Comic

Geschichte in Bildern und Bildergeschichten

Mal bedienen sich Comicautoren historischer Themen, dann wieder Historiker der comicalen Erzählung. Die Herangehensweise ist immer wieder höchst verschieden, wie einige aktuelle Alben zeigen. Sie erzählen von der friedlichen Revolution im Herbst 1989 in Berlin und Leipzig, von den persönlichen Irrwegen einer Fremdsprachensekretärin im Berlin der 1930er Jahre und den Lebenswegen illustrer historischer Randfiguren.

Für einen Journalisten gibt es nichts Schlimmeres, als ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung zu verschlafen. Dem New Yorker Reporter Tom Sandman passiert es dennoch, wenn auch unfreiwillig. Als tausende Ostberliner am Abend des 9. November 1989 zum Grenzübergang Bornholmer Straße strömten, lag Sandman in der Charité. Eine eitrige Kiefernentzündung hatte ihn niedergestreckt. Dieser journalistische Super-GAU ist ein geschickter Winkelzug des Berliner Autorenteams Max Mönch, Alexander Lahl und Kitty Kahane, um in ihrem Comic Treibsand von den wenig bekannten Geschehnissen an diesem geschichtsträchtigen Abend vor 25 Jahren zu erzählen. Denn wer weiß schon, was in den Ministerien passiert ist, als DDR-Regierungssprecher Günter Schabowski versehentlich die Öffnung der Grenze verkündet und die Menschen bewegt hatte, die Mauern niederzureißen?

Ich treffe mich mit Max Mönch und Kitty Kahane an der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße, um mit ihnen über ihren Comic zu reden. An diesem Erinnerungsort der deutsch-deutschen Teilung, wo noch das letzte Stück Mauer steht, erklärt mir Mönch, dass unsere Bilder vom November 1989 nur einen Teil der Wende erzählen. So gut wie niemand wisse von den Ereignissen hinter den Kulissen, weil diese mit der »offiziellen Geschichte des Glückstags« kollidierten, »an dem ein Volk auf die Straße geht, Beamte zu Menschen werden und schließlich die Mauer fällt«. Aber warum haben die Funktionäre um Egon Krenz nicht die Grenzen dichtgemacht oder den Befehl zum Gewehre durchladen erteilt? Fragen wie diese haben die studierten Historiker Mönch und Lahl, die sich als »Kulturingenieure« verstehen, interessiert, »weil die Antworten darauf die Erzählung vom 9. November 1989 ändern«, meint Mönch.

Kitty Kahane & Max Mönch

Kitty Kahane & Max Mönch

Tatsächlich entsteht bei der Lektüre von Treibsand ein neues Bild. Darin schildert der New Yorker Journalist Tom Sandman seine Erinnerungen an den Herbst 1989. Er erzählt von seinen Treffen mit Oppositionellen, Republikflüchtlingen und Funktionären, von den Ereignissen in der Prager Botschaft der BRD, den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR und den ständig wachsenden Teilnehmerzahlen an den Leipziger Montagsdemonstrationen. Er beschreibt einen Staat, der auf Sand gebaut ist, »Treibsand, der in Bewegung geraten ist«. Seine pochenden Zahnschmerzen dienen ihm dabei als politisches Sensorium, bis sie ihn am Abend des 9. November überwältigen. Den Autoren verschafft Sandmans Ohnmacht die Lücke in der offiziellen Geschichtsschreibung, die sie am Abend des 9. November 1989 hinter die Kulissen blicken lässt. Sie erzählen den Teil der deutsch-deutschen Geschichte, der sich abseits der medialen Aufmerksamkeit vollzogen hat. Eine ganztägige ZK-Sitzung, interne Machtkämpfe und müde Funktionäre spielen dabei eine wichtige Rolle.

Die beiden Leipziger Bernd Lindner und Peter M. Hoffmann rufen in ihrem Wendecomic Herbst der Entscheidungen einen Teil der Wende in Erinnerung, den Mönch zur »offiziellen Geschichte« zählen würde. Die im fotorealistischen Stil umgesetzte Erzählung konzentriert sich auf die Ereignisse in Leipzig und das Wirken der dortigen Bürgerrechtsbewegung. Im Mittelpunkt der Handlung, die entlang der Friedensgebete und Protestzüge aufgebaut ist, steht der 17-jährige Abiturient Daniel. Er will studieren, müsste dafür aber drei Jahre zur Armee. Für den sensiblen jungen Mann eine Gewissensfrage. Er wendet sich an eine kirchliche Beratungsstelle, kommt in Kontakt mit politisch aktiven Leipzigern und haut von zuhause ab. Er zieht bei einer Widerstandsgruppe ein, verliebt sich in eine der Aktivistinnen und taucht, fasziniert von dem, was um ihn herum geschieht, in eine ihm bislang verborgene Welt ein.

Der Historiker Bernd Lindner ist ein erfahrener Kopf, wenn es darum geht, Geschichte populär aufzubereiten. Mit seiner Internetseite Das Wunder von Leipzig, auf der Nutzer den Verlauf der brisantesten aller Montagsdemonstrationen am 9. Oktober 1989 nachvollziehen können, gewann er 2010 den Grimme-Online-Award. Als Kurator im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig ist er für die Fotosammlung des Hauses verantwortlich. Kaum ein anderer dürfte mehr Bilder zum Leipziger Herbst 1989 im Kopf haben. Nicht nur ein Vorteil, wie er am Telefon erklärt, denn er habe neben den bekannten Bildern auch Situationen in den Comic bringen wollen, für die keine Bilder existieren. Für diese Szenen hat er in seinem biografischen Bildgedächtnis gekramt. Da sei ihm beispielsweise wieder ein Erlebnis im Leipziger Clara-Zetkin-Park eingefallen, als am 40. Jahrestag der DDR bei einem Feuerwerk das R aus dem Schriftzug DDR 40 aus dem Rahmen fiel. Natürlich musste die Szene in den Comic, denn »die Republik stürzte damit symbolisch an diesem Abend ab«.

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