Es ist: 15-12-2020, 17:38
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Tats, Kapitel 1
Beitrag #1 |

Tats, Kapitel 1
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Tats
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Dieser Text wird gerade überarbeitet.

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Klappentext:
In einem Hexenhaus aufzuwachsen ist wirklich nicht leicht. Vor allem, wenn die Hexe Malve nur wenig Rücksicht auf die dreizehnjährige Tats nimmt. Als die alte Malve eines Tages stirbt, ist Tats plötzlich allein in einer Hütte, die vom Keller bis zum Dach voller Geheimnisse steckt. Als dann auch noch fremde Magier vor der Tür stehen, beginnt Tats zu ahnen, dass das Haus weit mehr Experimente beherbergt, als sie ahnte...

Inhaltsverzeichnis:
Kapitel 1




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Kapitel 1:
Malve


(Erste Überarbeitung)
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Malve
 
Nichtsahnend ringelte sich der kleine Tatselwurm auf dem Stein und genoss die Morgensonne. Allzu viel Wärme konnte er allerdings noch nicht aufgesogen haben, denn sein länglicher Körper schimmerte in einem sanften Grün. Nur am Kamm auf dem Rücken entlang verfärbten sich die Schuppen rot.
Wütend biss ich mir auf die Lippe. Ich hatte mich vorsichtig herangepirscht, gut verborgen hinter den Stauden. Die Gelegenheit war perfekt. Und dann war der Tatsel grün. Ungenießbar. Es würde noch eine Weile dauern, bis er das leuchtende Rot annahm, mit dem er am besten schmeckte.
Ich sollte nach Hause gehen, dachte ich zum wiederholten Mal.
Ich hätte schon vor einer Stunde heimkehren sollen. Als ich die letzten Hibiskuszweige schnitt und in das Bündel packte, das nun duftend auf meinem Rücken hing.
Blumen für Malve zu finden, das war das Ziel meines Ausflugs gewesen. Trotzdem war ich hier und drückte mich vor dem Heimweg. Ein Süßknollenstrauch? Unbedingt ausgraben, eine solche Köstlichkeit findet man nicht alle Tage. Ein Baumläufer im Geäst? Sein seltenes eisblaues Fell würde mir einen guten Preis einbringen. Ein unvorsichtiger Tatselwurm? Konnte ich mir nicht entgehen lassen.
Ich seufzte. Nur noch den Tatsel, sagte ich mir. Er war der letzte, der allerletzte Vorwand, noch länger im Wald zu bleiben.
Ich musste also warten, bis die Echse rot wurde. Vorsichtig legte ich mein pralles Bündel ab und machte es mir so bequem, wie es in einer Wiese werden konnte, die bis zum Rande vollgesogen war vom nächtlichen Tau. Um mich herum suchten sich Asseln, Grillen und Schnecken ihren Weg durch das nasse Gras. Innerlich schüttelte ich mich. Graue Nebelschwaden, feuchte Wiesen, grüne Tatselwürmer – die frühen Morgenstunden waren nicht meine Zeit.
Erschöpft legte ich den Kopf auf meine Knie. Obwohl ich noch nicht lange auf den Beinen war, fühlte ich mich zerschlagen. Mein ganzer Körper war bleischwer und taub, als würde ich gar nicht wirklich darin wohnen.
Ich fragte mich, ob ich jemals wieder in meinem Körper wohnen würde. Ob ich mich jemals wieder in unserer Hütte zu Hause fühlen würde. Ob ich jemals wieder etwas anderes fühlen würde als diesen bodenlosen Zorn.
Zorn auf Malve.
Hatte sie gewusst, dass sie bald sterben würde? Der Gedanke ließ mich nicht los. Malve ließ sich nicht gern in die Karten schauen, nicht einmal bei ihrem Tod. Sie hatte mich nicht darauf vorbereitet, dass ich sie eines Morgens steif in ihrem Bett vorfinden würde. Auf ihren Lippen das geheimnisvolle Lächeln, das mich schon zu ihren Lebzeiten in den Wahnsinn getrieben hatte. Um uns herum eine Hütte, randvoll mit geheimnisvollen Pflanzen, gefährlichen Kreaturen und bizarren Rezepten. Meine Ziehmutter Malve hatte mir nicht annähernd alles erklärt, was ich darüber wissen musste. „Eines Tages, Tats, eines Tages…“, sagte sie oft, aber sie beendete nie ihren Satz. Einmal hatte sie von einem Experiment gesprochen, größer und gefährlicher als alle anderen, die wir durchführten. Von einer Kreatur, schöner und mächtiger als jede, die wir aufgezogen hatten.
Damals glaubte ich ihr kein Wort. Jetzt aber überkamen mich Zweifel. Jetzt graute mir so sehr vor der Heimkehr, dass ich lieber auf meinem taunassen Hosenboden im Dreck saß. Mir graute davor, alleine in der Hütte mit ihren Geheimnissen zu sein. Mir graute davor, dass in den Untiefen des Kellergewölbes irgendeine verborgene Kreatur schlüpfte und mich eines Nachts auffressen würde. Mir graute davor, alleine auf den Markt in die Stadt zu gehen, wo alles so schnell und laut um mich herumwirbelte, dass mir schwindelte. Mir graute davor, Malve zu verbrennen.
Ich war erst dreizehn. Zu jung, um eine Hexenhütte zu bewirtschaften, fand ich zumindest. Aber Malve sah das vermutlich anders.
Ich holte tief Luft und hob den Kopf von den Knien. Vor mir hatte sich ein Himmelsfalter niedergelassen. Der Grashalm bog sich unter seinem Gewicht, als er seine handtellergroßen Flügel öffnete und mir sein Muster offenbarte: Weiße Spiralen auf gelbem Grund. Dieses Muster prophezeite einen sonnigen Tag. Immerhin.
Malve hätte den Himmelsfalter mit gurrenden Worten gelockt, ihr nach Hause zu folgen, und hätte ihn in unser Wetterglas gesperrt, wo uns bereits unzählige andere Himmelsfalter täglich mit ihrer Färbung das Wetter vorhersagten. Malve hatte alles angezogen, was schön und bunt war und Glück brachte. Ich weiß wirklich nicht, womit sie das verdiente.
Ich dagegen war besser darin, Tatselwürmer zu töten. Der Gedanke erinnerte mich an mein Vorhaben und daran, dass es merklich wärmer war. Die Feuchtigkeit stieg in dicken Schwaden aus der Wiese. Vorsichtig lugte ich hinter den Stauden hervor. Der Tatselwurm lag auf dem Rücken und rekelte sich in der Sonne. Sein Bauch war noch immer blassgrün, doch als er sich umdrehte, schimmerte der Rest seines Schuppenkleids in einem zarten Hellrot. Das musste reichen.
Meine Fersen gruben sich auf der Suche nach einem guten Halt in den Boden. Lautlos schoss meine rechte Hand vor und schloss sich um die Echse. Sofort stellte der Tatsel den scharfen Halskragen auf und begann in meiner Hand zu glühen.
Gleißende Hitze schoss durch meinen Körper. Die Wiese, der Tatsel, die duftenden Blüten in meinem Bündel, alles verschwand in einem Fluss aus glühendem Gold.
Glühendem, reinem Gold, direkt aus dem Herzen der Sonne.
Einen Moment lang erlaubte ich mir, in den Fluss einzutauchen, meinen Körper und meine Seele verbrennen zu lassen. Dann hob ich die linke Hand, die das Messer umklammerte, und schnitt der Echse den Kopf ab.
Der Körper erschlaffte. Rauch stieg von dem glatten Schnitt auf, dann erlosch auch dieser.
Ich hatte unzählige Male Tatselwürmer gejagt und getötet. Aber dieses Mal schnürte mir der Anblick die Luft ab. Gerade noch zappelte das Tier in meiner Hand, im nächsten Moment löste es sich in Nichts auf. Unwiederbringlich.
So wie Malve.
Ich saß in der dampfenden Wiese, das Messer in der einen Hand, den schlaffen Kadaver in der anderen Hand, und heulte mir die Seele aus dem Leib.
Malve war weg.
Sie hatte mich allein gelassen. Mutterseelenallein. Wie oft hatte ich meine Ziehmutter verwünscht. Wenn ich ihr Haar stundenlang frisierte und sie noch immer etwas auszusetzen hatte. Wenn sie für zwei Tage verschwand, ohne mir zu sagen, wohin. Wenn sie mich mitten in der Nacht weckte und auf eine haarsträubende Mission ohne jeden erkennbaren Zweck jagte. Wenn sie mir ein Rezept zur Hälfte beibrachte und ich die andere Hälfte „durch eigenes Erkennen“ erschließen sollte, obwohl mir „mein eigenes Erkennen“ bereits eine breite Narbe auf der Wange beschert hatte. Wenn sie erst Andeutungen machte und dann meinen Nachfragen auswich.
Aber so verrückt sie sich auch gebärdete, sie war alles, was ich hatte. Und nun war sie weg.
Nun ja, noch nicht ganz weg. Ihr Leichnam lag noch immer in unserer Hütte und wartete darauf, dass ich den Mumm aufbrachte, ihn zu verbrennen.
Reiß dich zusammen, Tats. Tu, was getan werden muss. Darin warst du doch sonst so gut.
Ich wischte mir mit dem Arm übers Gesicht und stand auf. Malve würde es mir nie verzeihen, wenn ich sie liegen ließ, bis sie zu stinken begann. Ausgerechnet sie, die sich mit Ölen und Duftwassern parfümierte, bis sie roch wie ein Blumenstrauß. Außerdem konnte ich nicht ewig auf der Wiese sitzen, ohne Deckung, weithin sichtbar für jeden diebischen Kobold oder, schlimmer noch, für das scharfe Auge einer Harpie.
Ich band mir den toten Tatzelwurm an meinen Gürtel, wo bereits der Baumläufer hing, und machte mich auf den Heimweg, dem Unausweichlichen entgegen.
Es war mehr Glück als Verstand, dass ich den Heimweg lebendig und unverletzt überstand. Ich stolperte blind durch den Urwald, als ginge ich zum ersten Mal hindurch. Auf dem letzten Wegstück trat ich beinahe in das Loch eines Erdzahns. Erst als der nackte, armdicke Wurm aus seinem Bau herausschoss und blind in die Luft schnappte, taumelte ich zurück. Er verfehlte mich so knapp, dass ich sein Gift riechen konnte.
Aber schließlich erreichte ich die Hütte, die einmal mein Zuhause gewesen war. Das Holz hatte ich bereits am frühen Morgen zu einem letzten Totenbett aufgeschichtet. Prüfend strich ich über die Scheite. Obwohl es schon lange eingeschlagen war, erkannte ich noch immer den Rest eines grünlich schimmernden Lebensfeuers, das einmal einem Baum gehört hatte. Vor allem aber stellte ich fest, dass das Holz gründlich ausgetrocknet war. Es würde gut brennen.
Ich betrat das Haus durch den Hintereingang, der direkt in die Küche führte. Dort bearbeitete ich sorgfältig die erbeuteten Tiere. Dann trat ich in das vordere Zimmer, wo noch immer Malve lag.
Ihre nachtschwarze Haut wirkte ein wenig matter als gewohnt, doch ansonsten war sie schön wie eh und je. Für mich hatte sie nie alt ausgesehen. Aber vermutlich hatte ich mich getäuscht.
Ich holte noch einmal tief Luft, griff ihr unter die Arme und zog. Beinahe wäre ich gestolpert, als sich der Körper überraschend schnell bewegte. Malve war viel leichter als erwartet. Kurz überkam mich ein schlechtes Gewissen. Meine Ziehmutter musste sehr abgemagert sein. Wann war das geschehen? Wieso hatte sie ihren Zustand unter ihren bunten, weiten Gewändern vor mir verborgen?
Doch meine Wut war stärker als jede Reue. Malve hatte die Nerven, mich alleine mit ihrer Bestattung zu lassen. Es war nur gerecht, dass sie sich ein Gewicht zulegte, welches ich bewältigen konnte.
Auch als Leichtgewicht noch war es schwierig genug, sie aus dem Bett zu hieven, aus dem Haus zu ziehen und auf das Lager aus Holzscheiten zu betten. Als ich sie endlich dort hatte, lief mir der Schweiß den Rücken herab. Mein Körper schrie nach einer Verschnaufpause, doch ich wusste, dass ich diesen Anblick nicht mehr viel länger ertragen würde.
Malves Schlafmütze war an der Türschwelle hängen geblieben und von ihrem Kopf gerutscht. Ihr krauses Haar umrahmte ihren Kopf wie eine dunkle Krone.
Ich legte unsere schönste Decke über ihren Körper, dann holte ich meinen Beutel und schmückte den Holzstoß. Girlanden von feuerroten Fuchsschwänzen säumten die Ränder. Zartrosa Hibiskusblüten verströmten ihr süßes Aroma. Um Malves Kopf aber legte ich einen violetten Kranz aus Malvenblüten, die duftenden Namensverwandten meiner Ziehmutter, die sie so sehr geliebt hatte.
Dann stand ich vor meinem Werk, erschöpft bis auf die Knochen, und blickte auf meine Ziehmutter hinab.
Es war alles perfekt.
Malve würde diese Welt in einem Meer aus Farben und Düften verlassen, so wie es ihr gefallen hätte.
Ich legte ein letztes Mal meine Hand auf ihre Wange. Wenn ich ihre Locken auskämmte und ölte, hatte ich dabei immer ihren Kopf berührt und heimlich mit den Fingerspitzen nach ihrem Lebensfeuer getastet. Ich hatte ein helles, violett schimmerndes Licht gefunden, zart und liebevoll. Dieses Licht war die wahre Malve, weit entfernt von der seltsamen und manchmal schroffen Art, die sie so oft an den Tag legte. Dieses Licht war es, das ich geliebt hatte.
Nun war der Funke erloschen. Meine Finger glitten durch samtweiche Leere. So also fühlte sich die Asche einer Seele an.
Schließlich zog ich meine Hand zurück und legte sie stattdessen auf das Holz. Ich schloss die Augen und griff in mich hinein, tief in meine Seele hinab, bis ich in den gleißend goldenen Fluss auf dem Grund meiner Seele eintauchte. Hitze schoss durch meinen Körper, durch meinen Arm, in meine Hand. Meine Fingerspitzen begannen zu glühen. Prasselnd und knackend entzündete sich das Holz. Ich schritt einmal um das Totenbett herum und strich mit meinen Fingern am Holz entlang, bis die Flammen hoch in den Himmel stiegen.
Dann trat ich zurück. Der Fuchsschwanz verbrannte, dann die Malvenblüten, dann die bestickte Decke… Vor meinen Augen ging meine Ziehmutter in Flammen auf.
Das Farbenmeer, die bunte Blumenwiese, die ich Malve bereitet hatte, alles verschwamm vor meinen Augen, bis nur noch eine einzige Farbe übrigblieb: Gold. Gleißendes Gold.
Ab jetzt musste ich allein klarkommen.
 
Als ich meinen Beutel aufhob, fiel mir eine vergessene Malvenblüte in die Hände. Während ich zur Hütte zurück ging, strich ich gedankenverloren über die Blütenblätter und tastete unwillkürlich nach ihrer Lebensflamme.
Sanft, silbrig, mit einem violetten Schimmer.
Ich runzelte die Stirn. Seltsam… Das Lebensfeuer der Blume zeigte eine verblüffende Ähnlichkeit zu dem meiner Ziehmutter.
Zufall? Ich seufzte tief auf. Nein, Malve ließ sich wirklich nicht gern in die Karten schauen.


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Beitrag #2 |

RE: Tats / Kapitel 1: Malve
Hallo Ishigo, 

Juchuuu die erste und ich finde es wahnsinnig lieb von dir, dass du so eine tolle Geschichte veröffentlichst. Damit hast du haargenau meinen Nerv getroffen. Ich liebe Fantasy und grade wenn es um Hexen, Zaubertränke und dergleichen geht.  Icon_cuinlove

Du beschreibst diesen Morgen im Wald wunderschön. Das sind grade die schönsten Stunden. Ich würde gerne in diesem Moment mit Tats tauschen, aber da ihre liebevolle Ziehmutter gerade gestorben ist, hat sie verständlicherweise keinen Nerv dafür. 

Ja ich finde, dass Malve eine liebevolle Ziehmutter war (bis hierher, den Rest wird man sehen). Sie hat Tats gelehrt, ihr aber auch Raum gegeben, sich selbst zu entwickeln. Eine moderne Mama  Icon_smile

Warum muss der schöne Tatselwurm getötet werden? Muss man echt alles verspeisen? Ich hätte ihn als Haustier behalten. 

Du hast alles sehr gut beschrieben, so dass man sich in die Szene reinfühlen kann. Ich bin gespannt, wie es weiter geht. 

Liebe Grüße 

Persephone

Den Stil verbessern, das heißt den Gedanken verbessern

(Friedrich Nitzsche)



Werkeverzeichnis

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Beitrag #3 |

RE: Tats / Kapitel 1: Malve
Hey Ichigo, das freut mich, dass du uns etwas von dir lesen lässt. Icon_smile

Zuallerlerst lässt sich sagen, dass es sich sehr sauber vom Satzbau, Grammatik, aber auch deinen Bildern, die du erschaffst, liest. Ich fürchte fast zu sauber. Deine Erzählerin liest sich in meinen Augen nämlich nicht wie elf, sondern eher wie 21. Geschuldet ist dieser Eindruck ihrer Aufmerksamkeit für die Naturbeschreibungen um sie herum sowie auch ihrer Abgebrühtheit in Bezug auf den Tod ihrer Ziehmutter. Manche Kinder sind reifer als andere ja, aber gerade weil Malve ihre einzige Bezugsperson zu sein scheint, würde ich mir erwarten, dass deren Tod sie viel härter trifft. Auch die mehrfache Erwähnung der "Ziehmutter" schafft Distanz, wo sie meiner Meinung nach nicht hingehört.

Generell eine Anmerkung, die ich nur exemplarisch vertiefen möchte:


Zitat:Nichtsahnend ringelte sich der kleine Tatselwurm auf dem Stein und genoss sichtlich die Morgensonne. Allzu viel Wärme konnte er allerdings noch nicht aufgesogen haben, denn sein länglicher Körper schimmerte nahezu vollständig in einem sanften Grün. Nur am Kamm auf dem Rücken entlang begannen sich die Schuppen rot zu verfärben.


Diese Wörter schwächen deine Bildgewalt, darum würde ich sie streichen oder griffigere Alternativen finden.

Natürlich genießt er die Sonne sichtlich, sonst würde Tats es nicht wahrnehmen. Meiner Meinung wäre die Verwendung von sichtlich nur gerechtfertigt, wenn da noch so ein Nachsatz käme, dass der Wurm eine Handlung ausführt, die er sonst nicht ausführen würde, wenn er nicht das Sonnenbad besonders genießen würde. Da so ein Satz nicht kommt, würde ich auf das sichtlich verzichten.

Nahezu vollständig sagt eigentlich genau dasselbe wie begannen danach. 99,9% grün, allmählich wird der Rest rot. Ohne die Füllerwörter liest sich der erste Satz viel griffiger als mit. Auch bin ich der Meinung, dass du beginnen in dem Kontext überhaupt nicht brauchst. Die Verbindung von nur und verfärben zeigt doch, dass ein Prozess im Gange ist, der im Kleinen beginnt.

Anmerkung am Rande: Ist dir die Ähnlichkeit zwischen Tats und Tatselwurm bewusst? Wenn das zufällig passiert ist, würde ich entweder eine Erklärung hinzufügen, um eine Brücke herzustellen oder einen Namen ändern, sonst kommt es zu Verwirrung.

Hier noch ein kleines Stück, das mich beim ersten Mal Lesen verwirrt hat:


Zitat:Einen Moment lang erlaubte ich mir, in den Fluss einzutauchen, meinen Körper und meine Seele verbrennen zu lassen. Dann hob ich die linke Hand, die das Messer umklammerte, und schnitt der Echse den Kopf ab.
Der Körper erschlaffte. Rauch stieg von dem glatten Schnitt auf, dann erlosch auch dieser. Gerade noch hatte das Tier in meiner Hand gezappelt. Im nächsten Moment löste es sich in Nichts auf. Unwiederbringlich.
So wie Malve.

Ich habe da ernsthaft geglaubt, dass Malve im Sterben liegt und sie mit dem Mord an der Erdechse Malves Leiden beendet. Malve scheint zu diesem Zeitpunkt aber schon tot zu sein und sie braucht die Echse für das Bestattungsritual, oder? Generell war mir diese Szene (morgens) ein bisschen zu brutal und hat mich etwas aus der Fassung gebracht, da der Rest des Textes eine solche Explizität nicht vermuten lässt.

Ich hoffe, du kannst etwas mit meinen Eindrücken anfangen. Icon_smile

Eine kleine Sniffu-Dröhnung

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Beitrag #4 |

RE: Tats / Kapitel 1: Malve
Hallo Persephone und Sniffu,

danke euch beiden treuen Schreiberlingen für eure hilfreichen Kommentare Icon_smile

Ich beginne mit Persephones Kommentar:

Zitat:Damit hast du haargenau meinen Nerv getroffen. Ich liebe Fantasy und grade wenn es um Hexen, Zaubertränke und dergleichen geht.

In meinem ganz ganz ganz alten Erstentwurf war noch von einer ominösen "Meisterin" die Rede. Nachdem du geschildert hast, was du gerne liest, dachte ich mir, ich kann auch ein Hexenhaus draus machen. Also, du bist jetzt offiziell die Zielgruppe Icon_lol

Zitat:Ja ich finde, dass Malve eine liebevolle Ziehmutter war (bis hierher, den Rest wird man sehen). Sie hat Tats gelehrt, ihr aber auch Raum gegeben, sich selbst zu entwickeln.

Das ist eine interessante Einschätzung! Kann gut sein, dass es so ist, und Tats das im Moment einfach nicht so sehen kann...

Zitat:Warum muss der schöne Tatselwurm getötet werden? Muss man echt alles verspeisen? Ich hätte ihn als Haustier behalten.

Die Tatselwürmer werden nochmal auftauchen. Ich fürchte aber nicht als Haustier ... Icon_lol

Vielen Dank für deine Eindrücke, Persephone Icon_smile 


Es geht weiter mit Sniffus Kommentar:


Zitat:Deine Erzählerin liest sich in meinen Augen nämlich nicht wie elf, sondern eher wie 21.

Ich hatte auch schon überlegt, ob ich sie älter machen müsste. Das Alter auf 13 zu ziehen kann ich mir vorstellen, auf 21 würde ich nur ungern gehen Icon_lol
An der Sprache lässt sich sicherlich noch etwas abschwächen.
Was die Naturbeschreibung und Abgebrühtheit betrifft: Im Nachhinein ist mir nun aufgefallen, dass das Kapitel vor allem Malve charakterisiert und die Charakterisierung von Tats sehr in den Hintergrund gerät. Das trägt vielleicht auch zu deinem Einwand mit bei. Denn Tats lebt nun einmal sehr nah an und mit der Natur, inklusive der urtümlichen Notwendigkeiten und Instinkte. "Tun, was getan werden muss" ist in so einer Umgebung der Leitsatz. Klar gibt es die Hütte und einen gewissen Schutz, aber trotzdem. Das ist aber alles im Text nicht besonders deutlich.

Ähnliches auch hier:


Zitat:Generell war mir diese Szene (morgens) ein bisschen zu brutal und hat mich etwas aus der Fassung gebracht, da der Rest des Textes eine solche Explizität nicht vermuten lässt.

Ich nehme an, mit der "Szene morgens" meinst du das Töten des Tatselwurms?
Das ist irgendwie lustig... Ein klarer Schnitt ist explizit, aber ich finde es gnädig Icon_lol  Pragmatisch wäre es wahrscheinlich auch, seinen Schädel auf dem Stein zu zertrümmern. Ich bin sicher, Tats kriegt das auch so gekonnt hin, dass er auf der Stelle tot ist.
Sniffu, wie würdest du den Tatselwurm lieber sterben sehen?

Auch hier ist mir aber jetzt im Nachhinein aufgefallen, dass ihr armen Leser tatsächlich nicht auf das Wesen des Ökosystems vorbereitet werdet: Tats ist in der Wiese zunächst umgeben von harmlosen oder gar schönen Kreaturen wie dem Falter, das alles hinterlässt bei euch erst einmal einen idyllischen Eindruck. Die Jagd auf den Tatselwurm ist da in der Tat ein heftiger Bruch. Erst DANACH wird deutlich, dass die Idylle auch ein gefährliches Ökosystem ist: denn erst danach hütet sich Tats vor Jägern aus der Luft und aus der Erde. Insofern ist hier schlichtweg die Beschreibung der Wiese "falsch" bzw. die Infos sind ungleich verteilt. Ich könnte zum Beispiel das Auftreten des gefährlichen Erdzahns tauschen mit dem Auftreten des schönen Himmelsfalters. Wenn der Leser als erstes erfährt, dass Tats in diesem Ökosystem schnell zur Gejagten wird, hat er vielleicht mehr Verständnis dafür, dass Tats auch selbst jagt.

Interessant finde ich, dass die Jagd auf den Tatselwurm als grausam empfunden wird. Für mich ist die eigentliche Brutalität des ersten Kapitels, gleich mit dem Tod der Stiefmutter anzufangen und Tats damit allein zu lassen. Ich war mir nicht sicher, ob ich mal wieder zu morbide bin. Meine Fantasie kommt instinktiv immer auf diese Morbidität zurück, aber vielleicht sollte ich bei einer anderen Geschichte mal genau darauf achten und dem entgegen treten.


Zitat:Diese Wörter schwächen deine Bildgewalt, darum würde ich sie streichen oder griffigere Alternativen finden.

Ahhhhh, sehr guter Hinweis! Das Beispiel reicht, verstehe was du meinst. Ich werde den Text auf "überflüssige Wörter" bzw. "verzichtbare Wörter" durchscannen und ihn straffen. Wahrscheinlich hast du damit auch schon meine Schwäche identifiziert.

Zitat:Ist dir die Ähnlichkeit zwischen Tats und Tatselwurm bewusst?

"Tats" ist ihr Spitzname, und er wird auch noch erklärt. Verwirrung darf trotzdem nicht entstehen. Ich werde darauf achten bzw. habe noch einen Gedanken, wie ich das vielleicht noch ändern/entschärfen kann. Danke für den Hinweis!


Zitat:Ich habe da ernsthaft geglaubt, dass Malve im Sterben liegt und sie mit dem Mord an der Erdechse Malves Leiden beendet.

Schlecht Icon_lachtot 
Diese Annahme muss ich unbedingt ausschließen.



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Ich muss jetzt mal überlegen, wie ich weiter vorgehe. Dazu können wir uns aber im Schreibcafe unterhalten Icon_smile

Ich freue mich sehr, dass wir hier zusammen arbeiten und uns austauschen und das Forum immer mehr auflebt!!! Icon_jump


Vielen herzlichen Dank nochmal den Kommentatoren und viele Grüße


ichigo


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Beitrag #5 |

RE: Tats, Kapitel 1
Hallo ihr Lieben,

ich habe den Text durch eine erste Bearbeitung ersetzt. Mit zwei Zielen:

1) Leserservice Icon_smile Ich möchte zukünftigen Lesern einen etwas verbesserten Text bieten, damit sie eher "hängen" bleiben... Leser sind nämlich wichtig für meine Motivation Icon_irre

2) Außerdem wollte ich meine Sprache schärfen, fürs Weiterschreiben.

Was ich NICHT wollte ist, die Textstruktur zu ändern, denn dafür ist es noch zu früh.

Deshalb ist die Überarbeitung auch unvollendet, sozusagen nur auf Sparflamme.

Nächster Schritt: Kapitel 2 Read 

Viele Grüße


Ichigo



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Was ist neu?

- Tats ist jetzt erstmal 13. Das ist immer noch nicht sprachlich sauber, aber ich mache vorerst so weiter.

- Sprachlich ist hoffentlich einiges klarer und griffiger formuliert, und hoffentlich alle unnötigen Füllwörter eliminiert.


- Ich dachte, ich sollte eigentlich so früh wie möglich einen "Schatten vorauswerfen". Das habe ich durch Einfügen der folgenden Passage versucht:
„Eines Tages, Tats, eines Tages…“, sagte sie oft, aber sie beendete nie ihren Satz. Einmal hatte sie von einem Experiment gesprochen, größer und gefährlicher als alle anderen, die wir durchführten. Von einer Kreatur, schöner und mächtiger als jede, die wir aufgezogen hatten.
Damals glaubte ich ihr kein Wort. Jetzt aber überkamen mich Zweifel. Jetzt graute mir so sehr vor der Heimkehr, dass ich lieber auf meinem taunassen Hosenboden im Dreck saß. Mir graute davor, alleine in der Hütte mit ihren Geheimnissen zu sein. Mir graute davor, dass in den Untiefen des Kellergewölbes irgendeine verborgene Kreatur schlüpfte und mich eines Nachts auffressen würde. Mir graute davor, alleine auf den Markt in die Stadt zu gehen, wo alles so schnell und laut um mich herumwirbelte, dass mir schwindelte. Mir graute davor, Malve zu verbrennen.




- Ein kleines bisschen Info über Tats:

Ich hatte unzählige Male Tatselwürmer gejagt und getötet.

Reiß dich zusammen, Tats. Tu, was getan werden muss. Darin warst du doch sonst so gut.



Was fehlt noch?

- Charakterisierung von Tats ist immer noch nicht ausreichend
- Sprache und Alter immer noch nicht zusammen passend
- Ökosystem beginnt immer noch mit "Idylle" und schlägt dann plötzlich in "Jagen und gejagt werden" um

- Ob der Eindruck, Tats würde Malve indirekt umbringen, jetzt gelöst ist, weiß ich noch nicht. War in dieser Runde nicht mein Fokus ...


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Beitrag #6 |

RE: Tats, Kapitel 1
Huhu Ichigo,

dann will ich dir mal meinen Eindruck deiner Überarbeitung mitteilen. Es gefällt mir sehr, wie analytisch du an sie herangehst.

Was mir erst jetzt auffällt. Tats ärgert sich, dass der Tatselwurm die falsche Farbe hat, aber Tats muss seine Farbe doch schon erkannt haben, sobald sie weiß, dass es sich um einen Tatselwurm handelt? Die Chronologie ihres Ärgers über seine Farbe stimmt da mMn nicht.


Zitat:[...] machte es mir so bequem, wie es in einer Wiese werden konnte, [...]

Ein Widerspruch in meinen Augen. Du beschreibst hier, wie Tats aktiv etwas bequem macht, sagst aber gleichzeitig, dass die Wiese Tats Gemütlichkeit bestimmt. Ich verstehe schon, dass du sagen willst, eine Wiese kann nie so bequem wie das Bett eines 5***** Hotels sein, dennoch ist das Bild schief.

Zitat:Mein ganzer Körper war bleischwer und taub, als würde ich gar nicht wirklich darin wohnen.

Auch dieses Bild gefällt mir nicht. Eben weil Tats in ihrem Körper "wohnt", weiß sie, wie er sich anfühlt - bleischwer und taub. Egal, wie beschissen die eigenen vier Wände sind, ändert das nichts daran, dass es noch immer die eigenen vier Wände sind. Du willst hier Ungemütlichkeit ausdrücken? Oder den Verlust des Anschlusses zum eigenen Körper? Ersteres drückt die erste Satzhälfte aus, zweiteres die zweite Hälfte. Aneinandergeschlossen sind sie nicht stimmig.

Zitat:Ich fragte mich, ob ich jemals wieder in meinem Körper wohnen würde. Ob ich mich jemals wieder in unserer Hütte zu Hause fühlen würde. Ob ich jemals wieder etwas anderes fühlen würde als diesen bodenlosen Zorn.

Ich finde, hier kommt gut der Widerspruch raus, den ich oben bekrittelt habe. (Ich schreibe meinen Kommentar, während ich deine Überarbeitung lese, wie du siehst. Icon_ugly )

Zitat:Hatte sie gewusst, dass sie bald sterben würde? Der Gedanke ließ mich nicht los. Malve ließ sich nicht gern in die Karten schauen, nicht einmal bei ihrem Tod. Sie hatte mich nicht darauf vorbereitet, dass ich sie eines Morgens steif in ihrem Bett vorfinden würde.

Das bald impliziert für mich, dass Malve noch im Sterben liegt, nicht aber, dass sie bereits tot ist, wie das steif vermuten lässt. Wenn du das bald einfach streichst, verwirrst du mich nicht. ^^

Zitat:Auf ihren Lippen das geheimnisvolle Lächeln, das mich schon zu ihren Lebzeiten in den Wahnsinn getrieben hatte. Um uns herum eine Hütte, randvoll mit geheimnisvollen Pflanzen, gefährlichen Kreaturen und bizarren Rezepten. Meine Ziehmutter Malve hatte mir nicht annähernd alles erklärt, was ich darüber wissen musste. „Eines Tages, Tats, eines Tages…“, sagte sie oft, aber sie beendete nie ihren Satz. Einmal hatte sie von einem Experiment gesprochen, größer und gefährlicher als alle anderen, die wir durchführten. Von einer Kreatur, schöner und mächtiger als jede, die wir aufgezogen hatten.

Damals glaubte ich ihr kein Wort. Jetzt aber überkamen mich Zweifel. Jetzt graute mir so sehr vor der Heimkehr, dass ich lieber auf meinem taunassen Hosenboden im Dreck saß. Mir graute davor, alleine in der Hütte mit ihren Geheimnissen zu sein. Mir graute davor, dass in den Untiefen des Kellergewölbes irgendeine verborgene Kreatur schlüpfte und mich eines Nachts auffressen würde. Mir graute davor, alleine auf den Markt in die Stadt zu gehen, wo alles so schnell und laut um mich herumwirbelte, dass mir schwindelte. Mir graute davor, Malve zu verbrennen.

Schöner und mächtiger passen hier nicht zu Tats' Gedankengang. Größer und gefährlicher ja, weil danach die Rede von Grauen ist, doch die anderen zwei Adjektive, v.a. schöner, sind so positiv besetzt, dass Tats' Reaktion im Widerspruch dazu steht.

Zitat:Malve hätte den Himmelsfalter mit gurrenden Worten gelockt, ihr nach Hause zu folgen, und hätte ihn in unser Wetterglas gesperrt, wo uns bereits unzählige andere Himmelsfalter täglich mit ihrer Färbung das Wetter vorhersagten. Malve hatte alles angezogen, was schön und bunt war und Glück brachte. Ich weiß wirklich nicht, womit sie das verdiente.

mMn brauchst du den Zusatz, wohin sie ihn lockt, nicht. Das Wetterglas ist ja ein häuslicher Gegenstand, zu Hause bietet keinen Mehrwert als Info.
Mich haut der Zeitenwechsel total raus. Präsens wird für gewöhnlich in einem Text, der in der Vergangenheit spielt, nur verwendet, um Gesetzmäßigkeiten abzubilden, ein einzelner Gedankengang der Protagonistin eignet sich dafür weniger. Außer sie erzählt jetzt eben die Geschichte von Malves Tod und dem Tatselwurm und die eigentliche Geschichte findet im Präsens statt.


Zitat:Ich dagegen war besser darin, Tatselwürmer zu töten. Der Gedanke erinnerte mich an mein Vorhaben und daran, dass es merklich wärmer war. Die Feuchtigkeit stieg in dicken Schwaden aus der Wiese. Vorsichtig lugte ich hinter den Stauden hervor. Der Tatselwurm lag auf dem Rücken und rekelte sich in der Sonne. Sein Bauch war noch immer blassgrün, doch als er sich umdrehte, schimmerte der Rest seines Schuppenkleids in einem zarten Hellrot. Das musste reichen.

Den Satz braucht es mMn nicht. Erstens klingt er viel zu strukturiert (erinnert mich an mein Vorhaben) und zweitens schilderst du im Satz darauf eindrücklich, wie es sich mit der Witterung verhält. Dieser Satz dient als eine vermeintliche Brücke, die eher auf den Abgrund darunter aufmerksam macht, als ihn zu kaschieren.

Zitat:Meine Fersen gruben sich auf der Suche nach einem guten Halt in den Boden. Lautlos schoss meine rechte Hand vor und schloss sich um die Echse. Sofort stellte der Tatsel den scharfen Halskragen auf und begann in meiner Hand zu glühen.

Gleißende Hitze schoss durch meinen Körper. Die Wiese, der Tatsel, die duftenden Blüten in meinem Bündel, alles verschwand in einem Fluss aus glühendem Gold.

schoss - schloss - schoss sind dreimal dasselbe bzw.  ähnliche Wörter zu viel auf einem Fleck. Ich finde Alliterationen im Grunde schön, aber diese sollten besser in Szene gesetzt werden, sodass der entsprechende Satz im Mittelpunkt der Handlung steht und nicht so nebenbei geschieht.

Ich verstehe den Teil mit dem Fluss aus Gold nicht. Handelt es sich hier um eine Metapher oder um die Beschreibung davon, wie Tatsel ins Sonnenlicht taucht? Oder um etwas ganz anderes? So oder so, ist mir der Teil zu abstrakt und du verlierst mich hier für einige Zeilen.


Zitat:Ich saß in der dampfenden Wiese, das Messer in der einen Hand, den schlaffen Kadaver in der anderen Hand, und heulte mir die Seele aus dem Leib.

Ich halte hier das Wort für mich nicht passend. Das Tier ist eben erst gestorben, Kadaver impliziert für mich einen gewissen Abstand zum Todeszeitpunkt. Da aber Tats es ja eben erst getötet hat, erscheint es mir nicht stimmig. Rein technisch kann das Wort passend sein, gefühlsmäßig stolpere ich hier drüber. Schlaffer Körper würde sich hier mMn eher anbieten.

Zitat:Sie hatte mich allein gelassen. Mutterseelenallein. Wie oft hatte ich meine Ziehmutter verwünscht. Wenn ich ihr Haar stundenlang frisierte und sie noch immer etwas auszusetzen hatte. Wenn sie für zwei Tage verschwand, ohne mir zu sagen, wohin. Wenn sie mich mitten in der Nacht weckte und auf eine haarsträubende Mission ohne jeden erkennbaren Zweck jagte. Wenn sie mir ein Rezept zur Hälfte beibrachte und ich die andere Hälfte „durch eigenes Erkennen“ erschließen sollte, obwohl mir „mein eigenes Erkennen“ bereits eine breite Narbe auf der Wange beschert hatte. Wenn sie erst Andeutungen machte und dann meinen Nachfragen auswich.

In der Theorie finde ich das Wort mutterseelenallein in dem Kontext sehr schön gewählt. In der Praxis verabsäumst du hier, zu verdeutlichen, was der Tod einer Mutterfigur, was zur absoluten Einsamkeit deiner Protagonistin führt, bedeutet.

Wortwiederholung. An sich habe ich nichts gegen Wortwiederholungen, die semantisch Sinn ergeben. Doch hier scheint mir, dass du denselben Stamm ohne Weiteres verwendet hast. Wobei sich auch hier anbieten würde, zu beschreiben, wie die perfekte Frisur durcht eine misslungene Mission zerstört wird.


Zitat:Aber so verrückt sie sich auch gebärdete, sie war alles, was ich hatte. Und nun war sie weg.

Das ist ein Wort der ableistischen Sprache, die darauf abzielt, gewisse Verhaltensmuster und die Individuuen, die sie ausüben, zu degradieren, weil sie einer vermeintlich perfekten Norm nicht entsprechen. Ich bin kein Fan davon. Meistens sind Wörter wie verrückt, Wahnsinn, etc. Platzhalter, deren sich die*er Autor*in aus Bequemlichkeit bedient, weil sich die Leser*innen alles Mögliche darunter vorstellen können und sollen. In diesem Kontext zB. hielte ich rücksichtslos für passender und griffiger.

Zitat:Reiß dich zusammen, Tats. Tu, was getan werden muss. Darin warst du doch sonst so gut.

Ich wischte mir mit dem Arm übers Gesicht und stand auf. Malve würde es mir nie verzeihen, wenn ich sie liegen ließ, bis sie zu stinken begann.

Ich streiche diese Stelle besonders hervor, weil hier etwas sehr schön deutlich wird, nämlich die Diskrepanz deiner Erzählstimme zu ihren erzählten Erlebnissen. Sie gestaltet sich exemplarisch für deine Erzählstimme im gesamten Text.
Die Ich-Perspektive hat die Vorzüge, direkt in die Handlung einzusteigen und sich keine Sorgen darum zu machen, zu wenig objektiv zu sein, da sie ohnehin mit der Prämisse der größtmöglichen Subjektivität funktioniert.
Du hast hier einerseits den inneren Monolog, der das Nonplusultra der Ich-Perspektive ist und gleich im Anschluss dazu eine Beschreibung, wie sie auch die auktoriale Erzählstimme verwenden würde. Du verschenkst hier ordentlich Potential der subjektiven Erzählstimme. Inwiefern ist es für die Erzählerin relevant, dass sie sich mit dem Arm übers Gesicht wischt und aufsteht? Willst du damit signalisieren, dass es heiß ist, dann schreib zB. der Schweiß brannte mir in den Augen etc.
Du nimmst dir durch diese vermeintlich neutralen Beschreibungen sehr viel Dynamik aus der Szene, indem du jedes Detail schilderst und das dazu auch noch ohne Bezug zu deiner Erzählerin.


Zitat:Ich band mir den toten Tatzelwurm an meinen Gürtel, wo bereits der Baumläufer hing, und machte mich auf den Heimweg, dem Unausweichlichen entgegen.

Du hast dir so viel Zeit genommen, den Tatzelwurm (oder Tatselwurm?) zu beschreiben, wirfst aber ohne nähere Ausführung die Tierart Baumläufer ins Geschehen. Ist dessen Existenz wichtig genug, um sie hier eigens zu erwähnen? Ich bin fast verführt zu sagen, nein. Ich würde also ab Gürtel den Satzteil streichen.

Zitat:Es war mehr Glück als Verstand, dass ich den Heimweg lebendig und unverletzt überstand. Ich stolperte blind durch den Urwald, als ginge ich zum ersten Mal hindurch. Auf dem letzten Wegstück trat ich beinahe in das Loch eines Erdzahns. Erst als der nackte, armdicke Wurm aus seinem Bau herausschoss und blind in die Luft schnappte, taumelte ich zurück. Er verfehlte mich so knapp, dass ich sein Gift riechen konnte.

Ich mache das leider auch gerne. Ich stelle einem Absatz einen zusammenfassenden Satz voran, um mich einmal selbst zu orientieren, was ich sagen will. Für mich ist dieser Satz im ersten Entwurf wichtig, damit die Leser*innen die Stelle aber verstehen, eher weniger, dann ist er sogar störend. Lies mal diesen Absatz ohne den ersten Satz. Du führst in eindrücklichen Bildern aus, was du im ersten Satz behauptest.

Zitat:Aber schließlich erreichte ich die Hütte, die einmal mein Zuhause gewesen war. Das Holz hatte ich bereits am frühen Morgen zu einem letzten Totenbett aufgeschichtet. Prüfend strich ich über die Scheite. Obwohl es schon lange eingeschlagen war, erkannte ich noch immer den Rest eines grünlich schimmernden Lebensfeuers, das einmal einem Baum gehört hatte. Vor allem aber stellte ich fest, dass das Holz gründlich ausgetrocknet war. Es würde gut brennen.

Zwei Füllwörter am Anfang eines Satzes sind mir Vorsicht zu genießen.
Muss Tats also jetzt die Hütte verlassen, nachdem Malve tot ist?
letztes Totenbett klingt so, als würde dieses Totenbett zum letzten Mal verwendet werden, was heißt, dass schon mal jemand hier gestorben ist. Für mich klingt das nach Abfertigung auf dem Fließband. zum Totenbett aufgeschichtet reicht mMn völlig.
Wie stellt sie fest, dass das Holz ausgetrocknet ist? Zieht sie sich einen Span ein? Diese Details helfen, das Erleben deiner Ich-Erzählerin hautnah nachzuvollziehen. Nur zu behaupten, dass etwas so ist, wie es ist, macht es noch lange nicht greifbar.


Zitat:Ich betrat das Haus durch den Hintereingang, der direkt in die Küche führte. Dort bearbeitete ich sorgfältig die erbeuteten Tiere. Dann trat ich in das vordere Zimmer, wo noch immer Malve lag.

Ihre nachtschwarze Haut wirkte ein wenig matter als gewohnt, doch ansonsten war sie schön wie eh und je. Für mich hatte sie nie alt ausgesehen. Aber vermutlich hatte ich mich getäuscht.

Wieso ist es wichtig, dass es der Hintereingang ist, den sie benützt? Wieso nicht den Vordereingang? Was für einen Unterschied macht es? Wenn es keinen macht, würde ich es nicht extra erwähnen.
Wieso meint sie, sich getäuscht zu haben? Meinst du, weil Malve gestorben ist, muss sie alt ausgesehen habe und deswegen hat Tats sich getäuscht? Ich ahne, dass du darauf hinauswillst, dass sie auf Tats nie so zerbrechlich gewirkt hat, um ihren nahen Tod zu erahnen. So wie es allerdings da steht, kommt das um vier Ecken heraus.


Zitat:Ich holte noch einmal tief Luft, griff ihr unter die Arme und zog. Beinahe wäre ich gestolpert, als sich der Körper überraschend schnell bewegte. Malve war viel leichter als erwartet. Kurz überkam mich ein schlechtes Gewissen. Meine Ziehmutter musste sehr abgemagert sein. Wann war das geschehen? Wieso hatte sie ihren Zustand unter ihren bunten, weiten Gewändern vor mir verborgen?

Unter die Arme greifen heißt auch jemanden zu helfen. In dieser Situation ist die Formulierung etwas ungelenk, sprich, ich wusste nicht sofort, was du meinst und dachte sogar, dass ihr Körper sich wirklich aktiv bewegt und sie zu einer Art Zombie geworden ist.
An Tats' Stelle hätte ich mich eher gefragt: Wieso hatte ich nicht früher gemerkt, wie abgemagert sie war? Denn das Wieso von Malves Sicht aus ist ziemlich klar: Sie wollte Tats nicht mit ihrem Tod konfrontieren. Das ist an anderen Stellen schon ziemlich deutlich rausgekommen.


Zitat:Doch meine Wut war stärker als jede Reue. Malve hatte die Nerven, mich alleine mit ihrer Bestattung zu lassen. Es war nur gerecht, dass sie sich ein Gewicht zulegte, welches ich bewältigen konnte.

Es müsste zugelegt hatte heißen, da das leichte Gewicht jetzt das Resultat ist und nicht Malves Leichnam noch dabei ist, Gewicht zu verlieren.

Zitat:Als ich sie endlich dort hatte, lief mir der Schweiß den Rücken herab. Mein Körper schrie nach einer Verschnaufpause, doch ich wusste, dass ich diesen Anblick nicht mehr viel länger ertragen würde.

Wenn ich den Satzanfang lese, liest mein Hirn automatisch weiter: Endlich hatte ich sie dort, wo ich sie haben wollte. Nämlich, tot. Mrgreen Ich will gar nicht leugnen, dass das ein höchstsubjektiver Leseeindruck meinerseits ist, aber so lapidar wie der Satz beginnt, aktiviert er automatisch einen Satzteil bei mir, der ziemlich oft damit Hand in Hand geht. Es würde nicht zu Tats passen, wenn diese Interpretation wirklich zutreffen würde, darum würde ich dir vorschlagen, genauer zu schildern, was es heißt, "sie dort zu haben".

Zitat:Malves Schlafmütze war an der Türschwelle hängen geblieben und von ihrem Kopf gerutscht. Ihr krauses Haar umrahmte ihren Kopf wie eine dunkle Krone.

Wie nah ist die Türschwelle zu Malves aktueller Position? Es liest sich so, als handelte es sich nur um wenige Zentimeter Abstand.
Darüber hinaus stimmt die Abfolge bzw. die Satzkonstruktion nicht. Die Mütze rutscht vom Kopf, weil sie hängen bleibt. So wie es dasteht, liest es sich, als wären diese zwei Dinge voneinander unabhängig geschehen.


Zitat:Es war alles perfekt.

Malve würde diese Welt in einem Meer aus Farben und Düften verlassen, so wie es ihr gefallen hätte.

Diese Beschreibung passt meiner Meinung nach nicht zu Tats' Gedanken davor , die es Malve gegönnt haben, so abgemagert zu sein, dass sie sich beim Tragen des Leichnams nicht so schwertut. Verstehst du, was ich meine? Zuerst gönnt sie ihr das Leid des Hungerns, nun aber ist es ihr plötzlich wichtig, dass Malve das Begräbnis bekommt, dass sie gerne gehabt hätte. Mir ist der Übergang von Tats' "Bösartigkeit" zu ihrer Empathie zu abrupt.

Vergleiche

Zitat:Obwohl es schon lange eingeschlagen war, erkannte ich noch immer den Rest eines grünlich schimmernden Lebensfeuers, das einmal einem Baum gehört hatte. Vor allem aber stellte ich fest, dass das Holz gründlich ausgetrocknet war.

mit

Zitat:Wenn ich ihre Locken auskämmte und ölte, hatte ich dabei immer ihren Kopf berührt und heimlich mit den Fingerspitzen nach ihrem Lebensfeuer getastet. Ich hatte ein helles, violett schimmerndes Licht gefunden, zart und liebevoll. Dieses Licht war die wahre Malve, weit entfernt von der seltsamen und manchmal schroffen Art, die sie so oft an den Tag legte. Dieses Licht war es, das ich geliebt hatte.

Nun war der Funke erloschen.

Die Schilderung des Lebensfeuers steht für mich im Widerspruch. Das Holz des Baumes ist zerstückelt und gründlich ausgetrocknet, aber noch immer ist da Lebensfeuer. Malves Leichnam ist nicht verwest (sonst stelle ich mir die Berührung von Tats reichlich ekelhaft vor) und scheinbar generell intakt und doch ist da nicht mal noch ein Funke? Das Konzept des Lebensfeuers erschließt sich mir hier nicht.

Zitat:Schließlich zog ich meine Hand zurück und legte sie stattdessen auf das Holz. Ich schloss die Augen und griff in mich hinein ist das metaphorisch oder wortwörtlich gemeint?, tief in meine Seele hinab, bis ich in den gleißend goldenen Fluss auf dem Grund meiner Seele eintauchte. Hitze schoss durch meinen Körper, durch meinen Arm, in meine Hand.  Meine Fingerspitzen begannen zu glühen. Diese Schilderung liest sich hier nämlich sehr wörtlich zu nehmen.Prasselnd und knackend entzündete sich das Holz. Ich schritt einmal um das Totenbett herum und strich mit meinen Fingern am Holz entlang, bis die Flammen hoch in den Himmel stiegen.

Ich verstehe nun auch nicht, in welchem Zusammenhang der Tod des Tatselwurms, der doch sehr genau beschrieben wurde, mit Malves Bestattung steht, da er hier nicht mehr vorkommt?

Abschließend lässt sich sagen, du schaffst es sehr klare Bilder zu generieren, manchmal sind die aber fast zu klar. Nicht jeder Handgriff ist wichtig, wenn er die Handlung nicht vorantreibt oder eine emotionale Bindung zur Erzählfigur herstellt.

Du streust mit der Erwähnung der Experimente Hinweise, die zum Weiterlesen animieren und auch das ambivalente Verhältnis zwischen Tats und Malve kommt gut raus. Icon_smile

Ich glaube, wenn du dir nochmal vor Augen führst, was du genau mit dieser Szene sagen willst (Tats' Trauer? Malves Bestattung?), schaffst du es, den Textausschnitt noch prägnanter und eindrücklicher und damit individueller zu gestalten. Icon_smile

Eine kleine Sniffu-Dröhnung

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Beitrag #7 |

RE: Tats, Kapitel 1
Hi Sniffu,

wow, du hast dir sehr viel Mühe mit dem Kommentar gemacht. Vielen Dank dafür!!!

Ich werde das alles genau analysieren.

Grundsätzlich merke ich gerade, dass ich es gar nicht gewöhnt bin für andere zu schreiben ... Wenn man maximal für sich selbst schreibt, dann kann man so viele Ungereimtheiten oder unschönen Stellen einfach überlesen oder ignorieren, weil es wäre ja anstrengend eine Lösung zu finden und es merkt eh niemand Icon_lol

Naja insofern hat das Forum wohl jetzt schon was gebracht Smiley_emoticons_blush

Ich könnte mir außerdem vorstellen dass ich mich an der Frage festhalten sollte, die du an mehreren Stellen stellst: "Was willst du hier zum Ausdruck bringen?"
(Und das ist pro Einheit sicher nur EIN Gefühl und EINE Haupthandlung, EIN Hauptgedanke, nicht zehn ... )
Vielleicht kann ich beim Weiterschreiben immer zuerst diese Frage beantworten und mir klar machen, welche Atmosphäre herrscht hier und welches Gefühl, welche Info, welches Spannungshäppchen soll der Leser hier mitnehmen.

Anhand der Beispiele kann ich jetzt auch besser nachvollziehen, inwiefern der "Ton" der Erzählung nicht zur Protagonistin passt.

Dazu vielleicht noch ein Gedanke. Ich hatte als eine Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Tats (sehr viel später) die Geschichte aufschreibt und es sich bei dem Text um ihre Nacherzählung handelt, natürlich muss das dann deutlich gemacht werden. Sprich, etwas Erzählerdistanz würde dann besser passen. Ich bin aber noch nicht sicher ob das wirklich eine gute Idee ist.

Auf jeden Fall fühle mich motiviert, da ich jetzt wieder Anhaltspunkte habe.
Ich hoffe das hält eine Weile...

Viele Grüße
Ichigo


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Beitrag #8 |

RE: Tats, Kapitel 1
Das freut mich, dass dir der Kommentar hilft. Icon_smile


Zitat:(Und das ist pro Einheit sicher nur EIN Gefühl und EINE Haupthandlung, EIN Hauptgedanke, nicht zehn ... )

Was siehst du denn als Einheit? Ein Textstück wie dieses? Eine Szene? Einen Absatz?

Am Beispiel des Gefühls hast du in diesem Ausschnitt zumindest zwei starke Komponenten: Wut und Trauer. Diese wechseln sich teils ab, ergänzen sich aber auch.

Ich frage, weil ich davor warnen möchte, dass beim Schreiben nicht immer 1+1=2 gilt. So könnte dieser Textausschnitt zum Beispielt mit einer Tats beginnen, die wütend auf Malve ist, im Zuge der Bestattung aber so trauert, dass sich ihr Gefühl am Ende in eine Wut gegen sich selbst auflöst. Das wäre dann ein fließender Verlauf. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich die Wut gegen Malve und sich abwechselt, nach dem Reißverschlussprinzip am ehesten. Es gibt dutzende Möglichkeiten und wofür du dich schlussendlich entscheidest, hängt ganz allein von dir und deinen Motiven für den Text ab.


Zitat:Dazu vielleicht noch ein Gedanke. Ich hatte als eine Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Tats (sehr viel später) die Geschichte aufschreibt und es sich bei dem Text um ihre Nacherzählung handelt, natürlich muss das dann deutlich gemacht werden. Sprich, etwas Erzählerdistanz würde dann besser passen. Ich bin aber noch nicht sicher ob das wirklich eine gute Idee ist.

Finde ich an sich interessant, doch du darfst zugunsten dieses "Kunstgriffes" nicht die Leserlichkeit, mit anderen Worten, den Unterhaltungswert für deine Leser*innen zu kurz kommen lassen. Wenn ich ein Protokoll schreibe, möchte ich möglichst faktengetrau alles schildern, doch liest sich das dann wirklich noch angenehm für andere, die das aus Spaß lesen?
Ein anderer Punkt wäre dann der der Unmittelbarkeit. Wie viel Zeit ist zwischen den Geschehnissen und dem Zeitpunkt der Niederschrift vergangen? Was für einen Mehrwert haben die Leser*innen zu erfahren, dass Tats all das niederschreibt? Ich muss eben an Marlen Haushofers Wand denken, die ihre anwachsende und anhaltende Isolation niederschreibt. Vielleicht hilft dir diese Lektüre weiter. Es gibt hier viele Naturbeschreibungen, ländliches Leben mit Tieren und die Erzählerin ist sich selbst überlassen, da sie plötzlich eine unsichtbare Wand von der restlichen Welt trennt. Die Erzählerin führt Tagebuch, um quasi ihre Menschlichkeit nicht zu verlieren, indem sie mit sich selbst in schriftlichen Kontakt tritt.


Zitat:Ich könnte mir außerdem vorstellen dass ich mich an der Frage festhalten sollte, die du an mehreren Stellen stellst: "Was willst du hier zum Ausdruck bringen?"

Das ist eine ganz wichtige Frage. Fragen, die du an deinen Text stellen könntest: Willst du eine vereinsamte Tats schreiben, wenn ja, wieso? Willst du über eines der Experimente schreiben, wenn ja, wodurch zeichnet sich dieses Experiment so aus, dass es erzählenswert ist? Du meintest größer und gefährlicher als alles andere davor? Wieso und was sind dessen Konsequenzen? Muss Tats gar die Welt vor diesem Experiment retten?

Generell stelle ich mir bei jedem (Ab-)Satz diese Frage: Was will ich hier aussagen?

Ich schreibe eben eine ziemlich detailreiche Szene mit 15 sprechenden Figuren (typisch ich, oder? Icon_rolleyes ), wo ganz viel Weltenbau verwurstet wird und unterschiedliche Machtgefälle zum Ausdruck kommen. Eben habe ich einen Absatz geschrieben, in dem das Gegenüber meiner Protagonistin zu verstehen gibt, dass sie sich ihm zu fügen hat. Daher muss ich mich fragen: Wie kann ich ihre Hilfslosigkeit am besten ausdrücken? Wie die Überlegenheit des Gegenübers?

Nun stecke ich im nächsten Absatz fest, in dem die Protagonistin Bericht erstattet. Auf die Frage "Was will ich hier aussagen?" lautet hier die Antwort also: Einen Erlebnisbericht der Protagonistin, der ihrer Angst und Demut entspricht und das, was passiert ist, in ihren eigenen Worten wiedergibt.

Wenn du also etwas beschreibst, frag dich immer, wieso tust du das. Wenn Tats sich anfangs anschleicht, willst du da Spannung generieren? Wird sie ihre Beute erlegen? Was muss sie tun, um Erfolg zu haben (leise sein), was steht für sie auf dem Spiel (ihren Ekel in dieser vor Ungeziefer wimmelnden Wiese überwinden)?
Wenn sie die Bestattung vorbereitet, ist das dann ihre Art des Abschiedsnehmen? Eine Art Abrechnung etc.?

Am besten ist, wenn die Leser*innen gar nicht merken, was für Fragen du dir beim Schreiben gestellt hast, sondern beim Lesen nur noch fühlen, was du ausdrücken willst. Ich merke das bei meinen fertige(re)n Texten, dass ich diese mit Genuss lesen kann, weil ich all die Hintergrundinfos gut ausklammern kann und mich von der Geschichte mitreißen lassen kann, weil diese für sich selbst stehen kann ohne wenn und aber. Dieses Abkapseln vom eigenen Text und sich in jemanden Unbeteiligten hineinfühlen, um sich zu fragen: Wirkt der Satz, so wie er dasteht?

Ich freue mich auf jeden Fall, dass du etwas mit meinen Gedanken anfangen kannst. Icon_smile

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