Die Opfer brauchen unseren Schutz: Warum ein Verbot von DDR-Symbolen sinnvoll ist – und machbar

Der Autor und Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, widmet sich seit vielen Jahren der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls plädiert er für ein Verbot von DDR-Symbolen in der Öffentlichkeit: ein Streitfall.

von Hubertus Knabe

(© Sludge Gulper via Flickr.com)

(© Sludge Gulper via Flickr.com)

Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und habe für Verbote wenig übrig. Leider bin ich im Alltag von Verboten umgeben, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass ich regelmäßig Post vom Polizeipräsidenten bekomme, weil ich mein Auto für ein paar Minuten am Straßenrand abgestellt habe.

Was in Deutschland freilich nicht verboten ist: die Symbole einer skrupellosen Diktatur öffentlich zur Schau zu stellen. Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall darf man mit dem DDR-Staatswappen auf der Brust unbehelligt durch die deutsche Hauptstadt laufen. Man darf sich mit einer DDR-Flagge vors Brandenburger Tor stellen oder in Stasi-Uniform auf eine Ostalgie-Party gehen. Man darf Suppenkonserven mit DDR-Emblem produzieren, Feuerzeuge mit Stasi-Wappen verkaufen und in einem „Ostel“ Hotelzimmer mit Honecker-Bildern ausstaffieren. Man darf sogar mit Hammer und Sichel oder rotem Stern für die Wiedereinführung des Kommunismus demonstrieren und Massenmörder wie Josef Stalin oder Mao Tse-Tong hochleben lassen.
In anderen ehemals kommunistischen Staaten ist all dies verboten. Nach dem Sieg der Demokratie wollte man dort ein klares Zeichen setzen und die Opfer staatlicher Massenverbrechen vor Verhöhnung und Infragestellung ihres Leidens schützen – und zwar die Opfer der Nazi-Zeit und die des Sowjetregimes. Wer in Litauen Zeichen nationalsozialistischer oder kommunistischer Organisationen zeigt, muss mit einem Bußgeld von umgerechnet bis zu 290 Euro rechnen. Wer in Lettland Symbole der Sowjetunion oder Nazi-Deutschlands bei Aufmärschen präsentiert, muss bis zu 350 Euro zahlen. Hammer und Sichel oder der fünfzackige Stern dürfen in solchen Ländern ebenso wenig öffentlich zur Schau gestellt werden wie Hakenkreuze und SS-Abzeichen.
Nur in Deutschland sträubt sich die Politik seit Jahren, ähnliche Regeln zu erlassen, wenn es um unsere DDR-Vergangenheit geht. Den zahlreichen noch lebenden Verfolgten des Kommunismus schlägt beim Umgang mit den Symbolen des SED-Regimes eine erschreckende Gleichgültigkeit aus Politik und Gesellschaft entgegen.

Die Argumente, die in Deutschland gegen ein Verbot dieser Symbole angeführt werden, sind dürftig. Das beginnt bei der – aus Unkenntnis oder Einfalt erfolgenden – Unterstellung, alles, was an die DDR erinnere, solle verboten werden. Doch anders als etwa Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste, meint, sollen Zeichen wie das Ampelmännchen oder das Sandmännchen natürlich nicht auf den Index. Ebenso falsch ist die Behauptung der Ostbeauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke, sie müsse dann gegebenenfalls ihre Zeugnisse vernichten, da darunter das DDR-Wappen prange. Nein, bei der Forderung nach einem Verbot von DDR-Symbolen geht es ausschließlich um die öffentliche Zurschaustellung von Zeichen, die eindeutig für die Diktatur der SED stehen: das Staatswappen, die Abzeichen von SED, FDJ und MfS sowie möglicherweise Hammer und Sichel.
Das häufigste – und wirksamste – Argument gegen ein Verbot von DDR-Symbolen lautet, damit würde man die kommunistische und nationalsozialistische Diktatur gleichsetzen. Wieso eigentlich? Setzt man einen Bankbraub dadurch mit einem Mord gleich, dass beide strafrechtlich verfolgt werden? Soll die Lehre aus den Verbrechen des Nationalsozialismus wirklich sein, dass weniger grausame Taten nicht mehr staatlich sanktioniert werden? Wohl kaum! Dann hätte es weder Prozesse gegen die DDR-Führung noch eine Entschädigung für SED-Opfer geben dürfen – Vergleichbares gab es auch nach dem Ende des NS-Regimes. Von einer Gleichbehandlung kann schon deshalb keine Rede sein, weil beim Nationalsozialismus nicht nur das Zeigen seiner Symbole, sondern auch ein breites Spektrum von Meinungsäußerungen mit Haftstrafen geahndet wird.

Entferntes DDR Hoheitszeichen Grenzuebergang, Andreas Lippold

Entferntes DDR-Hoheitszeichen aus einer Stele auf der BA 115 bei Kleinmachnow. (© Andreas Lippold/Wikimedia Commons)

Oft kommt als Argument auch zum Zuge, ein Verbot von SED-Symbolen wäre eine unzumutbare Einschränkung der Meinungsfreiheit. Tatsächlich ist die Meinungsfreiheit ein zentrales Grundrecht, eingemeißelt in Artikel 5 unserer Verfassung. Es wird aber – ebenfalls in der Verfassung – durch andere Bestimmungen begrenzt. Laut Artikel 1 muss zum Beispiel alle staatliche Gewalt die Würde des Menschen achten und schützen. Deshalb sind etwa Beleidigung, Verleumdung, die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener oder die Verherrlichung von Gewalt strafrechtlich untersagt. Nach Artikel 2 hat zudem jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Staat ist deshalb sogar verpflichtet, Opfer von Gewaltverbrechen oder Diktaturen vor einer Retraumatisierung durch Verhöhnung oder Verharmlosung der Taten zu schützen.
In den meisten Fällen kann von einem Eingriff in die Meinungsfreiheit ohnehin keine Rede sein. Die verkleideten DDR-Grenzer am Brandenburger Tor wollen ja nicht ihre Meinung kundtun, sondern Geld verdienen. Der Hersteller von „NVA-Feldsuppe“ verfolgt eine bizarre Geschäftsidee, aber keinen politischen Kampf. Ähnliches gilt für die Verkäufer von DDR-T-Shirts und Rotarmisten-Mützen, die die touristischen Orte Berlins bevölkern. Würde man die kommunistischen Symbole verbieten, bliebe das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung weitgehend unberührt. Die schleichende Bagatellisierung des SED-Regimes wäre allerdings vom Tisch.
In den wenigen Fällen, bei denen aus politischen Gründen die DDR-Fahne geschwenkt oder eine Stasi-Uniform angezogen wird, würde das Verbot von DDR-Symbolen als Eingriff in die Meinungsfreiheit nur ein paar Ewiggestrige betreffen. Echte Liberale mögen einwenden, selbst das sei schon zu viel. Doch anderswo nehmen wir größere Einschränkungen der Meinungsfreiheit hin. In Deutschland kann man zum Beispiel im Gefängnis landen, wenn man eine Rede mit dem Satz „Alles für Deutschland“ beendet. Strafrechtlich verfolgt werden auch Postkarten mit Hitler-Portraits. Mit Haftstrafen bedroht ist darüber hinaus die Verwendung zahlreicher Symbole, die mit dem Nationalsozialismus nur indirekt zu tun haben – zum Beispiel die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine des Norddeutschen Bundes von 1867. Verboten sind aber auch der rote fünfzackige Stern auf gelbem Grund im grünen Kreis (Symbol der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans) oder der gelbe fünfzackige Stern auf rotem Grund im gelben Kreis mit gelber Flamme in der Mitte (Symbol der PKK). Es gilt sogar als Ordnungswidrigkeit, wenn man das Wahrzeichen des Roten Kreuzes oder das Wappen der Schweiz öffentlich zeigt. In Wirklichkeit – das weiß jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt – wird die Meinungsfreiheit in Deutschland von ganz anderer Seite bedroht: durch den Anpassungsdruck in politischen Debatten und durch die Mechanismen medialer Skandalisierung, wenn jemand diesem Druck nicht Folge leistet.

ostalgie stand berlin

via Wikimedia Commons

Zuweilen wird auch eingewandt, ein Verbot von DDR-Symbolen könnte dazu führen, dass Museen, Schulbücher oder gar Briefmarkenalben gesäubert werden müssten. Bei einem Pressetermin mit dem Kultusminister von Sachsen-Anhalt erklärte ein Pädagoge, er könne dann den Schülern keine DDR-Fahne mehr zeigen. Welch ein Unsinn! Ein Blick in ein x-beliebiges Schulbuch für den Geschichtsunterricht zeigt, dass dort Hakenkreuze weit verbreitet sind. Laut Strafgesetzbuch gilt das Verbot nämlich nicht, „wenn das Propagandamittel (…) der staatsbürgerlichen Aufklärung“ dient. Niemand würde auf die Idee kommen, dies bei den DDR-Symbolen anders zu halten.
Bleibt schließlich das Argument, das der Theologe Richard Schröder wie ein Menetekel an die Wand gemalt hat: Ein Verbot von SED-Symbolen würde einen unangemessen hohen Verfolgungsaufwand verursachen. Doch davon kann keine Rede sein. Verglichen mit anderen, deutlich weniger relevanten Verstößen – zum Beispiel Falschparken – ist der Verfolgungsaufwand geradezu lächerlich gering. Schon die Androhung eines kleinen Bußgeldes würde dazu führen, dass DDR-Symbole aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwinden würden. Wenn die Suppenverkäufer und verkleideten Grenzkontrolleure jedes Mal 100 Euro zahlen müssten, wenn sie das Staatswappen der DDR zeigten, würden sie das rasch bleiben lassen. Wie wirksam ein solches Verbot ist, zeigt sich am Brandenburger Tor in Berlin, wo seit April 2014 jede Art von kommerzieller Schaustellerei untersagt ist.
Wirkliche Konflikte und einen gewissen Verfolgungsaufwand gäbe es nur in den wenigen Fällen, wo die DDR-Symbole bewusst genutzt werden, um eine bestimmte politische Meinung zum Ausdruck zu bringen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich, wie 2011 geschehen, ehemalige NVA-Offiziere im Berliner Tierpark versammeln, um den Gründungstag der Nationalen Volksarmee zu feiern. Oder wenn, wie im Mai 2013, ein „Traditionsverband Nationale Volksarmee“ am sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park in Uniform paradiert. Oder wenn jedes Jahr im Januar Linksextremisten mit den Insignien des Kommunismus an die Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht pilgern, allen voran die Partei- und Fraktionsspitze der Linkspartei. In solchen Fällen müsste die Polizei bei einem Symbolverbot möglicherweise tatsächlich eingreifen. Sie könnte es aber endlich auch, weil ihr dafür nicht länger die Rechtsgrundlage fehlte. Denn das ist der springende Punkt: Es gibt, bis aufs allgemeine Uniformverbot im Versammlungsgesetz, derzeit keinerlei Möglichkeit, gegen den Missbrauch der Symbole des von mutigen DDR-Bürgern gestürzten Unterdrückerregimes vorzugehen.

Drum leben wir momentan mit der Absurdität, dass jemand bestraft wird, wenn er am Brandenburger Tor mit einem umgehängten Grill Würstchen verkauft; wer hingegen ein paar hundert Meter weiter mit einer DDR-Fahne für Touristen posiert und damit signalisiert, dass der Kommunismus eigentlich recht harmlos, wenn nicht sogar ganz lustig war, kann nicht vertrieben werden. Das zu ändern wird höchste Zeit – um unserer Demokratie willen und um der Opfer willen, deren Gefühle in Deutschland noch 25 Jahre nach dem Mauerfall täglich verletzt werden.

Hubertus Knabe

Hubertus Knabe

Hubertus Knabe, geboren 1959, ist wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnis des DDR-Staatssicherheitsdienstes. Von 1992 bis 2000 war er in der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (Gauck-Behörde) tätig. Knabe gehört zu den profiliertesten Historikern der Bundesrepublik, die sich der Aufarbeitung der SED-Diktatur widmen. Er ist Verfasser des Buches „Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland“.

Foto: © privat

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