin beschreibt er die Blow-Familie als typische amerikanische Mittelstandsfamilie. Crumb bricht die Harmonie durch die Tatsache auf, dass sich die Eltern munter mit den eigenen Kindern vergnügen und am Ende dem Leser entgegenlächeln »People should get together with their kids more often«. Als Leser reibt man sich die Augen und weiß nicht, was einen mehr schockiert: die naiven Zeichnungen oder der schamlose Text. Der Anglist Frank L. Cioffi bezeichnet diese Schockmomente beim Leser als »kontraintuitiv«. Es wird etwas völlig anderes geäußert als das was zu erwarten gewesen wäre.

bookcover_rcrumbCrumbs Comics widersprechen unserer Annahme, dass es auf einfache Fragen einfache Antworten gibt. Die Welt ist paradox, so sind es auch seine Comics. Eine ordnende Kraft gibt es nicht. So sind wir als Leser hemmungslos dieser geballten Ladung sexualisierter, fleischiger, surrealer, schroffer, ausdrucksstarker und oftmals nicht jugendfreier Zeichnungen ausgeliefert. Das gigantische Oeuvre des akribischen Menschenlesers Robert Crumb, das in Anlehnung an Winsor McCays Comicklassiker »Little Nemo in Slumberland« hier als Crumberland bezeichnet werden soll, kann nun endlich auch wieder in Deutschland jenseits der Wühltische entdeckt werden.

 

Dieser Text erschien bereits in ALFONZ 3/2013

6 Kommentare

  1. […] Tatsächlich laufen die Argumente des Festivals mit einer Ausnahme ins Leere. Richtig ist, dass die Comickunst lange Zeit eine No-Go-Area für Künstlerinnen war. Die Claims hatten die Pioniere der Neunten Kunst abgesteckt. Erst nach und nach erhielten auch Frauen Zutritt in die heiligen Hallen der Comicbranche. Inzwischen sind sie nicht mehr wegzudenken. Und das ist gut so! Diese Floskel greift nicht, weil sie gut klingt, sondern weil vor allem der kreativste Bereich der Neunten Kunst – der der Mini- und Do-it-Yourself-Comics – von Frauen dominiert wird. Kommen wir aber zurück zum Argument, dass man die Comicgeschichte nicht ändern könne. Das ist so richtig wie unnötig, schließlich gehören nominierte Künstler wie Charles Burnes, Daniel Clowes, Joann Sfar, Riad Sattouf oder Christophe Blain nicht zu den Altvorderen der Neunten Kunst. Folgt man Bondoux‘ Argument der Auszeichnung für ein Lebenswerk, das in der Comicgeschichte relevant sei, konsequent, dann dürften auch ihre Namen nicht auf der Liste stehen. Oder anders herum gesagt: ihre Namen gehören da mit der gleichen Berechtigung hin, wie die von Julie Doucet, Alison Bechdel oder Aline Kominsky-Crumb. […]

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