Am 17. September 2016 jähren sich die rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda zum 25. Mal und als politischer Künstler hat Schorsch Kamerun diese Zeit damals hautnah miterlebt. Was hat sich seitdem verändert? Und hat sich überhaupt etwas getan? Mit seiner Lektorin Maria Barankow hat Kamerun über damals und heute gesprochen.
Schorsch Kamerun im Gespräch mit Ullstein-Lektorin Maria Barankow
Bahnhof Hoyerswerda (Foto: IngolfBLN via Flickr, CC BY-SA 2.0)
Am 17. September 2016 jähren sich die rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda zum 25. Mal. Wie hast du diese Zeit damals erlebt?
Tatsächlich war das schon so eine Zeit, in der sich ein Gefühl häufte, das ungemütliche Gefühl nämlich, von einem „Deutschland – wir sind wieder wer“. 1990 wurde Alemannia – denkbar kurz nach der Wiedervereinigung – Fußballweltmeister und anscheinend entlud sich ein bestimmtes Bedürfnis von nationalem Vorzeigebewusstsein, plötzlich war überall Schwarz, Rot, Gold, soweit das Auge reicht. Wo die auf einmal alle herkamen – inklusive beträchtlicher Reichskriegsfahnen. Und es war so, dass in Hamburg Läden überfallen wurden, Dönerläden usw., noch während der WM. Mir ist das als ein sich ausbreitendes Bedrohungsszenario in Erinnerung und wir haben dann eine Tournee organisiert um dem entgegenzuwirken: „Etwas Besseres als die Nation“, hieß das, wo unter anderem unsere Band, also Die Goldenen Zitronen, Blumfeld, die Absoluten Beginner und auch mehrere ostdeutsche Gruppen mitfuhren – es war wie ein Reflex, weil wir alle das Gefühl hatten, wir müssten die Räume schützen, in denen wir selbst immer stattfanden, Kultur- und Jugendzentren usw. Tatsächlich gab es schon damals ein Ansinnen auf „National befreite Zonen“, also Gebiete, wo nur Deutsche sich aufhielten, befreit von allem „Anderen”, von denen es ja jetzt faktisch einige gibt.
1992 gab es dann eine ganze Reihe von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, u.a. in Rostock-Lichtenhagen. Ihr habt damals mit den Golden Zitronen mit der Platte Das bisschen Totschlag darauf reagiert. Warum war das aus eurer Sicht notwendig? Und welche Reaktionen habt ihr erfahren?
Wir haben versucht, in unseren Texten die Ereignisse quasi journalistisch zu beschreiben, um möglichst ungewertet zu erzählen, wie das sogenannte Volk reagiert, inklusive Lichterketten. In Wahrheit war Rostock-Lichtenhagen aber trotz allem bereits Geschehenem eine Art Einschnitt, weil es offensichtlich so geschah, dass auch die Leute, die nicht aktiv teilnahmen trotzdem den rassistischen Mob guthießen, ihn beschützten und „sichtbar wegschauten”. Und auch, dass die sogenannte Staatsmacht nicht wirklich eingriff, sondern einfach zuließ – also dass die, die Verantwortung trugen für die angegriffenen Menschen, einfach erstmal gar nicht so das Interesse hatten, was gegen die Schläger und Brandstifter zu unternehmen. Das war schon eine Zäsur. Wir selbst sind dann auch richtig überfallen worden, mit Schusslöchern in der Windschutzscheibe, als wir nach Hoyerswerda fuhren, um dort aufzutreten. Trotzdem, wir alle kannten vergleichbare Dinge bereits seit den frühen 80ern, also Attacken auf Andersaussehende und Andersdenkende, das wird schnell vergessen, jetzt wo, scheinbar aufgeschreckt, ganz viel über extreme Stimmungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen oder sonstwoher geschrieben wird – alles nichts Neues. Schon als Teenager in den Spätsiebzigern war das so, dass man auch in Kneipen, in Fußballstadien, bei Fangruppen usw., immer präsent hatte, dass es dort Neonazis gibt. Das – scheinbar – wiederkehrende Phänomen wird nur medial alle paar Jahre wie in modischen Wellenbewegungen wahrgenommen – wirklich vorhanden ist es aber permanent. Deswegen haben wir uns Anfang der 90er auch nicht so sehr darüber gewundert. Wir wussten auch, dass es in der DDR Neonazis gab, auch bei Fußballanhängern zum Beispiel, das war jetzt nicht so, dass man dachte, „Ach du liebe Güte, wo kommen denn die auf einmal her?”
Auch in deinem Buch beschreibst du die Jagd auf Andersartige, in eurem Fall die Jagd auf Punks. „Auf die Fresse war Alltag“, heißt es da. Was sind deiner Meinung nach die Gründe für den immer wieder aufflammenden Hass gegen das Fremde im Allgemeinen?
Ja, man wundert sich. Es scheint Leute zu geben, die wollen eigentlich nur ausschließlich das, was sie selbst gut kennen und alles andere gehört ausgeschlossen oder besser gleich ganz vernichtet. Hier scheinen tiefe Frustrationen in Schuldzuweisungen gegen Andere umwandelt zu werden, heißt, wenn irgendetwas bei mir nicht richtig läuft, suche ich nach Schuldigen und das ist im bequemsten Fall das von außen Kommende, das pauschal Fremde, also nicht „zu mir” Dazugehörige.
Heute brennen wieder Flüchtlingsunterkünfte, im letzten Sommer hörte man fast täglich solche Meldungen. Würdest du sagen, 25 Jahre später hat sich in unserer Gesellschaft nichts verbessert?
Also mir kommt es wirklich so vor. Es ist ja auch nicht so, dass man jetzt sagen kann, dass zwischendurch mal irgendwas ruhig war – das stimmt einfach nicht. Wenn man das genauer verfolgt hat, ist es ja so, dass jedes verdammte Wochenende Leute überfallen worden sind, ganz egal, ob sie zum Beispiel Vietnamesen waren, die früher in Ostdeutschland Vertragsarbeiter waren, oder ob Punker überfallen wurden etc. Das hat 0,0 aufgehört. Und auch ein NSU darf nicht wirklich verwundern, denn wer ein bisschen genauer zuhört und zusieht, der weiß auch, dass im Erzgebirge Leute Hausbesuche bekommen, nachts in ihren Wohnungen überfallen werden usw. So geht das immer fort und dann, zum Beispiel jetzt, wo Wahlen waren in Mecklenburg-Vorpommern, da gibt es dann viel Solidarität, Künstlerauftritte und große Berichterstattung, wo doch eigentlich klar sein sollte, dass das schon jahrzehntelang so geht und geht und gehen wird, wenn da nicht ein Kreislauf durchbrochen wird. Sonst sitzen wir in 25 Jahren wieder mit denselben entsetzten Gesichtern da.
Auffällig im Moment sind allerdings die zusätzlichen populistischen Vergrößerungen, weiter in die politische Mitte hinein, wenn plötzlich nicht nur eine NPD da ist, sondern auch noch eine AfD, die ersteren ironischerweise auch noch die Wähler wegnehmen. Auch vor zehn Jahren, als ich einmal durchs gesamte Mecklenburg-Vorpommern gefahren bin, während dort ebenfalls Wahlen waren, war das schon sehr besonders, dass man gefühlt ausschließlich NPD-Plakate gesehen hat, mit den entsprechenden Inhalten. In Sachsen ist es zwischendurch auch nicht lustiger geworden und in allen anderen Bundesländern, das ist kein Geheimnis, ist alles genauso vorhanden.
Das Buch
Horsti wird Profi im Überlisten von Cheftypen. Immer geschickter bastelt er an dadaistischen Täuschungskonzepten, verweigert den Wehrdienst und flieht in die Großstadt. „Gemeinsam sind wir stark!” Zwischen letzten bürgerfeindlichen Stadtteilen und selbst geschaffenen Strukturen suchen die „genialen Dilettanten” nach einer kollektiven Haltung. Gegenkultur, „penniless jetset”, Anti-Kunst und ganz viel schlecht mitsingbare Musik. In ihrer Angriffslust steckt die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, nach Scheißebauen und lebenswerten Utopien. Und dann die Reibung an den Institutionen: Horsti inszeniert Opern, lernt alles kennen, was in der Welt der Hochkultur Rang und Namen behauptet – und bleibt Aktivist und Zweifler. Am Ende erkennt er, dass all die Widersprüche Teil seines Lebens geworden sind.
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Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
Die offizielle Website von Schorsch Kamerun
Die offizielle Website der Goldenen Zitronen