Comic

Geschichte in Bildern und Bildergeschichten

Die Frage, ob die Inszenierung historischer Themen eine Kooperation zwischen Zeichnern und Historikern bedingt, beantworten Comicschaffenden ganz unterschiedlich. Die Comiczeichnerin Barbara Yelin, die kürzlich mit Irmina einen Comic vorgelegt hat, der fulminant gezeichnet einen tiefen Einblick in ihre Familiengeschichte zulässt, hat mit dem Historiker Alexander Korb zusammengearbeitet. Das sei ihr trotz der eigenen, intensiven Recherchearbeiten wichtig gewesen, um Fragen zu »Echtheit, Einordnung und Stimmigkeit von Bildmaterial und Textdokumenten« zu klären. Schließlich seien »Fragen über die Authentizität von Bildern und Dialogen sorgfältig zu behandeln«, erklärt Yelin. Entsprechend betont sie in ihrem Comic eingangs, dass die historischen Hintergründe sorgfältig recherchiert sind. Es ging ihr dabei aber nicht um eine möglichst korrekte historische Abhandlung, sondern um das Schaffen einer stimmigen Atmosphäre in der Erzählung, in der die auftretenden Personen, ihre biografischen Zusammenhänge und viele der Schauplätze »zugunsten der Dramaturgie frei gestaltet«“ sind. Das Nachwort von Korb hat ihr ermöglicht, auf die geschichtlichen Ereignisse erklärende Passagen komplett zu verzichten und sich ganz auf Dialoge und Stimmungen zu konzentrieren.

Yelin_Schwartz

Barbara Yelin (Foto: untergluecklich) & Simon Schwartz

Die Loslösung von der historischen Akkuratesse war ein kluger Schachzug und tut der Geschichte gut, denn atemlos verfolgt man das Schicksal von Irmina von Behdinger – angelehnt an die Erinnerungen ihrer Großmutter – aufgrund der dramatischen biografischen Entwicklung, die durch die historischen Umstände bedingt ist. Ihre Protagonistin Irmina verliebt sich während ihrer Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin in London in Howard aus der Karibik, der in Oxford studiert. Sein kosmopolitischer Blick auf die Welt öffnet ihr die Augen und das Herz.

Doch das Zeitfenster der Geschichte schließt sich wieder, Irmina muss zurück nach Berlin. Doch ausgerechnet in Nazi-Deutschland eröffnet sich ihr die Möglichkeit, zu Anerkennung und Wohlstand zu gelangen. Doch dafür muss die weltoffene, liberale junge Frau zu einer schweigenden Unterstützerin des Regimes werden. Irmina ist vor die Wahl gestellt zwischen Opportunismus und innerem Anstand, kühlem Rationalismus oder warmen Erinnerungen – unter den Bedingungen des Nationalsozialismus nicht unbedingt eine einfache Wahl, wie Barbara Yelin eindrucksvoll zeigt.

Auch der Hamburger Zeichner Simon Schwartz setzt sich regelmäßig mit historischen Sujets auseinander. In seinem 2009 erschienenen Comicdebüt Drüben! hat er die Ost-West-Geschichte seiner Familie erzählt, aber schon dort verzichtete er auf historische Expertise. Ursächlich scheinen hier schlechte Erfahrungen mit Historikern zu sein. »Historiker wollen meist belehren, Fakten und Kontext vermitteln«, sagt Schwartz. Zumindest auf Max Mönch trifft dies nicht zu.

Wie dem auch sei, letztendlich verfährt aber auch Simon Schwartz ähnlich wie Barbara Yelin. Er recherchiert die historischen Fakten seiner Comics selbst, »um mich dann zugunsten der Dramaturgie der Geschichte wieder davon lösen zu können.« Wie sensibel er dabei mit den historischen Fakten spielt, zeigen all seine geschichtlich verankerten, weil Biographien sammelnden Arbeiten. Etwa in der phänomenalen (und preisgekrönten) Geschichte Packeis über den afroamerikanischen Polar-Pionier Matthew Henson, der 1909 als erster Mensch überhaupt den Nordpol erreichte. Dem Assistenten des später offiziellen Polar-Stürmers Robert Peary blieben Ruhm und Anerkennung aber verwehrt – aufgrund der rassistischen Haltungen seiner Umwelt. Oder in seinen, historische Randfiguren porträtierenden Zeitungsstrips, die seit 2012 regelmäßig in der Wochenzeitung der freitag erschienen und nun in dem Band Vita Obscura versammelt sind.

Vor allem in diesen biographischen Pastiches wird deutlich, welche Denk- und Deutungsräume sich erschließen lassen, wenn historisches Material kreativ fiktionalisiert wird. Ob der Pechvogel Wilmer McLean oder der verrückte Kaiser von Amerika Joshua Nortin, ob die sprichwörtliche »Bloody Mary« oder die abergläubische Pistolero-Braut Sarah Winchester, ob Swing-Trompetistin Valaida Snow oder der Kettensägenmagnat und Käufer der London Bridge Robert McCulloch, ob die Überlebenskünstlerin und Krankenschwester Violet Jessop oder der schräge Flugzeugentführer D.B. Cooper – jede einzelne Biografie ist historisch verbürgt. Schwartz eröffnet durch die individuelle ästhetische Herangehensweise an jede Biographie und die jeweils eigene Verkürzung der Lebensbeschreibungen auch immer wieder neue Assoziationswege hin zur historischen Atmosphäre. Das gipfelt in einer Patience von acht bizarren Todesursachen burmesischer Herrscher mit einem Killerelefanten zum Selberbasteln. Bei Schwartz begegnen uns nicht nur skurrile Personen, sondern auch unbekannte Fakten, mit denen man auf jeder Party punkten kann. Etwa dass die Stilikone der 1930er Hedy Lamarr schon in den 1940er Jahren das WLAN erfand oder dass die Stummfilmschauspielerin Clara Bow den Begriff des »It-Girls« erfand. Entdeckungen wie diese Steigern das ohnehin schon große Lektürevergnügen dieser Biopics noch einmal.

1 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.