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Vom Suchen und Finden vergessener Autoren

Sebastian Guggolz will sich in seinem vor wenigen Monaten gegründeten Verlag Büchern widmen, die zu Unrecht ins Abseits, in Vergessenheit oder unter die Räder der Zeit geraten sind. Ich sprach mit ihm über seine Vergangenheit beim Verlag Matthes & Seitz Berlin, über die Suche nach vergessenen Nobelpreisträgern und die besondere Arbeit mit Übersetzern.

Warum gründet man heute noch einen Buchverlag? Haben wir nicht genug zu lesen?

Doch, wir haben genug zu lesen, aber wir übersehen immer wieder so gute Sachen. Ich habe ja nicht irgendeinen Verlag gegründet, sondern einen Verlag, der auf meiner eigenen Leseerfahrung gründet. Ich habe zuvor als Lektor bei Matthes & Seitz Berlin gearbeitet und auch dort gab es schon solche Neu- und Wiederentdeckungsprojekte. Die Motivation, den Verlag zu gründen, kam letztlich aus meiner Leidenschaft für die Arbeit mit den Büchern. Wenn ich ehrlich bin, bin ich in der Arbeit mit den Büchern so glücklich, dass mir es am Ende doch das Wichtigste ist, mit und an Büchern zu arbeiten. Und wenn das am Ende dann auch noch Bücher sind, die sonst vergessen würden, ist das für mich sehr beglückend.

Ich glaube, dass nicht nur ich gern solche übersehenen Schätze neu entdecke. In den letzten Jahren konnte man da einen Trend beobachten. Mit der Wiederentdeckung von Gaito Gasdanow und anderen gab es vor etwa drei Jahren einen richtigen Boom. Auch bei Matthes und Seitz Berlin gab es fantastische Sachen, schon davor mit Warlam Schalamow oder dann mit Jean-Henri Fabre.

Ein sehr wichtiger Aspekt war für mich aber auch die Arbeit mit den Übersetzern, weil die Arbeit mit Übersetzern eine ganz spezielle ist. Wenn man mit einem Autor über einen Text spricht, ist das eine völlig andere Ausgangssituation, als wenn man mit einem Übersetzer arbeitet. Da gibt es eine andere Distanz und durch diese auch eine viel größere Klarheit und Offenheit. Deshalb arbeite ich jetzt auch nur mit Übersetzern zusammen, ich mache keine deutschsprachigen, sondern nur übersetzte Bücher.

Du hast Dich auf ost- und nordeuropäische Literatur spezialisiert. Kannst Du diese Sprachen auch sprechen, so dass Du die Übersetzung besser „bewerten“ kannst?

Nein, das kann ich leider nicht. Das mag ungeschickt wirken, aber ich habe festgestellt, dass das Fremdsprachenlektorat eigentlich immer nur ein Aspekt ist, den ich zu umgehen versuche. Wie etwa bei dem Roman von Frans Eemil Sillanpää, den ich von zwei Übersetzern habe übertragen lassen, so dass das Fremdsprachenlektorat dort unter den Übersetzern stattgefunden hat, und indem ich sehr gute Übersetzer nehme und ich mich auf das Handwerkliche verlassen kann. Eine Übersetzung lektorieren ist eben nur zum Teil das Überprüfen der korrekten Übertragung, der andere Teil ist es, zu schauen, ob es auch ein lesbarer deutscher Text ist. Man spürt auch, wenn etwas nicht ganz stimmig ist.

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Wie bist Du denn zu der Region gekommen?

Ich wollte Frankreich ausschließen, denn ich meine, das Frankreich inzwischen sehr gut besetzt ist. Das Interesse an Osteuropa ist ein persönliches, das ich auch schon bei Matthes & Seitz Berlin verfolgt habe. Durch die politischen Bedingungen im 20. Jahrhundert ist dort sehr viel Interessantes untergegangen. Man hatte beispielsweise nur sehr begrenzte Wege in die russische Literatur, eine bestimmte Literatur wurde überhaupt nicht publiziert. Nordeuropa ist auf dem deutschen Markt außerhalb des Krimigeschäfts auch viel zu kurz gekommen. Das merke ich auch jetzt bei den Recherchen. In Skandinavien oder auch in Estland gibt es viele ganz fantastische Autoren, die komplett vergessen sind.

Wie suchst und wo findest Du Deine Bücher?

Im Internet. Am Anfang bin ich einfach Preislisten durchgegangen, habe also geschaut, wer vor 1970 den Literaturpreis des Nordischen Rates oder den Literaturnobelpreis gewonnen hat. Ziemlich schnell bekommt man dann ein Gespür, weil man bei dem einen über den anderen liest und so weiter. Es hat sich zum Beispiel bei Nordeuropa ein Pool von zwanzig Namen gebildet, in dem ich weiterlese und recherchiere. Denn es reicht ja nicht einfach, dass die Bücher gut sind, sondern sie müssen auch heute noch interessant sein.

Clemens Setz hat in der Literaturzeitung Volltext eine Kolumne zu vergessenen und vergriffenen Büchern, wo er Autoren wie Felix Fénéon, Donald Barthelme, Eyvind Johnson oder Kobo Abe vorstellt. Ist das für Dich auch eine Quelle oder bekommst Du gar Tipps von Clemens Setz?

Leider nicht, da Nord- und Osteuropa nicht seine Regionen sind. Zu meiner Zeit bei Matthes & Seitz Berlin hatten wir uns mal auf der Buchmesse unterhalten und er hatte mir – damals noch für die NaturkundenReflections of a Bonehunting Man von Loren Eiseley empfohlen, ein wunderschönes Buch. Das passt leider gar nicht in mein Konzept, aber ich lese es sehr gern. Ich mag auch Setz’ Kolumne, seine Herangehensweise an Literatur gefällt mir sehr gut.

Wolltest Du mit dem Schwerpunkt eine Nische besetzen?

Darum ging es mir nicht. Ich glaube, die Buchhändler und Journalisten schauen danach, welche Bücher sie interessieren. Daher ist so ein Verlagskonzept ohnehin nur ein Konstrukt. Das Konzept hilft aber, um den Verlag besser zu fassen. Der Guggolz-Verlag ist der Verlag für Neu- und Wiederentdeckungen aus Nord- und Osteuropa. Bei den einzelnen Büchern wird das Verlagskonzept immer unwichtiger, dann geht es um den Text.

4 Kommentare

  1. […] Vom Suchen und Fin­den ver­ges­se­ner Auto­ren | intel­lec­tures — sebas­tian gug­golz, ehe­ma­li­ger lek­tor bei matthes & seitz, der jetz gerade sei­nen eige­nen ver­lag gegrün­det hat: Ich bin mir sicher, dass die lau­fende Dis­kus­sion von wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen gelei­tet ist, von bei­den Sei­ten, also auch von den Ver­la­gen um Bon­nier. Der Streit­punkt sind ja die Rabatte, die Ama­zon for­dert. Wenn Ama­zon meine Bücher über die Bar­sor­ti­mente kau­fen, dann bekom­men die die Bücher zum glei­chen Preis, wie jede andere Buch­hand­lung auch. Ich weiß nicht, ob die noch einen Son­der­ver­trag mit den Bar­sor­ti­men­ten haben, aber das kann mir auch egal sein. Das heißt, jedes Buch, das ich bei Ama­zon ver­kaufe, ist ein ver­kauf­tes Buch und damit gut für mich. Die Dis­kus­sion um die eBook-Rabatte betrifft mich gleich gar nicht, da ich der­zeit ja keine eBooks ver­kaufe. Und wenn man als Ver­lags­kunde mit Ama­zon ein Part­ner­pro­gramm ein­geht, und damit erreicht, dass alle Bücher des jewei­li­gen Ver­lags auf Lager und umge­hend lie­fer­bar sind, dann muss man ohne­hin mit Ama­zon direkt die Rabatte aus­han­deln. Man bekommt dann bestimmte Vor­teile, muss aber höhere Rabatte ein­räu­men. Das ist dann ein­fach Ver­hand­lungs­sa­che. Ama­zon ist dann aber ein zuver­läs­si­ger Geschäfts­part­ner. Mein Pro­blem auf dem Buch­markt ist nicht Ama­zon. Da bin ich auf­find­bar und meine Bücher sind rela­tiv schnell lie­fer­bar. Mein Pro­blem sind nach wie vor die Groß­buch­hand­lun­gen, also Tha­lia und Hugen­du­bel, und noch schlim­mer die gan­zen Bahn­hofs­buch­hand­lun­gen. Die wer­den in der Amazon-Debatte plötz­lich von den Ver­la­gen mit ins Boot geholt, weil dort die gro­ßen Ver­lage ver­tre­ten sind, aber für mich als Klein­ver­lag sind die wie gesagt das eigent­li­che Pro­blem. Die neh­men mich nicht wahr und bestel­len mich nicht, weil ich immer unter einer gewis­sen Min­dest­stück­zahl bleibe. Bei denen tau­che ich nicht auf, bei Ama­zon schon. Des­halb ist es aus geschäft­li­cher Per­spek­tive auch schwie­rig, ein­fach nur zu sagen, Ama­zon ist der Böse und wir Ver­lage und der Buch­han­del die Guten. Das Bedenk­li­che an der aktu­el­len Debatte ist die Tat­sa­che, dass dahin­ter wirt­schaft­li­che Inter­es­sen ste­cken und nicht, wie man mei­nen könnte und wie sug­ge­riert wird, kulturelle. […]

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