Auf der Jagd nach Sugar Man

Sixto Rodriguez schuf zeitlose Songs – und verschwand. Craig Strydom und Stephen ‘Sugar’ Segerman machten sich auf die Suche. Die erstaunlichen Ergebnisse ihrer Recherchen haben die Autoren im Buch Sugar Man aufgeschrieben. Wir haben mit ihnen gesprochen und zeigen exklusive Fotos.

Ein Interview mit Craig Strydom und Stephen Segerman
aus dem Englischen von Daniele Raffaele Gambone

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Womit haben Sie und Ihr Partner Stephen ‘Sugar’ Segerman sich eigentlich die Zeit vertrieben, bevor Sie sich auf die Suche nach Sixto Rodriguez gemacht haben?

Um keinen Mangel an Brot und Prada-Kleidern zu leiden, habe ich meine Zeit größtenteils mit der Arbeit als Texter in der Werbebranche verbracht. Sugar widmet sich Tag für Tag seinem kultverdächtigen Plattenladen Mabu Vinyl, der auch im Film Searching for Sugar Man zu sehen ist. Er betreibt daneben die Webseite sugarman.org, die erste und einzige unabhängige Rodriguez-Homepage der Welt. Das tun wir auch immer noch, und wenn wir gerade nicht mit diesen Dingen beschäftigt sind, promoten Sugar and ich derzeit das Buch und geben Interviews wie dieses hier. Die gute Nachricht ist, dass unser Buch zwischenzeitlich neben dem Deutschen auch ins Schwedische, Spanische und Italienische übersetzt worden ist. In britischen und kanadischen Buchhandlungen kann man es ebenfalls finden.

Einem Zitat Malik Bendjellouls zufolge kennt man Rodriguez zu keinem Zeitpunkt besser als am Tag der ersten Begegnung mit ihm. Ich habe mich also gefragt, ob Ihr Eindruck von Rodriguez sich über die Jahre geändert hat – und wenn ja, wie?

Rodriguez ist ein extrem privater Mensch. Er ist wirklich sehr einsiedlerisch. Als Künstler ist er der Typ stiller Beobachter. Was er über die Welt zu sagen hat, kommt in seinen Songtexten zum Ausdruck. Sugar Man beschreibt, ganz im Sinne des erwähnten Zitats, die Schwierigkeiten, die sich dem Regisseur Malik Bendjelloul beim Dreh des Films stellten. Rodriguez zeigte sich am ersten Drehtag offen, aber je näher wir und die Kamera ihm kamen, umso mehr zog er sich zurück und umso weniger lernten wir ihn kennen.

Das ist eine Geschichte, die sich so wahrscheinlich nie wieder zutragen wird

Ihre Recherche begann zu einem Zeitpunkt, als die sozialen Medien noch kaum entwickelt waren.

Das ist eine Geschichte, die sich so wahrscheinlich nie wieder zutragen wird. Dafür gibt es viele Gründe. Als Sugar und ich unsere Suche begannen, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Also haben wir anfangs Musikmagazine, Nachschlagewerke und natürlich die Songtexte nach Hinweisen abgesucht. Sugar Man: The Life, Death and Resurrection of Sixto Rodriguez erzählt die ganze Geschichte unserer Bemühungen, Rodriguez im Vor-Internet-Zeitalter aufzuspüren. Das Buch widmet sich dabei auch jener Art von Detail, die im Film nicht berücksichtigt werden konnte.

Die anderen Faktoren, die diese Geschichte erst möglich gemacht haben, entspringen der Tatsache, dass Südafrika bei Beginn unserer Suche – und die längste Zeit unseres Lebens – eine abgeschottete Gesellschaft war. Wegen der Apartheid existierte ein Kulturboykott gegen das Land, sodass Informationen weder nach innen noch nach außen drangen. Außerdem war Südafrika in politischer Hinsicht eine Art „Polizeistaat“.

 

Wäre Ihre Recherche heutzutage leichter, und würde sie noch genauso viel Spaß machen?

Unsere Nachforschungen wären definitiv einfacher, aber weniger unterhaltsam. Informationen sind heutzutage allgegenwärtig und per Mausklick verfügbar. Wörter wie “googeln” gehören mittlerweile zum festen Sprachschatz. Die sogenannten Millennials können sich nicht an eine Zeit erinnern, als das noch anders war. Während wir die ursprüngliche Recherche auf traditionelle Weise durchführten, konnten wir beim Schreiben des Buches allerdings auf den Luxus des Internets zurückgreifen.

Rodriguez wird uns immer ein Rätsel bleiben

Wissen Sie, ob Rodriguez Tantiemen erhalten hat?

Rodriguez hat für die südafrikanischen Plattenverkäufe aus den ungefähr 25 Jahren, bevor wir ihn lebend gefunden haben, keine Tantiemen erhalten. Das Buch schildert detailliert, wie es möglich wurde, dass sie sich in Luft auflösen konnten. Seit der Veröffentlichung seiner Alben Cold Fact und Coming from Reality durch das Label Light in the Attic Records im Jahr 2006 erhält Rodriguez aber Tantiemen. Das gilt auch für die Einkünfte aus dem Soundtrack zu Searching for Sugar Man.VS_9783864930393_Segerman-Sugar-Man_U1.indd

Haben Sie das Mysterium Rodriguez während Ihrer Recherche etwas lüften können?

Ungeachtet dessen, was wir über Rodriguez, über seine Erziehung, seine Ehefrauen, seine politischen Bestrebungen und die Jahre seines Philosophiestudiums an der Universität in unserem Buch zusammengetragen haben, bleibt er noch immer ein Rätsel. 

 An welchem Punkt ist Ihnen die Größe Ihres Unterfangens bewusst geworden: die jahrelange Suche nach einer Ikone, ihre Wiederentdeckung, der Aufbau einer Plattform zum Austausch zwischen Fans und Idol und die fortdauernde Betreuung der Homepage?

Es hat ein bisschen gedauert, bis das volle Ausmaß dessen, was wir taten, greifbar wurde. Es hat sich schrittweise offenbart. Rodriguez zu finden, war eine erste Belohnung. Ihn lebend zu finden, war eine noch größere Belohnung. Seine Musik in Amerika veröffentlicht zu sehen, woran ‘Sugar’ Segerman jahrelang unermüdlich gearbeitet hat, war das Tüpfelchen auf dem i. Wir konnten ja nicht wissen, dass alles mit Malik Bendjellouls bahnbrechendem Dokumentarfilm Searching for Sugar Man noch ganz andere Dimensionen annehmen sollte.

Es hat gedauert, bis das volle Ausmaß dessen, was wir taten, greifbar wurde

Was leistet das Buch, was der Film nicht leistet?

Der Film deckt nur die Zeit zwischen 1996 und 1998 ab, also zwischen dem Jahr, in dem wir mit unserer Suche ernst machten, und dem Jahr, in dem Rodriguez sein erstes Konzert in Südafrika gab. Man kann in den 86 Minuten, die der Film dauert, eben nur eine begrenzte Anzahl von Dingen vermitteln. Im Gegensatz dazu deckt das Buch einen Zeitraum von 72 Jahren ab. Es ist in vier erzählerische Abschnitte gegliedert: 1. „Das Rätsel“, also die Suche nach Rodriguez; 2. „Der Mann“, seine Lebensgeschichte; 3. „Die Musik“, eine Schilderung des Kampfes um die Veröffentlichung seiner Songs, und 4. „Der Film“, eine Auseinandersetzung mit der Produktion des Dokumentarfilms.

 Beschäftigen Sie sich auch weiterhin mit der Suche nach Popikonen? Was kommt als nächtes? Vermissen Sie die „Jagd“ vielleicht sogar?

Die detektivische Suche nach Rodriguez hat uns ganz und gar eingenommen. So sehr, dass es Zeiten gab, in denen wir hofften, diese Reise würde niemals enden. Zum Glück haben mit der Arbeit am Buch die Nachforschungen – wenigstens der schöne Teil davon – wieder von vorne angefangen.


→ mehr über die Autoren

Craig Bartolomew Strydom, freier Autor und Werbetexter, schreibt u.a. Texte und Reportagen für den Rolling Stone. Stephen „Sugar” Segerman ist Musikjournalist und Eigentümer des legendären Plattenladens „Mabu Vinyl”. Die beiden leben in Kapstadt, Südafrika.

Weblinks
Die offizielle Website von Sixto Rodriguez
„Sugar Man” auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
Sixto Rodriguez bei Facebook

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