Das Sprungbrett in den Literaturbetrieb ist stuckverziert und schummrig beleuchtet. Auf dem Sprungbrett gibt es eine Galerie, eine Bar, eine Sofalandschaft mit Flachbildschirm.
Es gibt Filterkaffee auf dem Sprungbrett, Muffins und Fleischspießchen und Bücher und natürlich eine Bühne, auf der angeblich Nachwuchsautoren sitzen, genau kann man das nicht erkennen, weil die Bühne eher für Blauwalnachwuchs ausgelegt ist, aber man hört sie lesen, und sie haben alle wahnsinnig angenehme Stimmen, Stimmen wie Loungemusik, Stimmen wie Discokugel-Lichtflecken, denn das Sprungbrett verfügt über eine exzellente Tontechnik, und in den Pausen werden blauwalgroße Bilder der Nachwuchsautoren auf die Bühnenwand projiziert, auf denen sie so schön aussehen, wie ihre Stimmen klingen, so schön wie die Wörter aus ihren Texten, die noch im Raum schweben, wie »Kirmeskuchen«, wie »Muskelmasse«, wie »Kuppel«.
Es ist eng auf dem Sprungbrett. Auf allen Plätzen Hunderte von jungen Menschen, die allesamt fast so schön sind wie die Stimmen und Bilder der Nachwuchsautoren. Es wird gelauscht, es wird mitgelesen, es wird mitgeschrieben, es wird gebloggt, es wird fotografiert und gefilmt und großspurig angekündigt, und immer mehr Wörter der Autoren schweben durch den Raum, aber keines setzt sich, was kein Wunder ist, es sind ja alle Stühle belegt. Das Sprungbrett ist einfach zu groß und zu voll, um noch erahnen zu können, wohin eigentlich gesprungen werden soll, und ohne es zu wollen, verwechselt man den Sprung mit der Landung, man verwechselt die Simulation mit der Übersimulation, und man will verdammt noch mal endlich einen leibhaftigen Blauwal, zumindest einen, zumindest einen kleinen, und man wundert sich, wo er bleibt, wo doch alles auf ihn ausgerichtet ist.
Erst ganz am Ende hört das Wundern auf. Wenn sich das Sprungbrett in Windeseile leert, wenn alles schnurstracks abgebaut wird, eingepackt, abgenickt. Es ist zwar schon dunkel, aber noch nicht richtig Abend. Die Preisträger geben Beckenrandinterviews und halten dabei ihre Blumensträuße umklammert, als würden sie die später nicht doch irgendwo liegenlassen. Die Juroren trinken mit den Veranstaltern noch einen Sekt. Sie sehen erschöpft aus, und auch der Sekt sieht erschöpft aus, nur Andeutung von Perlen, und das reicht fürs Erste. Er passt genau in sein Glas.
Sonja Popp, Teilnehmerin der Schreibwerkstatt Open Writing in Frankfurt, über ihren ersten Open Mike – Die Vorläufigkeit von Stammplätzen.