Was würde Gutenberg heute tun?

Zu seiner Zeit war Johannes Gutenberg ein Visionär, der die Medienwelt durch den Buchdruck revolutionierte. Heute, wo erneut ein tiefgreifender Strukturwandel, vor allem im Bereich der gedruckten Medien, stattfindet, fragen wir uns: Was würde Gutenberg wohl heute tun?

Ullstein-Produktionsleiterin Michaela G. C. Philipzen im Gespräch mit Gutenberg-Biograph Klaus-Rüdiger Mai

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Tiefes Verständnis regt sich in mir, wenn man bei den Worten „Gutenberg“ und „heute“ zunächst nur ein müdes Lächeln übrig hat. Im ersten Moment erscheinen uns verstaubte Bilder. Solche von alten, schweren Büchern in dunklen Bibliotheksecken, schwerem, metallnem Handwerk und verschwörerischen Zeiten, wie es uns Umberto Eco bildhaft in seinem „Foucaultschen Pendel” überliefert hat.

Zu lange ist es her, dass Johannes Gensfleisch aka Gutenberg gelebt hat (aus seinen Lebtagen existiert ja nicht einmal ein Portrait), das größte Ergebnis seiner Erfindung – gedruckte Bücher – weichen unumkehrbar der wachsenden Akzeptanz digitaler Bücher (in 2015 lag der E-Umsatz bei rund 350 Mio. EUR; die Wachstumsrate schwankt je nach Gattung, liegt aber deutlich im zweistelligen Prozentbereich) und überhaupt, wird nun alles digital, was nicht niet- und nagelfest ist, ergo wird es ebenso hart seine Bucherfindung treffen.

Bei Klaus-Rüdiger Mai nachgefragt, was wir über Gutenbergs Vision heute wissen, beschreibt er einen Menschen der überraschenderweise weder den Buchdruck anstrebte noch einem Bildungsauftrag folgte. Vielmehr skizziert Mai einen Mann, dessen wichtigster Antrieb seine Faszination den neuen technischen Möglichkeiten der Früh-Industriellen Zeit im 15. Jahrhundert galt. Ausgestattet mit unternehmerischem Geschick adaptierte er das Pressverfahren der Weinherstellung für die serielle Massenproduktion der erfolgreichen Heilsspiegel. Als „Steve Jobs der Renaissance“ betitelt der Autor seinen Protagonisten – und liegt damit so falsch nicht.

 

Herr Mai, was waren eigentlich die wesentlichen Talente oder Fähigkeiten, die Gutenberg solche immense Innovationskraft verliehen haben?

Klaus-Rüdiger Mai: Gutenberg wurde von Biographen als jähzornig und ungeduldig beschrieben. Nichts scheint mir falscher als dies zu sein, denn wenn man die wenigen Lebenszeugnisse mit den Biographien und Hinterlassenschaften seiner Zeitgenossen vergleicht, verlieren die angeführten Indizien ihren Wert.

Im Gegenteil, ich lege in der Biographie überprüfbar dar, dass Johannes Gutenberg ein handwerklich begabter Mann war, der eine große Geduld besaß, der aber zugleich die Geselligkeit liebte, der über Charme und Überzeugungskraft und eine gute Menschenkenntnis verfügt haben muss, denn es gelang ihm immer wieder Geldgeber und Mitstreiter für seine Projekte zu finden, in einem Wort: Menschen zu überzeugen.

Gleichzeitig interessierten ihn Technologien, modern gesagt, industrielle Fertigungskomplexe. Er hat ja auch die Apparate erfunden, die er für die Technologie, die er entwickelte, benötigte. In seinem Optimismus und seinem Vorgehen, in dem genialen Mix zwischen Glauben an die eigene Vision, das eigene Projekt und die nüchterne Planung der Finanzierung und Umsetzung glich er vielleicht einem Startup-Unternehmer unserer Zeit. Wobei das Zusammenspiel von Vision, technischer Realisierung und Finanzierung entscheidend für den Erfolg war. Man findet häufig einzelne Talente, zur Finanzierung etwa, oder im Entwurf von Visionen oder in der Findung von Technologien und der Erfindung von technischen Lösungen, aber sehr, sehr selten sind diese Talente in einer Person vereint. Insofern ist das Wort vom Steve Jobs der Renaissance durchaus berechtigt.

 

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Michaela G.C. Philipzen

Vision, Technik und Invest. Klingt nach dem Erfolgsrezept unserer Tage. Was Gutenberg mit seiner Innovation der beweglichen Lettern erst ermöglichte, findet sich gegenwärtig in unserer Informationswelt wieder, nur reden wir jetzt von beweglichen Inhalten. Ob granulares Angebot oder sichtbar in Suchmaschinen: Mobilität ist der Schlüssel unseres Contents, in der Infrastruktur des Internets und auf den Fluren virtueller Shoppingmalls.

 

Da fragt man sich, welche zentralen Kräfte zu Gutenbergs Lebzeit oder danach dazu beigetragen haben, dass seine Erfindung „zum Fliegen kam“. Herr Mai, was haben Sie dazu in den kaum 40 relevanten Quellen überhaupt finden können?

KRM: Die gesamte Eigendynamik des späten Mittelalters, einerseits der Kampf um grundlegende Reformen im weltlichen und im geistlichen Bereich, die man in dieser Epoche gar nicht so säuberlich voneinander trennen kann, anderseits die Gesellschaftsentwicklung, man denke nur an die vielen Universitätsgründungen, der geistigen Revolution des Humanismus und den Ausbau der Verwaltungen und der Administrationen, die zunehmende Verbürgerlichung der Welt, drängten zu einer Wissensgesellschaft, zu Bildung, Forschung, Austausch und zur Vervielfältigung des notwendigen bürokratischen Schrifttums (Gesetze, Erlasse etc.). 

Die serielle und originalidentische Vervielfältigung von Texten unterschiedlicher Sorten, vom Gesetz bis zum Lateinlehrbuch, vom Medizinbuch bis hin zur Flugschrift stand auf der Tagesordnung und wurde zum notwendigen Movens der Gesellschaftsentwicklung. Weder die naturwissenschaftliche Revolution, noch die Reformation wären ohne Gutenbergs Erfindung möglich gewesen.

Er schuf eine vollkommen neue Art der gesellschaftlichen Kommunikation.

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Michaela G.C. Philipzen

Wie die Geschichte sich wiederholt! Wesentliche Fragestellungen, in dessen Spannungsfeld Gutenberg sich wiederfand, stellen sich im 21. Jahrhundert erneut: sich verändernde Kommunikation, sich neu definierende Gesellschaftswerte, der – auch durch politische Entwicklungen geprägte – Kampf um Bildung und Wissen.

Und während die Buchverlegende Zunft noch abwägt, ob sie mit ein paar Kratzern den digitalen Unwettern entkommen ist oder der Tornado sie hinwegfegen wird, handelt längst der digital erwachsen gewordene User und erzwingt qua seiner Aufmerksamkeit neue Angebotsformate. Inhalte on demand, personalisiert und günstig ohne auf bisherige Angebote zu verzichten – das sind die Herausforderungen des heutigen Publizierens.

 

Darum erlauben Sie noch eine letzte Frage, Herr Mai, was denken Sie, würde Gutenberg heute tun?

KRM: Die Frage lässt sich kaum beantworten, zumal Gutenberg heute nicht Gutenberg wäre. Aber wagen wir es mal. Sicher würde er sich mit serieller Produktion beschäftigen, vielleicht auch mit Kommunikation. Er würde ein Geschäftsmodell für das Internet entwickeln. Mit einem Wort: er würde ein deutsches Silicon Valley gründen, das Internet und Social Media aus der europäischen Geschichte und ausgehend von den europäischen Werten her denkt.

 

Für tiefere Einblicke in Leben und Wirken Gutenbergs in seiner Zeit, dem sei die Neuerscheinung Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte ans Herz gelegt. Angeregt von der Innovationsfreudigkeit Gutenbergs ist der liebevoll ausgestattete Band in einer perfekten Symbiose aus Technik und Kreation, gestaltet von Manja Hellpap, Berlin, am 2. Dezember 2016 im Propyläen Verlag erschienen.


 

Das Buch
VS_9783549074671-Mai-Gutenberg_U1.inddDer Erfinder des Buchdrucks gilt als Jahrtausendfigur. Mit seinen bahnbrechenden Neuerungen läutete Johannes Gutenberg das Zeitalter der Moderne ein. Ohne ihn keine Reformation, keine Renaissance, keine Kirchenkritik, keine Bildung im modernen Sinn. Zu Recht vergleicht man die von ihm eingeleitete mediale Revolution mit der digitalen Zäsur unserer Tage.

Aber der Pionier aus Mainz war nicht nur ein genialer Erfinder, sondern auch ein geschäftstüchtiger Medienunternehmer, der um die Bedeutung seiner Erfindung wusste und sie gewinnbringend zu vermarkten verstand. Diese Modernität Gutenbergs inmitten der revolutionären Umbruchzeit des 15. Jahrhunderts stellt der erfahrene Biograph Klaus-Rüdiger Mai in den Mittelpunkt seiner Schilderung. Glänzend versteht er es, Gutenberg und seine Zeit lebendig werden zu lassen und die überraschende Aktualität dieser Lebensgeschichte spürbar zu machen.

Links
Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte auf den Seiten der Ullstein Buchverlage

Klaus-Rüdiger Mai

Klaus-Rüdiger Mai

Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963 in Staßfurt, promovierter Germanist, ist Autor von historischen Sachbüchern und Biographien. Bei Propyläen erschienen von ihm die hochgelobte Familienbiographie Die Bachs (2013) und eine Dürer-Biographie (2015).

Foto: © Andreas Biesenbach

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