Mit Weiberfastnacht wird heute das tolle Treiben des Straßenkarnevals eingeläutet. Während die Jugend ausgelassen und unablässig feiern kann, ohne eventuelle Konsequenzen fürchten zu müssen, geht es den Älteren unter uns anders – ihnen wird spätestens am nächsten Tag schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Zeiten hemmungslosen Feierns nicht so einfach zurückzuholen sind…
von Tobias Mann
Es gibt nach meiner Erfahrung drei untrügliche Zeichen dafür, dass man alt wird: Man kennt die Top 10 der Charts nicht mehr, hat mindestens einmal die Polizei wegen Ruhestörung angerufen und traut sich nicht mehr auf Partys. Letzteres resultiert übrigens nicht aus der Angst, als alternder Mensch vom Türsteher an der Clubtür gefragt zu werden, ob man zum Sterben hergekommen sei – diesen Klassiker der Greisenbeleidigung kann man problemlos umgehen, indem man sich ausschließlich auf nostalgische 90er- oder Ü30 Partys begibt, bei denen man als verblühtes Partyblümchen heute derbe zu der Musik abhottet, die man damals zum Kotzen fand. Nein, die Angst vor Feiern erwächst aus der schmerzlichen Erkenntnis, dass man nach einer durchzechten Nacht mittlerweile vier Wochen Kur und eine Blutwäsche braucht, um wieder am Leben teilnehmen zu können. Während in jungen Jahren nach feuchtfröhlichen Partys der Kater morgens nur leise miaute, schreit nun eine Horde aggressiver Streuner um die Wette. Am allerschlimmsten erwischt es dabei junge Eltern. Denn wenn in solch einer Verfassung auch noch die Kinder morgens um 6.24 Uhr am Bett stehen und ganz dringend Papierflieger basteln müssen, wird einem die Vergänglichkeit des Seins in aller Pracht unter die rote Nase gerieben.
Ich kann nun förmlich hören, wie der ein oder andere Leser ausruft: „Na, dann darf man halt nicht so viel saufen!“ Dieser auf den ersten Blick vernünftige Einwand greift allerdings zu kurz, da das mittlerweile an edle Rieslinge und exklusive Schaumweine gewohnte Genusssystem mit der auf der gemeinen Party feilgebotenen Auswahl zwischen „Nackenheimer Hirnschlag“ und „Schädelsprenger Export“ selbst in geringen Mengen nicht mehr klarkommt. Komplett trocken zu feiern verbietet sich leider auch, da man so die Musik nicht ertragen kann. Ein Teufelskreis. Auch die Tollkühnheit auf dem Tanzflur geht durch Enthaltsamkeit flöten, da man ohne die enthemmende Wirkung des mäßig veredelten Ethanols keine Courage und vor allem keine Kondition hat, seine in die Jahre gekommenen Dancemoves zu performen. Wenn man mit Ende Dreißig und nüchtern eine Breakdance-Kombination aus Headspin, Worm und Smurf aufs Parkett gelegt hat, wird einem schlagartig klar, was Helene Fischer mit „Atemlos durch die Nacht“ tatsächlich gemeint hat.
Dennoch probiere auch ich es immer wieder, die alten Partyzeiten wieder aufleben zu lassen ‒ nur um dann in Reue zu ergründen, warum ich alter Esel zu Dr. Alban, dem rappenden Zahnarzt aus den Neunzigern, und dem aktuellen Popsternchen Miley Cyrus, einer Art amerikanischer Helene Fischer mit längerer Zunge, gegen alle Vernunft die Nacht durchgefeiert habe. Wahrscheinlich ist es der verzweifelte Versuch, sich in diesen Nächten noch mal so jung wie Anfang zwanzig zu fühlen ‒ für den Preis, im Morgengrauen einen Rollator zu brauchen. Darauf ein Alka-Seltzer! Prost!
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