Steril, rücksichtslos, fremdbestimmt – die Autorin Nadine Wenger kann dem heutigen Normalfall, dem Gebären im Krankenhaus, nicht viel abgewinnen. Die erfahrene Mutter plädiert für die selbstbestimmte Geburt im eigenen Heim.
von Nadine Wenger
Alleingeburt. Ein Begriff geistert durch Medien und Foren, der die unterschiedlichsten Gefühle in Menschen hervorruft. Ein Begriff, der von vorherein polarisiert, ohne nachzusehen, was sich dahinter verbirgt. Doch was ist eine Alleingeburt und warum entschied gerade ich mich dafür?
Eine Alleingeburt ist die Geburt eines Kindes ohne medizinische Begleitung von einem Arzt oder einer Hebamme. Dass die Mutter dabei ganz alleine ist, muss nicht zwingend der Fall sein. Häufig ist der Partner dabei anwesend. In meinem Fall war es jedoch so, dass ich drei unserer vier Kinder tatsächlich ohne jegliche Hilfe von außen zur Welt brachte. Weshalb wählen Frauen diesen Weg?
Wenn Interventionen stattfinden, die schlussendlich im Kaiserschnitt enden, dann spricht man von ‚Normalität‘
Gerade in Deutschland wird es derzeit immer schwieriger, eine Hebamme für eine Hausgeburt zu finden. Immense Steigerungen der Haftpflichtprämien und die niedrigen Vergütungssätze der Krankenkassen zwingen viele Hebammen dazu, ihren Beruf aufzugeben. Was dabei verloren geht, ist die Selbstbestimmung der Frau zu entscheiden, wo sie ihr Kind zur Welt bringen möchte. Geburtshäuser und Hausgeburtshebammen schwinden, es bleibt nur noch die Option der Krankenhausgeburt. Oder doch nicht? Eine in unserer westlichen Kultur ungewöhnliche Variante ist die Entscheidung der werdenden Mutter, dennoch zu Hause zu bleiben und das Kind selber zu gebären: die Alleingeburt.
Ist dies tatsächlich so ungewöhnlich? Ist es nicht vielmehr eine Frage des Blickwinkels? Wenn Frauen, an Geräte angeschlossen, in einer sterilen Umgebung im Beisein von fremden Menschen dazu getrieben werden, innerhalb bestimmter Richtlinien, klar geregelten Zeitfenstern und Abläufen ihr Kind zu gebären; wenn dabei die Würde und der Respekt gegenüber der Frau und dem Kind verloren geht, wenn eingegriffen wird, Interventionen stattfinden, die schlussendlich im Kaiserschnitt enden, dann spricht man von ‚Normalität‘. Das ist der mittlerweile ganz normale Horror, der tagtäglich in jedem Krankenhaus stattfindet. Geschichten darüber kennen wir zu Genüge. Doch wo ist sie geblieben, die einfache, natürliche und freudvolle Geburtserfahrung? Ich habe sie für mich gefunden in Form meiner Alleingeburten.
Ich wusste, es gibt noch einen anderen Weg
Wie waren diese Erfahrungen? Nun, nachdem meine erste Geburtserfahrung im Geburtshaus nicht ganz meinen Vorstellungen entsprach, auch da eingegriffen wurde und ich in der Schlussphase unglaubliche Schmerzen erlebte, wusste ich, es gibt noch einen anderen Weg: einen Weg in Selbstbestimmtheit, in Ruhe, in Geborgenheit. Mit Vertrauen und Leichtigkeit, wenig Schmerzen, dafür umso mehr Glücksgefühlen und Liebe. Einen gemeinsamen Weg im inneren Dialog mit meinem Kind. Dafür suchte ich die Einfachheit – den Weg zurück zur Natur – und wählte unser eigenes Zuhause als entspannenden Wohlfühlort für die Geburt. Hier fühle ich mich geborgen und sicher, kann mir alles genauso einrichten, wie ich es mir wünsche, mit Musik oder der Unterstützung einer Hypnobirthing-CD, die mich in den tiefen Entspannungszustand versetzen. Düfte, Kerzen, Steine… Dinge, die mir dabei helfen, in meine innere Welt einzutauchen, um ganz bei mir und bei meinem Baby zu sein.
Niemanden dabei zu haben, der mich anspricht, der mich aus meiner Welt reißt. Niemanden, der mich beobachtet oder gar untersuchen will. Niemanden, der in irgendeiner Form irgendetwas von mir erwartet. Losgelöst von Zeit und Raum und gleichzeitig ganz zentriert bin ich in meiner Mitte. Das Bewusstsein ist absolut präsent und klar. Genau in diesem Zustand konnte ich mühelos und in unglaublich rascher Zeit, mit sehr wenig Schmerzen verbunden, unsere Kinder zur Welt bringen. Es ist ein Irrtum, dass Wehen lange und intensiv sein müssen, um effektive Geburtsarbeit leisten zu können. Bei mir waren sie jeweils sehr kurz und ich hatte jedes Mal sehr angenehme Pausen dazwischen. Es waren natürliche Wehen, kein Vergleich mit solchen, die durch künstliche Wehenmittel erzeugt werden. Wehen sind in diesem Zustand eher wie Wellen: Sie sind von einer natürlichen Urkraft, die uns Frauen durchfließt. Wenn ich mich diesen Wellen hingebe, nicht verkrampfe, nicht presse, sondern ruhig und tief atme, bin ich nicht in der Anspannung im Schmerz, sondern im Fluss meiner weiblichen Kraft.
Ich war gelassen und ganz in meiner Mitte
Bei meiner ersten Alleingeburt kniete ich im Geburtspool. Ich war gelassen und ganz bei mir und doch euphorisch und neugierig auf diese neue Art des Gebärens. Ich begann das Alleinsein zu genießen, die Kraft fließen zu lassen. Mein Körper arbeitete wunderbar, ich fühlte sofort, welches gerade die optimale Position war, wie ich mich bewegen und wie ich atmen sollte. Es war alles im Fluss, in einer Atmosphäre von Harmonie und Ruhe. Ich spürte die Wirkung der Glückshormone und fühlte mich ganz stark mit unserem Baby verbunden, sprach gedanklich mit ihm. Da war einfach Freude und Dankbarkeit über dieses Wunder, dieses Leben, welches gerade dabei war, geboren zu werden.
Ich hätte noch lange so verweilen können und dachte ehrlich gesagt auch, dass es so sein würde, denn anhand der kurzen Wehen und der Intensität glaubte ich, mir würden noch einige Stunden bevorstehen. Das war ein Irrtum, denn auf einmal ging alles ganz schnell. Dieser Moment aus vollkommener Überraschung und absoluter Freude hat sich mir nachhaltig eingeprägt. Die beiden Wellen, die danach folgten, waren nicht schmerzhaft, sondern einfach ein Gefühl von Urkraft, von Druck und Loslassen, unglaublich schön. Unser Sohn Elyah war geboren, nicht in irgendwelche fremden Hände hinein, sondern in meine eigenen. Was für ein Unterschied zur ersten Geburt im Geburtshaus.
Es sind die Interventionen und unnatürlichen Bedingungen, die Frauen und Kinder in Gefahr bringen
Mich durchströmte reine Liebe und Freude in solch hochkonzentrierter Form, wie ich es bis dahin in meinem Leben nur bei allen drei Alleingeburten erleben durfte.
Die nächste Alleingeburt steht bereits in ein paar Monaten bevor, unser fünftes Kind soll auf die gleiche Weise zur Welt kommen. Was für ein Geschenk, wenn der Beginn des Lebens in Freude und Liebe geschehen darf, wenn der Mensch mit diesen Gefühlen und Empfindungen geprägt wird, und das für den Rest seines Lebens.
Wie würde sich die ganze Gesellschaft wohl verändern, wenn viele Kinder auf solch einfache, natürliche und glückliche Weise zur Welt kämen?
Geburt ist nichts Gefährliches. Es sind die Interventionen und unnatürlichen Bedingungen, die Frauen und Kinder in Gefahr bringen. Geburt ist konzipiert als etwas Einfaches, Freudvolles, wenn wir nur verstehen, diesen Übergang in die Materie als Fest der Liebe zu feiern, in einer Umgebung und einer Weise, die diesem natürlichen Prozess würdig ist. In einer Weise, die Frauen und Babys mit Respekt und Achtung begegnet. Es steckt kein aktives Tun dahinter, sondern ein ehrfürchtiges Geschehen lassen.
Die Geburt ist ein Akt der Liebe. Sie ist Freude und Hingabe, ist Kreativität und pures Glück!
Weblinks
„Vom Glück der natürlichen Geburt” auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
[…] Das Glück in den eigenen Händen halten […]