Christian Peter Dogs: „Was hilft es mir, zu wissen, warum ich gestört bin?“

Christian Peter Dogs ist der einzige Klinik-Leiter in Deutschland, der seinen Patienten die freie Wahl des Therapeuten überlässt. Darüber hinaus positioniert er sich deutlich als Kritiker verbreiteter Therapieansätze wie der Vergangenheitsbewältigung. Warum die therapeutische Szene endlich aufwachen muss und wir vor allem Therapeuten mit Humor brauchen, erzählt der anerkannte Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatik im Interview. 

 


Foto: Susi Donner

 

Wie würden Sie Ihre Lebensphilosophie in drei Sätzen beschreiben?

Ich musste von Kindheit an viel riskieren und hatte nie ein Netz, das mich auffängt. Dies hat mich mit einem gewissen Fatalismus und einer großen Gelassenheit versehen. Ich wusste  immer: entweder du schaffst das oder du bist weg.

Darüber hinaus bin ich sehr direkt und gerne auch konfliktfreudig: Wo andere sich drücken, gehe ich erst recht hinein. Heinz Riesenhuber sagte einst: „Wer sein Leben so anlegt, dass er niemals auf die Schnauze fallen kann, der kann nur auf dem Bauch kriechen.“

Ich mag keine Krawatten, die mir den Hals zuschnüren und bin nicht gut in oberflächlichen Gesprächen. Ich ökonomisiere meine Zeit und verschwende sie nicht mit Menschen, die mich langweilen – oder die ich langweile. Das führt gelegentlich dazu, dass ich bei bestimmten Einladungen einfach aufstehe und mich verabschiede, wenn ich es zu blöd finde. Dies hat wiederum zur Folge, dass ich kaum noch irgendwohin eingeladen werde, aber das kommt meiner introvertierten Art eigentlich ganz entgegen.

Sie haben in Ihrer Kindheit und Jugend psychische und körperliche Gewalt erlebt. Wie glauben Sie, hat dies Ihre Einstellung zum Menschen und die Herangehensweise bei Ihrer Arbeit geprägt?

Die Erfahrungen, die ich damals machen musste, haben mich in zweierlei Hinsicht geprägt: Ich bin ein unverbesserlicher Optimist und sehe oft noch Lösungen, wo andere schon lange verzagen. Ich bin schon fast pathologisch gut gelaunt, weil ich so froh und dankbar für mein jetziges Leben bin. Dieser Positivismus ist sehr wichtig für die Beziehung zu meinen – oft depressiven – Patienten, denn ich vermittle Hoffnung, dass ich dort helfen kann, wo andere resigniert haben. Nicht alles ist gleich ein großes Trauma und pathologisch.

Sie gehen hart mit der am weitesten verbreiteten Therapieform ins Gericht, die in Deutschland von den Krankenkassen bezahlt wird – der Psychoanalyse. Warum?

Glücklicherweise ist nicht die Psychoanalyse am weitesten verbreitet, sondern die Verhaltenstherapie. Die Psychoanalytiker sterben langsam aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Die sogenannte tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die sich aus der Theorie der Analyse entwickelt hat, ist dagegen dabei, sich als Gegengewicht zur VT aufzubauen.

Ich selbst habe eigentlich nur aufgegriffen, was Professor Grawe schon 1994 in seinem Buch „Psychotherapie im Wandel“ veröffentlicht hat. Grawe war ein großer Psychotherapieforscher, der damals schon formulierte, dass die Psychoanalyse jene Therapieform ist, die am meisten kostet, am längsten dauert und am wenigsten bringt.

An der Psychoanalyse stört mich vor allem, dass sich die Vergangenheitsbewältigung immer nur auf das Negative fokussiert und die Patienten dadurch zusätzlich gestresst werden. Ich habe es zudem nicht selten erlebt, dass Therapeuten ein Trauma konstruieren, im Sinne von: „da muss etwas gewesen sein.“ Ich habe sogar schon mitbekommen, wie Patienten ein Missbrauch regelrecht eingeredet wurde. Auf die Weise kommen sie verstörter aus einer Therapie heraus als sie ursprünglich hineingegangen sind.

Ich bin schon fast pathologisch gut gelaunt, weil ich so froh und dankbar für mein jetziges Leben bin.

Der Sinn einer Behandlung darf nicht darin liegen, immer wieder alte Wunden aufzureißen und neue hinzuzufügen. Jemand, der halbwegs etwas von der Hirnforschung versteht, weiß, dass dadurch Strukturen des Hippocampus regelrecht geschädigt werden. So etwas ärgert mich wirklich: kranke Menschen verbringen jahrelang sinnlos Zeit in der Analyse, während man ihnen mit anderen therapeutischen Ansätzen gut helfen könnte.

Und dann diese ewige Frage nach dem „Warum bin ich so?“. Die bringt uns nicht weiter, ist aber in therapeutischen Kreisen seuchenartig verbreitet. Was hilft es mir, wenn ich weiß, warum ich so gestört bin? Das beseitigt meine Störung nicht, da hat Freud sich geirrt. Es zu wissen, macht mich höchstens immer komplizierter.

Aus der Hirnforschung wissen wir außerdem, dass die Persönlichkeit, der Charakter und das Temperament eines Menschen mit spätestens 12 Jahre ausdifferenziert ist und sich dann nur noch sehr schwer verändern lässt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir lernen uns so zu akzeptieren, wie wir sind und dann versuchen das Beste daraus zu machen, statt uns immer wieder zu hinterfragen. Die Vergangenheitsbewältigung ist davon abgesehen kein geeignetes Therapieverfahren, da wir aus der Erinnerungsforschung wissen, dass Erinnerungen immer eingefärbt werden. Das geht soweit, dass bekannte Forscher sagen: Trau nie deinen eigenen Erinnerungen, sie sind oft verfälscht. Also bringt es wenig, mit alten Traumata zu arbeiten, wenn man gar nicht weiß, ob sie überhaupt passiert sind. Es kann sich um sogenannte Pseudoerinnerungen handeln.

Wie sollte die Therapie stattdessen aussehen?

Eine Therapie sollte gegenwartsorientiert sein. Es ist die Art und Weise, wie ich jetzt und in den letzten Jahren gelebt habe, die mich krank gemacht hat. Vergangenheit ist vergangen, deshalb heißt sie so. Der berühmte Architekt Frank Lloyd Wright fuhr seine Autos immer ohne Rückspiegel, weil er sagte: „Was interessiert mich das, was hinter mir liegt.“ Es gibt auch Dinge, die will das Gehirn gar nicht mehr erinnern. Verdrängung kann durchaus ein gesunder Prozess sein.

Vergangenheit ist vergangen, deshalb heißt sie so.

Wenn ich also die Biographie in das Therapieverfahren einbeziehe, dann konzentriere ich mich auf Fähigkeiten und Ressourcen und suche nach Lösungen, wie sich die Zukunft gestalten lässt. Die Zukunft kann der Patient schließlich verändern und so gestalten, dass er gesund werden kann.

Sowohl bei der Auswahl des Therapeuten als auch sonst im Leben räumen Sie der persönlichen Beziehung und der Bindung eine sehr wichtige Rolle ein. Warum?

Es ist meine tiefe Überzeugung, dass Psychotherapie das Leben der Menschen vereinfachen und nicht noch komplizierter machen soll. Grawe hat fünf Therapiegrundsätze formuliert, die mich in in dieser Überzeugung bestätigt haben:

  1. Beziehung
  2. Ressourcenaktivierung
  3. Problemaktualisierung
  4. Motivation
  5. Problembewältigung

Vieles, was er damals schon postulierte, hat sich inzwischen durch weitere Forschungen bestätigt. Gerade die Erkenntnis, dass Bindung das entscheidende Kriterium für den Erfolg der Therapie bedeutet. Und auch die Motivation von Therapeut und Patient ist entscheidend.

Selbst anerkannte Wissenschaftler und Kliniker veröffentlichen zunehmend die Bedeutung der Passung zwischen Patient und Therapeut, setzen es aber in Ihrer Klinik nicht um. Ich bin der einzige Kliniker in Deutschland der seit 1990 konsequent die freie Therapeutenwahl in allen Kliniken umgesetzt hat, die ich geleitet habe. Es ist irrsinnig: Wir wissen inzwischen so vieles, setzen es aber nicht um. Die therapeutische Szene ist eingeschlafen.

Was macht die freie Therapeutenwahl in Ihren Augen so wichtig?

Bindung ist alles. Wenn Sie kein Vertrauen haben, kann die beste Methode nicht greifen. Auch in anderen medizinischen Bereichen würde man nie zu einem Arzt gehen, den man nicht mag und zu dem man kein Vertrauen hat. Das ist so selbstverständlich, dass man sich immer wieder an den Kopf fassen muss, wenn man realisiert, dass es nicht in allen medizinischen Bereichen so funktioniert.

Es ist meine tiefe Überzeugung, dass Psychotherapie das Leben der Menschen vereinfachen und nicht noch komplizierter machen soll.

Aber es ist natürlich leicht erklärbar, warum viele meiner Kollegen dem Aspekt der freien Wahl keine Beachtung schenken. Dafür müsste man ja seine eigene Person und Bindungsfähigkeit in Frage stellen und sich eventuell zugestehen, dass man es selbst nicht bringt. Zu so viel Selbstkritik sind halt viele Therapeuten nicht in der Lage. Bisher ist es immer noch verbreitet, dass es am Patienten liegt, wenn die Beziehung scheitert. Es ist aber nicht Aufgabe des Patienten, den Zugang zum Therapeuten zu finden, sondern umgekehrt.

Gerade in einer Krisensituation, nach langer Wartezeit auf einen Termin, fällt es ja schwer, zu beurteilen, ob der Therapeut, dem man begegnet, auch wirklich der richtige ist. Soll man dann noch weitere Therapeuten, weitere Wartezeiten in Betracht ziehen? Oder wie kann man sicherstellen, dass man einen Therapeuten findet, der passt?

Bei der Beurteilung, ob der Therapeut zu einem passt, kann man sich zunächst sehr gut auf sein Bauchgefühl verlassen und sich die Fragen stellen, ob einem sein Gegenüber spontan sympathisch ist, seine Praxis eine gute Ausstrahlung hat und man sich gut aufgehoben fühlt.

Es geht im Wesentlichen darum, zu erkennen, dass der Therapeut einen Plan hat und nicht einfach planlos im Leben seiner Patienten herumstochert. Wenn ich als Patient nicht wenigstens nach ein paar Wochen weiß, was das soll und was der will, sollte ich kritisch werden. Ein guter Therapeut arbeitet transparent, bildet Hypothesen und ist aktiv beteiligt. Er beschränkt sich nicht auf ein wichtiges Gesicht, verstehendes Nicken und freundliches „Hmmm“.

In Anbetracht der langen Wartezeiten für einen Therapieplatz: Müsste es mehr Therapeuten in Deutschland geben?Oder ist es eher eine Frage anderer Behandlungsformen?

Es müsste nicht mehr Therapeuten geben, es müssten viel mehr die wirklich Kranken behandelt werden und nicht die, die wir mit Befindlichkeitsstörungen krank geredet haben und es so bequemer ist, ein paar Therapiestunden hinter sich zu bringen. Wenn wir diese Pseudopatienten aussortieren würden, hätten wir genug Therapieplätze.

Was wir also tatsächlich brauchen, sind authentische Therapeuten, die nicht bloß mit wissendem Blick ihr Lehrbuchwissen aufsagen, sondern die Freude und Optimismus ausstrahlen, in der festen Überzeugung helfen zu können, die lachen können, auch – und vor allem – über sich selbst.

 

Das Interview führte Juliane Junghans

 

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Das Buch 

Was psychische Leiden bedeuten, weiß Christian Peter Dogs, denn er hat als Kind und Jugendlicher unvorstellbare Gewalt und Vernachlässigung erlebt. Wie es trotzdem gelingen kann, ein zufriedenes Leben zu führen, beschreibt er in seinem Buch. Er erklärt, warum es so wichtig ist, unangenehme Gefühle und Warnsignale des Körpers frühzeitig ernst zu nehmen. Und er schildert, worauf es ankommt, wenn die Selbstheilungskräfte nicht mehr ausreichen und Hilfe von außen unverzichtbar ist: darauf nämlich, den richtigen Therapeuten zu finden – einen, der sich nicht nur auf die Probleme konzentriert, sondern dabei hilft, sich von der Vergangenheit zu lösen und das Heute positiv zu gestalten.

Co-Autorin von „Gefühle sind keine Krankheit“ ist die Reporterin Nina Poelchau, Jahrgang 1962. Sie arbeitet seit 2009  beim stern und schrieb davor unter anderem für das Süddeutsche Zeitung Magazin, das Deutsche Ärzteblatt, brand eins, Brigitte und Brigitte Woman. Nina Poelchau ist ausgebildet in Paartherapie und personenzentrierter Gesprächstherapie.

Links 

„Gefühle sind keine Krankheit“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage 

Die offizielle Website von Christian Peter Dogs

Christian Peter Dogs

Christian Peter Dogs

Christian Peter Dogs, Jahrgang 1953, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik. Seit 1985 arbeitet er als Arzt in verschiedenen psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken in Deutschland. 1994 gründete er zusammen mit Erwin und Gisela Obenaus die Panorama Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Naturheilverfahren und TCM in Scheidegg. Seit April 2017 ist er ärztlicher Direktor der psychosomatischen Abteilung der Max Grundig Klinik Bühlerhöhe.

Christian Peter Dogs ist Supervisor für tiefenpsychologisch fundierte Einzel- und Gruppentherapie sowie Lehrtherapeut der bayrischen Ärztekammer, Balintgruppenleiter und anerkannt für die Vermittlung der psychosomatischen Grundversorgung.

Foto: © Susi Donner

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