In »Das bleiche Pferd«, dem ersten Album, das Sie für den von Ihnen mitgegründeten Verlag L’Association gezeichnet haben, verarbeiten Sie Träume – ein Thema, dass sich durch Ihr Werk zieht. Ist das Album der Ausgangspunkt Ihrer Karriere?
Naja, zumindest war es mein erstes für L’Association und danach kamen dann noch einige andere. Den Verlag haben wir ja nicht nur gegründet, um uns selbst zu verlegen, sondern auch, um neuen grafischen Stilen eine Heimat zu geben. Wir wollten ermöglichen, dass Comics erscheinen können, die die Grenzen und Limitierungen überwinden, die bis dahin nicht überwunden wurden. 1989, als wir den Verlag ins Leben riefen, hatten es Comics, wie wir sie machten, schwer. Ein Comic über die eigenen Träume, wie »Das bleiche Pferd« eines ist, war zuvor noch nirgendwo erschienen, das war etwas völlig neues. Insofern war die Verlagsgründung auch eine Art Manifest für eine neue Art des Geschichtenerzählens in der Neunten Kunst. Für mich war das Album eine Bestätigung meiner Fähigkeiten, denn auch ich hatte so etwas noch nie zuvor gemacht.
Ihr Album »Les incidents de la nuit« ist eine phänomenale Mischung von esoterischen, biblischen und historischen Themen, voller Traumbilder und grafischer Metaphern – ein großer Traum von Allem und Nichts, der eine enorme Sogwirkung entfaltet. Wie ist es zu dem Album gekommen?
Wie auch bei »Le Cheval Blême« war auch hier einer meiner Träume Ausgangspunkt des Albums. Ich greife ihn zu Beginn des Albums auf. Da befinde ich mich in einer Pariser Bücherei, in der ich ein Heft aus dem 19. Jahrhundert mit dem Titel »Les incidents de la nuit« finde. Als ich von diesem Traum aufwachte, war ich noch derart davon eingenommen, dass ich sofort wusste, dass ich das als Album umsetzen musste. Die Erzählung des Comics folgt dann dem Paris, wie ich es in den siebziger und achtziger Jahren erlebt habe. Entsprechend gibt es viele autobiografische Elemente darin. Ich lebte damals im Marais, dem jüdischen Viertel in Paris. In dem Comic erzähle ich die Geschichte von einigen Orten und Personen, die an meine Erlebnisse angelehnt sind. Etwa die Bücherei von Monsieur Lhôm, die einem Buchladen nachempfunden ist, den ich damals besuchte. Im Großen und Ganzen ist »Les incidents de la nuit« eine fantastische Erzählung, die Paris, der Literatur sowie der Buch- und Schreibkultur gewidmet ist.
Die Literatur im Sinne von Wort und Schrift zieht sich durch all ihre Werke.
Ich lese einfach viel. Ich rede gern darüber, was es bedeutet, zu schreiben, Dinge zu fixieren, mit Wörtern, mit Zeichen und Zeichnungen. Das ist schließlich das Thema des Schreibens.
Eines ihrer fantastischsten Werke ist die Miniserie »Les Chercheurs de trésor«, einem orientalischen Heldenmärchen, das seit 2004 auf seine Fortsetzung wartet. Wann und wie geht es weiter?
Mein Verleger hat mich das kürzlich auch gefragt, aber ich glaube kaum, dass ich noch einen dritten Band machen werde. Nachdem 2003 mit »L’Ombre de Dieu« der erste Band und 2004 mit »La Ville froide« das zweite Album erschienen sind, habe ich das Interesse daran verloren. Als ich den dritten Teil beginnen sollte, hat Dargaud [wo die beiden Alben erscheinen sind; A.d.A.] den Verlag Dupuis übernommen. Das lief damals alles andere als gut. Ich kannte einige Leute bei Dupuis, die kommentarlos vor die Tür gesetzt wurden. Es gab Streiks, Proteste und das alles; mich hat das sehr unzufrieden gemacht. Danach habe ich viele Jahre gedacht, dass ich für Dargaud nicht mehr arbeiten werde. Die Leute von Dupuis, die gefeuert wurden, haben dann Futuropolis gegründet und ich habe dann für den neuen Verlag gezeichnet. Aber die Zeiten ändern sich und vielleicht werde ich nun zu Dargaud zurückkehren. Kurzum: Es gibt diese verlagspolitische Geschichte, die in mir viel kaputtgemacht hat, was sicherlich auch seine Wirkung auf den dritten Band von »Les Chercheurs de trésor« gehabt hat. Manchmal können solche Ereignisse von außen ein ganzes Projekt kaputtmachen.
Also es wird definitiv keinen Abschluss von »Les Chercheurs de trésor« geben?
Aktuell arbeite ich an der Adaption einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht für Gallimard und im gewissen Sinne ist das die Fortsetzung von »Les Chercheurs de trésor«. Ich sehe deshalb gar keine Notwendigkeit mehr, den dritten Band zu zeichnen.
Bei dem von Ihnen mitgegründeten Verlag L’Association, den Sie 2005 verlassen haben, war es in den vergangenen Jahren sehr unruhig. Es gab Ärger mit der Geschäftsführung, Leute wurden entlassen, Mitarbeiter streikten wegen der schlechten Bezahlung. Was macht das mit Ihnen, gerade auch vor dem Hintergrund der Dargaud-Geschichte.
Im Grunde ist es das gleiche. Ich habe den Verlag damals nicht umsonst verlassen. Es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und dem Präsidenten des Verlags, Jean-Christoph Menu. Meinen Kollegen ging es ähnlich, deshalb sind sie dann kurz nach mir gegangen. Die Diskrepanz zwischen Menus Ansichten und der Wirklichkeit sind infolge offenbar derart auseinandergegangen, dass sich die Situation zugespitzt hat und die Mitarbeiter in den Streik getreten sind. Daraufhin haben wir Gründungsmitglieder unsere Hilfe angeboten. Menu wollte aber nicht wirklich mit uns zusammenarbeiten. Formal war er zwar bereit, aber es sollte sich nichts ändern, als wäre nichts geschehen. Da haben wir gesagt, dass das nicht geht und er hat seinen Hut genommen. Also es gab viele weitere Ereignisse, ich fasse hier nur zusammen, aber ungefähr so war die Situation. Wir haben dann die Führung übernommen, um den Verlag durch die Krise zu bekommen. Und in dieser Phase befinden wir uns noch. Die Situation am Markt ist nicht ideal, zugleich ist der Anspruch des Verlags hoch und so muss immer wieder die Balance gefunden werden zwischen Alben, die man macht, weil sie sich gut verkaufen, und Bänden, die der Verlag aufgrund der künstlerischen Ambitionen machen muss, auch wenn sie sich nicht verkaufen.
Sie haben mit vielen wichtigen Zeichnern zusammengearbeitet, entweder in gemeinsamen Studios oder aber bei gemeinsamen Projekten. Was bedeuten Ihnen die Kooperation und der Austausch mit anderen Zeichnern?
Ja, ich habe viele Dinge in Kooperation umgesetzt. Ich habe Christoph Blain ein Szenario geschrieben, Tanquerelle und Emmanuel Guibert ebenfalls, mit Joann Sfar zusammengearbeitet und vieles mehr. Es ist spannend, zu sehen, wie andere arbeiten und die unterschiedlichen Vorstellungen, was ein Comic leisten kann, kennenzulernen. Man sieht die unterschiedlichsten Wege, wie aus der Idee ein Comicalbum wird.
Welche Comicautoren oder Künstler lesen Sie gern?
Ich lese sehr gern die Sachen von Gipi, einem italienischen Comiczeichner. Aktuell arbeite ich auch mit Andrea Bruno zusammen, einem weiteren Italiener, dessen Arbeiten ich sehr mag.
Von Ihnen liegen sowohl Schwarz-Weiß- als auch kolorierte Alben vor. Bevorzugen Sie eine der beiden Varianten?
Ach, für mich ändert das alles nicht viel. Es gibt eben Projekte, die mache ich schwarz-weiß, dann gibt es zweifarbige und dann auch ganz bunte Sachen. Das ist eine Situationsentscheidung, je nachdem was zum Projekt und dessen Stil passt. »Die besten Feinde« mussten schwarz-weiß sein. Die Geschichte ist schon kompliziert genug, da war nicht auch noch Platz für Farben. Das gleiche gilt für »Die heilige Krankheit«, auch hier wären Farben störend gewesen, man brauchte sofort einen Zugang zur Erzählung. Bei »Auf dunklen Wegen« hingegen war ausreichend erzählerischer Raum, die Erzählung ist ohnehin mit vielen fantastischen und absurden Elementen ausgestattet. Dann kann man damit spielen.
In »Die heilige Krankheit« sagen Sie selbst: »Mein Thema ist meine innere Unruhe«. Schaut man sich die Anzahl Ihrer Werke und den Inhalt an, nimmt man Ihnen das sofort ab. Wird David B. mit der Zeit ruhiger oder rufen immer mehr Projekte nach Verwirklichung?
Ja, natürlich habe ich viele Dinge im Kopf, etwa ein Projekt, dessen erstes Kapitel dem inneren Terror, also einer besonderen Form der Unruhe, gewidmet sein soll. Die Unruhe und die Unausgeglichenheit sind schon meine großen Themen. Mir fehlt die Sicherheit und Gewissheit des Daseins, die viele andere haben. Deshalb auch die vielen fantastischen Elemente, die es mir gestattet, mich in eine Welt ohne Gewissheiten zu flüchten.
David B. vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.
David B. & Jean-Pierre Filiu: Die besten Feinde. Eine Geschichte der Beziehungen der Vereinigten Staaten mit dem Nahen Osten
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Avant-Verlag 2012 (Band 1) & 2014 (Band 2)
120 Seiten. 19,95 Euro.
Hier bestellen
Die Comics von David B. sind in deutscher Übersetzung bei den Verlagen avant, Reprodukt und Edition Moderne erschienen.
[…] Staples und Brian K. Vaughan durch. Sattouf hat jahrelang mit Christophe Blain, Mathieu Sapin und Joann Sfar in einem Altelier gearbeitet und von 2004 bis 2014 regelmäßig für das französische […]
[…] kunstvollen Werken hervorgebracht? Marjane Satrapis »Persepolis«, Alison Bechdels »Fun Home«, David B.s »L’Ascenscion du Haut Mal«, David Smalls »Stitches«, Mimi Ponds »Over Easy«, Harvey Pekars »American Splendor« oder Art […]
[…] haben gerade schon Ihre Zusammenarbeit mit anderen Comiczeichner wie David B. (hier zum Interview mit David B.) oder Joann Sfar (hier zum Interview mit Joann Sfar) angesprochen. Da sind Sie mal für das […]