Film

Der Psychologe unter den Filmemachern

Nicht wenige Kritiker meinten, in dem Zweikampf zwischen Geschäftsmann und Trucker den US-amerikanischen Klassenkampf der sechziger Jahre erkennen zu müssen. Diesen verfilmte Spielberg aber erst drei Jahre später mit dem Sozialdrama Sugarland Express. In dessen Mittelpunkt stehen Lou Jean (Goldie Hawn) und Clovis Poplin (William Atherton), ein sympathisches Gaunerpärchen, die ihren Sohn Langston zurückbekommen wollen, der bei wohlhabenden Pflegeeltern in Sugarland lebt. Um ihn zurückzubekommen, bricht Clovis aus dem Knast aus und begibt sich mit seiner Rabattmarken sammelnden Frau auf einen Roadtrip der besonderen Art. Sie kidnappen einen Polizisten und versuchen, mit diesem als Sicherheit, bis Sugarland durchzubrennen. Dabei ziehen sie sich den Sicherheitsapparat eines ganzen Landes auf den Hals, so dass im Laufe des Films der Blechwurm an Polizeiwagen, die den Poplins auf den Fersen sind, unablässig wächst. Auch wenn Captain Harlin Tanner (Ben Johnson) nach 18 opferfreien Dienstjahren versucht, die Situation nicht eskalieren zu lassen, entwickelt sich die Verfolgung der zwei Kleinkriminellen zu einer überdrehten Hexenjagd, in die selbst die MacCarthy-Reservisten einzugreifen versuchen.

Szene aus »Sugarland Express« von 1974 | © Steven Spielberg

Szene aus »Sugarland Express« von 1974 | © Steven Spielberg

Der Ehrgeiz, den die Poplins bei ihrem Feldzug gegen den übergriffigen Staat an den Tag legen, um ihren Sohn zurückzubekommen, weckt Sympathien im ganzen Land. Mit jedem Kilometer, dem sie Sugarland näher kommen, steigt die Unterstützung des Pärchens für die Bevölkerung, bis die Poplins sogar mit Volksfesten in den Städten empfangen werden. »Auch wir heißen Poplin« steht auf den Transparenten der jubelnden Bürger. Sie werden zum Symbol der wachsenden Verzweiflung einer Bevölkerung gegenüber der unseligen Koalition des Staates mit seinen vermögenden Bürgern, die sich vermeintlich alles erlauben können. Dies führt dazu, dass selbst der entführte Officer Maxwell Slide (Michael Sacks) beginnt, das Pärchen in seinem Anliegen zu unterstützen.

Die Filmmusik lieferte hier erstmals John Williams, der mit Ausnahme von Die Farbe Lila für jeden Spielberg-Film die musikalische Atmosphäre schuf. Spielberg nutzt Sugarland Express – für den er 1974 bei den Filmfestspielen in Cannes im Rennen um die Goldene Palme war und den Preis für das Beste Drehbuch gewann –, um das tiefe Misstrauen in der amerikanischen Bevölkerung gegenüber dem Sicherheitsapparat nach der Erfahrung der MacCarthy-Regierung deutlich zu machen. Polizisten, so lernen wir hier, tragen einen Cowboy-Hut und spielen Wilder Westen, wenn es ihnen passt. Das alles ist nicht seiner Fantasie oder politischen Orientierung entsprungen, sondern beruht auf einer wahren Begebenheit.

Mit Duell und Sugarland Express enthält die Box zwei großartige Roadmovies, deren Wiederentdeckung der Hauptgewinn dieser Blu-ray-Collection ist. Wo gewonnen wird, muss aber auch verloren werden. Dies geschieht mit den beiden Flieger-Filmen 1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood und Always – Der Feuerengel von Montana – wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß. Der eindeutig bessere dieser beiden filmischen Experimente, die zugegebenermaßen in Spielbergs Filmografie kaum noch eine Rolle spielen, ist die zitatenreiche Weltkriegskomödie 1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood.

Szene aus »1941 - Wo bitte geht's nach Hollywood« von 1979 | © Steven Spielberg

Szene aus »1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood« von 1979 | © Steven Spielberg

Darin erzählt Spielberg von einer möglichen Hysterie aufgrund einer angeblich bevorstehenden Invasion Kaliforniens durch die japanische Armee wenige Tage nach dem Angriff auf Pearl Harbor. Und tatsächlich verkehrt vor der Küste Kaliforniens ein japanisches U-Boot auf der Suche nach einem »bedeutenden Ziel« auf dem amerikanischen Festland. Was könnte das anderes sein als Hollywood, die Fabrik des kapitalistischen Zeitgeists? Doch statt Hollywood nehmen sie aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten zunächst Hollys Weihnachtsbaum-Handel (»Hollys Wood«) ins Visier, dann das Haus von Ward Douglas (Ned Beatty) und schließlich einen Vergnügungspark an der Küste. Im Landesinneren dreht derweil der paranoide Colonel Maddox (Warren Oates) durch, während der Oberbefehlshaber der Truppen in Los Angeles, General Joseph Stilwell (Robert Stack), Zerstreuung in Walt Disneys Zeichentrickfilm Dumbo sucht und findet. Während sich seine Truppen nach einem Tanzwettbewerb in den Straßen der Stadt prügeln, hat sein Adjutant Loomis Birkhead (Tim Matheson) nichts anderes im Kopf, als die schöne Regierungsbeamtin Donna Stratton (Nancy Allen) in einem Flugzeug zu verführen. Dabei gerät er an den durchgedrehten Ex-US-Air-Force-Pilot Captain Wild Bill Kelso (John Belushi), der ihn über LA ins Visier nimmt und einen verrückten Boden-Luftkampf auslöst.

Der Plot ist so wüst, dass die Rahmenhandlung – die Bedrohung der USA durch die Japaner – das Ganze kaum zusammenhalten kann. Dennoch lohnt es sich, diesen Film zu kennen, denn zum Einen haben wir es bei dem hiesigen »Reich des Irrsinns« mit der Mutter der »Mutter aller Filme« zu tun, zum anderen beginnt Spielberg hier, sich selbst zu zitieren. Zu Beginn des Films ertönt der legendäre Zwei-Ton-Intervall aus Der weiße Hai, der vier Jahre zuvor in den Kinos lief, im Film tankt Wild Bill Kelso an einer einsamen Tankstelle, die bereits in Duell ihren großen Auftritt hatte. Will man sich mit den Selbstzitaten Spielbergs auseinandersetzen, dann lohnt sich dieser Film durchaus.

Szene aus »Always - Der Feuerengel von Montana« von 1989 | © Steven Spielberg

Szene aus »Always – Der Feuerengel von Montana« von 1989 | © Steven Spielberg

Ganz im Gegensatz zu Spielbergs uninspiriertem Liebesdrama Always – Der Feuerengel von Montana, indem er von dem draufgängerischen Feuerwehrpiloten Pete Sandich (Richard Dreyfuss) erzählt, der bei einem waghalsigen Einsatz zwar seinem Freund Al Yackey (John Goodman) das Leben rettet, dabei aber selbst ums Leben kommt. Als guter Geist kehrt er zurück und muss dem tollpatschigen Piloten Tad Baker (Brad Johnson) zur Seite stehen. Dass sich dieser ausgerechnet in Petes große Liebe Dorinda (Holly Hunter) vergucken muss, macht das nicht einfacher. Mal abgesehen davon, dass die große Audrey Hepburn hier ihren letzten Kinoauftritt als Engelskoordinatorin hat, ist dieses Remake von A Guy named Joe eine absolute Enttäuschung. Always besitzt die Spannungskurve eines gleichnamigen Sanitärartikels und stellt den verzichtbaren Ausfall in dieser Spielberg-Kollektion dar.

1 Kommentare

  1. […] Endkampf inszenieren – von Klassikern wie Roland Emmerichs Independence Day oder Stephen Spielbergs Krieg der Welten bis hin zu jüngeren Werken wie Jeff Nichols Midnight Special oder Jupiter […]

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