Am kommenden Sonntag wird in der Schweiz per Volksabstimmung über ein bedingungsloses Grundeinkommen entschieden. Auch in Deutschland wird nach wie vor über eine Grundversorgung diskutiert – Befürworter rollten dieser Tage in europäischen Städten riesige Plakate aus, um ihre Kampagne zu werben. Götz W. Werner zur Aktualität des Diskurses über die Idee des Grundeinkommens.
von Prof. Götz W. Werner
„Ich beschäftige mich nicht mit dem, was getan worden ist. Mich interessiert, was getan werden muss“ – das sagte einst Marie Curie. Und nun soll es einleitend diesem Beitrag voranstehen. Denn es bringt eine zutiefst unternehmerische Haltung zum Ausdruck: Als Unternehmer beschäftigt man sich ständig, mit dem was kommt, man versucht zu erahnen, was die Zukunft bringen wird. Wenn man ein Unternehmen gestalten und erfolgreich sein will, braucht man die Kraft zur Vorausschau und ein beharrliches Interesse daran, neue Ideen in die Welt zu bringen und bisher unbekannte Wege zu gehen. Das kann man auf unser ganzes Leben übertragen, denn wir alle sind Unternehmer unserer eigenen Biographie. Und unser gesellschaftliches Zusammenleben ist eine höchst spannende Unternehmung.
Es geht um Erneuerung
Als Wissenschaftlerin und Entdeckerin, wie es Marie Curie war, wird man ständig damit konfrontiert, was alles nicht geht. Man hat eine innere Ahnung von den Dingen, kann sie aber noch nicht beweisen. Dann braucht es Beharrlichkeit und ein gesundes Maß an Bescheidenheit, bis aus dieser Ahnung Gewissheit wird. Als Unternehmer geht es einem da ähnlich: Man selbst oder ein Kollege hat eine neue Idee – und dann wird man zunächst erst einmal damit konfrontiert, dass es nicht geht. Kennen Sie das? Einfach, weil wir es noch nie so gemacht haben. Es gibt in uns Menschen eine riskante Grundströmung, die an dem Bewährten festhalten, den Erfolg konservieren und in die Zukunft reproduzieren will, auch wenn sich alles um einen herum ändert.
Und dann baut man Mauern oder Zäune – in Gedanken und manchmal auch an Grenzen. Aber Ausgrenzung bringt uns nicht weiter. Eine wesentliche Aufgabe für uns als Gesellschaft ist, die Dinge immer wieder neu zu durchdenken. Es geht um Erneuerung und das bedeutet, sich immer wieder nach dem richtigen Weg zu fragen und auf die Veränderungen, die um einen herum passieren, zu reagieren oder besser noch, sie vorwegzunehmen.
Wir haben immer Wege gefunden
Jede Generation hat ihre Herausforderungen und braucht innovative Ideen, um sie zu meistern. Wir sind heute in der bisher nie dagewesenen Situation, dass wir weit mehr Güter hervorbringen können, als wir brauchen. Und warum leisten wir uns dennoch Armut? Weil wir es uns nicht leisten können, allen Menschen, die in unserem Land leben, zu versorgen? Die Gegenwart belehrt uns eines Besseren, was wir uns alles leisten können: Unterstützung für ganze europäische Staaten, die Rettung von Banken. Sogar Kriege leisten wir uns immer noch.
Im Prinzip ist es doch so: Man findet ganz schnell Gründe, warum etwas nicht gehen soll. Das ist einfach. Wenn wir es jedoch ernsthaft wollen, haben wir immer Wege gefunden, auch wenn wir uns dazu anstrengen mussten. Wenn wir den Artikel 1 unserer Verfassung, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, wirklich erfüllen wollen, dann werden wir Wege finden und jedem Menschen bedingungslos ein Einkommen garantieren. Es geht darum, aus dem sozialen Netz für jeden Menschen ein soziales Recht zu machen. Das ist die Herausforderung der Jetztzeit.
Freiheit und das Streben nach Glück
In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten heißt es: „Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören“. Bei uns in Europa klingt das etwas verkürzt sehr ähnlich: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – Es sind die Ideale der französischen Revolution. Haben sie heute noch eine Bedeutung für unser Zusammenleben? Von welchen Werten lassen wir uns eigentlich leiten?
Wie können wir die Herausforderungen – im vergangenen Jahr sind mehr als eine Million Menschen auf der Flucht vor Krieg und Hunger zu uns gekommen – nutzen, um uns als Gemeinschaft europäischer Völker weiter zu entwickeln? Es ist eine Frage des Denkens, denn wir sind, was wir denken.
Wovon lassen wir uns leiten?
Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass sich die Verhältnisse schneller geändert haben als das gesellschaftliche Bewusstsein. Das führt zu Verunsicherung. Und dazu, dass manche Menschen meinen, extreme politische Positionen oder sogar eine Rückkehr zur vermeintlich „guten alten Zeit“, könnten die Probleme von morgen lösen. Doch das ist ein Denkirrtum. Viele Forderungen, wie sie derzeit besonders am rechten Rand kursieren, sind mephistophelische Blendgranaten. Wir dürfen uns die Sinne nicht davon trüben lassen. In Goethes Faust gibt es eine sehr treffende Stelle:
„Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:
Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.“
Welchen Weg wählen wir? Den einfachen, bei dem wir ausgrenzen, was nicht in unsere Vorstellung passt? Dann müssen wir alles kontrollieren und überwachen und Mitmenschen abschieben. Von welchem Menschenbild und von welchem Denken lassen wir uns leiten? Es ist die Gretchenfrage unserer von Überfluss geprägten Zeit: Nun sag, wie hast du’s mit den Hilfsbedürftigen?
Eine Idee, deren Zeit gekommen ist
Vor etwas mehr als 10 Jahren erschien im Magazin „brand eins“ eines der ersten umfangreichen Interviews mit mir zum Thema Grundeinkommen. Es hatte eine beeindruckende Resonanz, aber für die meisten Leser war das eine fernliegende Zukunftsvision. So wie wir uns in den 1960er Jahren schwebende Autos und Wohnen auf dem Mond für das Jahr 2000 vorstellten. Kaum jemand hätte sich 2005 träumen lassen, dass schon wenige Jahre später, 2009, mehr als 50.000 Menschen in einer Petition an die Mitglieder des deutschen Bundestags die Einführung eines Einkommens für alle fordern würden. Kurze Zeit danach wurden dann in der Schweiz mehr als 100.000 Unterschriften für eine Volksinitiative gesammelt. Am 5. Juni 2016 wird dort darüber abgestimmt. Und auch wenn es vielleicht nicht gleich beim ersten Mal umgesetzt wird: Das Thema bedingungsloses Grundeinkommen ist heute fest im gesellschaftlichen Diskurs verankert. Besonders auch dank des Engagements der Schweizer.
Bürgerinitiativen, Vereine und Organisationen in der ganzen Bundesrepublik setzen sich inzwischen dafür ein. Der OMNIBUS für direkte Demokratie fährt seit vielen Jahren durch das Land und begegnet den Menschen mit der Idee der direkten Demokratie und der Möglichkeit der
Volksabstimmung. Gerade haben rund 100.000 Menschen mit ihrer Unterschrift den Aufruf des OMNIBUS „grundeinkommen abstimmen“ unterstützt und damit den Volksvertretern im Parlament klar gemacht: Wir wollen (auch) über das Grundeinkommen abstimmen! Das 2005 gegründete Netzwerk Grundeinkommen aus Berlin zählt heute mehr als 4.200 Personen und 120 Organisationen zu seinen Mitgliedern. Zahlreiche prominente Künstler und Manager, die in der Öffentlichkeit Gehör finden, setzen sich mit der Idee auseinander. Das anfänglich von Journalisten belächelte Thema ist in der Berichterstattung heute ein Garant für ein beachtliches Interesse.
Unsere Arbeitswelt hat sich verändert
Journalisten gehören zu einer Berufsgruppe, bei der die Veränderung im Arbeitsalltag offensichtlich wird. Die Zeit der steten Lebensläufe und der lebenslangen Zugehörigkeit zu einem Arbeitsplatz ist vorbei. Die meisten Aufgaben können heute Maschinen übernehmen, die Digitalisierung und weltweite Vernetzung verändert die Art, wie wir zusammenarbeiten. Sabbatjahre und Bildungsauszeiten gehören heute zum Leben dazu. Doch das muss letztlich finanziell ermöglicht werden – sonst wird der Begriff des lebenslangen Lernens zur Farce. Hier wird ein Dilemma, sehr deutlich: Einkommen und Arbeit sind miteinander verknüpft. Wenn man Einkommen mit Arbeit verkoppelt, dann fehlt das Einkommen, wenn die Arbeit fehlt. Warum lösen wir uns nicht von dieser Vorstellung? Weil wir meinen, dass dann niemand mehr arbeitet? Der Denkirrtum liegt darin, wie wir den Begriff „Arbeit“ erfassen. Wir denken „Arbeit“ allzu oft als weisungsgebundene, sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit und nicht als Tätigkeit an sich, als Ausdruck des Menschen. Hat zum Beispiel eine Frau, die sich jahrelang um die Erziehung der Kinder, den Haushalt und die Pflege eines Angehörigen gekümmert hat, nicht gearbeitet? Wertschätzen wir das, indem wir diesen Menschen einen Teil des gesellschaftlichen Wohlstands zusprechen? Hat er nicht das Recht dazu?
Wir leben in paradiesischen Zuständen
Als Unternehmer habe ich die Erfahrung gemacht, dass man Arbeit nur ermöglichen, jedoch niemals bezahlen kann. Denken Sie nur an Lehrer, Erzieher, Krankenpfleger, Richter, Polizisten und viele andere mehr. Trotz des rasanten technischen Fortschritts sollten wir uns bewusst sein, dass es immer um uns geht. Nichts auf der Welt wird gemacht, ohne dass der Mensch das Ziel ist. Unsere Mitmenschen sind immer der Zweck all dessen, was wir tun. Sie sind niemals Mittel. Bei allem, was wir tun, sollten wir uns das immer wieder vor Augen führen. Die Wirtschaft hat die Aufgabe, paradiesische Zustände für uns Menschen herzustellen, sodass wir nicht im Mangel leben müssen sowie uns von der Arbeit zu befreien. In unseren Breiten ist das längst erreicht. Eingangs hieß es: „Mich interessiert, was getan werden muss“. Für mich ist die Aufgabe klar: Dass wir allen Menschen Möglichkeiten eröffnen, das Mensch-Sein zu ergreifen, dass niemand mehr um seine Existenz ringen muss, sondern dass wir alle zu Kulturmenschen werden können, die das Nadelöhr des Individualismus überwinden. Und für Sie?
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1000 Euro für jeden und Womit ich nie gerechnet hätte auf den Seiten der Ullstein Buchverlage
grundeinkommen.ch – die Seite zur Schweizer Volksabstimmung