I. The Burial of the Dead
April is the cruellest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.
…
T. S. Eliot, The Waste Land
T. S. Eliot irrt nicht: Der April ist ganz bestimmt der übelste Monat. Denn selbst wenn die Sonne scheint und die Luft weich und leicht ist, schwärt noch Kühle darunter. Es drängen die Bäume und der »Flieder aus der toten Erde«, in einem plötzlichen, grellen Vorwärtspathos, »Erinnerung« und »Lust«, die aufeinanderprallen: Der Modus, in dem sich alles beginnende Frühlingsgebaren vollzieht, ist kein ausnehmend sanfter. In der verdorrten Erde, aus der sich das Krisenpoem The Waste Land zerschlagen wie nach einem schweren Traum erhebt, blühen bald auch die Toten, wenn sie nicht ausgescharrt worden sind, und es brechen die Erinnerungen hervor, Kindheitsfetzen, Winterszenen und betörende Bilder, die aus der Vergangenheit aufsteigen – das Mädchen mit den Hyazinthen, das feuchte Haar, das Nichts, die Stille, das Licht und dann: »Öd und leer das Meer.«
Heiterer Frühling
1
Am Bach, der durch das gelbe Brachfeld fließt,
Zieht noch das dürre Rohr vom vorigen Jahr.
Durchs Graue gleiten Klänge wunderbar,
Vorüberweht ein Hauch von warmem Mist.
An Weiden baumeln Kätzchen sacht im Wind,
Sein traurig Lied singt träumend ein Soldat.
Ein Wiesenstreifen saust verweht und matt,
Ein Kind steht in Konturen weich und lind.
Die Birken dort, der schwarze Dornenstrauch,
Auch fliehn im Rauch Gestalten aufgelöst.
Hell Grünes blüht und anderes verwest
Und Kröten schliefen durch den jungen Lauch.
2
Dich lieb ich treu du derbe Wäscherin.
Noch trägt die Flut des Himmels goldene Last.
Ein Fischlein blitzt vorüber und verblaßt;
Ein wächsern Antlitz fließt durch Erlen hin.
In Gärten sinken Glocken lang und leis,
Ein kleiner Vogel trällert wie verrückt.
Das sanfte Korn schwillt leise und verzückt
Und Bienen sammeln noch mit ernstem Fleiß.
Komm Liebe nun zum müden Arbeitsmann!
In seine Hütte fällt ein lauer Strahl.
Der Wald strömt durch den Abend herb und fahl
Und Knospen knistern heiter dann und wann.
3
Wie scheint doch alles Werdende so krank!
Ein Fieberhauch um einen Weiler kreist;
Doch aus Gezweigen winkt ein sanfter Geist
Und öffnet das Gemüte weit und bang.
Ein blühender Erguß verrinnt sehr sacht
Und Ungebornes pflegt der eignen Ruh.
Die Liebenden blühn ihren Sternen zu
Und süßer fließt ihr Odem durch die Nacht.
So schmerzlich gut und wahrhaft ist, was lebt;
Und leise rührt dich an ein alter Stein:
Wahrlich! Ich werde immer bei euch sein.
O Mund! der durch die Silberweide bebt.
Georg Trakl, Sämtliche Gedichte
»Wie scheint doch alles Werdende so krank!«, heißt es in Georg Trakls Heiterer Frühling. Aber heiter ist es nicht in einem landläufigen Sinn, heiter vielleicht in einem Trakl’schen Sinn: Trakl, dieser gepeinigte Geist, dem auch das blaue Band des Frühlings kaum mehr ist als ein Strick, der sich sanft um den Hals legt, bevor er sich strafft, und an den »Weiden baumeln Kätzchen sacht im Wind« sodann. Überall finden sich Vergänglichkeit und Tod. Um den Weiler streift der Fieberhauch, das helle Grün teilt sich die Zeile mit dem Verwesenden. Es herrscht eine eigenartige elegische Gereiztheit in diesen Frühlingsgedichten, in denen die Härte des Winters noch allgegenwärtig ist und der Frühling darüber und dagegen strömt.
10. Joseph Roth an Stefan Zweig
28. IV. 1929
[Hotel Restaurant]
[Foyot]
[Paris]
Sehr geehrter Herr Stefan Zweig,
ich bitte Sie um Entschuldigung! Ich kann erst gegen 8-10 Mai bei Ihnen sein. Komplikationen schlimmster Art, von denen ich nicht schreiben kann, die ich gleichzeitig keinen Moment vergessen kann, verhindern meine Abreise.
Ich bitte Sie also noch einmal, mir freundlichst zu sagen, was Sie im Mai machen.
Unmöglich, daß ich Sie diesmal nicht sehe. Längst ist mein Herz voll und stumm.
Verzeihen Sie die Hast und die Neurasthenie.
Ich begrüße Sie in herzlicher Hochachtung
Ihr
Joseph Roth
Joseph Roth und Stefan Zweig Jede Freundschaft mit mir ist verderblich. Briefwechsel 1927-1938
Der ebenfalls krisengeplagte Joseph Roth schreibt an einem Tag im April 1929 mit einem »Herz voll und stumm« an Stefan Zweig, und setzt, bevor er mit »herzlicher Hochachtung« schließt, entschuldigend hinzu: »Verzeihen Sie die Hast und die Neurasthenie.« Neurasthenie?
Praterbesuch (Neurasthenie)
die Ballone Ballone
im Trubel, Federbusch
pochend / in weichen
weiszen üppigen Baldachinen, Himmels-
schnüren und Kuppen, blank-
gescheuerten harten
Stelen, die
Veredelung eines
Gewerbefleiszes, eingebettete
Kunst…
nämlich Ziehbrunnen Lizenzen, die
Genitalien (Lilien) dieser Stadt
diese kleinen
Maszliebchen-
Zirkelkinder, Lügen
und Maulgeflecht :
immer stimmt alles ein biszchen nicht ganz
Friederike Mayröcker Gesammelte Gedichte
»immer stimmt alles ein biszchen nicht ganz«, schließt das Gedicht Praterbesuch (Neurasthenie) von Friederike Mayröcker, das ebenfalls auf einen Tag im April datiert ist. Entmutigt richtet sich der Blick in die Ferne. Am hellen Himmel scheinen Regen und Revolution auf. Ganz unverhofft werden wir im Herbst fündig, wenn Revolution Noir erscheint: Es ist ein kleines Aprilparadies, das der russisch-ukrainische Schriftsteller Valeri Nugatow in seiner dann erstmals auf Deutsch vorliegenden Erzählung Das Leben Franz Kafkas entwirft, voller Frühling und Glück, darin nur ein wenig Unglück: ein Bilderbuchidyll, bitte schön. Aber kann das wirklich sein – Franz Kafka mit einem behaglichen Bäuchlein und einem nicht minder behaglichen Familienleben? Wir ahnen: »immer stimmt alles ein biszchen nicht ganz« – bis dahin also zurück zu Trakl (»Im Frühling; ein zarter Leichnam« … und so weiter).