Film, Literatur

Von Dompteuren und Sinnsuchern

Die 66. Berlinale tritt in ihre literarische Phase, mit Romanen von Hans Fallada und Philip Roth, einem japanischen Krimi sowie der Geschichte von Tom Wolfe und seinem legendären Verleger. Danis Tanovic beeindruckt mit der Verarbeitung eines Bühnenstücks von Bernard-Henri Levy.

Der vielfach ausgezeichnete bosnische Regisseur Danis Tanovic, der 2013 mit seinem Roma-Drama An Episode of the Life of an Iron Picker sowohl Kritiker als auch Publikum begeisterte, ist im Wettbewerb mit seinem neuen Film Death in Sarajevo vertreten. Darin lässt er die Zuschauer an einem Tag im maroden Hotel Europe teilhaben. Während die europäische Gesellschaft in Sarajevo ein zweifelhaftes Jubiläum feiern möchte, werden im einstigen Vorzeigehotel der Stadt gesellschaftspolitische Fragen diskutiert.

Das Hotel wurde zu den Olympischen Winterspielen 1984 eröffnet, dreißig Jahre später ist in die Jahre gekommen. Das Hotel steht kurz vor der Pleite, die Gedenkgala der Europäischen Union anlässlich des 100. Jahrestags des Anschlags von Sarajevo auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand ist die letzte Hoffnung von Hotelmanager Omer (Izudin Bajrovic). Doch ausgerechnet an diesem Tag wollen seine Angestellten streiken, seit zwei Monaten haben sie keinen Lohn gesehen. Mit Hilfe des Zuhälters Enco (Aleksandar Seksan), an den er den Keller des Hauses vermietet hat, kann er sich des Anführers der streikenden Belegschaft entledigen.

Doch er hat die Rechnung ohne die Wäscherin Hatidza (Faketa Salihbegović-Avdagić) gemacht. Als einzige aller Angestellten arbeitet sie seit der Eröffnung in dem Haus, sie übernimmt Verantwortung und die Rolle der Streikführerin. Ihrer Tochter Lamija (Snezana Vidović) passt das gar nicht, als rechte Hand und Vertraute des Hoteldirektors versucht sie, ihre Mutter dazu zu bewegen, den Aufstand zu vertagen, damit das Dinner im Hotel stattfinden und für die dringend benötigten Einnahmen sorgen kann.

Smrt u Sarajevu / Mort à Sarajevo | Death in Sarajevo | © Margo Cinema & SCCA/pro.ba
Smrt u Sarajevu / Mort à Sarajevo | Death in Sarajevo | © Margo Cinema & SCCA/pro.ba

Während die Angestellten des Hotels in den unteren Etagen ihren Klassenkampf führen, werden bei einer TV-Aufzeichnung auf dem Dach die grundsätzlichen Fragen der multiethnischen jugoslawischen Identität verhandelt. Zwischen den sozialen und nationalistischen Grabenkämpfen übt der französische Theaterschauspieler Jacques Weber seinen Vortrag über die europäischen Werte, den er in Bernard-Henri Levys Bühnenstück »Hotel Europe« anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten halten soll.

Tanovic hat eine schwungvolle und kluge Reflektion darüber geschrieben, wie wir in Europa und wie die Menschen auf dem Balkan nach all der erlebten und gelebten Gewalt miteinander leben wollen. Er führt in den engen Fluren des Hotels die Balkangesellschaft zusammen und lässt die gewachsenen sowie die neuen Konflikte in Miniaturen aufleuchten. Eine bessere Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten auf dem Balkan wird man derzeit nicht finden.

Konzeptionell ist Death in Sarajevo als Kammerspiel in vier Kammern inszeniert. Wie in Alejandro Gonzalez Iñárritus Oscar-prämiertem Meisterwerk Birdman fliegt die Kamera durch die engen und dunklen Flure und Gänge. So weitet Kameramann Erol Zubzević den Raum und wahrt dessen beklemmende Dunkelheit. Europa ist nah und zugleich so weit entfernt, wie Jacques Weber in seinen Monologen deutlich macht. Nicht nur vom Balkan, sondern vor allem auch von sich selbst.

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