Parallel zum Film ist der erste von drei Teilen seiner gezeichneten Kindheitserinnerungen in deutscher Übersetzung erschienen. Darin erzählt er aus der naiven Perspektive des »aus dem Ei gepellten« Jungen, der er einmal war, wie er mit der von seiner französischen Mutter geerbten blonden Mähne die arabische Welt erobert. Die Familie zog Ende der 1970er und Anfang der 1980er mit dem Vater aus Frankreich nach Libyen und Syrien, weil der promovierte Historiker als »Beur« in Frankreich keine Chance erhielt. So entschloss der glühende Anhänger der panarabischen Ideen, dem aufstrebenden arabischen Nationalismus persönlich und vor Ort auf die Sprünge helfen. Der im Titel des von FAZ-Redakteur und Comic-Herausgebers Andreas Platthaus übersetzten Comics genannte »Araber von morgen« ist der, dem eine bessere Zukunft verheißen ist.
Der erste Band widmet sich ganz den Erinnerungen, die Sattouf an die Jahre 1978 bis 1984 in sich trägt. Eine Kindheit im Nahen Osten lautet der Untertitel, der zugleich den Auftaktband der Trilogie in dem, was noch kommt, einordnet. Entsprechend findet man hier kaum frontal geäußerte Kritik, sondern das, was der staunende Blondschopf um sich herum wahrnahm. Etwa die anfängliche Begeisterung des Vaters, mit einem Stock eine kleine Zwischenmahlzeit aus dem Maulbeerbaum zu holen, die in Enttäuschung ob des reduzierten Speiseplans, die die libysche Planwirtschaft nach sich zog. Derlei Enttäuschungen des Vaters reihen sich in diesem Werk aneinander, über die fatale Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Desillusionierung der Massen und die intellektuelle Bequemlichkeit der Menschen, denen er begegnet. Der kleine Riad wohnt dem ganzen immer nur staunend bei und nimmt kindlich pragmatisch jeden noch so kleinen Vorteil entgegen.
Nach einem kurzen Intermezzo in Frankreich zog die Familie in die Heimat des Vaters. In Syrien ist der kleine Riad bereits etwas größer und wird beginnen, seine eigenen Wege zu gehen. Hier tritt neben die kindliche Naivität die Entwicklung eines kindlichen Bewusstseins, in das patriarchalen Strukturen der syrischen Gesellschaft stärker eindringen. Die großen und die kleinen Kämpfe, die die syrische Gesellschaft prägten, rücken nah an den kindlichen Erzähler heran. Hier lernt er, was Gewalt mit Menschen anstellen und aus ihnen machen kann. Es sind meist harmlose, aber immer eindringliche Erfahrungen, die der mit der alltäglichen Aggressivität und Gewalt macht. Sie werden ihn ein Leben lang prägen.
Sattoufs Werke haben eine bemerkenswerte Eigenschaft: sie verweigern sich den Klischees, indem sie sich ihrer bedienen. Und er kennt sie alle, die Vorurteile der Franzosen gegenüber den arabischen Einwanderern, die Vorurteile der arabischen Einwanderer gegenüber den Franzosen, den neidischen Blick von unten nach oben und den selbstgefälligen in der Gegenrichtung. Er kennt die Erwartungen der »eigenen« Community ebenfalls wie die »der anderen«. Und auf alle pfeift er. Er entzieht sich seiner angeblichen Verantwortung gegenüber dem Kollektiv, das sich gerade auf ihn bezieht. Das gibt ihm die Freiheit, einfach all die Absurditäten aufs Korn zu nehmen, die uns in der Moderne begegnen.
Die Wirklichkeit, die im Auftaktband seiner biografischen Trilogie beschrieben wird, verleitet die Leser zu Wehmut und Skepsis. Beschrieben werden hier die Jahre vor der islamischen Radikalisierung, liberale und konservative Ansichten existieren gleichberechtigt nebeneinander. Sattoufs kindliches Alter Ego erzählt – wie schon in Meine Beschneidung – würdevoll heiter und authentisch von den Widersprüchen und Paradoxien, die dabei entstehen.
Für den respektvoll-witzigen Grundton und die federleichte, aber überaus umsichtig eingesetzte Grafik mit kluger Farbcodierung wurde Der Araber von morgen bei Europas wichtigstem Comicfestival in Angoulême mit dem Preis für das Beste Album 2014 ausgezeichnet. In den französischen Buchhandlungen war der Comic da schon längst zum Kassenschlager aufgestiegen.
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[…] wir mit der Zukunftsmusik. Wenn der zweite Teil von Riad Sattoufs Kindheitserinnerungen Der Araber von Morgen, der die Jahre 1984 und 1985 in den Blick nimmt, im Frühjahr in der Übersetzung von Andreas […]
[…] jeweils an Franzosen vergeben. 2015 gewann Riad Sattouf für den begeisternden Auftakt von Der Araber von morgen, 2014 ging der Preis an Alfred für sein formidables Album Come Prima und 2013 wurden der […]
[…] erscheint mit »Daidalos« (Reprodukt) ein neuer surrealer Alptraum. Erfolgsautor Riad Sattouf (»Der Araber von morgen«) schreibt »Esthers Tagebücher« (Reprodukt) fort, seine junge Heldin wird im neuen Band […]