Anne Duttons Roman "Das Geheimnis jenes Tages" hat mich beim Lesen emotional sehr bewegt. Das klingt zuerst einmal erfreulich, doch leider muss ich sagen, dass dieses Wechselbad der Gefühle nicht immer positiv war und ich das ein oder andere mal meine Lektüre am Liebsten abgebrochen hätte.
Inhalt:
Das Buch besteht aus verschiedenen Erzählsträngen, die parallel zueinander mehrere Geschichten aus unterschiedlichen Zeiten beleuchten. Auf den ersten Blick scheinen sie nicht so viel gemein zu haben, doch mit der Zeit werden die Zusammenhänge immer deutlicher.
Nadine ist Anthropologin an einem deutschen Institut und mit der Rückgabe eines Aborigine-Schädels betraut, der vor über 100 Jahren unrechtmäßig den Weg nach Deutschland gefunden hat. Mit ihr zusammen fliegt ihre Tochter Alina nach Australien, die im Anschluss an diese Reise ein Jahr das Land als Backpacker bereisen möchte. Doch schon kurz nachdem Alina auf eigene Faust weitergereist ist, wird sie Im Outback vermisst und für Nadine beginnt eine turbulente und angstvolle Zeit.
Amalie ist die zweite Hauptfigur, die Mitte des 19. Jhd in einem kleinen, unscheinbaren Dorf lebt und durch Zufall auf ihren zukünftigen Mann Wilhelm stößt, der ihre Leidenschaft für die Tier- und Pflanzenwelt weckt. Ihre Geschichte umfasst beinahe ihr ganzes Leben und der Leser erlebt in verschiedenen Textformen ihren persönlichen Werdegang vom naiven, jungen Mädchen zur weltgewandten, erfolgreichen alten Frau. Die andere wichtige Person in Amalies Leben ist Charitas, ihre Tochter, deren schwierige Beziehung im Laufe der Jahre beschrieben wird.
In einer Nebenerzählung lernen wir noch Katrin kennen, eine junge deutsche Backpackerin, die auf ihrer Reise durch Australien leider zur falschen Zeit am falschen Ort ist und auf einen miesen Trick hereinfällt.
Hauptcharaktere:
Amalie: Ein einfaches junges Mädchen aus der tiefsten Sächsischen Provinz, das beim Pilzesammeln mit ihrer Mutter ihren zukünftigen Mann Wilhelm, einen naturversessenen Botaniker, kennenlernt. Seine Leidenschaft für die Tier- und Pflanzenwelt springt schnell auf sie über und sie verehrt ihn wie einen Gott. Ihr naives Wesen steht konträr zu ihrem modern anmutenden beruflichen Werdegang. Haushalt und Kind wird von ihrer Mutter betreut und sie widmet sich voll und ganz ihrer gemeinsamen Arbeit mit Wilhelm. Als ihre Mutter stirbt und sie deren Aufgaben in ihrem Haushalt dazubekommt, wird klar, wie unbeholfen Amalie ist. Das Kind Charitas, vom Vater nicht gewollt, da sie kein Junge geworden ist, wird von Amalie immer wieder über Wochen in lieblose Obhut gegeben, um mit ihrem Mann auf Verkaufstour zu gehen. Sie schleppt für ihn schwerste Lasten durch ganz Deutschland und geht körperlich beinahe zu Grunde. Amalie ist eine ambivalente Person, die einerseits nach persönlicher Freiheit und Verwirklichung strebt, andererseits aber emotional so abhängig und hörig ist. Ihre Tochter leidet darunter, dass sie immer hinter den Bedürfnissen ihres Vaters und der Botanik steht. Auch wenn Amalie immer wieder betont, wie sehr sie ihre Tochter doch liebt und es sie schmerzt dauernd von ihr getrennt zu sein, so schafft sie es dennoch nicht, ihre Prioritäten anders zu setzen. Das gefühlsbetonte und ambiotionslose (die Botanik betreffend) Wesen ihrer Tochter enttäuscht Amalie zutiefst. Immer wieder versucht sie Charitas dazu zu bringen die Sicht- und Lebensweise ihrer Mutter anzunehmen. Eine tragische Person, die sich in ihrer Arbeit profilieren konnte, emotional aber zeitlebens verkrüppelte.
Nadine: Im Prolog wird die Geschichte des tragischen Todes ihrer Schwester erzählt, was erklärt, warum Nadine zu ihrer Familie und ihrem Umfeld so emotionslos ist. Sie glaubt, dass sie an Vanessas Tod schuld ist und bestraft sich auch fast 30 Jahre später noch dafür. Nadine ist eine Frau, die in ihrem Beruf eine leidenschaftliche Perfektion pflegt, dieses Gefühl aber nicht auf ihr Privatleben umlegen kann. Die Beziehung zu ihrer großen Liebe Thomas (war beim Unfall dabei) ist zerbrochen , dennoch ist er auf Grund seiner Beharrlichkeit und der Tatsache, dass er Alinas Vater ist, immer noch ein Teil ihres Lebens. Auch die Beziehung zu ihrer Tochter ist schwierig. Zwischen den beiden herrscht eine Barriere, ihre Beziehung erinnert weniger an Mutter und Tochter, vielmehr an die zweier Freunde unterschiedlichen Alters. Erst als Alina im Outback von einem Serienkiller verschleppt wird und sie erneut die Angst hat, einen geliebten Menschen zu verlieren, lässt sie lang unterdrückte Emotionen frei und kämpft wie eine Löwenmutter um ihr Kind.
Schreibstil:
Annette Duttons Schreibstil ist sehr angenehm. Sie hat das Buch nicht in Kapitel aufgeteilt, sondern in kürzere Sequenzen, die immer wieder zwischen Amalie und Nadine, also auch zwischen zwei unterschiedlichen Zeiten, hin und her wechseln. Das bringt eine gewisse Abwechslung und baut Spannung auf, denn sie versteht sich geschickt darin die Szenen zu wechseln, wenn es spannend wird. Die Sätze sind abwechslungsreich und sie versteht sich im Schreiben. Gekonnt vereint sie längere Schachtelsätze und kurze, prägnante Aussagen. Wenn sie zwischen den Zeiten wechselt, passt sie die Sprache der jeweiligen Zeit an. Mit viel Liebe zum Detail erschafft sie wunderbar bunte Bilder im Kopf und es fällt dem Leser leicht und die Geschichte einzutauchen. Wortgewaltig wird man quer durch die einzigartige Botanik Deutschlands und Australiens geführt. Sehr angenehm zu lesen, zumindest, wenn einen die ausladenden Ausführungen zur Natur nicht langweilen. Interessant sind ihrer unterschiedlichen Erzählformen, so wechselt sie zwischen dem allwissenden Erzähler und der persönlichen Sichtweise. Als Werkzeug hierfür benutzt sie neben der Standarderzählweise, Briefe und Zeitungsberichte, die von den unterschiedlichsten Romanfiguren verfasst wurden. Das verleiht der Geschichte Tiefe, denn die verschiedenen Personen beleuchten die Situation aus unterschiedlicher Sichtweise.
Stärken und Schwächen:
+ Abwechslungsreich durch verschiedene Perspektiven und Erzählebenen.
+ Sprache, Autorin weiß damit um zu gehen.
+ Geschichte bietet Spannung
+ Einblick in die Gefühlswelt der Protagonisten
+ Autorin hat sich sehr viel Hintergrundwissen angeeignet und sehr gut im Roman umgesetzt.
+ Trotz der vielen Personen, die im Buch vorkommen, verliert man nicht den Überblick.
+ tolle visuelle Gestaltung.
+ Länge des Buches
- Jahreszahl im Klappentext passt nicht zu der im Buch (2015 oder 2009?)
- Ewig lange Ausführungen über die Natur Australiens in den Briefen Amalies
- Spannende Sequenzen werden zu kurz abgehandelt, gerade das Ende hätte mehr Seiten verdient gehabt.
- Charitas Zukunft lässt zu viele Fragen offen, auch der kurze Teil über Amaliens Lebensabend wirkt eher ernüchternd und zu kurz (im Vergleich zu den ewig langen Briefen).
- Der Wechsel von einer spannenden Sequenz in der Gegenwart zu einem fast nicht enden wollenden Briefmonolog der Vergangenheit.
- Irreführender Titel (macht keinen Sinn)
Autorin:
Annette Dutton, 1965 in Deutschland geboren, hat Geisteswissenschaften in Mainz studiert. Neben ihrer erfolgreichen Arbeit als Autorin, ist sie auch als Filmproduzentin tätig. Sie lebt mit ihrem Mann und Sohn in Australien.
Cover:
Das Cover und die visuelle Aufmachung des Buches gefällt mir sehr gut, doch ich finde, das sowohl das gewählte Bild als auch der Titel etwas irreführend ist. Wenn man die Geschichte betrachtet, stellt sich mir die Frage, auf welchen Tag bezieht sie sich? Denn durch die unterschiedlichen Erzählstränge und auch die lange Zeit, die behandelt wird, ist nicht klar erkennbar, auf welchen Tag oder Ereignis sie sich bezieht.
Fazit:
Ich gebe diesem Buch "nur" drei Sterne, da ich in der ersten Hälfte ein paar mal kurz davor war, die Lektüre abzubrechen. Diese Bewertung ist rein subjektiv zu erklären, denn ich wurde von Annette Duttons Geschichte emotional ziemlich gefordert. Amalies Verhältnis zu ihrer Tochter hat mich als zweifache Mutter ziemlich genervt und mitgenommen. Diese Leidenschaft, die sie für Mann und Beruf aufbringen konnte und konträr dazu ihr unverantwortlich, liebloses Verhalten ihrer Charitas gegenüber, hat mich sehr bewegt und ehrlich gesagt erregt. Der Klappentext und das Cover haben bei mir andere Erwartungen geweckt. Die im Buch beschriebene psychische und physische Brutalität in einigen Szenen, hat mir einiges abverlangt.
Dieses Buch empfehle ich Lesern, die gerne Thriller oder Krimis lesen. Es ist leider nichts für zartbeseitete Buchfreunde, die körperliche und emotionale Gewalt in einem Buch nicht ertragen können.