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Vom Suchen und Finden vergessener Autoren

Welche Titel werden in Deinem nächsten Programm folgen?

Im nächsten Programm wird es eine bislang noch nicht übersetzte Erzählung des russischen Autors Michail Prischwin geben. In der DDR war er als Kinder- und Jugendbuchautor sehr populär und Teile seines Werks wurden übersetzt. Er gilt als der russische Henry David Thoreau, weil er zur Stalinzeit eben nicht ins Exil gegangen ist, sondern sich in den Wald zurückgezogen und Naturschilderungen veröffentlicht hat. Die bislang einzige westdeutsche Übersetzung von Prischwin hat Ilma Rakusa (Meistererzählungen, Manesse-Verlag) gemacht, sie wird auch das Nachwort für meine Ausgabe schreiben. Die Erzählung, die ich präsentieren werde, wird einen deutlich politischen Anstrich haben. Deshalb ist sie auch bisher weitgehend unbekannt und wurde auch in Russland erst in den 1990ern in der Gesamtausgabe erstmals veröffentlicht. Toll sind von Prischwin auch die Tagebücher, die ich gerne veröffentlichen würde, aber das ist ein zu großes Projekt für den Anfang. Wenn man die Tagebücher liest, dann wird seine Flucht ins innere Exil noch deutlicher. Während er fast nur unbedenkliche und etwas mythisch-schwärmerische Naturtexte veröffentlichte, schrieb er im Tagebuch offen und ohne Zurückhaltung. Prischwin ist auf jeden Fall als Autor noch neu zu entdecken und zu bestimmen. Auf ihn gekommen bin ich schon vor einiger Zeit durch eine Empfehlung von einem befreundeten Autor. Seither aber trage ich Prischwin mit mir herum.

Das zweite Buch wird ein Roman des färöischen Autors Heðin Brú sein, das ist etwas ganz Besonders. Es gab eine goldene Schriftstellergeneration auf den Färöer Inseln: vier Autoren [neben Heðin Brú waren das Jørgen-Frantz Jacobsen, William Heinesen und Christian Matras], 1900 und 1901 geboren, bildeten eine Art literarischen Kreis, aber nur Brú hat auch auf Färöisch geschrieben. Von seinem Roman »Vater und Sohn unterwegs« gibt es ältere Übersetzungen aus dem Dänischen, aber ich lasse das Buch gerade erstmals direkt aus dem Färöischen übertragen. Das ist ein sehr schöner Text über einen alten Walfänger, der vom Fortschritt eingeholt wird. Das ist, wie schon Sillanpää, eine echte Entdeckung, auf die ich mich sehr freue.

Du hast Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Hamburg studiert. Gab es Bücher, die Dich geprägt haben?

In meinem Studium weniger. Als ich mich für das Studium entschieden habe, habe ich auch ganz bewusst entschieden, nicht Germanistik, sondern Kunstgeschichte als Hauptfach zu wählen. Es ist zwar eine Phrase, dass man Literaturwissenschaft nicht studieren soll, wenn man wirklich gern liest, aber ich habe mich daran gehalten. Ich fand es für mich einfacher, Kunstgeschichte im Hauptfach und Literatur einfach auch zu studieren. Ich habe während des Studiums sehr viel gelesen, aber es geht eher darum, dass man einen Zugang bekommt zu Büchern und auch etwas von dem Respekt verliert.

Wenn Du wissen willst, wer für meine jetzige Arbeit so eine Art Vorbild war, dann muss ich ganz ehrlich sagen, dass das Andreas Rötzer von Matthes & Seitz Berlin ist. Er war für mich eine unglaublich prägende Figur, natürlich auch in der Abgrenzung, wie das immer so ist bei Vorbildern. Aber mit ihm hatte ich die ersten sehr langen Gespräche darüber, was man eigentlich tut, wenn man Bücher macht, und wir haben einfach lange Zeit eng zusammengearbeitet. Ich habe sehr stark davon profitiert. Er ist eindeutig die wichtigste Person für meine Entwicklung, was das Büchermachen betrifft.

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Ich möchte kurz auf die Kunstgeschichte zurückzukommen, auf Deine eigene. Du hast 2001 beim Jugendkunstpreis in Baden-Württemberg mit einem „Sündenregister“ einen der Preise gewonnen. Was hat es damit auf sich?

Oh Gott, da war ich ungefähr 18 Jahre alt. Eigentlich konnte ich da nur mitmachen, weil ich eine tolle Kunstlehrerin hatte, die mich dazu animiert hat. Ich habe eine Reflexion über die sieben Todsünden angestellt. Ausgangspunkt war ein vorgegebener Kubus, den ich als Register gebaut habe. Dann habe ich eine fotografische Selbstreflexion mit Selbstporträts gemacht. Ich habe dann Register gebaut, die man herausziehen konnte, auf der einen Seite ein Selbstporträt, auf der anderen ein paar Informationen zu den Todsünden. Dass ich damit gewinnen würde, war eine totale Überraschung. Als Preis gab es damals eintausend D-Mark und eine Reise nach Florenz.

Hast Du für Matthes & Seitz Berlin auch schon Bücher entdeckt?

Eigentlich war dort das Verlegen war immer ziemlich klar geregelt, die Titelauswahl war Sache des Verlegers. Wenn man sich den Schrank mit den zukünftigen Projekten bei Matthes & Seitz Berlin anschaut, dann erschlägt das einen. Das sind hunderte Projekte, die da für die Zukunft herumschwirren. Mein Einfluss beschränkte sich dann eher darauf, mal mitzubestimmen, welches dieser vielen Projekte wann umgesetzt wird. Oder Andreas Rötzer hat bestimmte Bücher gemacht, weil er wusste, dass die mich interessiert.

Was hast Du neben dem umfassenden Einblick in die Verlagsarbeit aus der Zeit bei Matthes & Seitz Berlin mitgenommen?

Ich habe viele Bücher mitgenommen, etwa Jean-Henri Fabre, dessen Erinnerungen eines Insektenforschers eines meiner Lieblingsprojekte war. Überhaupt habe ich vielen Sachen auf den Weg helfen können, hinter denen ich heute noch einhundertprozentig stehen kann. Oder meine Begegnung mit Esther Kinsky ist eine unheimlich wertvolle, mit ihr bin ich heute befreundet. Ich finde ihre Literatur und auch ihre Übersetzungen herausragend. Ich bin noch mit vielen Übersetzern in Kontakt, mit ihnen habe ich oft eng zusammengearbeitet. Eveline Passet, die für Matthes & Seitz Wassili Golowanows Die Insel oder Die Rechtfertigung des sinnlosen Reisens übersetzt hat, übersetzt für mich jetzt Prischwin. Auch mit Gabriele Leupold, die die Schalamow-Bände übersetzt hat, stehe ich noch in gutem Kontakt. Das einzige, mit dem ich weniger zu tun hatte, ist das Sachbuch. Ich habe das zwar auch teilweise mitlektoriert, aber jetzt, bei der eigenen Verlagsgründung, konnte ich das für mich relativ schnell ausschließen. Ich lese auch Sachbücher oder Philosophie, aber das ist nicht das, hinter dem ich als Verleger stehe. Mein Eindruck ist, dass der Bereich seit meinem Weggang bei Matthes & Seitz gestärkt worden ist, der Verlag scheint noch stärker auf die Essayschiene zu setzen. Das ist für mich schön im Nachhinein, weil es dann vielleicht doch meine Handschrift sichtbar macht. Während ich dort gearbeitet habe, hatte ich nie den Eindruck, dass mein Tun irgendwie prägend war, aber so merke ich jetzt im Nachhinein, was wahrscheinlich mein Teil von Matthes & Seitz Berlin war.

Gibt es Dinge, über die Du dich als Verleger ärgerst?

Was mich furchtbar ärgert, ist die schlechte Bezahlung der Übersetzer. Das möchte ich anders machen. Deren Arbeitsverhältnisse sind zum großen Teil eine Zumutung. Da es bei einem Großteil meiner Bücher, zumindest jetzt am Anfang, so ist, dass die Autoren schon tot sind und die Lizenzgeber wenig mit den Texten zu tun haben, sind in der Arbeit meine wichtigsten Gegenüber immer die Übersetzer. Sie sind fast so etwas wie Autoren. Da ich viel mit wirklich guten Übersetzern zusammengearbeitet habe und zusammenarbeite, sehe ich, was ihre Arbeit für eine Leistung ist. Ohne Übersetzer würde wirklich nichts laufen. Das ist einfach so.

4 Kommentare

  1. […] Vom Suchen und Fin­den ver­ges­se­ner Auto­ren | intel­lec­tures — sebas­tian gug­golz, ehe­ma­li­ger lek­tor bei matthes & seitz, der jetz gerade sei­nen eige­nen ver­lag gegrün­det hat: Ich bin mir sicher, dass die lau­fende Dis­kus­sion von wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen gelei­tet ist, von bei­den Sei­ten, also auch von den Ver­la­gen um Bon­nier. Der Streit­punkt sind ja die Rabatte, die Ama­zon for­dert. Wenn Ama­zon meine Bücher über die Bar­sor­ti­mente kau­fen, dann bekom­men die die Bücher zum glei­chen Preis, wie jede andere Buch­hand­lung auch. Ich weiß nicht, ob die noch einen Son­der­ver­trag mit den Bar­sor­ti­men­ten haben, aber das kann mir auch egal sein. Das heißt, jedes Buch, das ich bei Ama­zon ver­kaufe, ist ein ver­kauf­tes Buch und damit gut für mich. Die Dis­kus­sion um die eBook-Rabatte betrifft mich gleich gar nicht, da ich der­zeit ja keine eBooks ver­kaufe. Und wenn man als Ver­lags­kunde mit Ama­zon ein Part­ner­pro­gramm ein­geht, und damit erreicht, dass alle Bücher des jewei­li­gen Ver­lags auf Lager und umge­hend lie­fer­bar sind, dann muss man ohne­hin mit Ama­zon direkt die Rabatte aus­han­deln. Man bekommt dann bestimmte Vor­teile, muss aber höhere Rabatte ein­räu­men. Das ist dann ein­fach Ver­hand­lungs­sa­che. Ama­zon ist dann aber ein zuver­läs­si­ger Geschäfts­part­ner. Mein Pro­blem auf dem Buch­markt ist nicht Ama­zon. Da bin ich auf­find­bar und meine Bücher sind rela­tiv schnell lie­fer­bar. Mein Pro­blem sind nach wie vor die Groß­buch­hand­lun­gen, also Tha­lia und Hugen­du­bel, und noch schlim­mer die gan­zen Bahn­hofs­buch­hand­lun­gen. Die wer­den in der Amazon-Debatte plötz­lich von den Ver­la­gen mit ins Boot geholt, weil dort die gro­ßen Ver­lage ver­tre­ten sind, aber für mich als Klein­ver­lag sind die wie gesagt das eigent­li­che Pro­blem. Die neh­men mich nicht wahr und bestel­len mich nicht, weil ich immer unter einer gewis­sen Min­dest­stück­zahl bleibe. Bei denen tau­che ich nicht auf, bei Ama­zon schon. Des­halb ist es aus geschäft­li­cher Per­spek­tive auch schwie­rig, ein­fach nur zu sagen, Ama­zon ist der Böse und wir Ver­lage und der Buch­han­del die Guten. Das Bedenk­li­che an der aktu­el­len Debatte ist die Tat­sa­che, dass dahin­ter wirt­schaft­li­che Inter­es­sen ste­cken und nicht, wie man mei­nen könnte und wie sug­ge­riert wird, kulturelle. […]

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