Neulich in der Jammerbremse… stieg die Eintracht ab.

„Wir reden nicht über unsere Mannschaft. Das bringt nur Unglück.“ Martin Schult ist nicht nur großer Eintracht-Fan, er ist auch ziemlich abergläubisch, wenn es um seine Mannschaft geht. Welche Rituale pflegen echte Fans, um den Abstieg ihres Vereins zu verhindern? Ein neues Kneipengespräch aus der Jammerbremse.

von Martin Schult

Titelbild_neu

Da saßen wir in der Jammerbremse und schalteten unsere Mobiltelefone aus.

„Wie immer, Manni“, sagte mein Kumpel lässig, als wir uns auf die Barhocker setzten. Es funktionierte. Manni, der Wirt, stellte tatsächlich zwei Gläser Bier auf den Tresen. So oft waren wir nämlich noch nicht hier gewesen. Mein Kumpel und ich, wir stießen an. Mit gebührendem Ernst tranken wir den ersten Schluck. Und dann schwiegen wir.

* * *

„Wir waren heute Morgen bei IKEA“, sagte mein Kumpel plötzlich. Ich brummte und nahm einen weiteren Schluck. Die alte Bahnhofsuhr an der Wand zeigte 15.25 Uhr.

„Die Hölle, sag‘ ich dir …“

„Geht die Uhr richtig?“ Manni nickte. Kneipjeh stand weiß auf schwarz auf seinem T-Shirt.

„… drei Stunden! Man verläuft sich ja immer. Und dann diese Selbstbedienungskassen, ha! Als ob das schneller gehen würde!“ Mein Kumpel zählte auf, was sie alles eingescannt hatten und wieviel eine Packung mit 100 Teelichtern wiegen würde. Das könne man sich nämlich anzeigen lassen. Als ob das wichtig wäre. Darauf nahm ich einen tiefen Schluck. 15.30 Uhr. Jetzt ging‘s los.

„…und als wir wieder wegfahren wollten, hat uns ein lila Audi gerammt. Ausgerechnet ein Audi!“

Ich schaute meinen Kumpel fragend an.

„Audi … du weißt schon … Ingolstadt.“

Au Backe, dachte ich und rief schnell, „Alex Meier…“

„…Fußballgott“, antwortete mein Kumpel. Er schlug sich gegen die Stirn. „Mann, ich hab‘s vergessen.“

„Habt ihr ‘ne Meise?“ Manni zeigte uns einen Vogel. „Ditte hier ist ‘ne Hertha-Kneipe!“

Ich schaute mich um. Kein Fernseher, keine Fahne, nicht mal ein Wimpel. Deswegen waren wir doch hierhergekommen. Ich sah ihn fragend an. Manni lächelte – schüchtern, wenn man das bei diesem Kerl überhaupt sagen konnte.

„Naja, is so’n Trick von mir. Ick bin ‘n Inkognito-Fan. Die Hertha kann nämmich nur jewinnen, wenn ick sie völlich ignoriere.“

Ich nickte. „Wie bei uns. Wir reden auch nicht über unsere Mannschaft. Das bringt nur Unglück. Wir dürfen nicht mal das Wort Eintracht in den Mund nehmen.“

„Alex Meier…“, rief mein Kumpel.

„…Fußballgott“ rief ich. „Sorry, Kumpel.“

„Deswegen die Handys?“ Und als ich wieder nickte, hielt Manni die Hand auf. Ich gab ihm mein Mobiltelefon und mein Kumpel zog seins auch aus der Hosentasche. Manni legte beide ins Kühlfach.

„Ist sicherer. Da liegt meins auch drin.“

* * *

„Früher“, sagte Manni um 15.33 Uhr, „als ick noch ins Stadion bin, da hab‘ ick vor jedem Spiel ‘ne Bratwurst jefuttert – keene Currywurst oder so’n Kwatsch – nee, ‘ne richtige Thüringer.“

„Toll“, brummte mein Kumpel. Was anderes hätte ich auch nicht dazu sagen können.

„Mit Senf.“

„Hm.“

Manni nahm meinem Kumpel das Bierglas weg und starrte ihn wütend an. „Lass‘ mir doch erst mal ausreden, Mensch! Wenn ick nämlich die Wurst mit drei Bissen hab‘ aufessen können, dann hat die Hertha mindestens Unentschieden jespielt.“

„Und wenn nicht?“

„Na, dann ham wa verloren.“ Er stellte das Glas zurück. Mein Kumpel nahm einen Schluck.

„Jetze jeht det nich mehr.“ Manni klopfte sich auf den Bauch. „Cholesterin.“

„Deswegen jetzt inkognito?“

Manni nickte.

* * *

15.45 Uhr. Manni zapfte mir noch eins. Das Bier meines Kumpels war noch halbvoll. Der redete und redete und war schon wieder auf dem Parkplatz von IKEA. „Dieses lila Auto, ich meine, jetzt mal ehrlich, wer fährt schon ein lila Auto?!“

„Nur eener aus Charlottenburg.“ Als wir Manni fragend ansahen, ergänzte er: „Tennis Borussia – die Weicheier aus’m Westend.“

„Ich denk‘, die Hertha ist aus Charlottenburg?“ Wieder nahm Manni meinem Kumpel das Bier weg und stach mit dem Zeigefinger auf dessen Brust. Bei jedem Wort.

„Die Hertha wurde auf ‘ner Parkbank auf’m Arkonaplatz gegründet. Det weiß doch jeder. Und jespielt ham wa hier um die Ecke, an der Plumpe am Jesundbrunnen. Bis 1963.“

Die Tür ging auf. Ein Mann mit einer Hertha-Fahne kam herein. Die spielten heute gegen die Bayern.

„Raus!“, rief Manni.

„Sachte, sachte, Manni. Das ist hier ein freies Land!“, sagte der Typ.

„Dann stell‘ den Lappen da hinten inne Ecke. Und erzähl‘ mir ja nich, wie es steht!“

Mein Kumpel und ich, wir beobachteten, wie der Typ die Fahne abstellte. Dann kam er an den Tresen und nickte uns zu. „Ha, die beiden Eintracht-Fans. Na, mal wieder am Leiden?“

Manni stellte ihm ein Bier vor die Nase. Der Typ schaute auf sein Mobiltelefon und grinste. Wir schauten ihn an. Er sagte nichts. Absolut nichts. 16 Uhr.

* * *

Halbzeit. In dem Pissoir hing eins dieser Plastiktore. Man konnte gegen einen baumelnden Ball pinkeln. Ich dachte an Alex Meier und traf aus allen Winkeln. Bald wäre er weg. In die USA wollte er gehen. Wieder eine Ära zu Ende. Eigentlich schade.

* * *

16.35 Uhr.

„Haha“, machte der Typ am Tresen, „jetzt wird’s knapp für die Eintracht!“

Manni schüttelte den Kopf und nahm ihn sein Glas weg. Er zeigte auf uns. „Du weißt janz jenau, dass die beiden nix davon hören wollen.“

„Gib mir mein Bier wieder!“

„Erst wennde dein Handy ausschaltest.“

„Ich kann machen, was ich will! Das hier ist ein freies Land.“

„Du wiederholst dir. Und ick kann mir aussuchen, wem ich wat zu trinken gebe.“

„Kannst mich mal“, sagte der Typ, „lässt hier zwei Eintracht-Fans rein und mich schmeisste raus? Kannste haben.“ Er klopfte aufs Tresenholz und packte seine Kippen ein. Und dann ging er. Ohne zu zahlen. Wir sahen den Wirt an. Der zuckte nur mit den Schultern.

„Morgen isser wieder da.“

Dann zapfte er uns noch zwei.

* * *

Um 16.45 Uhr hielt ich es nicht mehr aus. Hätte ich mein Telefon gehabt – ja, ich hätte es angeschaltet. Noch eine halbe Stunde und ich malte mir alles Mögliche aus. Wahrscheinlich stand es schon 2:0 für Ingolstadt, Alex Meier hatten sie bestimmt ausgewechselt und Nico Kovac auf die Tribüne geschickt – ich wollte das alles gar nicht wissen!

„Wir steigen sowieso ab“, murmelte ich und nahm einen tiefen Schluck.

„Alex Meier…“

„Jetzt lass‘ das doch mal“, sagte ich zu meinem Kumpel.

„Na wenn du so’n Blödsinn erzählst“, sagte mein Kumpel. „Wir sind Dritter und haben 35 Punkte. Und das nach 20 Spieltagen. Besser geht’s kaum.“

„35 Punkte – was heißt das schon? 40 braucht man, um definitiv nicht abzusteigen. Das weiß doch jeder. Fehlen also noch fünf. Und wenn wir weiter so schlecht spielen, überholen uns noch die Darmstädter.“

„Da ist ja jetzt der Frings Trainer.“

Ich nickte. „Der Lutscher. War doch sein Spitzname, oder?“

Mein Kumpel nickte. „So hat der Andi Herzog ihn genannt. Und in Würselen ist er geboren, der Frings. Wie der Martin Schulz.“

„Was du alles weißt“, sagte ich, „aber das macht es auch nicht besser.“ Ich schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten.

„Noch ’n Bier“, fragte Manni. Wir nickten.

* * *

„Darf ick euch mal wat fragen“, fragte unser Wirt um Punkt 17 Uhr.

„Hast du doch jetzt.“ Mein Kumpel kicherte. Ich stupste ihn an. Mit Wirten sollte man sich gut stellen. Ich dachte an den Hertha-Fan.

„Warum seid ihr Eintracht-Fans eigentlich immer so pessimistisch? Da spielt ihr die beste Hinrunde seit Jahren und glaubt trotzdem, dass ihr absteigt.“

„Ich nicht“, sagte mein Kumpel.

„Weil es schon mal so war“, erklärte ich, „2010/2011. Die Rückrunde der Schande. Wir hatten in der Hinrunde 26 Punkte. Wir waren so gut wie lange nicht mehr. Und weißt du, was der Bruchhagen, unser Präsident, dann gesagt hat?“ Ich verstellte meine Stimme. „Wir sind Siebter, und es wäre dumm, wenn wir nicht versuchen würden, Fünfter zu werden. Absteigen können wir nicht mehr.‘ Wir alle haben ihm geglaubt.“

Ich holte kurz Luft und brüllte „Der OFC fährt nur nach Baunatal!“ Das half manchmal. Manni stellte mir ein neues Bier hin.

„Und dann kamen nur noch acht Punkte dazu: Abstieg.“ Ich schaute meinen Kumpel wissend an. „Die Eintracht ist in der Rückrunde immer schlechter als in der Hinrunde. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Bei der Eintracht ist immer alles möglich. Die Eintracht ist ‘ne Diva.“

„Jaja, ewig grüßt das Murmeltier.“ Aber mein Kumpel musste mir Recht geben. Das war Tatsache. Den Spielern gehen in der Rückrunde die Kräfte aus, hieß es dann immer von den Trainern, und das waren nicht wenige gewesen in den letzten Jahren. Trotzdem schüttelte mein Kumpel den Kopf. „Kannst ja Hertha-Fan werden, wenn‘s dich stört.“

Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Bierglas und rülpste. „Schult heiß ick, Schultheis trink‘ ick!“

„Na, det klappt doch schon janz jut“, sagte Manni und zapfte mir noch eins.

* * *

„Vielleicht werd‘ ich auch einfach Bayern-Fan“, sagte ich wahrscheinlich um 17.10 Uhr. Ich konnte die Uhr nicht mehr so gut sehen. „Steht doch eh schon am ersten Spieltag fest, wer Meister wird.“

„Eh“, wiederholte Manni, „und man kann nüscht dajegen tun.“

„Doch, man kann“, sagte mein Kumpel, „ist ganz einfach. Jeder Spieler bekommt ab sofort in jedem Verein das gleiche Geld. Dann ist’s so ‘nem Robben egal, ob er bei Dortmund, bei den Bayern oder in Ingolstadt spielt.“

„Oder bei der Eintracht“, meinte Manni.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich will nicht, dass Robben bei der Eintracht spielt.“

„Och, ich hab‘ den ganz gern“, sagte mein Kumpel.

„Noch ’n Bier“, fragte Manni. Wir nickten.

* * *

17.15 Uhr? Wahrscheinlich. Noch ein paar Minuten Nachspielzeit. Dann wäre das Spiel gegen Ingolstadt zu Ende. Ingolstadt – direkter Konkurrent im Abstiegskampf.

„Theoretisch kann Darmstadt am Ende 54 Punkte haben. Europa-League.“

„Mann, du bist echt so ein Pessimist“, sagte mein Kumpel.

„Nein, ich bin Eintracht-Fan“, antwortete ich, „und wisst ihr, was ich jetzt mache? Ich lass‘ mein Handy bei dir, Manni. Morgen bleibe ich dann den ganzen Tag im Bett und am Montagfrüh hol‘ ich die Frankfurter Rundschau aus dem Briefkasten. Und erst dann lese ich, wie wir gespielt haben. Das erhöht die Chancen.“

„Geil“, sagte mein Kumpel und auch Manni war beeindruckt.

„Aber das hältste nicht durch“, meinte mein Kumpel.

„Wetten?“

„Da weeß ick noch wat besseret“, meinte Manni, „du bestellst deine komische Zeitung janz ab, verschenkst Fernseher und Radio, jehst offline und redest mit niemandem mehr. Lass‘ dir krankschreiben. Und am Montag nach dem 34. Spieltag holste dir ‘ne Zeitung und dann weißte, ob deine Eintracht abjestiegen ist oder nich.“

„Noch geiler“, sagte mein Kumpel, „und ich ruf‘ dich auch nicht mehr an.“

„Saucool“, sagte ich, „genauso mache ich’s.“

„Jetzt ist aber mal ‘ne Runde fällig“, murmelte der Wirt und schenkte drei Schnapsgläser voll.

„Aber eigentlich brauch‘ ich nie wieder ‘ne Zeitung lesen. Wenn die Eintracht sowieso absteigt.“

„Oh, Mann“ sagte mein Kumpel. Manni stellte die Gläser auf den Tresen. Der Hertha-Fan kam wieder rein, grinste uns an, ging in die Ecke und schnappte sich seine Fahne.

„2 zu 1“, rief er und flitzte hinaus.

„Scheiße, für wen“, schrie ich ihm hinterher.

„Stößchen“, sagte Manni.

 


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Martin Schult

Martin Schult

Martin Schult, Jahrgang 1967, studierte Afrikanistik und Ethnologie in Frankfurt und Berlin. Nach mehreren Aufenthalten in West- und Ostafrika und Lehrtätigkeiten in Berlin und Zürich, arbeitet er seit 2004 beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Er ist der stellvertretende Leiter des Berliner Büros und betreut den Friedenspreis. Martin Schult lebt mit seiner Familie in Berlin.

Foto: © Nadine Städtner

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