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Literatur im Großformat

Suhrkamp Verlag. 900 Seiten. 39,95 Euro.
Suhrkamp Verlag. 900 Seiten. 39,95 Euro.

Alexander Ilitschewski ist einer der großen Gegenwartsautoren, die in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen und geprägt wurden. In Deutschland bekannt ist sein Entwicklungsroman Matisse, der 2006 in der Übersetzung von Friederike Meltendorf und Valerie Engler bei Matthes & Seitz publiziert wurde. Bei Suhrkamp erscheint nun mit Der Perser (Aus dem Russischen von Andreas Tretner) das Hauptwerk des in Jerusalem lebenden Autors, in dem er von dem zerfallenden sowjetischen Imperium in den chaotischen neunziger Jahren erzählt. Im Zentrum steht der nach Kalifornien ausgewanderte russische Geologe Ilja, der auf einer Dienstreise in die Heimat zurückkehrt. Dort trifft er auf seinen Schulfreund Chaschem, der als Ornithologe und Umweltschützer eine Falkenkolonie im Naturschutzgebiet Schirwan an der iranischen Grenze bewacht. Die Aura und Energie des spirituellen Freundes ziehen Ilja in dessen Bann und er beginnt, seine eigene, von Geld und Macht getriebene Existenz in Frage zu stellen. Mit seismographischem Gespür entfalte Alexander Ilitschewski »eine Geopoetik des Kaspischen Raums«, wo in einem verlorenen Garten Eden, in dem einst die Weltreligionen zusammenfanden, heute ein geopolitischer, sozialer und ökologischer Raubbau eine Region in den Abgrund stürzt. Mit Der Perser habe Ilitschewski einen »stimmgewaltigen, komplexen, enzyklopädischen Gegenwartsroman geschrieben, ein Buch aus dem Geiste Musils und Pynchons«. Mit diesem Satz stellt der Verlag das Buch auf eine hohe Klippe, von der es fatal fallen oder mit den entsprechenden erzählerischen Flügeln ausgestattet elegant heruntersegeln kann.

Rowohlt Verlag. 832 Seiten. 26,95 Euro.

Nach Die Korrekturen und Freiheit erscheint mit Unschuld der neue, sehnsüchtig erwartete Roman Unschuld (Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell & Eike Schönfeld) von Jonathan Franzen, dem Vater der großen amerikanischen Erzählung. Darin verbindet er unter anderem Fragen von Identität, Datenschutz, Liebe und sexueller Rechte zu einem Panorama unserer Zeit. Im Zentrum steht die junge Pip Tyler (im Original gibt ihr Name Purity Tyler dem Roman seinen Titel), die – neben einigen anderen Problemen – nicht weiß, wer ihr Vater ist. Sie weiß weder, wo noch wann sie geboren wurde, auch kennt sie den wirklichen Namen und Geburtstag ihrer Mutter nicht. Da bietet sich die Gelegenheit, ein Praktikum beim Whistleblower Andreas Wolf zu machen, von dem sie sich Hilfe bei der Vatersuche erhofft. Wolf selbst ist ein gefallener Sohn eines hochrangigen Stasifunktionärs und hat sich vor Jahren selbst eines Verbrechens aus Liebe schuldig gemacht. Der neue Roman des mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Amerikaners, von dem zuletzt seine Aufsätze und Vorträge der Auseinandersetzung mit dem deutschen Kritiker Karl Kraus erschienen sind, erscheint am 1. September in den USA und nur drei Tage später auch in Deutschland. Unschuld sei »eine tiefschwarze Komödie über jugendlichen Idealismus, maßlose Treue und den Kampf zwischen den Geschlechtern«, der von der Schuld in den unterschiedlichsten Facetten handele, heißt es in der Ankündigung. Bleibt die Frage, ob es einen größeren als den großen amerikanischen Roman gibt, den Franzen mit Die Korrekturen bereits geschrieben hat. Im September wissen wir es.

Kiepenheuer & Witsch. 800 Seiten. 24,99 Euro.

Feridun Zaimoglu gehört zu den wichtigsten Gegenwartsautoren, die die deutsche Literatur zu bieten hat. Kaum ein Preis, den er noch nicht gewonnen hat, vom Bachmann-Preis über den Adalbert-von-Chamisso-Preis, den Carl-Améry-Literaturpreis bis hin zur Corine. Nur eine der beiden ganz großen Auszeichnungen, der Leipziger Literaturpreis oder der Deutsche Buchpreis, war ihm noch nicht vergönnt. Sein Roman Liebesbrand war 2008 in Leipzig auf der Shortlist, mit Isabel war er im vergangenen Jahr auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Es würde nicht wundern, wenn sein neuer Roman Siebentürmeviertel, eine Familiensaga zwischen Orient und Okzident, in diesem Herbst mindestens bis auf die Shortlist gelangt. Darin greift er nach Leyla wieder die Türkei als Handlungsort eines Romans auf. Er entführt seine Leser ins Istanbul des Jahres 1939 und damit in eine fremdartige und faszinierende Welt der Farben und Düfte, in der sich der deutsche Junge Wolf behaupten muss. Sein Vater musste vor der Gestapo fliehen, er selbst findet sich bei der Familie von Abdullah Bey im multikulturellen und multiethnischen Siebentürmeviertel Istanbuls wieder. Sein Gastvater nimmt ihn als Sohn an, Wolf geht im Viertel zur Schule und erobert sich seine Stellung unter den Jugendlichen. Doch als er begreift, welche Rolle sein Gastgeber im großen Spiel der Mächte wirklich spielt, gerät er in Gefahr. »Mit großer Sprachkraft und Poesie führt er den Leser in eine Welt, in der Kulturen und Religionen, aber vor allem menschliche Leidenschaften und Sehnsüchte aufeinanderprallen«, schreibt Zaimoglus Kölner Verlag, der sich Hoffnungen auf einen der wichtigsten Herbsttitel macht.

Schöffling & Co. 792 Seiten. 39,95 Euro.

Ein Meisterwerk, vergleichbar dem Rang von James Joyces Ulysses und Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften – größer kann man ein Werk kaum ankündigen, als es der Verlag Schöffling & Co für Bora Ćosićs Großroman Die Tutoren (Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert) macht, das als mit Wortspielen und Stilbrüchen gespicktes, »avantgardistisches, fast unübersetzbares Meisterwerk« ein »experimentelles Labor der Sprache« darstelle, dabei aber hochkomisch sei. Ćosić, der seit 1995 in Berlin lebt, ist einer der bedeutendsten jugoslawischen Nachkriegsautoren. Der Berliner Tagesspiegel schrieb jüngst in einem Porträt, dass er ein Meister sei, »Räume und Gegenstände so lange anzuschauen und zu beschreiben, bis sie plötzlich lebendig erscheinen«. Vier Jahre lang hat der serbische Autor an in seiner bereits 1978 im Original erschienenen und in Slawonien angesiedelten Familienchronik geschrieben, die er nach Verlagsauskunft auf vielfältige Weise erzählt. So werde das Puzzle der Familie unter anderem anhand einer Kneipenschlägerei, in Form eines Lexikoneintrags sowie als Beratungsgespräch in einer Buchhandlung zusammengesetzt. So ordnet er die Dinge einer Familie, wie es Michel Foucault in seiner Archäologie der Humanwissenschaften vorgesehen hat. Kein Wunder also, dass sein anonymer Erzähler als leidenschaftlicher Sammler kurioser Phänomene ein besonderes Augenmerk für Alltagsdinge und deren historische sowie mythologische Bedeutung hat. »Ausgehend von einem rebellischen orthodoxen Priester des 19. Jahrhunderts über tatkräftige unternehmerische Frauen bis hin zu einem namenlosen Autor spannt er einen Bogen über 150 Jahre europäischer Geschichte«, heißt es in der Verlagsankündigung. Kritiker werden sicher genau hinschauen, ob der Roman die geweckten Erwartungen erfüllt.

S. Fischer. 720 Seiten. 24,99 Euro.
S. Fischer. 720 Seiten. 24,99 Euro.

Welches Geheimnis sich hinter der unglücklichen Ehe von Eduardo und Beatriz verbrigt, weiß auch ihr Freund und engster Vertrauter Juan nicht. Andernfalls würde er sich aber wohl auch nicht auf Beatriz einlassen. Aber kaum ist er ihr Geliebter, überstürzen sich die Ereignisse. Jahre später erkennt er: »Wenn wir uns der Vergangenheit nicht stellen, wird alles Leben aus der Lüge kommen.« Der spanische Schriftsteller und »König« der unbewohnten Karibikinsel Redonda, Javier Marías, der mit Mein Herz so weiß anfang der neunziger Jahre einen Weltbestseller und in den 200er Jahren mit der Trilogie Dein Gesicht morgen das Porträt seiner Zeit geschrieben hat, ist ein »ein erbarmungsloser Kenner der menschlichen Herzen, ihrer dunklen Seiten und verborgenen Winkel«, schreibt sein Verlag S. Fischer. In seinem neuen Roman So fängt das Schlimme an (Aus dem Spanischen von Susanne Lange) beweist er das erneut, Grundlage ist dabei sein Vorgehen des »literarischen Nachdenkens«, eine Form der verlangsamten Reflexion über die ihn umgebenden Verhältnisse und darüber, was sie mit dem Menschen anrichten. Entsprechend geht es in seinem neuen Roman um die Essenz des Seins. Eine Geschichte um Liebe, Leidenschaft und einen rätselhafter Todesfall, das klassische Triumvirat des Dramas. Zuletzt erschien von Mariás der Roman Die sterblich Verliebten, für den er den Nationalen Literaturpreis der spanischen Regierung erhalten sollte, den er aber aus politischen Gründen ablehnte. Kenner des Spaniers wunderte das nicht. Paul Ingendaay schrieb in seinem Porträt anno 2010 in der FAZ, Marías sei ein Mann, »dem Denkverbote zuwider sind – und der mit Folklore nichts am Hut«. Entsprechend bricht er hier das romantische Klischee der Liebe auf. »Lieben und Sich-Verlieben stehen in dem Ruf, etwas Positives zu sein. Das mag in einigen Fällen begründet sein, in anderen ist es aber genau das Gegenteil«, sagte er dem Guardian zum Erscheinen der englischen Übersetzung von Die sterblich Verliebten. Was genau er damit meint, kann man in seinem neuen Roman noch einmal nachlesen.

S. Fischer. 720 Seiten. 24,99 Euro.
S. Fischer. 720 Seiten. 24,99 Euro.

Éric-Emmanuel Schmitt hat mit Paolo Coelho nicht viel gemein, eines aber ganz gewiss. Mit jedem neuen Buch wird sein Werk spiritueller, religiöser und auch ein wenig verquaster. Nur die ganz hartgesottenen Fans bleiben da noch bei der Stange. Mit Die Liebenden vom Place d’Arezzo (Aus dem Französischen von Marlene Frucht) erscheint nun der neue, »freizügige« Roman des Franko-Belgiers, in dessen Zentrum die Frage steht, ob die Sexualität eine Hilfe oder ein Hindernis ist, wenn es um die Liebe geht. Ausgangspunkt der Überlegungen ist ein anonymer Liebesbrief, der Unruhe in das elegante und ebenso scheinheilige Brüsseler Viertel um den Place d’Arezzo bringt. Dort wohnt ein Banker, der seiner Familie verheimlicht, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt, ein hochrangiger Politiker, der notorisch jede halbwegs attraktive Frau anmacht, die nymphomane Diane, die sich mit Unbekannten zu sadomasochistischen Sitzungen trifft und eine alternde Dame, die ein seltsames Verhältnis zu ihrem Papagei unterhält. Sie alle erhalten den geheimnisvollen Liebesbrief, der sie ganz unterschiedlich anspricht, ihnen zugleich aber Rätsel aufgibt. Die aufwühlende Suche nach dem Urheber des Briefes und der eigenen Aufrichtigkeit beginnt. Eine Enzyklopädie der Liebe, wie sie Diderot geschrieben hätte, meinte der französische L’Express in dem Buch zu erkennen, Le Figaro hieß schlicht und einfach willkommen »im Durcheinander namens Leben«. Man darf gespannt sein, ob sich Éric-Emmanuel Schmitt mit diesem Roman vollends in die Ecke des Kitsches oder endlich wieder aus ihr herausschreibt.

Heyne Hardcore. 704 Seiten. 17,99 Euro.
Heyne Hardcore. 704 Seiten. 17,99 Euro.

Der US-Amerikaner James Lee Burke hat eine verrückte literarische Vita. Seit den 1970er Jahren schreibt und veröffentlicht er Krimis und Thriller, zunächst allerdings mit mäßigem Erfolg. Für seinen Roman The Lost Get-Back Boogie soll er angeblich legendäre 111 Absagen bekommen haben, bevor er in einer nachgebesserten Fassung dann 1986 doch veröffentlicht und glatt für den Pulitzer-Preis nominiert wurde. Mit dieser Nominierung startete der True-Crime-Autor richtig durch, seither hat er zwei Mal den Edgar Allen Poe Award für den Besten Roman, zwei Mal den französischen Prix Mystère de la Critique sowie je einmal den amerikanischen Dashiel Hammett Prize, den britischen Gold Dagger, den französischen Grand Prix de littérature policière und den Deutschen Krimipreis erhalten. 2009 erhielt er die höchste Auszeichnung der amerikanischen Krimiautoren, den Grand Master Award, »für besondere Leistungen im Krimi-Genre und die gleichbleibend hohe Qualität seiner Werke«. Nun erscheint Glut und Asche (Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller), der nunmehr 27. Kriminalroman des Vielschreibers, der damit seine Hackberry-Holland-Reihe, die er zuletzt mit Regengötter nach fast vierzig Jahren noch einmal aufgegriffen hatte, fortsetzt. Neben Sheri Hackberry Holland steht Danny Boy Lorca im Zentrum des Geschehens, der in der Wüste nahe der texanisch-mexikanischen Grenze Zeuge eines brutalen Mordes wurde. »Vielleicht würde er eines Tages die Angst vergessen, die in jenen fünfzehn Minuten einen anderen Menschen aus ihm gemacht hatte.« Ob Hackberry Holland dazu beitragen und für Gerechtigkeit sorgen kann? Ab Mitte September gibt’s die Antwort.

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