Erhard Eppler: „Waffenruhe nutzen“

Kurz vor den ukrainischen Parlamentswahlen bleibt die Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine brüchig. Dennoch versuchen beide Seiten, sich langsam zu anzunähern. Der ukrainische Präsident Poroschenko verspricht sich von den Wahlen mehr innenpolitische Stabilität, doch für eine gefestigte Position innerhalb Europas muss sich die ukrainische Regierung auch um diplomatische Beziehungen zu Russland bemühen, meint Erhard Eppler.

von Erhard Eppler

 

Das Thema Ukraine bestimmt nicht mehr die Schlagzeilen. Geschossen wird nur noch selten. Aber der Propagandakrieg dauert an. In Russland deftig und plump, im Westen raffiniert, aber nicht weniger wirksam. Wenn ein Mann wie Hans-Dietrich Genscher, der für fast zwei Jahrzehnte deutscher Außenpolitik die Verantwortung trug, sich mit der Bemerkung zu Wort meldet, der russische Präsident Putin sei nach seinem persönlichen Eindruck ein ziemlich normaler, vernünftiger Mensch, dann ist das für fast alle deutschen Zeitungen keinen Einspalter wert, und ein Journalist, der zeitweise Chefredakteur der ZEIT war, darf, ohne dass es einen Aufschrei gibt, Genschers Meinung als die eines alten Trottels abtun, der die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehmen und verstehen kann. Das wäre noch vor einem Jahr nicht denkbar gewesen.

Immerhin Zeit für eine nüchterne Bilanz.
Die Ukraine, in der sich gegenwärtig die Parteien im Wahlkampf in antirussischem Nationalismus überbieten, ist ökonomisch und finanziell so heruntergekommen, dass weder die europäische Union noch Russland alleine in der Lage sein werden, dieses riesige Land zu sanieren. Nur gemeinsam könnten sie es schaffen. Wer die Ukraine so aufrüsten will, dass sie Russland militärisch gewachsen wäre, und dazu wie Ministerpräsident Jazenjuk eine durchgehende Mauer entlang der Grenze zu Russland bauen möchte, könnte dies alles nur mit fremdem Geld tun. Für die Europäische Union wäre dies ein Griechenland multipliziert mit zwanzig. Und da hört, auch bei Frau Merkel, die Freundschaft auf.

Also wird früher oder später die Einsicht unvermeidbar, dass die Europäische Union sich mit Russland verständigen muss. Dabei wird eine ukrainische Regierung zwar mitreden, aber nicht die Bedingungen diktieren können.

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© Claude Truong-Ngoc/Wikimedia Commons

Henry Kissinger, ein Mann, dem man politische Sentimentalität nicht vorwerfen kann, hat schon vor Jahren gesehen, dass es ökonomisch und politisch durchaus möglich ist, die Ukraine an die EU heranzuführen, wenn militärisch klar ist, dass die Ukraine nicht der NATO beitritt.

Wer eine Ukraine in der NATO sehen will, ohne dass diese NATO ein ganz neues Verhältnis zu Russland findet, muss mit einem Russland rechnen, das eine Gesundung des NATO-Mitglieds bremsen, ja verhindern kann. Wer es gut mit den Menschen in der Ukraine meint, gerade auch mit denen im Westen des Landes, muss eine Verständigung zwischen Russland und der EU wollen und suchen. Dabei geht es auch um die Sicherheit aller Beteiligten – allerdings ohne eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.

Hätte man diese Verständigung schon vor einem Jahr angestrebt, sie wäre sehr viel leichter gewesen als heute. Aber man tat so, als gäbe es dieses Russland gar nicht. Jetzt wissen wir: Es gibt diese „regionale Großmacht“, um es mit Obamas Worten zu sagen.

Seit Russland in der europäischen Politik mitspielt, seit immerhin 300 Jahren, war es immer etwas autokratischer als Mitteleuropa. Während das Königreich Preußen schon so etwas wie ein Rechtsstaat war, galt in Moskau fast nur der Wille des Zaren. Später der Lenins und Stalins. Stalin besiegte Hitler, als dieser Russland erobern und versklaven wollte. Was Russland – und die Ukraine – damals erleiden mussten, ist den Deutschen nie klar geworden, da der Kalte Krieg die Aufklärung darüber verhinderte. Deshalb fällt uns auch eine Attitüde moralischer Überlegenheit allzu leicht. Trotzdem konnten Helmut Kohl und Boris Jelzin miteinander in die Sauna gehen, Gerhard Schröder und Wladimir Putin mit dem Schlitten spazieren fahren. Die Russen haben sich gefreut – und die Deutschen auch.

Sicher, die „gelenkte Demokratie“ Putins wollen wir nicht. Wieder hinkt Russland, was Demokratie angeht, dem Westen hinterher. Aber wer dies ändern will, darf Russland nicht isolieren und im eigenen Saft schmoren lassen, sondern muss so viele Kontakte zum Westen schaffen wie irgend möglich: Russische Studenten und natürlich Studentinnen in Paris, Mailand oder Göttingen, deutsche in St. Petersburg. Orchester, Theater und alle denkbaren Sportarten können dafür sorgen, dass Russland freier wird. Sanktionen hingegen bewirken genau das Gegenteil.

Dass Russen und Deutsche sich als Partner, ja als Freunde begegnen können, haben Helmut Kohl und Gerhard Schröder bewiesen. Jetzt trennt uns der Konflikt um die Ukraine. Er ist – wie alle sagen – militärisch nicht zu überwinden, nur politisch, diplomatisch. Dabei soll die Ukraine nicht unter die Räder kommen. Aber es muss auch klar sein: Über das deutsch – russische, das französisch – russische oder das italienisch – russische Verhältnis wird in Berlin und Moskau, in Paris und Moskau, in Rom und Moskau, allenfalls auch in Brüssel und Moskau entschieden. Nicht in Kiew.

Die seit 25 Jahren unabhängige Ukraine ist kein stabiler, sondern ein instabiler, bestenfalls ein werdender Staat. Sie hat bisher auch noch keine politische Kultur ausgebildet. Davon zeugen die Prügeleien im Parlament ebenso wie die unklaren Kompetenzen zwischen Präsident und Ministerpräsident: Während Jazenjuk verkündet, zwischen Russland und der Ukraine herrsche Kriegszustand, telefoniert Poroschenko mit Putin.

Das bedeutet nicht, dass wir der Ukraine nicht helfen sollten, ein funktionierender, lebensfähiger Staat zu werden. Aber zum Hass auf alles Russische, der jetzt den Wahlkampf in der Ukraine bestimmt, sind wir dadurch nicht verpflichtet. Russland gehört, wie die Ukraine, zu Europa. Und Europa braucht ein gedeihliches Verhältnis zu Russland.

Putin hat auf die letzten Sanktionen bis heute nicht mit Gegensanktionen geantwortet. Außenminister Lawrow hat deutlich gemacht, dass Russland mit sich reden lassen will. Jetzt kommt die Stunde der Diplomaten. Nutzen wir sie, ehe wieder geschossen wird.


 

Erhard Eppler

Erhard Eppler

Erhard Eppler, geboren 1926 in Ulm, Mitbegründer der Gesamtdeutschen Volkspartei, hatte in den 1970er und 1980er Jahren diverse Führungsämter in der SPD inne und war von 1968 bis 1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, von 1961 bis 1976 Abgeordneter im Bundestag, danach bis 1982 im baden-württembergischen Landtag. Im Januar 2015 wurde ihm die Ehrenbürgerwürde der Stadt Schwäbisch Hall verliehen. Sein Buch Links leben. Erinnerungen eines Wertkonservativen ist am 23.10. bei Propyläen erschienen.

Foto: © Jörg Hüster

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Ein Kommentar

  1. […] Erhard Eppler: „Waffenruhe nutzen“ Kurz vor den ukrainischen Parlamentswahlen bleibt die Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine brüchig. Dennoch versuchen beide Seiten, sich langsam zu anzunähern. Der ukrainische Präsident Poroschenko verspricht sich von den Wahlen mehr innenpolitische Stabilität, doch für eine gefestigte Position innerhalb Europas muss sich die ukrainische Regierung auch um diplomatische Beziehungen zu Russland bemühen, meint Erhard Eppler. Die Ukraine, in der sich gegenwärtig die Parteien im Wahlkampf in antirussischem Nationalismus überbieten, ist ökonomisch und finanziell so heruntergekommen, dass weder die europäische Union noch Russland alleine in der Lage sein werden, dieses riesige Land zu sanieren. Nur gemeinsam könnten sie es schaffen. Wer die Ukraine so aufrüsten will, dass sie Russland militärisch gewachsen wäre, und dazu wie Ministerpräsident Jazenjuk eine durchgehende Mauer entlang der Grenze zu Russland bauen möchte, könnte dies alles nur mit fremdem Geld tun. Für die Europäische Union wäre dies ein Griechenland multipliziert mit zwanzig. Und da hört, auch bei Frau Merkel, die Freundschaft auf. Also wird früher oder später die Einsicht unvermeidbar, dass die Europäische Union sich mit Russland verständigen muss. Dabei wird eine ukrainische Regierung zwar mitreden, aber nicht die Bedingungen diktieren können. Quelle: resonanzboden-blog […]

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