Ist es denn schwer, an die Lizenzen von vergessenen Autoren heranzukommen?
Das ist ganz unterschiedlich. Einige meiner Autoren sind bereits über 70 Jahre tot, da muss ich gar nichts machen, sondern kann einfach auf den Text zugreifen, weil ja nach 70 Jahren die Rechte frei werden. Bei Sillanpää war es ganz einfach, da dessen Bücher noch bei Otava in Finnland erscheinen und es deshalb einen direkten Ansprechpartner gibt. So hat jedes Buch dann auch hier seine ganz eigene Geschichte.
Welche Bedeutung hat für Dich Dein Amt beim Förderverein des Literaturhauses Berlin?
Das hat sich fast zufällig ergeben, ich bin das ja erst seit Februar 2014. Die Vorsitzende des Fördervereins Roswitha Quadflieg hatte mich als Stellvertreter vorgeschlagen, als sie selbst für den Vorsitz angefragt wurde. Mir macht das sehr viel Spaß, ich lerne viele interessante Leute und die Szene etwas von innen kennen.
Du kümmerst Dich als Lesepate an einer Schöneberger Grundschule auch um den Nachwuchs. Warum ist dir das so wichtig?
Ich fühle mich sehr privilegiert. Ich lebe in einer Großstadt, bin gut ausgebildet, verdiene vielleicht nicht so wahnsinnig viel Geld, aber ich kann mir meine Arbeit aussuchen und meine Zeit frei einteilen. In einer Großstadt merkt man aber auch schnell, dass es nicht jedem so geht. Ich habe lange Zeit etwas gesucht, wo ich mich engagieren kann, ohne mich dabei selbst überwinden zu müssen. Das fand ich in der Lesepatenschaft. Ich gehe einmal in der Woche in die Spreewald-Schule und bin dort in einer internationalen Klasse. Das sind Projektklassen, in denen Kinder, die gerade nach Deutschland gekommen sind und noch gar kein Deutsch können, aufgefangen und langsam an die normalen Klassen herangeführt werden. Dort lese und spreche ich mit den Kindern. Das ist eine sehr erfüllende Aufgabe. An den Tagen, an denen ich in die Schule gehe, bin ich immer viel entspannter, als sonst.
Was machst Du, wenn Du nicht liest?
Ich gehe wahnsinnig gern ins Museum und schaue mir dort einzelne Sachen an. Ich gehe natürlich auch in Ausstellungen, aber ich gehe am liebsten in die Ständigen Sammlungen und setze mich da mit einzelnen Sachen konzentrierter auseinander. Ich gehe auch sehr gern ins Kino, was sicher von meiner Tätigkeit in einem Hamburger Programmkino herrührt. Ich gehe immer noch bestimmt zwei Mal die Woche ins Kino, um mir europäisches Programm- und Autorenkino anzuschauen. Ich gehe auch gern in die Oper… das klingt, als wäre ich so ein schrecklicher Bildungsbürger, dabei bin ich das gar nicht. Ich schaue auch viel Sport im Fernsehen, verfolge das zum Teil sehr intensiv. Ich könnte mir zum Beispiel stundenlang Tennis anschauen. Und ich habe eine Faszination für Sportstatistiken. Ich verschlinge diese förmlich und merke mir das dann alles, von Tabellenverläufen im Fußball bis hin zu den Rundenzeiten bei der Formel 1. Und seit es das Jahrhundertpferd Totilas gibt, lese ich wie gebannt alle Berichte über Dressurreiten.
Welche Autoren haben Dich geprägt?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich habe immer so Phasen. Ich habe eine Weile alles von Hans Henny Jahnn gelesen, dann mal alles von Wolfgang Koeppen. Da hat mich keiner für mein Leben geprägt, man nimmt halt immer etwas von dem Gelesenen mit und liest weiter. Begegnungen mit Autoren haben mich geprägt, wie die schon erwähnte mit Esther Kinsky oder auch meine Freundschaft zu Michael Roes. Da interessiere ich mich dann für alles, auch für den gesamten ästhetischen Zugang.
Und wenn Du drei Bücher auf eine Insel mitnehmen müsstest, welche wären das?
Ich würde Der Nachsommer von Adalbert Stifter mitnehmen, weil das einer der ersten, richtig großen Romane ist, die ich gelesen habe. Ich würde Moby Dick von Herman Melville einpacken. Und als drittes – ich muss überlegen, es muss ja dick sein – vielleicht etwas Zeitgenössisches… jetzt fällt mir keines ein. Natürlich könnte ich jetzt Marcel Proust sagen, aber das hat mich dann doch nicht so beeinflusst. Vielleicht nehme ich einfach eines von meinen Büchern mit. Obwohl, hier ist eines (greift auf einen Stapel älterer Bücher): Wargamäe von Anton Hansen Tammsaare, das ist der erste Band eines fünfteiligen Zyklus Wahrheit und Recht. Tammsaare ist der wichtigste estnische Autor der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das ist ein fantastischer Autor, den würde ich auch unglaublich gern neu herausbringen.
Wo ist Dein Verlag in fünf bis zehn Jahren?
Ich hoffe, dass es ihn noch gibt. Mein Konzept soll konkurrenzfrei sein, das ist mir wichtig. Mir wird oft geraten, ich soll nicht so offen sein und über zukünftige Projekte sprechen, aber ich merke, dass mir das schwer fällt, dass ich das albern finde. Nehmen wir zum Beispiel Tammsaare. Wenn das ein anderer Verlag macht, ist das auch toll, dann freue ich mich einfach darüber, dass es das Buch gibt. Es gibt in dem Genre, das ich mache, so viel, dass ich da kein Konkurrenzgefühl entwickeln kann. Der österreichische Verlag Jung und Jung hat aktuell Aleksis Kivi in einer Neuübersetzung herausgebracht, einen anderen großen, kaum noch bekannten finnischen Autor. Ich freue mich über das Buch »Sieben Brüder« und habe da nicht das Gefühl, dass ich mich mit Sillanpää da dagegen behaupten müsste. Mein Ziel war immer, etwas zu machen, was andere als schön wahrnehmen. Ich hoffe, dass ich mich da durchsetzen kann. Ich habe keinen Vorbildverlag, aber ich fände es schon toll, wenn ich mich so etablieren könnte, wie die Friedenauer Presse oder der Berenberg-Verlag. Ich möchte auch nicht viel größer oder berühmt und reich werden, sondern wenn ich und vielleicht noch zwei, drei andere davon irgendwann leben könnten, dann wäre das perfekt.
Aus diesem Interview ist ein Porträt für den Tagesspiegel entstanden, das hier online veröffentlicht ist.
[…] Vom Suchen und Finden vergessener Autoren | intellectures — sebastian guggolz, ehemaliger lektor bei matthes & seitz, der jetz gerade seinen eigenen verlag gegründet hat: Ich bin mir sicher, dass die laufende Diskussion von wirtschaftlichen Interessen geleitet ist, von beiden Seiten, also auch von den Verlagen um Bonnier. Der Streitpunkt sind ja die Rabatte, die Amazon fordert. Wenn Amazon meine Bücher über die Barsortimente kaufen, dann bekommen die die Bücher zum gleichen Preis, wie jede andere Buchhandlung auch. Ich weiß nicht, ob die noch einen Sondervertrag mit den Barsortimenten haben, aber das kann mir auch egal sein. Das heißt, jedes Buch, das ich bei Amazon verkaufe, ist ein verkauftes Buch und damit gut für mich. Die Diskussion um die eBook-Rabatte betrifft mich gleich gar nicht, da ich derzeit ja keine eBooks verkaufe. Und wenn man als Verlagskunde mit Amazon ein Partnerprogramm eingeht, und damit erreicht, dass alle Bücher des jeweiligen Verlags auf Lager und umgehend lieferbar sind, dann muss man ohnehin mit Amazon direkt die Rabatte aushandeln. Man bekommt dann bestimmte Vorteile, muss aber höhere Rabatte einräumen. Das ist dann einfach Verhandlungssache. Amazon ist dann aber ein zuverlässiger Geschäftspartner. Mein Problem auf dem Buchmarkt ist nicht Amazon. Da bin ich auffindbar und meine Bücher sind relativ schnell lieferbar. Mein Problem sind nach wie vor die Großbuchhandlungen, also Thalia und Hugendubel, und noch schlimmer die ganzen Bahnhofsbuchhandlungen. Die werden in der Amazon-Debatte plötzlich von den Verlagen mit ins Boot geholt, weil dort die großen Verlage vertreten sind, aber für mich als Kleinverlag sind die wie gesagt das eigentliche Problem. Die nehmen mich nicht wahr und bestellen mich nicht, weil ich immer unter einer gewissen Mindeststückzahl bleibe. Bei denen tauche ich nicht auf, bei Amazon schon. Deshalb ist es aus geschäftlicher Perspektive auch schwierig, einfach nur zu sagen, Amazon ist der Böse und wir Verlage und der Buchhandel die Guten. Das Bedenkliche an der aktuellen Debatte ist die Tatsache, dass dahinter wirtschaftliche Interessen stecken und nicht, wie man meinen könnte und wie suggeriert wird, kulturelle. […]
[…] https://www.intellectures.de/2014/09/16/vom-suchen-und-finden-vergessener-autoren/ […]
[…] für sein Lebenswerk mit dem Hauptpreis in Höhe von 26.000 Euro ausgezeichnet, Sebastian Guggolz (hier unser Interview mit ihm kurz nach Verlagsgründung) erhielt den mit 5.000 dotierten […]
[…] Autorinnen an, die einen Platz auf der Liste der Preisträger:innen verdient hätten. Esther Kinsky etwa, Katja Petrowskaja, Natascha Wodin oder Irina […]